Protocol of the Session on March 23, 2023

Reichstag von Abgeordneten der NSDAP-Fraktion ebenso niedergebrüllt wie die Kollegin Frau Dr. Pähle heute von Ihrer Fraktion.

(Oh! bei der AfD)

Auch dafür: Schämen Sie sich!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Unruhe bei der AfD)

Ruhig bleiben, Freunde! Immer ruhig bleiben!

(Dr. Falko Grube, SPD: Das können die nicht!)

Ein Satz dazu, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau von Angern, Sie sollten besser so für Ihre Freiheit kämpfen, wie Sie zu Coronazeiten ums Klopapier gekämpft haben. - Vielen Dank.

(Lachen und Beifall bei der AfD)

Damit ist der nächste Debattenredner an der Reihe, Herr Kosmehl von der FDP-Fraktion.

(Zurufe: Apfelpause!)

Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was wir heute in der Aktuellen Debatte erleben - aber nicht nur heute, sondern immer wieder zu bestimmten Tagesordnungspunkten - im Verhalten der AfD-Fraktion,

(Oh! bei der AfD)

erinnert mich - für mich beängstigend - daran,

(Zuruf von der AfD: Dass es wahr ist!)

wie die parlamentarischen Debatten im Reichstag des Jahres 1933 abgelaufen sind.

(Starker Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Einige Abgeordnete von der AfD-Fraktion verlassen den Plenarsaal - Lachen bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Sebastian Striegel, GRÜNE: Nazis raus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir zur Vorbereitung auf diese Aktuelle Debatte das Protokoll der Reichstagssitzung angeschaut, es gelesen und war erstaunt darüber, wie schwer es eigentlich für einen Redner war, eine Aussage zu treffen, dass plötzlich während einer Sitzung das Horst-Wessel-Lied angestimmt wurde oder andere Zwischenrufe kamen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die parlamentarische Demokratie muss viel aushalten. Aber an dieser Stelle merken wir, dass dann, wenn Einzelne versuchen, das Parlament zu missbrauchen, und es eher in eine Schreibude verwandeln, darunter auch die parlamentarische Demokratie leidet.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kirchner, Sie haben heute versucht, Otto Wels zu einem möglichen Mitglied der AfD zu erklären. Das hat die AfD auch mit Franz Josef Strauß probiert und mit anderen Politikern, an die Sie gern heranreichen würden, aber nie heranreichen werden.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen, jeder von denen, die Sie aufzählen, würde niemals in die AfD eintreten - niemals!

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf dem Grabstein der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik ist der 24. März 1933 - das ist der Tag des Inkrafttretens - vermerkt. Auf dem Totenbett lag die Weimarer Republik schon länger.

Auf eine breite Mehrheit der Wählerschaft und der gesellschaftlichen Eliten konnte sich die parlamentarische Demokratie in der Weimarer Republik nie wirklich stützen. Politische Ränder ließen sich allenfalls aus taktischen Gründen einbinden, um den Umsturz durch den politischen Gegner zu verhindern. Entsprechend - so müssen wir heute feststellen - war die parlamentarische Demokratie in der Weimarer Republik nahezu ständig in einer Krise. Straßenschlachten unter Beteiligung der SA und des Rotfrontkämpferbundes gehörten zur politischen Auseinandersetzung und dienten letztlich beiden Seiten zur Delegitimierung der Weimarer Republik.

(Daniel Roi, AfD: Heute nennen die sich An- tifa!)

Schon nach den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1932 konnten gegen die antidemokratischen Parteien von rechts und links keine Mehrheiten gebildet werden. Die Reichstagswahl am 5. März 1933 - Frau Kollegin Pähle hat darauf hingewiesen - hat den Rechtsextremisten aus der NSDAP und der Kampffront Schwarz-Weiß-

Rot sogar eine absolute Mehrheit im Parlament beschert.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, stellt sich natürlich die Frage: Hätte es ohne die Zustimmung des Reichstages zum Ermächtigungsgesetz das NS-Regime mit all seinen schrecklichen Folgen gegeben? - Die Antwort lautet wahrscheinlich: Ja. Denn Hitler und die NSDAP gebrauchten Wahlen und demokratische Prozesse sehr offen lediglich als Mittel zum Zweck, nämlich zur Erringung der uneingeschränkten Macht. Da Verfassung und Geschäftsordnung schon für diese Abstimmung gebeugt wurden, unter Zuhilfenahme auch von Drohungen und Gewalt, wird kaum jemand bezweifeln, dass die Nationalsozialisten genügend Verschlagenheit und Skrupellosigkeit besaßen, um das gewünschte Ergebnis auch auf anderem Wege zu erreichen.

Das enthebt diejenigen, die für das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, nicht ihrer Schuld, selbstverständlich auch nicht die wenigen verbliebenen Reichstagsmitglieder des nahezu bedeutungslos gewordenen Liberalismus. Es waren fünf liberale Abgeordnete.

Dass in diesem Reichstag keine demokratische Regierung mehr zu bilden war, lag auf der Hand. Der Abg. Dr. Reinhold Maier hat in seiner Rede für die Deutsche Staatspartei - das war die Fraktion der Liberalen - auch festgestellt, dass der Wähler den Rechtsextremen offensichtlich eine Mehrheit gegeben hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Maier sagte weiter, dass das Ermächtigungsgesetz keine Garantien für die Geltung der verfassungsmäßigen Grundrechte des Volkes und der bürgerlichen Rechtsordnung enthielt, dass die Unabhängigkeit der Gerichte, das Berufsbeamtentum und seine Rechte, das selbstbestimmte Koalitionsrecht der Berufe, die staatsbürger-

liche Gleichberechtigung, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sowie ihrer Lehre unantastbar bleiben müssen. Dr. Maier versuchte, sie als Teil einer hinübergeretteten alten deutschen und alten preußischen staatlichen Tradition zum Junktim des Ermächtigungsgesetzes zu erklären.

Seine Hoffnungen waren allerdings vergebens. Nur wenige Tage nach der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz wurden mit der Verordnung zur Sicherung der Staatsführung vom 7. Juli 1933 sowohl den Sozialdemokraten als auch den Abgeordneten der Deutschen Staatspartei ihre Mandate im Reichstag, die sie in Wahlen erworben hatten, aberkannt.

Deshalb sage ich an dieser Stelle ausdrücklich: Sehr verehrte Kollegen von der SPD, unsere allerhöchste Achtung gebührt den sozialdemokratischen Abgeordneten, die gegen das Gesetz gestimmt haben.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch in ihrer Fraktion gab es Diskussionen. Sie haben am Ende die Entscheidung nicht aus Verwegenheit getroffen, um ein Zeichen zu setzen, sondern einzig und allein aus Mut. Dafür gebührt den mutigen Parlamentariern im Reichstag, die der SPD angehört haben, auch heute, 90 Jahre danach, Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist auch nicht in Abrede zu stellen, dass die Abgeordneten von KPD und SPD, die verhaftet wurden, untergetaucht oder geflohen waren, denen ihre Mandate offenkundig rechtswidrig aberkannt wurden, ebenso gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hätten.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch einen Einschub machen, um den Blick nach vorn aufzuzeigen. Einige der Kommunisten, die den Nationalsozialismus und auch die stalinistischen Säuberungsaktionen überlebt hatten, stellten nur etwas mehr als zehn Jahre später durchaus unter Beweis, dass sie die parlamentarische Demokratie ebenfalls beseitigen und eine repressive Diktatur wollten.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und bei der SPD)

Ich will an dieser Stelle drei Namen nennen: Walter Ulbricht war Mitglied dieses Hauses, des ersten Landtages der preußischen Provinz Sachsen, von 1946 bis 1950. Otto Walter war stellvertretender Minister für Staatssicherheit. Wilhelm Pieck war der erste Staatspräsident der DDR und damit hochverantwortlich für das Wirken in der DDR. Diese drei waren neben vielen anderen Mandatsträger, denen das Mandat aberkannt wurde und die untergetaucht sind. Sie haben einige Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft die Repressalien gegen Demokratie und gegen frei gewählte Abgeordnete, auch dieses Hauses, angewendet. Damals waren CDU- und LDP-Abgeordnete die Opfer.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluss. Zu behaupten, wir als Parlamentarier wüssten heute, wie wir in dieser Situation gehandelt hätten, wäre überheblich.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich jedenfalls hoffe, dass ich, sollte ich in eine solche Abstimmungssituation kommen, den gleichen Mut hätte wie Otto Wels. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kosmehl, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Dr. Tillschneider.

Herr Kosmehl, Sie haben sich, ähnlich wie schon ihre Vorrednerin, in Ihrer Situation heute in Bezug auf uns verglichen mit dem Verhältnis zwischen Opposition und Nationalsozialismus, wobei Sie sich in der Rolle der Opposition und uns in der Rolle der Nationalsozialisten sehen. Dazu muss ich Ihnen Folgendes sagen: Ich wüsste nicht, dass gewaltbereite JA-Mitglieder Ihnen am Eingang Schläge angedroht hätten. Es ist mir auch nicht bekannt, dass Teile Ihrer Fraktion im AfD-Gefängnis sitzen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Aber Herr Kirch- ner hat das gefordert!)