Danke. - Herr Gallert steht schon lange in den Startlöchern. - Sie dürfen jetzt reden. Ja, die anderen haben Sie an der Stelle ein bisschen ausgebremst. Aber dafür dürfen Sie jetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben inzwischen schon mitbekommen, dass die inhaltliche Beschreibung dieser Aktuellen Debatte mit dem Hydrogen Lab auf der einen Seite und dem Großforschungsprojekt auf der anderen Seite und der Überschrift, nämlich die gesamte Zukunft der Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt in den Griff zu bekommen bzw. darüber zu diskutieren, wie es gelingen kann, in einem, ich sage mal, gewissen dissonanten Verhältnis liegt.
Denn wir wissen natürlich, auch mit diesem Großforschungsprojekt und den etwa 300 Arbeitsplätzen, die unmittelbar damit verbunden sind - das Hydrogen Lab hat ein Investitionsvolumen in Höhe von etwa 10 Millionen € -, werden wir die Probleme allein nicht beherrschen.
Ich sage trotz alledem ausdrücklich: Natürlich sind all diese Dinge extrem wichtige Grundvoraussetzungen, damit es bei uns in SachsenAnhalt in der Zukunft eine Chemieindustrie geben wird. Wer diesen Weg nicht mitgeht, der organisiert die Deindustrialisierung in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und von Guido Kos- mehl, FDP - Andreas Silbersack, FDP: So ist es!)
Wir können wieder sehr, sehr viel über Kohle, Braunkohle, Atomkraft usw. reden. Ich sage nur eines: Die Debatte über Speichertechnologien für erneuerbare Energien ist 30 Jahre alt. Sie ist politisch ausgebremst worden. In der letzten Legislaturperiode stand ein Minister Altmaier dafür, den Ausbau der erneuerbaren Energien generell auszubremsen. Deswegen befinden wir uns jetzt in dieser kritischen Situation.
Für uns gibt es in der Chemieindustrie drei zentrale Herausforderungen: erstens das Energieproblem, zweitens das Fachkräfteproblem, drittens das Problem der internationalen Wertschöpfungsketten, die man diversifizieren muss, aber nicht abkoppeln darf.
Erstens zu der Energieproduktion und der Speicherung. Darum ist es jetzt hier am meisten gegangen. Natürlich ist das auch das, was uns zurzeit am meisten belastet. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wir haben diese Diskussion auch schon bei uns in den Ausschüssen
geführt. Der VCI stellt sich hin und sagt: Wir haben eine ganz einfache Lösung; garantiert uns einen billigen Industriestrompreis von 4 ct;
wie ihr das macht und wer das Geld bezahlt, interessiert uns nicht; wir wollen Geld verdienen; dafür wollen wir die Garantie von euch; das bedeutet 4 ct pro Kilowattstunde; macht euch Gedanken.
Das ist deren Ausgangsposition. Ich finde ja immer gut: Wenn es um ihre eigenen Rahmenbedingungen geht, dann wollen solche Verbände, die ansonsten sozusagen an der Spitze des Neoliberalismus und der Marktwirtschaft sind, die pure, reine Staatswirtschaft haben.
Dazu muss ich sagen: Ich bin immer wieder irritiert, wie schnell man sozusagen eine Perspektivenübernahme mitbekommt. Vor allen Dingen bin ich irritiert, dass die Koalition in der vorletzten Landtagssitzung genau das beantragt hat - übrigens auch mit den Unterschriften der FDP und der CDU. - Willkommen im Staatssozialismus, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ich an der Stelle dazu nur sagen.
auch ausdrücklich für den Gewerbebereich, für die Industrie, zumindest für 70 % des Verbrauchs einen staatlich garantierten Preis definiert. Ich sage Ihnen jetzt einmal - das dürfte Ihrer Erwartungshaltung sogar entsprechen -: Das halten wir nicht nur für richtig, sondern wir haben das ein Stück weit auch gefordert, wenn auch die Konditionen dafür andere sind.
Das Problem ist - das will ich Ihnen aber auch ganz deutlich sagen -: Das funktioniert auf Dauer genau so eben nicht. Wenn ich auf der einen Seite privatwirtschaftlichen Abnehmern einen Strompreis garantiere, so wie es jetzt mit der Strompreisbremse realisiert wird,
dann kann ich nicht auf der anderen Seite die Marktregularien und die Marktmechanismen auf der Einkaufsseite so belassen, wie sie sind. Ich kann doch nicht permanent sagen: Egal, wer Superprofite macht, kann mir diesen Strom verkaufen, und ich verkaufe den an die Produzenten zu einem erheblichen billigeren Preis. Das funktioniert nicht.
Deswegen ist das erste zentrale Problem und die erste Voraussetzung für den Erhalt der Chemieindustrie, dass wir uns innerhalb der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland überlegen, wie der Energiepreis reguliert wird. Denn ich sage jetzt einmal - das ist auch eine Differenz -: Nein, es gibt nicht nur bedrohte Chemieindustrien bei uns im Land, die unter diesen Energiepreisen leiden. Das größte Chemieunternehmen in diesem Land, TotalEnergies, gehört zu einem Konzern, der in dieser Energiepreiskrise seine Gewinnerwartung vervierfacht hat - von 2,6 Milliarden € auf fast 10 Milliarden €. TotalEnergies verdient sich
an dieser Energiepreiskrise dumm und dämlich. Andere Betriebe müssen den Preis dafür zahlen und kommen dann an den Rand der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Problem muss von der Politik gelöst werden,
und zwar nicht dadurch, dass immer nur Subventionen gewährt werden, sondern dadurch, dass mit diesem Geld auch staatlicher Einfluss realisiert wird. Das zu der Frage der Energiepreise.
Wir sehen übrigens, dass das hervorragend funktioniert. Auf der iberischen Halbinsel gibt es für Strompreise bereits einen Regulierungsmechanismus ohne staatlichen, steuerfinanzieren Zuschuss. Das führt übrigens dazu,
(Ulrich Thomas, CDU: Die haben auch nicht so einen hohen Energiebedarf wie wir! Das ist Äpfel mit Birnen vergleichen!)
dass Dow Chemical seine Chemieproduktion in Deutschland gerade auf fast 10 % herunterfährt, währenddessen die spanischen Anlagen auf 90 % hochgefahren werden - und zwar deswegen, weil es dort einen Regulierungsmechanismus für Strompreise gibt.
Damit werden die Akteure dort in die Lage versetzt, das zu realisieren. - Unterhalten Sie sich wirklich einmal mit den Fachleuten, Herr Thomas. Das wäre besser.
Das würde ich übrigens auch Ihnen von der AfD-Fraktion empfehlen. Unterhalten Sie sich einmal mit den Leuten von Dow Chemical. Die
Standortregulierung, der Standort-Headquarter wollte tatsächlich wieder in die Versorgung aus Kohleenergie einsteigen.
Dann haben sie von ihrer Konzernzentrale jenseits des Teiches ein Stopp bekommen, und zwar nicht wegen irgendwelcher europäischer Taxonomie, sondern ausdrücklich und ganz klar mit der Aussage: Wir können unsere Produkte in der Perspektive nicht mehr verkaufen, wenn wir sie mit Kohleenergie herstellen; dann sind wir hier weg vom Markt. Deswegen hat es die Konzernzentrale in den USA abgelehnt, dass der Standort vor Ort einen Vertrag für Kohleenergie organisiert.
Sie können jetzt wieder hysterisch lachen und glauben, dass das alles nicht stimmt. Die Voraussetzung für Ihre Illusion ist, dass sie keine Ahnung haben von dem, was wirklich passiert, werte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN - Lothar Waehler, AfD: Das ist Quatsch, was Sie erzählen! Was ist das für ein Käse? - Weitere Zurufe von der AfD)
Wir kommen jetzt zu Punkt 2. Mittelfristig haben wir noch ein viel größeres Problem. Mittelfristig ist etwas viel bedrohlicher als das aktuelle Energieproblem. Ich nenne eine Zahl: In der Sekundarschule haben wir heute eine Unterrichtsversorgung von 88 %.
Wenn Sie sich wirklich einmal mit den Unternehmen unterhalten, und zwar mit den Betriebsräten und den Geschäftsführern,
dann sagen diese: Dieses Problem bedroht uns mittelfristig stärker als alle anderen Rahmenbedingungen. Das ist Politik, die im Land organisiert wird. Diese Situation ist politisches Versagen und wird im Land organisiert, werte Kolleginnen.
Das geschieht vor dem Hintergrund, dass wir eigentlich bei einer normalen demografischen Entwicklung doppelt so viele Schüler haben müssten, als sie jetzt bei uns in die Schule gehen. Das heißt also: Für eine normale gesellschaftliche Entwicklung haben wir eigentlich nur die Hälfte der Zahl der Schüler, die bei uns in die Schule gehen. Und selbst die können wir nicht vernünftig mit Unterricht versorgen. Das ist das Fachkräfteproblem. Das ist das zentrale Problem.
Ich muss sagen: An der Stelle ist Alarmismus angesagt. Denn an der Stelle sehen wir zurzeit tatsächlich nicht, dass es aufwärts geht, sondern vielmehr, dass es weiter abwärts geht. Das ist das zentrale Problem, vor dem die Chemieindustrie im Chemiedreieck ganz klar steht. Das sind die Botschaften, die uns mitgegeben wurden.