Sehr geehrte Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 21. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der achten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.
Wir setzen nunmehr die 11. Sitzungsperiode fort und beginnen mit den Themen aus dem Prioritätenblock, den Punkten 4 bis 8.
Armut konsequent bekämpfen - krisenbedingte Mehrbedarfe von gestern, heute und morgen erkennen und einkommensschwache Haushalte und insbesondere Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt endlich zielgenau unterstützen
Einbringerin für die antragstellende Fraktion ist Frau von Angern. - Bitte sehr. Sie haben das Wort.
- Dieses Zitat wird Gustav Heinemann zugeschrieben. Nicht wenige Politikerinnen haben sich in den letzten Jahrzehnten dieses Zitates des dritten Bundespräsidenten der Bundes- republik bemüht, um politische Vorhaben vor allem sozial- oder bildungspolitischer Natur zu begründen oder eben auch zu kritisieren.
Die Worte von Gustav Heinemann sind und bleiben richtig. Es ist uns als LINKE ein besonderes Begehr, uns gerade für die Menschen in unserem Land einzusetzen, die keine Stimme im Parlament haben und die zum Teil auch keine Kraft dafür haben, eine eigene Lobby aufzubauen. Daher möchte ich mich an dieser Stelle auch bei all jenen bedanken, die sich im Besonderen diesem Thema widmen.
(Dietmar Krause, CDU: Ihr habt doch dage- gen gestimmt! - Alexander Räuscher, CDU: Sie haben doch dagegen gestimmt! Wieso „wir“?)
Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) René Wilke. Ihm ist dieser Umstand sehr wohl bewusst. Als Stadtoberhaupt von Frankfurt (Oder) sagt er ganz klar, es muss gerade in einer Kommune alles dafür getan werden, dass die Folgen von Armut und von Kinderarmut im Besonderen gemildert werden, und das beginnt bei der inneren Haltung.
Niemand ist gern arm und niemand möchte als arm bezeichnet werden; denn die Schere im Kopf haben alle Menschen. Deshalb ist es gerade wichtig, in unserem reichen Land Deutschland Armut anzuerkennen und bei allem politischen Handeln respektvoll zu begegnen. Das heißt ganz konkret, niemanden aufgrund seiner Einkommenssituation abzustempeln und
niemanden bei politischen Entscheidungen zu vergessen. Es geht bei dem Thema eben nicht um Schuld, sondern es geht um Verantwortung.
Ich sage Ihnen ganz deutlich, Armutsbekämpfung muss nicht nur aus sozialen und aus humanitären Gründen politisch ganz weit oben stehen, sondern auch aus rein ökonomischen Gründen; denn Armut schadet uns als Gesellschaft in Gänze.
Nach der aktuellen Mai-Steuerschätzung sind in diesem Jahr Einnahmen in Höhe von 889 Mil- liarden € zu erwarten. Das sind 56 Milliarden € mehr als im Vorjahr. Für Sachsen-Anhalt bedeutet das in Zahlen ca. 724 Millionen €. Die Reaktionen auf diese Zahlen aus Berlin und Magdeburg waren deutlich. Der Bundesfinanzminister will bei der Lohnsteuer ausgleichen. Finanz- minister Richter will das Geld für Schuldentilgung einsetzen. Beide Entscheidungen verstetigen, Arme bleiben arm, Reiche werden reicher.
Das ist die Grundlage, das ist der Nährboden für soziale Spaltung, für das Abschneiden von Kinderrechten, für schlechte Bildungs- und Einkommenschancen und, ganz zugespitzt: für eine kürzere Lebensdauer. Spätestens an dieser Stelle wäre ein Aufschrei erforderlich.
Das Robert-Koch-Institut hat es uns schwarz auf weiß ins Stammbuch geschrieben: Menschen, die in Armut aufwachsen, Menschen, die in Armut leben, sterben zehn Jahre früher als alle anderen Menschen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es liegt an schlechter Ernährung, an schlechten Wohnverhältnissen, an einer
Nun kennen wir alle den Satz, Geld allein macht nicht glücklich, aber es gilt eben auch, Einkommensverhältnisse entscheiden in Deutschland wie kaum in einem anderen europäischen Land über die Bildungschancen von Kindern. Deshalb haben wir bewusst das Thema Armut und die Vorschläge gegen Armut und gegen ihre Folgen in einem größeren Kontext heute hier im Rahmen eines Antrags auf die Tagesordnung gesetzt.
In Sachsen-Anhalt leben laut Aussage der Bundesregierung ca. 26,2 % der Kinder und Jugendlichen in Armut, sind armutsgefährdet. Das bedeutet, dass mehr als jedes vierte Kind in unserem Land die Folgen von Armut tagtäglich spürt.
„Kinder sind in Deutschland oft ein Armuts- risiko für Familien. Das frei verfügbare Einkommen einer Familie sinkt mit zunehmender Kinderzahl deutlich ab.“
Das ist keine neue Erkenntnis, aber das ist vor allem ein Skandal. Jedes geborene Menschenkind sollte ein Glücksfall sein dürfen und kein Armutsrisiko.
Ich habe kürzlich mit Viertklässlern über Armut geredet. Sie haben noch keine Denkverbote im Kopf und sprechen die Dinge noch sehr offen aus. Ein Mädchen sagte zu mir: „Arme Kinder werden gemobbt, weil sie arm sind.“ Ein anderer sagte: „Arme Kinder haben kaum Freunde und kein Geld für die Klassenfahrt.“ Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Kinder in unserem Land wissen ganz genau, was Armut bedeutet. Sie können sie spüren und sie können sie eben auch ganz konkret in Worte fassen. Sie wissen und spüren, was Ausgrenzung bedeutet. Kinderarmut verletzt Kinderseelen. Das müssen wir im Auge behalten.
Natürlich wissen wir als LINKE, dass Kinder- armut immer auch die andere Seite der Medaille von Elternarmut ist. Besonders schmerzhaft ist das Wissen, dass insbesondere Alleinerziehende in unserem Land das höchste Risiko haben, von Armut befallen zu werden.
Bereits seit vielen Jahren fordern wir daher die Einführung einer Kindergrundsicherung. Es darf gerade nicht darauf ankommen, ob die Eltern Steuern zahlen, weil das derzeit dazu führt, dass gerade bei den Kindern, die in Familien mit keinem oder einem niedrigen Einkommen leben, aufgrund des momentanen Steuer- und Sozialsystems das kindliche Existenzminimum eben nicht gedeckt ist.
Gemeinsam mit Verbänden wie dem Kinderschutzbund, der AWO, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der Diakonie oder Pro Familia, um nur einige zu nennen, fordern wir, dass das
sogenannte kindliche Existenzminimum, zusammengesetzt aus dem sächlichen Existenzminimum und dem Freibetrag für Betreuung, Er- ziehung und Ausbildung, sichergestellt ist.
Es gibt nun verschiedene Modelle der Kindergrundsicherung. Ich hoffe, dass sich davon eines in der aktuellen Koalition auf Bundesebene durchsetzen wird.
Es ist selten, dass in einem Antrag der Opposition ein Vorhaben der Koalition, wenn auch im Bund, gelobt und begrüßt wird. Doch ich sage ganz deutlich, wir haben uns sehr darüber gefreut, als im Koalitionsvertrag auf Bundesebene die Kindergrundsicherung festgeschrieben worden ist. Allein, meine Sorge ist, dass es mangels Finanzen nicht umsetzbar sein wird.
Unsere Forderung, unser Modell der Kindergrundsicherung bezieht sich derzeit auf 699 €. Ja, wir sagen ganz deutlich, das muss direkt an die Familien ausgezahlt werden.