Protocol of the Session on March 23, 2023

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

oder der irgendein Meinungsverbrechen verübt. Dann ist diese Nachsicht auf einmal weg. Dann sind Sie ganz streng und fordern die allerschlimmsten Strafen.

Das bringt mich zu Solschenizyn, der gegen die Sowjetherrschaft gekämpft hat. Der hat nämlich ein wunderbares Bonmot geprägt, das hervorragend darauf passt, und zwar hat er gesagt: Ein kommunistisches System erkennt man daran, dass es Verbrecher schont, aber politisch Andersdenkende als Verbrecher behandelt.

(Beifall bei der AfD)

Zur FDP. Ja, das war Sophisterei, auch das von Frau Tschernich-Weiske. Mir ist durchaus die Diskussion darüber bekannt, dass das Jugendstrafrecht in einigen Fällen belastender ist als das Erwachsenenstrafrecht. Es stellt sich die Frage, wie die Erziehungsmaßnahmen zu behandeln sind, die es im Erwachsenenstrafrecht nicht gibt, die Jugendlichen zugemutet werden. Das kenne ich alles.

Aber worauf es jetzt ankommt, ist die Empirie. Das heißt, wenn wir Urteile nach Erwachsenstrafrecht und nach Jugendstrafrecht unter- suchen, dann zeigt sich, dass nach Jugendstrafrecht sehr viel leichter geurteilt wird. Das heißt, die Spielräume, die das Jugendstrafrecht hat und die in einigen Fällen an das Erwachsenenstrafrecht heranreichen, werden viel weniger ausgeschöpft als im Erwachsenstrafrecht. Darum geht es. Auch für die Praxis würde von einer solchen Gesetzesänderung ein Signal ausgehen.

Dann noch zum Striegel. Den Bundesvergleich finde ich ja gut. Das stimmt; in Sachsen-Anhalt wird so wenig Jugendstrafrecht wie in keinem anderen Bundesland angewendet; der Anteil liegt bei ungefähr 40 %. Im Westen beträgt der Anteil 60 % und mehr. Sie haben gesagt, dass Sie das auch gut finden. Wir finden das auch gut. Damit sind wir in einem Punkt einer Meinung.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Nein, ich fand das nicht gut!)

Aber wir gehen noch weiter. Wir wollen diesen Anteil auf null Prozent senken. Deshalb haben wir die Gesetzesänderung als Initiative eingebracht. Wunderbar!

(Beifall bei der AfD)

Wir sind am Ende der Debatte angelangt.

Abstimmung

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der AfD-Fraktion. Wer diesem Antrag der AfDFraktion seine Zustimmung geben will, den bitte ich jetzt um sein Kartenzeichen. - Das ist die AfD-Fraktion. Wer dagegen ist, den bitte ich jetzt um sein Kartenzeichen. - Ablehnung bei

den übrigen Fraktionen. Stimmenthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt 7 ist beendet.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 8

Erste Beratung

Sicherheit für die Allgemeinheit erhöhen - Waffenrecht nutzen und schärfen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2364

Einbringerin für die Fraktion DIE LINKE ist Frau Quade. - Frau Quade, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. März ereignete sich in Bad Lauchstädt ein Femizid. Ein 61-jähriger Mann erschoss mit einer seiner acht legal erworbenen Waffen seine ehemalige Partnerin, beschoss Polizeikräfte und erschoss schließlich sich selbst.

Diese Tat macht fassungslos und sie bestürzt uns. Unsere Gedanken sind bei der getöteten Kerstin S. Unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl gelten den Hinterbliebenen.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Diese Tat, so erschütternd sie ist, ist leider kein Einzelfall. Statistisch ereignet sich jeden dritten Tag ein Femizid in Deutschland. Dennoch ist das Thema nicht genug präsent. Ein Grund dafür dürfte sein, dass es entgegen den Forderungen der Fachverbände, Beratungsstellen und Interventionsstellen noch immer keinen eigenen Straftatbestand für Femizide gibt, also für Morde an Frauen, weil sie Frauen sind und die Täter eine bestimmte Vorstellung von Weiblichkeit haben.

Im Jahr 2021 gab es 113 solcher Femizide in Deutschland. Jährlich gibt es in Sachsen-Anhalt etwa zehn Fälle, wobei diese Straftat noch nicht einmal gesondert statistisch ausgewiesen wird. Noch immer ist dann - das eine hängt mit dem anderen zusammen - vielfach die Rede von Beziehungstat, Familientragödie, Eifersuchts- oder Trennungsdrama, im Fall von nicht-deutschen Tätern oft auch von Ehrenmord.

Wer sich mit Femiziden beschäftigt, mit Opfern und mit Tätern, der weiß, dass die Täter weder Vorname noch Glaube, weder Hautfarbe noch Bildungsstand, weder Altersgruppe noch Milieu eint. Was sie eint, ist, sie sind Männer und sie haben ein Bild von Weiblichkeit, davon, wie eine Frau zu sein hat, wie sie sich zu benehmen hat, und sie sehen sich in der Rolle, Abweichungen davon zu bestrafen.

Wer sich mit Femiziden und mit Gewalt gegen Frauen beschäftigt, der weiß auch, es gibt viele Stellen, an denen schnelle und wirksame Hilfe für die betroffenen Frauen scheitern kann. Die Istanbul-Konvention wird seit Jahren nicht konsequent umgesetzt, was nicht nur Betroffene und Hilfsstrukturen, sondern auch die Institution der EU und des Europäischen Rates ebenso lange kritisieren.

Seit Jahren wissen wir, dass wir in Sachsen-Anhalt dramatisch zu wenige Plätze in Frauen-

häusern haben. Seit Jahren arbeiten die vier Interventionsstellen „Häusliche Gewalt“ im Land nicht am Limit, sondern weit darüber. Seit Jahren ist klar, dass die Hilfssysteme und Strukturen eine dauerhafte Finanzierung brauchen statt einer Projektfinanzierung, die erheblichen Verwaltungsaufwand bedeutet.

Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem es keinen operativen Opferschutz gibt. Seit Jahren ist die Forderung nach einem flächendeckenden Hochrisikomanagement auf dem Tisch und ist klar, dass es stetige Schulungs- und Sensibilisierungsarbeit in den zuständigen Behörden sowie strukturierte Situations- und Gefährdungsanalysen braucht, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität.

Schnelle und effektive Hilfe für Betroffene von Gewalt im sozialen Nahbereich kann an vielem scheitern. Sie kann auch scheitern, weil Betroffene nicht die Kraft haben, die notwendigen Schritte zu gehen, weil Angst zu Ohnmacht führt, weil wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehen, weil noch immer viel zu oft den Betroffenen häuslicher Gewalt Mitschuld gegeben wird, weil das Stigma zu groß ist, weil sie nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen, oder weil kein Platz frei ist.

Im Fall Bad Lauchstädt scheiterte schnelle und wirksame Hilfe für die Frau nicht an diesen Faktoren. Kerstin S. hat getan, was sie tun konnte. Sie hat alle Schritte unternommen, die ihr zur Verfügung standen. Trotz der strukturellen Defizite hat das Hilfsnetzwerk gegriffen. Hilfe scheiterte auch nicht daran, dass die zwei Mitarbeiterinnen der Interventionsstelle, die für den Saalekreis, für Mansfeld-Südharz, für den Burgenlandkreis und für Halle zuständig sind, schlichtweg woanders gebraucht wurden und in einem der 80 bis 100 Fälle, die sie monatlich zu bearbeiten haben, unterwegs waren. Die Hilfe scheiterte in diesem Fall auch nicht an ansons-

ten in unseren Augen zweifellos bestehenden Gesetzeslücken. Wirksame Hilfe scheiterte am eklatanten Versagen von Polizei- und Waffenbehörde.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dieser Femizid hätte verhindert werden können und er hätte verhindert werden müssen.

Meine Damen und Herren! Die Erklärung der Waffenbehörde des Saalekreises macht mich noch heute fassungslos.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es findet sich darin nicht ein Gedanke an Kerstin S. Es findet darin sich nicht ein Wort des Bedauerns, der Trauer oder der Bestürzung. Es findet sich darin keine kritische und auch nur ansatzweise kritische Selbstreflexion, sondern es findet sich darin einzig und allein Schuldabwehr und das Wegschieben von Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wie die Behörde das vorbringt, ist beschämend. Was sie vorbringt, ist schlichtweg falsch.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Waffenbehörde hätte handeln können und sie hätte handeln müssen. Alle Voraussetzungen für die Entwaffnung des Täters waren gegeben. So defizitär das Waffenrecht aus unserer Sicht ist, so klar liegt auf der Hand, dass die §§ 5 und 41 des Waffengesetzes an dieser Stelle greifen und Zweifel an der Zuverlässigkeit bestehen.

Bevor sich hier wieder ein Mann bemüßigt fühlt, die Qualifikation, auf deren Basis ich diese Aus-

sage treffe, infrage zu stellen, verweise ich auf den simplen Gesetzestext und im Übrigen auch auf die Einschätzung des Waffensachverständigen und Waffenrechtsexperten Lars Winkelsdorf, der exakt diese Einschätzung dem MDR am Dienstag gab.

Ja, wir müssen uns die Details anschauen. Wann die Polizei was mit welcher Dringlichkeit übermittelt hat, muss dringend aufgeklärt werden. Acht Tage nach der Tat, bei der zwei Menschen das Leben genommen wurde, aber rigoros jeden Fehler auszuschließen, lässt mich nicht nur moralisch ratlos zurück; es stellt auch die Frage, ob die Waffenbehörde glaubt, in diesem Fall einfach dreist lügen zu können und es merkt niemand.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Welche Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass Waffen in den Händen dieses Mannes eine Gefahr sind, wollen Sie denn noch? Wenn man die Argumentation ernst nimmt und davon ausgeht, dass eine Waffenbehörde in SachsenAnhalt ernsthaft so ahnungslos bezüglich der Grundlagen ihres Handels, nämlich des Waffengesetzes, ist, dann müssten wir unseren Antrag im Grunde erweitern und die Innenministerin beauftragen, wegen Gefahr im Verzug dieser Behörde jegliche Kompetenzen zu entziehen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der Gedanke ist so fernliegend nicht. In anderen Bundesländern sind die Waffenbehörden Teil der Polizeistrukturen. Insofern wäre es naheliegend, im Übrigen auch angesichts der immer wieder vorgebrachten und völlig richtig vorgebrachten Verweise auf Personalnot und Aufgabenfülle in den Waffenbehörden, darüber nachzudenken, ob die Kontrolle des Waffenrechts nicht besser in den Händen der Polizei aufge- hoben wäre.

Das Problem an der Idee ist: Wenn wir auf das Handeln der Polizei im Fall Bad Lauchstädt schauen, sehen wir dasselbe Versagen wie bei der Waffenbehörde und eigentlich sogar ein größeres.

(Zustimmung bei der LINKEN)