Protocol of the Session on December 14, 2022

(Zuruf)

Rehab, 45, kam 2015 wegen des Kriegs in Syrien nach Wittenberg und lebt heute mit ihrem werktätigen Mann in Magdeburg. Zwei ihrer Töchter arbeiten als Angestellte in Apotheken. Die dritte Tochter studiert hier Gesundheitsmanagement. Beide Söhne besuchen gerade das Albert-Einstein-Gymnasium. - Das sind öffentlich zugängliche Daten. Ich habe hier also keine Geheimnisse verraten; diese Daten transportiert auch das „IQ Netzwerk SachsenAnhalt“.

Sachsen-Anhalt ist bereits ein Einwanderungsland, will ich damit sagen, und profitiert von dieser Situation. Es gilt, hierbei stärker anzusetzen, um beiden Seiten das Leben leichter zu machen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Zuruf)

Der demografische Wandel ist mindestens seit 30 Jahren tatsächlich absehbar.

(Zuruf: So ein Quatsch!)

Seit mindestens 15 Jahren ist er präsent.

(Unruhe)

Speziell Sachsen-Anhalt ist durch Abwanderung und rückläufige Geburtenraten geprägt und um 700 000 Menschen geschrumpft. Kein anderes Bundesland hat eine im Durchschnitt so alte Bevölkerung wie wir. Diese bedarf im Übrigen kontinuierlich mehr Pflegekräfte wie auch Beitragszahlende in den sozialen Sicherungssystemen.

Es erstaunt daher, dass die Diskrepanz zwischen aus dem Arbeitsleben ausscheidenden und in diesen neu eintretenden Personen weit unter-

schätzt wird, zumal der Mangel an Fachkräften in manchen Branchen und Regionen den Fortbestand wirklich konkret gefährdet. Das wird vielfach unterschätzt wie auch verdrängt und geleugnet. Mit Zuwanderung kommt ein entscheidender Lösungsbeitrag ins Haus. Dies wird nicht singulär die Lösung sein. Es ist aber ein Weg, der sich anbietet.

Qualifizierte Zuwanderung, sprich die Zuwanderung von Menschen, die gewünschte Kompetenzen mitbringen, ist wünschenswert. Aber denen steht die Welt offen. Weder Deutschland noch Sachsen-Anhalt sind zwangsläufig erste Wahl.

An dem Punkt ist mir wichtig, dass das, was ich häufig in den Reden hier höre, dieses Ausspielen von Grundrecht auf Asyl gegen qualifizierte Zuwanderung, dieses Betrachten als Gegensatz, nicht weiter führt.

Wir hatten ja mal die Debatte über Intel und dass Intel darum bittet, dass die Kollegin, die im Sari im Hauptbahnhof aus dem ihrem Zug steigt, wertschätzend begrüßt wird.

(Zuruf von der AfD)

Das Problem bei Ihrer Debatte ist doch, dass Sie, wenn die Kollegin mit ihrem Sari aus dem Zug steigt, das nicht unterscheiden können. Sie sehen ihr doch nicht an, ob sie hoch qualifizierte Intel-Mitarbeiterin oder Flüchtling ist. Das wissen Sie nicht. Sie wissen auch nicht bei den Leuten, die in eine Moschee gehen, ob die arbeitsvertraglich bei Intel beschäftigt oder ob sie Asylbewerber sind; das wissen Sie nicht.

(Zuruf von der AfD)

Insofern ist diese Unterscheidung, die Sie hier mit aller Gewalt herbeiführen wollen, ganz,

ganz schwierig für unsere Gesellschaft. Man sollte sie hinterfragen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf: Sie sollten das Grundgesetz erweitern!)

Die neue Möglichkeit, statt der Kettenduldungen Menschen, die seit fünf Jahren geduldet oder gestattet in Deutschland leben, für zunächst 18 Monate das Chancen-Aufenthaltsrecht zu gewähren und während dieser Zeit Gelegenheit zu geben, die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen, weist den richtigen Weg.

Um die gesellschaftliche Leistungsfähigkeit zu bewahren und zu steigern, werden wir um mehr Flexibilität nicht umhinkommen. Mit der erfreulichen Ansiedlung von Intel wie auch anderen über mehreren Ländern aufgestellten Unternehmen wird augenscheinlich, dass sich die Kultur im Land ändern wird und ändern muss. Mehr Internationalität wird einziehen. Das ist allerdings kein Selbstläufer.

Wir brauchen in größeren Teilen der Bevölkerung auch einen Mentalitätswandel hin zu mehr Offenheit, Freundlichkeit, Willkommensbereitschaft gegenüber den Menschen, die dann neu zu uns kommen. Wir brauchen den Ausbau interkultureller Kompetenz, wir brauchen den Ansatz, Möglichkeiten der Verschiedenheit nach vorn zu stellen, statt gestrige Debatten wiederzubeleben, um Ressentiments zu mobilisieren und politisches Kapital daraus zu schlagen.

Ich war wirklich ein bisschen negativ angetan von dem CDU-Beitrag zu der anderen Debatte.

(Zuruf von der AfD)

Es geht nicht um die Verleugnung von Problemen, die ich mit Integration habe; das ist

klar. Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die tatsächlich alle Beteiligten fordert.

(Zuruf von der AfD)

Dabei entstehen selbstverständlich Probleme. Aber wir brauchen die Bereitschaft zur Lösung

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Oliver Kirchner, AfD: Da klingelt nichts!)

und müssen eben auch bereit sein, mit diesen Problemen umzugehen, ohne zu versuchen, sie politisch zu instrumentalisieren. Das ist der Punkt.

(Oliver Kirchner, AfD: Da klingelt nichts!)

Da sind Sie von der AfD natürlich auf der ganz anderen Seite.

(Oliver Kirchner, AfD: Da klingelt nichts!)

Sie sind froh über diese Probleme und möchten sie einfach für Ihre Agenda nutzen.

(Oliver Kirchner, AfD: Wie gesagt, da klingelt nichts, Herr Meister! - Unruhe)

Unser Land muss offener und attraktiver werden und damit neue Einwohnerinnen und Einwohner willkommen heißen. Aber natürlich geht es auch um die Menschen, die schon hier leben. Wir werden es uns zukünftig schlicht nicht leisten können, auf sie und ihre Potenziale zu verzichten. Bis 2030 wird durch den demografischen Wandel die Zahl der Erwerbstätigen nach aktuellen Prognosen um bis zu 30 % sinken. Ländliche Räume trifft dies noch viel stärker als die größeren Städte.

Wir müssen Menschen in dieser Lebensphase die Möglichkeit zur Qualifizierung in Mangel-

berufen geben. Es braucht mehr und bessere Qualifizierung und Weiterbildung in Zukunftsfeldern der Wirtschaft und der Verwaltung, um längerfristiger Arbeitslosigkeit zu begegnen und um den Mangel an Erwerbstätigen abzumildern, nicht zuletzt auch, um jeden Menschen zu fördern. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger müssen bessere Chancen bekommen.

Vor allem aber können wir es uns nicht leisten, junge Menschen ohne Abschlüsse aus dem Bildungssystem zu entlassen. Sachsen-Anhalt muss weg von der Spitzenposition beim Verlassen der Schule ohne Schulabschluss. Diese Debatte führen wir morgen noch.

Auch Offenheit der Berufsbilder, unabhängig vom Geschlecht, Familienfreundlichkeit - dabei ist es nicht mit einem kostenlosen Kita-Essen getan,

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

sondern das ist wirklich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie sind ja immer gegen den Gender-Wahn. Genau die Frage „Wie gehe ich mit der Verteilung von Arbeit in der Familie zwischen den Geschlechtern um?“ ist ein ganz wesentlicher Punkt dabei.

(Unruhe bei der AfD)

Das ignorieren Sie gänzlich, das schieben Sie weg und wagen trotzdem, von Familienfreundlichkeit zu reden. Das beißt sich stark.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Ulrich Siegmund, AfD: Sie erzählen so ein wirres Zeug!)

Die bessere Ermöglichung von Teilzeit, Heimarbeit,

(Ulrich Siegmund, AfD: Das ist so wirr! - Un- ruhe)

Homeoffice und Barrierefreiheit - das sind Aspekte, die helfen können, den Fachkräfte- bzw. schlicht den Arbeitskräftemangel zu mildern und quasi nebenbei auch Teilhabemöglichkeiten zu verbessern.

Es wird nicht alles bleiben, wie es ist. Nein, es wird sich wandeln, es wird fremdartiger, manchmal auch eine Zumutung. Aber mit dieser Zukunft müssen wir uns auseinandersetzen, wenn wir Intel wollen, wenn wir eine prosperierende Zukunft wollen und gewisse Branchen und Regionen natürlich nicht aufgeben wollen. Dabei geht es um Ehrlichkeit und Weltoffenheit im Diskurs und in der zukünftigen Aufstellung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)