Protocol of the Session on December 14, 2022

(Stefan Ruland, CDU, lacht)

Das mache ich nicht. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 1. September 1914 starb Martha im Zoo von Cincinnati als letzte ihrer Art. 100 Jahre später starb

Angalifu im Zoo von San Diego. Und vier Jahre später starb dann Sudan als letzter Bulle seiner Art. Warum diese Tiere berühmt sind und wofür sie stehen, dazu komme ich noch.

Meine Damen und Herren! Auf der Erde gab es immer wieder Auslöschungen von Arten. Paläontologen definieren meist fünf dieser Ereignisse. Ihnen ist gemein, dass in geologisch relativ kurzer Zeit Arten verschwunden sind.

Diese Auslöschungsereignisse führen Geologen meist auf die herrschenden bzw. sich ändernden Umweltfaktoren zurück, sei es eine fast komplette Vereisung der Erde, die Bildung eines Megakontinents oder dessen Auseinanderbrechen oder aber der berühmte Meteoriteneinschlag, dessen Folgen zum Ende der Kreidezeit die Dinosaurier haben aussterben lassen.

(Zurufe von der CDU: Das ist eine Theorie! Das ist nicht bewiesen!)

Spannend ist auch, dass es Lebewesen selbst sein können, die ohne Bewusstsein eine solche Auslöschung hervorrufen bis hin zur Gefährdung der eigenen Existenz. So waren es Cyanobakterien, die im Präkambrium Sauerstoff produzierten. Das war gut für uns, da sich der überschüssige Sauerstoff in der Atmosphäre anreicherte und die Methanatmosphäre ersetzte.

Schlecht war es aber für alle Lebewesen, die in dieser Zeit keinen auf Sauerstoff basieren- den Stoffwechsel hatten. Sie konnten sich dem Zellgift Sauerstoff also nicht entziehen und damit nicht umgehen. Und wahrscheinlich hat dieser Vorgang zu einer sogenannten Schneeballerde geführt, also eine Totalvereisung, die fast alles Leben auslöschte.

Meine Damen und Herren! Warum erzähle ich Ihnen das? Wie die Wissenschaftler Richard Leakey und Roger Lewin in ihrem Buch „Die sechste Auslöschung“ beschrieben haben, sind wir mittendrin in einem erneuten Auslöschungsereignis.

Allerdings wird dieses Auslöschungsereignis durch ein sich selbst bewusstes und reflektiertes Lebewesen vorangetrieben, nämlich dem Menschen. Und hier setzt eines der Ziele der Weltnaturschutzkonferenzen an. Der Mensch muss sich der Zusammenhänge und der Auswirkungen seines Handelns bewusst sein. - Leichter gesagt als getan, zwingen doch kapitalistische Produktionsbedingungen täglich Milliarden von Menschen in einen Überlebenskampf.

Interessant könnte dabei aber eine Erkenntnis sein: Je größer die Biodiversität ist, desto größer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Ökosystems. Sprich: Eine große Biodiversität sichert auch unser eigenes Überleben.

Meine Damen und Herren! Was Lekey und Lewin in ihrem Buch auch darstellen: Die Simulationen zeigen, dass sich ein und dasselbe Ökosystem mit gleichem Artenbestand unterschiedlich entwickeln kann. Die Regeln dazu sind also wohl eher in der Chaostheorie zu finden als monokausale Zusammenhänge. Was nun aber kompliziert scheint, ist für den Naturschutz recht einfach: Schützt die Arten und damit die Biodiversität! Damit sichern wir unser Überleben am besten.

Meine Damen und Herren! Was müssen wir für uns daraus ableiten und was haben Martha und Sudan damit zu tun? - Nun, eigentlich haben wir kein Erkenntnisproblem. Wir wissen, was den Verlust der Arten und damit der Biodiversität vorantreibt, sei es die Zerstörung von Lebensraum, die intensive Landwirtschaft, Umwelt-

gifte, der Klimawandel oder ungehemmte Jagd und Überfischung. All das bedroht viele Arten auf unserem Planeten. Deswegen muss dringend gehandelt werden.

Es gibt Arten, die groß genug sind, sodass es jedem auffällt, wenn sie nicht mehr da sind. Ein Beispiel dafür ist die Wandertaube, die Anfang des 19. Jahrhunderts noch einen geschätzten Bestand von mehr als fünf Milliarden Individuen hatte. Durch exzessives Bejagen und das Zerstören der Brutplätze wurde der Bestand massiv dezimiert, bis die Population komplett einbrach und Martha wohl als Letzte ihrer Art bereits im Jahr 1914 im Zoo von Cincinnati verstarb. Ein Endling, der heute als mahnendes Beispiel im Smithsonian Institut ausgestellt ist.

Sie sehen, hier kam alles zusammen, vor allem auch die Tatsache, dass es sich der Mensch schlichtweg nicht vorstellen konnte, dass ein solcher Massenvogel in kürzester Zeit ausstirbt. Und man kannte das Verhalten der Art zu wenig. Sonst hätte man wissen können, dass Aufzucht und Verteidigung der Brut nur in sehr großen Kolonien gelingen. Und sogar das wurde der Art gegenüber dem größten Räuber der Erde zum Nachteil. Denn zu Hunderten zogen Menschen in die Wälder, um die Bäume zu roden und um an die begehrten Nestlinge heranzukommen.

Wissen über die Natur - hier können wir gerade auch mit der Universität in Halle und mit der Hochschule Anhalt einen Beitrag in der ökologischen Forschung leisten. Das iDiv wurde vom Minister auch gerade genannt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass Sudan der letzte Nördliche Breitmaulnashornbulle war, der im Jahr 2018 verstorben ist, habe ich in einer Rede hier schon einmal erwähnt. Auch er ist ein Botschafter für den Erhalt der Biodiversität. Denn wenn eine so

große Art ausstirbt, dann ist das eine sichtbare Mahnung.

Und wir werden alle ärmer. Wandertaube und Breitmaulnashorn sind sichtbar. Wie viele der meist unsichtbaren Arten hat unsere Art zu leben schon auf dem Gewissen? Und wir machen ja nicht einmal vor den nächsten Verwandten halt, wie den Orang-Utans oder den Schimpansen, die der Gier nach Profit und nach Anbauflächen für Palmöl oder Soja weichen müssen.

Meine Damen und Herren! Umso wichtiger ist es, dass bei der jetzigen Weltnaturkonferenz verbindliche und abrechenbare Ziele vereinbart werden. Denn man muss feststellen, dass von den 20 Zielen, die in der japanischen Stadt Aichi vereinbart wurden, gerade einmal vier und diese auch nur teilweise erreicht wurden. Ich schließe mich daher der Forderung des NABU an die Staatenlenker an. Wir brauchen klare und messbare Ziele für das Jahr 2030.

Erstens. Mindestens 20 % der globalen Landes- und Meeresflächen müssen renaturiert werden.

Zweitens. 30 % der Landes- und Meeresfläche müssen in Form von Schutzgebieten unter Schutz gestellt werden. Dazu gehören Ausweitungen und effektiver Schutz unter Achtung der Rechte indigener Völker.

Drittens. Pestizid- und Nährstoffeinträge sollen global jeweils um die Hälfte reduziert werden.

Viertens. 25 % der agrarökologisch genutzten Flächen inklusive Ökolandbau sollen in dem Abkommen verankert werden.

Zudem muss klar und deutlich gemacht wer- den, welche Subventionen für die Natur schädlich sind und welche Investitionen in die Natur die Natur auch fördern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Rückschläge wie bei der EU-Agrarförderung können wir uns angesichts der Biodiversitätskrise nicht leisten. Deutschland muss dabei in einen Prozess starten, in dem die Verantwortung von Bund und Ländern geklärt wird und Ziele für die einzelnen Sektoren definiert werden. Mit einer Biodiversitätsstrategie und einen entsprechenden Aktionsplan muss der Weg hin zu einem Biodiversitätsgesetz führen.

Und, meine Damen und Herren, Klimaschutz und Biodiversität gehen Hand in Hand; denn wenn Ökosysteme wie Moore verloren gehen, dann entwickeln sich CO2-Senken zu Treibhausgasproduzenten. Und umgekehrt ist die Erderhitzung für viele Arten und für viele Lebensräume bedrohlich. Investitionen in den Klimaschutz sind daher auch die besten Investitionen in den Artenschutz.

Übrigens, einen Satz kann ich den GRÜNEN dann doch nicht ersparen. Ich fand alles ziemlich gut nachvollziehbar, was der Kollege Aldag vorgetragen hat. Wissen Sie, ich hätte mir einfach einen Antrag gewünscht. Wenn wir hier dazu noch einen Antrag gehabt hätten, dann wäre das so ein bisschen das Salz in der Suppe der Debatte gewesen. Dann hätten wir auch noch über etwas abstimmen können.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Man hätte auch die Kollegen ein bisschen zu einem Bekenntnis leiten können. Es ist leider nicht so gewesen. Aber man muss halt dann auch in der Opposition ankommen. Sie haben die schwarze Bremse nicht mehr, also können Sie sich ruhig etwas trauen.

Meine Damen und Herren! Hierfür haben wir als Land Verantwortung, sei es durch die Versiegelung und die Zerstörung von Lebensraum,

durch mangelnde Renaturierung oder durch das Reißen der Klimaschutzziele. Das will ich mir nicht verkneifen - Herr Aldag hat das auch schon gesagt -: Die Artensofortförderung bis zur Unkenntlichkeit einzudampfen, ist in diesem Zusammenhang ein echtes Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Über vieles werden wir hier noch reden, seien es der Schutz der Karstlandschaft oder die Investitionen in den Straßenverkehr statt in die Schiene. Auch über die Förderung der Artenkenntnis haben wir schon gesprochen. Fakt ist: Wir als Land müssen diesbezüglich unsere Verantwortung wahrnehmen, sei es durch Bildung, durch Förderung oder aber durch kluge Regulierung. Denn eines ist am Ende klar: Wir brauchen die Biodiversität unserer Erde für das eigene Überleben. Wir haben die ethische Verantwortung, die mit uns auf der Erde lebenden Arten zu schützen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Danke. - Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kleemann. - Bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Problemlage ist überdeutlich und hier schon reichlich erzählt und beschrieben worden. Der Rückgang der Biodiversität ist keine Bagatelle. Er ist eine existenzielle Herausforderung, gleichzusetzen mit dem Klimawandel.

Der Raubbau an der Natur fordert zusehends seinen Tribut. Gesunde Böden, unterschiedlichste Insektenarten, eine vielfältige Flora und Fauna wären eine schöne Lebensgrundlage für heute und morgen. Sie wären eine Basis für ein gesundes und komfortables Leben auf allen Kontinenten. Sie wären eine Basis für eine gut funktionierende Landwirtschaft und für gesunde Ernährung. Wäre alles in Ordnung, würden unsere Wälder dicht stehen, wären die Moore gesund und würden anständig CO2 speichern.

Wäre, könnte, hätte: Diese Konjunktive bestehen leider. Denn das meiste ist gerade nicht intakt. Die Auswirkungen sind allerorten zu spüren. Allerdings können wir uns hier im reichen Norden noch einiges durch Geldleistungen sozusagen freikaufen und merken davon noch nicht so viel.

Die konkreten Zahlen weltweit sind dramatisch. Circa eine Million Tier- und Pflanzenarten sind akut vom Aussterben bedroht. Dazu gehört auch die Biene. Sie fehlt als Bestäuber. Diese Ökosystemleistung droht massiv zu verschwinden, und zwar komplett. 75 % unserer Nutzpflanzen sind auf die Bestäubung durch Tiere angewiesen. Die Biene steht also symbolhaft für die Leistung des Kleinen für das gesamte Leben. Sie bestäubt unermüdlich, verarbeitet organische Masse, bekämpft Schädlinge, ist Putzfrau für Gewässer. Blühstreifen sind also relevant.

Eine gute Entwicklung zu einer durchgängig guten, nachhaltigen Landwirtschaft ist unabdingbar. Das wissen die meisten Landwirtinnen und Landwirte und haben die Artenvielfalt im Blick. Der Weg liegt also in der Kooperation zwischen denen, die Landwirtschaft betreiben, und denen, die für Artenvielfalt prioritär unter-

wegs sind. Es gilt, gemeinsam weiter mit den Landwirtinnen und Landwirten Wege für ausreichend Blühstreifen zu finden, gemeinsam die alte Gewohnheit von Bienenstöcken am Feldrand wieder zu ermöglichen, miteinander zu besprechen, wann gedüngt wird und die Bienen geschützt werden müssen - summa summarum gesamtheitlich zu denken und nicht nur für den jeweils eigenen Bereich.

Die Waldwirtschaft macht vor, wie das gehen kann: In Dekaden denken, nicht in schnellem Ertrag. Der Wald als Schutzraum für Flora und Fauna ist existenziell. Ich will nur ein Beispiel nennen: Wir in Sachsen-Anhalt können stolz sein, dass wir den Nationalpark als eine solche Einrichtung haben.

Vor diesem Hintergrund, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist klar: Biodiversität, Klimawandel und Wasser betreffen echte Existenzfragen. António Guterres fand dafür in seiner Eröffnungsrede am 7. Dezember in Montreal markige Sprachbilder. Er sagte: Wir müssen einen Friedenspakt mit der Natur schließen. Auch sagte er: Wir behandeln die Natur wie eine Toilette und begehen damit Selbstmord.

Der Verlauf der Verhandlungen in Montreal ist bisher sehr ernüchternd. Um im Bild zu bleiben: Offenbar ist es leichter, länger im Gestank der eigenen Toilette zu verharren, als zu verstehen, dass der Abfluss verstopft ist und man entweder selbst zu „Abflussfrei“ greift oder aber den Klempner anruft. Man muss sich muss sich bloß im Klaren darüber sein, was teurer ist.

Mit Geld können wir uns im Norden noch eine Weile freikaufen von einem ambitionierten Arten- und Naturschutz. Aber auch das ist endlich. Wie wäre es, wenn wir hier im Land die Prüfung aller Vorhaben grundsätzlich um die Punkte Abfall- und Verschmutzungsaufkommen sowie Ressourcenverbrauch erweitern würden?

Tagespolitik thematisiert oft konkrete Punkte und damit Ausschnitte aus dem Ganzen. Artensterben, Biodiversität und Klimakrise beschreiben aber nicht Ausschnitte, sondern den Rahmen für alles. Bei unserem Thema geht es also um Haltung und Bewusstseinsschärfung. So wie das tägliche Zähneputzen zum Alltag gehört, brauchen wir, so finde ich, für diese Menschheitsaufgabe genauso eine Selbstverständlichkeit.

Für diejenigen, die gern in Geldsummen denken: Der volkswirtschaftliche Gesamtwert einer intakten Natur und damit der gesunden Biodiversität liegt bei etwa 170 Billionen bis 190 Billionen Dollar, so die Frankfurter Erklärung vom 29. November. Was seit der ersten Veröffentlichung des Club of Rome 1972 schon bekannt ist, aber zu wenig Beachtung fand, ist leider noch immer Realität. Das aktuelle Wirtschaftsmodell nimmt die Leistungen der Natur unbezahlt in Anspruch. Wir sind also weiterhin auf dem Weg der Übernutzung und Vernichtung lebenswichtiger natürlicher Lebensgrundlagen.

Wenn in jeder Haushaltsaufstellung neben den üblichen Angaben auch eine Zeile zu der „Wiederbeschaffung der verbrauchten natürlichen Ressourcen“ enthalten wäre, dann wäre das ein kleiner Schritt zu einer stärkeren Bewusstseinsschärfung.