Protocol of the Session on March 23, 2023

Ludwig Kaas, Vorsitzender des Zentrums, sagte in der Sitzung des Reichstags, die am 23. März 1923 in der Kroll-Oper stattfinden musste, in Richtung der Nationalsozialisten - ich zitiere -:

„Ihr Gesetz, ihr einziges, ihr beherrschendes Gesetz ist das der raschen, bewahrenden, aufbauenden und rettenden Tat.“

Das ist ein Satz, der offenbart, dass die Zen- trumspartei die Folgen der Ermächtigung, die

Abschaffung der Demokratie erkannte und dennoch billigte.

Die Nationalsozialisten erhielten mit den Stimmen der Zentrumspartei, der Bayerischen Volkspartei, der Deutschen Staatspartei, des Christlich-Sozialen Volksdienstes, der Bauernpartei und des Landbundes die notwendige Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz. Die Zustimmung der demokratischen Parteien war gleichzeitig eine Zustimmung zu dem eigenen Untergang. Es brauchte bis zum Verbot der SPD und der Selbstauflösung der anderen Parteien nur noch drei Monate.

Übrigens wurde im damaligen Anhalt ein Ermächtigungsgesetz nicht für notwendig erachtet. Anhalt hatte mit Alfred Freyberg bereits den ersten nationalsozialistischen Ministerpräsidenten in Deutschland.

Die Republik und mit ihr die parlamentarische Demokratie, chronisch unter einem Mangel an Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten leidend, wurden in Deutschland auch von Parlamentariern zerstört, von Konservativen, die allzu bereitwillig den Nationalsozialisten die Schlüssel zur Macht erst überließen und die ihnen dann keinen Widerstand entgegensetzten. Aus diesem Umstand müssen wir lernen. Konservative Brandmauern gegen rechte Verfassungsfeinde müssen stehen; fallen sie, fällt die Demokratie.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Die Erfahrungen aus der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und deren folgende Ermächtigung per Gesetz haben Niederschlag in der Verfassungsarchitektur unserer Republik gefunden. Das Grundgesetz muss auch als Versicherung gegen alle Versuche gelesen werden, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu besei-

tigen. Die wenigen Mütter und die vielen Väter unserer Verfassung haben unsere Demokratie und unsere Institutionen gestärkt. Wir haben die Ewigkeitsgarantien für ein föderales System. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist festgeschrieben. Auch ein demokratisches Regierungssystem ist im Grundgesetz verankert. Der Bundespräsident hat nur noch eine repräsentative Rolle. Für die Abwahl des Bundeskanzlers braucht es ein konstruktives Misstrauen. Und wir haben ein starkes, ein unabhängiges Verfassungsgericht.

Doch alle gesetzlichen und institutionellen Garantien bedeuten nichts ohne eine lebendige demokratische Kultur, die sich ihrer Aufgabe zum Schutz dieser Garantien bewusst ist und immer wieder aufs Neue für diese streitet. Demokratie ist nichts wert, wo nicht Demokrat*innen

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

miteinander ringen, respektvoll Argumente austauschen und um die besten Lösungen mit- einander streiten. Bei historischen Betrachtungen zu verbleiben, reicht deshalb, zumal in einer Aktuellen Debatte, nicht aus. Die politische Kultur in unseren Institutionen in Sachsen-Anhalt heute gehört in den Blick.

Zunächst zu unserem Parlament, dem Landtag von Sachsen-Anhalt. In dieser Legislaturperiode setzt sich der Landtag aus sechs Fraktionen zusammen, von denen eine antidemokratisch ist. Wir haben das heute wieder sehr deutlich gemerkt, aber dazu später vielleicht mehr.

Drei der Fraktionen haben als Koalition im letzten Jahr eine Regierung gebildet. Die Fraktionen und wir, die Mitglieder des Landtages, bilden die Legislative, die gesetzgebende Gewalt in diesem Land. Unsere Aufgaben unterscheiden sich - je nach den jeweiligen Themenfeldern der

Mitglieder - danach, wie wir unsere Aufgaben wahrnehmen, und nach der Zugehörigkeit zu Regierungs- oder Oppositionsfraktionen.

Doch der Landtag ist nicht die bloße Verteilung von Machtverhältnissen. Die Regierungskoalition ist nicht nur der notwendige Teil der Landesregierung, um ihre Vorhaben durchzubringen. Parlament und Abgeordnete brauchen ein eigenes Selbstverständnis, müssen selbst- bewusst als erste Gewalt im Staate Regierung kontrollieren und Demokratie verteidigen.

Den Streit für die republikanischen Grundsätze, den Wettkampf um die besten inhaltlichen Argumente vermisse ich in unserem Haus bisweilen. Dort, wo vor allem die persönliche Ebene angesprochen wird, wo Lautstärke die fehlenden Argumente ersetzen soll, wo die Fähigkeit zuzuhören verloren gegangen ist und nur vernommen wird, was man selbst glauben will, wird auch eine lebendige demokratische Auseinandersetzung im Plenum schwierig.

(Zuruf von der AfD: Endlich mal selbst- kritisch!)

Wie sieht es an unserem zweiten Arbeitsort aus, in den Ausschüssen, dort, wo die Kärrnerarbeit unseres Parlaments stattfinden sollte? In den Reden hier wird ja von allen Beteiligten stets sehr rege und auch gewichtig darauf hingewiesen, die Anträge und Beschlussvorlagen dort eingängig zu diskutieren und beraten zu wollen. In der Realität nehme ich dort die erdrückende Wirkung der Mehrheitsverhältnisse und das demonstrative Schweigen zu inhaltlichen

Debatten wahr. Dass die Sitzungsdauer unserer Ausschüsse immer kürzer wird, weil besonders die Regierungsfraktionen wenig zu sagen haben oder nicht mehr sagen wollen, ist ein Problem und untergräbt die demokratische Willens- bildung.

Das können wir alle zusammen miteinander besser. Die eigenmächtige vorauseilende Beschneidung der eigenen Rolle tut der demokratischen Kultur keinen Gefallen. Eine lebendige Diskussion über andere Dinge als das Verfahren, die Länge einer Sitzung oder die Einhaltung von Mittagspausen wäre doch auch eine Belebung der eigenen Arbeit als Abgeordnete.

Auch in Bezug auf unsere Arbeit im Ältestenrat, dem Ort, an dem wir unsere gemeinsame Arbeit hier im Plenum organisieren, bin ich über kaum zu erklärende Basta-Politik der Mehrheitsführer*innen erstaunt. Es ist kaum noch möglich, sich ernsthaft mit möglichen parlamentarischen Reformen zu beschäftigen und über diese eingehend zu diskutieren. Auf fachliche Einwände wird bisweilen mit Spott reagiert und das Hohe Haus wird zum Sandkasten, in dem mit Förmchen um sich geschmissen wird, herabgewürdigt. Das können wir besser.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Mit der AfD - das war heute sehr deutlich - haben wir eine Fraktion im Landtag, die die Demokratie aus dem Parlament heraus bekämpft. Nicht nur ihr Programm ist extrem rechts, rassistisch und völkisch aufgeladen und z. B. mit Blick auf die Migrationspolitik mit der Wahrung der Menschenwürde eben nicht in Einklang zu bringen. Ihre parlamentarische Praxis ist auf Störung und nicht auf konstruktives Mittun gerichtet.

(Zuruf von der AfD: Das sagt der!)

Sie nutzen die Ressourcen des Parlamentsbetriebes, um Verfassungsfeinde in Lohn und Brot zu bringen. Sie wiegeln mit Geld aus Fraktionskostenzuschüssen Menschen auf dem Domplatz auf. Sie finanzieren Lustreisen mit Massagebegleitung ins kriegsführende Russland usw. usf. Sie werden mit Recht vom Verfassungsschutz beobachtet.

(Zuruf von der AfD: Organisieren Sie doch mal eine Großdemonstration! - Weitere Zu- rufe von und Unruhe bei der AfD)

Es ist umso notwendiger, dass die Zivilgesellschaft, dass auch antifaschistische Initiativen bei Ihnen nach dem Rechten sehen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuruf: Ja!)

Ein Wahlergebnis von über 20 % für eine Partei, die die Verhaftung politischer Gegner fordert - da schaue ich Sie an, Herr Kirchner -, deren Mitglieder rechten Terror als Rollator-Putsch verharmlosen

(Zuruf von der AfD: Was?)

und die bei Schüssen von Reichsbürgern auf Polizisten schweigen, mit einem Ulrich Siegmund, der hier im Hause totalitaristisch Werbung für konkurrierende Parteien verbieten lassen will:

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

Sie sind eine Gefahr für die Demokratie. Wir werden uns Ihnen immer in den Weg stellen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuruf von der AfD: Wer ist denn „wir“? - Weitere Zurufe von der AfD)

Ich denke, jede Fraktion und jede demokratische Partei hier im Landtag findet ihren eigenen Weg, um mit Antidemokraten umzugehen. Ich bin der CDU-Fraktion sehr dankbar dafür, dass sie heute deutlich gemacht hat, was von der Rede Herrn Kirchners hier zu halten ist, auch aufgrund einer Abstimmung mit den Füßen. Die Brandmauer nach rechts darf nicht fallen. Wer mit Nazis zusammenarbeitet,

(Zuruf von der AfD)

der muss tatsächlich rausfliegen, ob aus Land- tagen oder aus Kreistagen der ostdeutschen Provinz.

Wir sind als Demokrat*innen aber nicht allein auf der Welt. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine ist einmal mehr ein Angriff auch auf das demokratische System. Deutschland hat in seinem Grundsatzpapier für die Beziehungen zu China auch den Systemwettbewerb als Herausforderung erkannt. Wie schon die Autotoren Levitsky und Ziblatt in ihrem Werk „Wie Demokratien sterben - was wir dagegen tun können“ schrieben - ich zitiere an dieser Stelle -:

„Wir brauchen nicht Koalitionen von Gleichgesinnten, sondern Koalitionen von politischen Gegnern“.

Streiten wir also in Zukunft mehr um Positionen für eine lebendige Demokratie und nicht nur miteinander um die Macht. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD)

Herr Striegel, es gibt eine Frage von Herrn Büttner. Möchten Sie die beantworten?

Ich will das versuchen, ja.

Okay. - Herr Büttner, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe Ihren aufmerksam zugehört, Herr Striegel, und habe Ihre Einschätzung zur Kenntnis genommen, die Sie der AfD entgegengebracht haben. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass Sie ausgeführt haben, dass jemand, der mit Nazis zusammenarbeitet - wer Nazi ist, legen in dieser Debatte natürlich Sie fest -

(Oliver Kirchner, AfD, lacht)

der soll auch, wenn ich das richtig verstanden habe, ob im Kreistag oder im Stadtrat - ich nenne es jetzt mal so - geächtet werden. Ich kann mich an Ihren genauen Wortlaut nicht erinnern.

Meine Frage an Sie ist aber: Gehen Sie denn auch so mit Ihrem eigenen Vater um, der doch durch die AfD in Merseburg zum Stadtratsvorsitzenden gewählt worden ist?

(Lebhafter Beifall und Lachen bei der AfD)