Protocol of the Session on February 23, 2023

Wir können als Parlament jedoch nicht dabei stehen bleiben, immer wieder erneut entsetzt zu sein und der Ministerin dafür zu danken, dass sie das Unausweichliche getan hat. Das Parlament hat nicht die Aufgabe der freundlichen Kommentierung des Handelns der Landesregierung, sondern es hat eine eigene Zuständigkeit und Verantwortung.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Ich zitiere aus der Pressemitteilung des Kollegen Erben:

„Wenn sich ein ganzer Klassenverband derartig im Netz bewegt, dann muss das auch in der Realität bemerkt worden sein. Bei einem solchen ungesunden Korpsgeist von zukünftigen Polizistinnen und Polizisten hat auch die Obhutspflicht von Vorgesetzten versagt.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Erben hat recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Extrem rechte, neonazistische, frauenfeindliche und gewaltverherrlichende Einstellungen zeigen sich nicht nur in einem Chat und schon gar nicht in einem Chat, der seit Jahren besteht. Wer solche Inhalte mit Kolleginnen und Kollegen teilt, der äußert sich auch so und - schlimmer noch - handelt möglicherweise so.

Deswegen müssen wir das dienstliche Verhalten der betreffenden Anwärterinnen und Anwärter in den Blick nehmen, genauso wie die Frage, warum Vorgesetzte an dieser Stelle versagt haben.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Se- bastian Striegel, GRÜNE)

Nach allem, was wir bisher aus Sachsen-Anhalt, aber auch aus anderen Bundesländern wissen, bspw. durch Ermittlungen und Enthüllungen, durch Presseberichte und Lagebilder, muss uns die Frage beschäftigen, was wir noch nicht wissen, was wir noch nicht sehen, was noch nicht bekannt ist.

Wir müssen die Frage in den Blick nehmen, was den Staatsdienst für Personen mit extrem

rechten, demokratiefeindlichen, antisemiti

schen Einstellungen attraktiv macht und wie wir den Zugang dieser Personen zum Staatsdienst und insbesondere zur Polizei verhindern können. Wir müssen die Kontrolle der Polizei effektiver gestalten. Dazu braucht es einen unabhängigen Beauftragten oder eine unabhängige Beauftragte samt Beschwerdestelle, die tatsächlich unabhängig ist.

Die aktuellen Fälle zeigen zudem, dass wir Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber ermutigen und schützen müssen. Hätte nur eine Person, eine einzige, aus den nun in Rede stehenden Chats ihr Schweigen gebrochen und die richtige Stelle erreicht, hätte das skandalöse Verhalten der Anwärterinnen und Anwärter schon vor Jahren beendet werden können. Nur noch bizarr muten insofern die Ausführungen von Ihnen, Herr Schulenburg, in der letzten Sitzung an.

Absichtsvoll den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern auf infantile Art dadurch lächerlich zu machen, dass man diese Whistleblower als „Flötenbläser“ übersetzt, zeigt nicht nur einen Mangel an Englischkenntnissen, sondern vor allem einen Mangel an Ernsthaftigkeit in der parlamentarischen Debatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schulenburg, es ist ermüdend, das überhaupt fordern zu müssen, und es ist frappierend, das fordern zu müssen, aber offensichtlich notwendig: Nehmen Sie den Zustand der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt und die zutage getretenen strukturellen Probleme endlich ernst!

Zur Verantwortung dieses Parlaments zählt auch, die Kontrolle der Regierung und Verwaltung seriös zu betreiben. Diese Aufgabe weist die Verfassung dem Parlament zu. Dafür sind

wir als Abgeordnete gewählt worden. Das kann nicht allein im Innenausschuss passieren. Meine Fraktion steht daher dem Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu prüfen, offen gegenüber und steht allen demokratischen Fraktionen gesprächsbereit zur Verfügung.

Wir teilen das Anliegen der meisten Punkte in dem vorliegenden Antrag. Lassen Sie mich aber in aller Klarheit eines sagen: Neonazistische Inhalte über Jahre unter Polizeianwärtern zu teilen, ist kein Fehler. Ein Fehler ist es, eine Einsatzsituation nicht richtig zu bewerten oder ein Verhör mit den falschen Fragen zu führen.

Neonazistische, extrem rechte und verfassungsfeindliche Inhalte in der Polizei sind eine Kampfansage an den demokratisch verfassten Rechtsstaat. Als Parlament müssen wir Verantwortung übernehmen, statt sie der Landesregierung zuzuweisen; denn die Menschen in Sachsen- Anhalt müssen sich darauf verlassen können, dass sie bei der Polizei nicht auf Rechtsextreme treffen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Quade. Es folgt Herr Schulenburg für die CDU-Fraktion.

Während Herr Schulenburg auf dem Weg zum Rednerpult ist, darf ich die Gelegenheit nutzen, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums in Landsberg ganz herzlich hier im Landtag von Sachsen-Anhalt zu begrüßen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Schulenburg, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es liegt - leider - in der Natur der Sache, dass es in jedem Unternehmen und auch in öffentlichen Behörden und Einrichtungen sogenannte schwarze Schafe gibt; und bei rund 6 400 Polizeibeamten kann man es auch zukünftig nicht vollständig ausschließen; denn dort, wo Menschen arbeiten, werden auch Fehler gemacht - vorsätzlich oder fahr- lässig. Bei Straftaten innerhalb oder außerhalb des Dienstes wiegt dies besonders schwer. Das darf aber nicht dazu führen, dass wieder die Keule von Generalverdächtigungen gegen die Polizei geschwungen wird

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und die deutliche Mehrheit der Polizeibeamten darunter leiden muss, die jeden Tag ihren Kopf für die Sicherheit von anderen hinhalten.

(Michael Scheffler, CDU: Genau!)

Zu einer modernen Fehlerkultur in der Polizei oder in anderen Behörden und Einrichtungen der Landesverwaltung gehört es im Übrigen, dass Fehler offen und transparent angesprochen werden und offensiv aufgeklärt wird. Es wird nichts unter den Teppich gekehrt.

(Zustimmung bei der CDU)

Hier kann man aber nicht schon wieder von strukturellen Problemen sprechen, denn jeder

Sachverhalt ist einzeln zu betrachten und umfangreich aufzuklären. Es gibt in unserem Rechtsstaat keine generelle Verurteilung, und das ist auch gut so.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von Matthias Büttner, Staßfurt, AfD)

Behördenleiter und Vorgesetzte können nur reagieren, wenn sie Kenntnis von Fehlern erhalten. In den letzten Jahren hatte die Beschwerdestelle der Polizei eine Fülle an Sachverhalten aufzuklären. Der Anteil an berechtigten Beschwerden lag im letzten Berichtszeitraum bei rund 10 %. Den Anteil an berechtigten Beschwerden wird auch ein Polizeibeauftragter nicht steigern können; denn auch dieser muss bei einer objektiven Beurteilung der Beweislage zu einem objektiven Ergebnis kommen. Jedem einzelnen Betroffenen in dieser Gemengelage steht der Rechtsweg offen. Nach einem Strafverfahren folgt ein Disziplinarverfahren, und auch hierbei steht der Rechtsweg offen.

(Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU)

Am Ende entscheidet ein unabhängiges Gericht und eben keine politische Institution über Recht und Unrecht.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von Matthias Büttner, Staßfurt, AfD)

Unsere Gewaltenteilung hat sich bewährt, und wir brauchen keine fünfte Gewalt in Form eines Polizeibeauftragten mit eigenen Ermittlungskompetenzen. Die Staatsanwaltschaft hat die gesetzliche Verpflichtung, alle be- und entlastenden Beweise zu ermitteln. Das Legalitätsprinzip ist ein fundamentaler Bestandteil unseres Rechtsstaates. Der Bürger kann darauf

vertrauen, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft aufgrund der gesetzlichen Ermittlungspflicht beim Verdacht von Straftaten voll- umfänglich ermitteln. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Polizeibeamten, die beim Verdacht von Straftaten durch Polizeibeamte innerhalb und außerhalb des Dienstes selbst gegen die eigenen Kollegen ermitteln müssen. Ein Gericht kann einen Angeklagten nicht verurteilen, wenn das Gericht Zweifel in Bezug auf die Schuld des Angeklagten hat.

Wir können hier nicht abschließend alle Fragen in diesem Zusammenhang beantworten, insbesondere: Warum hatte mutmaßlich keiner der Teilnehmer in dieser Chatgruppe Vorgesetzte informiert? Fehlte das Unrechtsbewusstsein oder die notwendige Sensibilität?

Ich hoffe, dass wir nach dem Abschluss der strafrechtlichen und dienstrechtlichen Ermittlungen etwas Licht ins Dunkel bringen können. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Beamten überhaupt in dem jeweiligen Verfahren äußern. Anscheinend muss aber über den Umgang mit sozialen Medien und Messengerdiensten an der Fachhochschule der Polizei im Rahmen der Aus- und Fortbildung noch stärker gesprochen und sensibilisiert werden, damit wir in Zukunft ähnliche Sachverhalte verhindern können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von Matthias Büttner, Staßfurt, AfD)

Vielen Dank, Herr Schulenburg. Es gibt keine Fragen oder Interventionen. - Deshalb kommt nun als letzter Redner der Debatte nochmals der Abg. Herr Striegel an das Rednerpult.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Ich bin froh, dass das, was die Ministerin heute hier gesagt hat, deutlich weiter ist als das, was wir aus der CDU-Fraktion gehört haben. Ich glaube, wir können mit diesem Problem nicht in einer Art und Weise umgehen, dass dies immer nur als Einzelfälle dargestellt und gesagt wird: Wir haben da eigentlich kein Problem, die Ermittlungen werden schon alles aufklären. - Wir müssen auf die strukturellen, dahinter liegenden Ursachen schauen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Henriette Quade, DIE LINKE)

Der Einzige, der das Wort „Generalverdacht“ in den Mund genommen hat, war, wenn ich mich richtig entsinne, der Kollege Schulenburg. Niemand - niemand! - hat von Generalverdacht gesprochen, und es gibt auch keinen Generalverdacht.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Natürlich! - Guido Kosmehl, FDP: Haben Sie darüber die Kontrolle, oder was?)

Ganz einfach: Wenn ich mit Beamtinnen und Beamten dieser Landespolizei spreche - ich tue das nahezu täglich -, dann stelle ich fest, das Entsetzen über diesen Chat ist groß.

(Zurufe von der CDU und von der SPD)