Protocol of the Session on December 12, 2023

Werter Herr Silbersack, eine schöne Rede. Schön, dass Sie, genau wie die AfD-Fraktion, sagen, wir brauchen Kernenergie, wir brauchen sie dauerhaft; denn das ist die einzige grundlastfähige Energie, die wir haben und die auch klimaneutral ist. Aber solange Ihre Partei Teil der Bundesregierung ist und diese Ampel nicht verlässt, halte ich das, was Sie hier im Landtag liefern, für große Schauspielerei. Denn das, was Sie in Berlin machen, ist etwas völlig anderes als das, was Sie hier vertreten. Da stimmt in meinen Augen etwas nicht.

Das ist relativ einfach erklärt. Im Bund regiert die Ampel. Die FDP hat sich klar zur Atomkraft positioniert. Sie macht allerdings nicht 100 % der Regierung aus, sondern sie ist nur ein Teil derselben. Deshalb ist es völlig klar: Man kann diese Überzeugungen und das, was man für richtig hält, natürlich artikulieren, aber das bedeutet nicht, dass man sich sofort durchsetzt. Das heißt in der Folge aber auch nicht, dass man dann gleich auseinanderrennt. Das würde Sie vielleicht freuen. Aber dafür, dass wir in der Regierung auseinanderlaufen, sehe ich im Augenblick überhaupt keinen Grund. Man muss vielmehr Argumente austauschen, man muss sich damit inhaltlich auseinandersetzen. Wir werden uns von diesem Thema Kernenergie nicht lösen. Damit muss natürlich auch der Rest der Ampel leben.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Nun kommen wir zu dem Beitrag der Landes- regierung, und zwar in Gestalt von Herrn Prof. Dr. Willingmann, der bereits am Rednerpult steht. - Herr Prof. Dr. Willingmann, bitte.

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu später Stunde und offenbar in Vorfreude auf Weihnachtsfeiern ist die emotionale Bandbreite im Moment erstaunlich hoch. Ich versuche, das etwas herunterzubekommen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Das ehrt dich!)

Ich verzichte deshalb auf den Hinweis an den geschätzten Fraktionsvorsitzenden der FDP, dass der irrationale Sonderweg, von dem gerade die Rede war, im Jahr 2011 natürlich unter FDP-Beteiligung zustande gekommen ist. Aber ich möchte noch einen obendrauf setzen: Es waren gleich zwei FDP-Energieminister, die sich damit befasst haben, nämlich erst Rainer Brüderle und dann Philipp Rösler.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber das ist zwölf Jahre her und man kann ohne Frage anderen Sinnes geworden sein. Aber im Jahr 2023 erklärt der von uns allen sehr geschätzte Finanzminister Christian Lindner, dass vor allen Dingen der Umstieg auf die erneuerbaren Energien ein Umstieg auf Freiheitsenergien sei und dass darauf der Schwerpunkt zu legen sei. Das ist doch konsequent und vernünftig.

Lassen Sie mich kurz auf das Argument eingehen, dass 22 Staaten bei der COP 28 eine Vereinbarung unterschrieben haben, einen Nuclear

Pledge, in der sie sich für eine Verdreifachung der Atomenergie einsetzen. Es waren 22 Staaten - das nur zur Orientierung. Denn hier wurde gerade gesagt, wir überheben uns als Deutsche mit einem politischen Weg, der im Jahr 2011 mit einem großen Konsens im Bundestag beschlossen wurde, der seitdem zusammen mit der Industrie entwickelt wurde und der sein Ende im Abschalten im April dieses Jahres gefunden hat. Das war ein völlig berechenbarer Prozess. Das ist keine Überhebung, sondern man hält sich schlicht an das, was man einmal verabredet hat und was im Gesetz steht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine Überhebung ist es, wenn 22 Weststaaten sagen: Wir sagen den anderen 196 minus 22, wie Energiepolitik künftig zu laufen hat. Das dazu, wenn wir schon damit anfangen, wer sich hier über wen erhebt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Guido Kosmehl, FDP: Aber das Geld nehmen die anderen!)

- Herr Kosmehl, bevor Sie dazwischenrufen, sage ich Ihnen Folgendes: Am dem Tag, an dem 22 Staaten den Nuclear Pledge unterschrieben haben, haben mehr als 120 Staaten unterschrieben, dass sie die Verdreifachung des Ausbaus der erneuerbaren Energien haben wollen.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei den GRÜNEN - Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist die Zukunft! - Tobias Rausch, AfD: Weil es subventioniert wird!)

Ich möchte Sie, wenn wir schon mit gesundem Halbwissen arbeiten, auf eine weitere Besonderheit aufmerksam machen: Ein wesentlicher Teil der Länder, die den einen Vertrag unterschrieben haben, haben den anderen gleich mit unterschrieben.

(Zustimmung - Guido Kosmehl, FDP: Ja, und?)

Das zeigt doch nur, dass wir überhaupt nicht von Überhebung reden können, sondern wir reden davon, dass es hierbei um ein hartes Ringen um einen vernünftigen Weg geht.

Hierzu möchte ich Ihnen ein paar Dinge sagen. Die globale Entwicklung der Kernenergie seit dem Jahr 1996 führt dazu, dass wir aktuell etwa 400 Kernreaktoren am Netz haben, 438 waren es einmal. Atomkraftwerke zu bauen, ist langwierig, teuer und aufwendig. Der Abg. Gallert hat es vorhin angesprochen; die Frage blieb unbeantwortet. Ein neu gebautes Atomkraftwerk dürfte angesichts der deutschen Planungshorizonte, wenn wir von heute aus rechnen, nicht vor dem Jahr 2040 fertig sein.

(Guido Kosmehl, FDP: LNG-Terminals sage ich nur! Wer das will, der kann das! - Zurufe von der AfD und von den GRÜNEN - Unruhe)

- Herr Kosmehl, wir reden über Atomkraft, nicht über Gasschiffe. Der Block 3 des finnischen Kernkraftwerkes Olkiluoto - -

(Unruhe)

Ich schlage vor, dass wir dem Minister weiterhin die Rede ermöglichen.

(Marco Tullner, CDU: Aber er ist ganz schön polemisch! - Tobias Rausch, AfD: Das nennt man lebhafte Debatte!)

Das muss ja nicht sein. Ich will Sie auch nicht lange belästigen. Aber Sie waren doch am Austausch interessiert. Oder war das nicht so?

(Marco Tullner, CDU: Aber sachlich!)

- Ausgerechnet.

(Lachen bei allen Fraktionen)

Kann bitte in das Protokoll aufgenommen werden, dass sich der Abg. Tullner nachdrücklich für Sachlichkeit in diesem Haus eingesetzt hat? Was bemerkenswert ist, sollte bemerkenswert bleiben.

Der Bau des Blocks 3 des finnischen Kernkraftwerks Olkiluoto, von dem aktuell die Rede ist, hat im Vergleich zu der ursprünglich veranschlagten Kostenplanung zu einer Verdreifachung des Ansatzes geführt. Wir reden dabei über einen zweistelligen Milliardenbetrag, der erforderlich wurde, bevor das Atomkraftwerk im April dieses Jahres ans Netz gegangen ist.

(Zuruf von der CDU)

Das Kernkraftwerk Flamanville in Frankreich, das eigentlich im Jahr 2012 netzreif sein sollte, wurde immer noch nicht fertiggestellt. Die geschätzten Kosten haben sich von 3,3 Milliarden € auf 18 Milliarden € erhöht. Man könnte sagen, all das seien Länder ohne Schuldenbremse, aber ich will die Debatte an dieser Stelle nicht verballhornen.

Eines muss aber auch klar sein: Wenn wir das nächste Argument ziehen, nämlich die neuen Reaktortypen, diese vierte Generation, dann müssen wir auch hierbei nüchtern feststellen, dass der Testbetrieb in Idaho bei NuScale, der bekannteste Betrieb in diesem Zusammenhang, zunächst abgebrochen wurde. Auch hierbei haben sich die Kosten verdoppelt; wir reden an dieser Stelle von rund 10 Milliarden €. Das, was in diesem Bereich erwogen wird, ist nicht ganz so schnell und nicht ganz so trivial zu machen, selbst wenn man den Gedanken einmal zulässt.

Damit stellen wir fest: In der westlichen Welt befindet sich keine Anlage der vierten Generation, von der Sie gerade gesprochen haben, im Bau. Kein Reaktortyp dieser Art ist bislang vollständig zertifiziert worden. Und dort, wo im Ausland zurzeit gebaut wird, erfolgt dies hauptsächlich durch den russischen Konzern Rosatom. Das sollte man im Hinterkopf haben.

Noch ein Aspekt europäischer Politik. Dass die Atomenergie eine gewisse Renaissance erfährt, lässt sich doch überhaupt nicht leugnen. Die aktuelle Situation mag tatsächlich nahelegen, dass man jenen 5 %, die es zum Schluss im letzten Jahr der Produktion in Deutschland an Atomstromgewinnung noch gab, hinterhertrauert. Aber selbst in Jahren, in denen alles am Netz war, waren es, lieber Herr Silbersack, keine 17 %.

(Jan Scharfenort, AfD: Noch zu wenig! - Se- bastian Striegel, GRÜNE: Aber anderen den Heiland bringen!)

Das ist nicht der einzige Faktor für uns, um unsere Stromversorgung sicherzustellen.

Es gibt noch einen zweiten Punkt, das müssen wir an dieser Stelle bitte auch sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer die bisherige Atompolitik fortsetzen möchte und wer sagt: „Wir wollen wieder neue Atomkraftwerke bauen“, der muss heutzutage fairerweise auch sagen, wohin mit dem Müll.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Beifall bei den GRÜNEN)

Idealerweise bietet er direkt den Standort an, an dem er das Atomkraftwerk haben will.

Meine Damen und Herren! Wir tun uns wahnsinnig schwer, 10 000 t hoch radioaktiven Müll in Deutschland endgültig zu entsorgen.

(Unruhe)

Das Verfahren, das dafür in Gang gesetzt wird, ist gerade noch einmal verlängert worden. Wir rechnen mit einer endgültigen Entscheidung zwischen 2046 und 2062. Es vergehen also noch mindestens 20 Jahre, weil wir - machen wir uns doch nichts vor - sehr genau schauen müssen, wo wir diesen hoch radioaktiven Müll unterbringen wollen. In dieser Situation ist es durchaus politisch sinnvoll und rational zu sagen, wir lassen es bei dem, was wir bisher in der Atomkraft hatten, und verzichten auf neue Atomkraftwerke und auch auf eine Rückkehr zu dem, was wir bisher hatten, meine Damen und Herren.

Deshalb am Ende: Wir haben in Europa - das lässt sich nicht leugnen - Länder, die sagen: Wir setzen darauf. Ich war übrigens mit dem Ministerpräsidenten Anfang Oktober in Polen, wo uns die Polen von diesen 100 Atomkraftwerken erzählt haben. Sie hatten nur ein Problem: Sie wissen beim besten Willen nicht, wie sie sie finanzieren sollen,

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

und sie haben auch keine Lösung für den Atommüll. Das ist ihr Problem dabei. Deshalb haben sie sinnvollerweise gesagt: Wir steigern auch den Ausbau der Erneuerbaren, vor allen Dingen Offshore, was bislang nicht so großartig erfolgt ist.

(Unruhe)

Nun ein letzter Aspekt: die Wertschöpfung. Wir haben in Sachsen-Anhalt kein Atomkraftwerk, wir haben in Sachsen-Anhalt gottlob auch kein solches Endlager.

(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Wir werden auch einiges dafür tun, dass es nicht dazu kommt, wir können es aber nicht einmal