Protocol of the Session on September 7, 2022

sie aufsuchen. Das Dramatische daran ist, dass wir wissen, dass es auch Menschen gibt, insbesondere Seniorinnen und Senioren, die eigentlich hingehen müssten, die einen Anspruch haben, die aber aus Scham nicht dort hingehen.

Deswegen ist das Thema eigentlich noch viel größer. Darum müssen wir uns als Staat kümmern, dass wir Menschen in die Situation versetzen, dass sie gar nicht erst zur Tafel gehen und diese Angebote in Anspruch nehmen müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das ist keine Sozialromantik, sondern das ist mein oder unser Verständnis von einem starken Sozialstaat. Die Starken unterstützen die Schwachen. Das passiert tatsächlich nicht.

Ich teile ausdrücklich den Dank an all jene, die sich im Ehrenamt an den Tafeln engagieren. Das sind nicht selten ehemalige Nutzerinnen und Nutzer der Tafeln, die wissen, wie wertvoll und wichtig die Arbeit dort ist. Wir wissen auch, dass dort, je nach Jobcenter, viel über Arbeitsgelegenheiten realisiert wird, was aber rückläufig ist und wo wir auch sagen müssen: Es hapert. Es mangelt an allen Ecken und Enden.

Die Tafeln sind inzwischen weit mehr als nur diejenigen, die Lebensmittel aus den Supermärkten retten. Da kommt ein weiteres Problem hinzu, nämlich dass Supermärkte immer klüger bestellen. Es wird immer weniger oder es kann immer weniger an die Tafeln gespendet werden, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Das stellt die Tafeln vor ein Problem. Auch dieser Realität müssen wir uns stellen. Das heißt unter dem Strich: Der Idealfall wäre für mich, wir bräuchten gar keine Tafeln mehr. Ich glaube auch, dass diejenigen,

in deren Trägerschaft die Tafeln sind, darüber nicht unglücklich wären. Das ist eine Vision, die noch ein paar Jahre entfernt ist. Ich möchte daran aber festhalten.

Insofern lassen Sie uns im Ausschuss darüber diskutieren, was konkret möglich ist. Ich werbe darum, dass dieses Thema gemeinsam mit unserem Antrag, den wir heute unter dem Tagesordnungspunkt 4 eingebracht haben, debattiert wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Frau Gensecke ist die nächste Rednerin. - Frau Gensecke, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Tafeln gibt es schon seit vielen, vielen Jahren. Seither haben sie sich zu der größten Bewegung entwickelt, die Soziales und Ökologisches zusammenbringt. Die übrig gebliebenen Lebensmittel werden vor dem Wegschmeißen gerettet und an bedürftige Menschen weitergegeben. Genau das ist das Grundanliegen - es ist mehrfach angesprochen worden -, die Leitidee der Tafeln - zunächst in Berlin, aber inzwischen sind sie im ganzen Land vertreten. Bis heute gibt es 960 Tafeln und ihre Ausgabestellen. Wöchentlich gibt es dort rund zwei Millionen Kundinnen und Kunden sowie etwa 60 000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.

Es ist in diesen Zeiten kaum vorstellbar, wie es ohne diese Tafeln und ohne dieses ehrenamtliche Engagement laufen sollte. Dass das

alles gelingt, dahinter steht eine aufwendige und effektive Logistik: angefangen von der Information, der Abholung, der Kühlung, der Lagerung bis hin zur Ausgabe der Lebensmittel. Dass das täglich und erfolgreich seine Umsetzung findet, ist vor allen den hoch engagierten und motivierten Helferinnen und Helfern vor Ort zu verdanken.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und mich, auch im Namen der SPD-Landtagsfraktion, ganz herzlich für diese mit Herzblut verrichtete, aufopferungsvolle Arbeit, welche überhaupt die Tafeln täglich am Laufen hält, bedanken.

(Beifall bei der SPD)

Hieran zeigt sich einmal mehr: Unser ehrenamtliches Engagement spiegelt das Rückgrat in unserer Gesellschaft.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die letzten Monate haben mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den gestiegenen Energiekosten und natürlich der hohen Inflation auch die Arbeit der Tafeln verändert. Die Tafeln verzeichnen einen enorm gesteigerten Zulauf von Kundinnen und Kunden. Zugleich sind die Sachkosten, gerade im Hinblick auf den Winter, für Energie und Transport auch bei den Tafeln gestiegen. Somit lässt auch die Spendenbereitschaft der Lebensmittelbranche nach. Einige Tafeln mussten bereits einen Aufnahmestopp verhängen oder die Ausgabestellen vorzeitig schließen.

Das Land hat - hier möchte ich den Dank an das Sozialministerium ausrichten - die Tafeln in Sachsen-Anhalt in diesem Jahr, ja, bereits einmal finanziell unterstützt. Man schaue: In der letzten Woche war der Tag der offenen Tür im Logistikzentrum in Hohenerxleben. Ob es

weitere Haushaltsmittel dafür geben wird, werden wir im Sozialausschuss miteinander beraten müssen. Deswegen möchte ich Sie bitten, diesen Antrag zu überweisen.

Noch zum Schluss: Natürlich würde ich mir aus der Sicht einer Sozialpolitikerin wünschen, dass in unserem reichen Land niemand zur Tafel gehen muss, weil das Geld zum Leben zu knapp ist, weil meist am Ende des Monats viel zu viele Tage übrig und die finanziellen Ressourcen aufgebraucht sind. Aber wir wissen: Die Welt ist inzwischen eine andere.

Ich denke dennoch, dass die Einkommenssituation von Familien und Geringverdienern mit den Entlastungspaketen - nicht nur mit dem dritten, sondern auch mit dem ersten und dem zweiten - und den angesprochenen Dingen, die in Zukunft kommen werden wie das Bürgergeld, aber auch der Mindestlohn ab dem 1. Oktober 2022, den ich hier auch noch nennen möchte, sowie die am 1. September 2022 begonnenen Tarifverträge in der Pflege - diese sind auch zu nennen - verbessert werden kann.

Deshalb noch einmal: Ich bitte um Zustimmung für die Überweisung in den Sozialausschuss. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Angela Gorr, CDU, von Dr. Anja Schneider, CDU, und von Markus Kurze, CDU)

Vielen Dank, Frau Gensecke. - Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt kommt Frau Sziborra-Seidlitz nach vorne.

Ich mache es auch recht kurz und bedanke mich für die größtenteils wertschätzende Debatte. Ich freue mich auf die Diskussion und die Beratung im Ausschuss.

Ich will nur eines zu Herrn Kirchner sagen: Wenn Sie es nicht einmal schaffen, in einer sozialpolitischen Debatte, in der es um Leute am Rand ihrer Existenz geht, um Leute, denen es wirklich richtig schlecht geht, Ihren verächtlichen Blick auf Teile unserer Gesellschaft abzulegen, sondern diesen hier in aller Deutlichkeit ausbreiten, dann brauchen Sie sich, ehrlich gesagt, nicht zu wundern, dass die Tafeln, die sich genau um diese Menschen, und zwar um a l l e Menschen, kümmern, eine Spende von Ihnen ablehnen. So geht nämlich Haltung.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Ich will Ihnen noch eines sagen: Sie brauchen sich keine Sorgen über die Spende zu machen. Diese von Ihnen angebotene und dann abgelehnte Spende an die Tafeln im Salzlandkreis hat ein Unternehmer aus Schönebeck sofort vollständig kompensiert. Auch so geht Haltung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Wir sind am Ende der Debatte angelangt.

Abstimmung

Es ist beantragt worden, den Antrag zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Ar-

beit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sowie zur Mitberatung in den Finanzausschuss zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist Zustimmung im ganzen Hause. Gegenstimmen? - Sehe ich keine. Stimmenenthaltungen? - Auch keine. Damit ist der Antrag überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 26 erledigt.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 27

Erste Beratung

Fristverlängerung zur Grundsteuererklärung

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1564

Einbringen wird den Antrag Herr Meister. - Herr Meister, bitte schön.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jenseits der aktuellen Krisen, Sorgen und Ungewissheiten, die die Menschen im Land beschäftigen, die auch unsere heutigen Debatten in der aktuellen Sitzungsperiode des Landtages dominiert haben, haben wir noch eine ganz eigene Problemstellung, die vielen Menschen Sorgenfalten ins Gesicht treibt: die Grundsteuererklärung. In normalen Zeiten wäre es bestimmt der Aufreger. Jetzt ist es schon fast erholsam, ein Problem zu haben, das wir an sich relativ gut lösen können.

Sie wissen, dass die Grundsteuer eine wichtige Einnahme für unsere Kommunen ist und dass uns das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2018

in das Stammbuch geschrieben hat, dass die bisherige Art der Bemessung der Grundsteuer gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt - also verfassungswidrig ist. Die Einheitswerte des Jahres 1935, im Westen die des Jahres 1964, spiegeln die unterschiedliche Wertentwicklung der Immobilien - wer wollte es bestreiten - nicht einmal mehr im Ansatz wieder und sind damit als Bemessungsgrundlage draußen.

Um den Kommunen die wichtigen Einnahmen zu sichern und die Belastung der Menschen auf eine faire Verfahrensweise umzustellen, machten sich Länder und Bund auf den Weg hin zu einer neuen Grundsteuer. Ich erspare Ihnen jetzt die grausigen Details der Aushandlungs- und der Entscheidungsprozesse, der Abwägungen, die auch wir im Land treffen mussten: Bundesmodell oder Bayern? BaWü? Hessen? Etwas ganz Eigenes?

Letztlich - das war schnell klar - kommen wir um eine Erhebung der aktuellen Grundlagen für die neue Grundsteuer nicht herum. Das heißt für die Bürgerinnen und Bürger, die über Grundbesitz verfügen: Post vom Finanzamt mit diversen Fragen zum Grundbesitz. In SachsenAnhalt sind 1,3 Millionen Grundstücke betroffen. Einigen geht dies schnell von der Hand, viele andere tun sich schwer, empfinden es als Zumutung. Zum Teil bestehen große Sorgen. Mit dem Finanzamt nimmt man es genau: Wie ist denn nun die genaue Wohnfläche? Wo kriegt man den Bodenrichtwert her? Oh je, klappt das mit der Abgabe per Internet?

Natürlich ist das auch für die Verwaltung eine Herausforderung. Da wurde durchaus eine personelle Vorsorge getroffen; so ist das nicht. Ich habe schon lobende Rückmeldungen von einem Senior gehört - lobende Rückmeldungen von Senioren zu Finanzämtern, man glaubt es nicht -, der abends verzweifelt im Finanzamt angerufen hat, dort auf einen engagierten

Beamten getroffen ist, der ihn dann in die Geheimnisse der Grundsteuererklärung eingeweiht hat. Tatsächlich ist, glaube ich, durchaus auch aufseiten der Finanzämter Engagement dahinter. Also alles kein Grund zur Panik.

Trotzdem ist an der noch recht geringen Quote der Abarbeitung zu erkennen - ich meine, 10 % waren es Ende August; andere Länder melden durchaus Ähnliches; zum Teil etwas höher, zum Teil noch niedriger -, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.

Aktuell sieht es nicht nach einem weitgehend geordneten Abschluss am 31. Oktober 2022 aus. Das ist zumindest meine Einschätzung. Ich meine, das ist nicht aufzuholen. Diverse Fachleute haben sich öffentlich dafür ausgesprochen, über eine Verlängerung zu diskutieren und die Verlängerung zu ermöglichen.

(Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Der Staat sollte, gerade da er selbst durch seine jahrzehntelange, vom Gericht im Jahr 2018 kassierte Praxis der Grundsteuererhebung die Ursache für das aktuelle Problem geschaffen hat, entspannt und mit Augenmaß agieren. Wir als öffentliche Hand wollen etwas von den Bürgerinnen und Bürgern und sollten dementsprechend auftreten, die Leute nicht maximal verärgern, sondern auf die Sorgen eingehen und die Sorgen ernst nehmen.

Insofern sollten wir in dieser aufgeregten Zeit den Menschen nicht zwingend einen fulminanten, hektischen Schlussspurt bis zum 31. Oktober 2022 abverlangen. Die neue Grundsteuer wird erst ab dem Jahr 2025 erhoben. Selbstverständlich brauchen die Behörden noch Zeit, um die internen Vorbereitungen zu treffen und letztlich auch Bescheide zu erstellen. Eine Streckung des Grundsteuererklärungszeitraums