Protocol of the Session on February 25, 2022

Vielen Dank, Herr Präsident. - Krieg, das war und ist für Menschen in vielen Teilen der Welt bittere Realität. Wer bei uns mit wachen Augen das Weltgeschehen beobachtet, der war sich dessen immer bewusst. Krieg war für Menschen in Miteleuropa in den letzten 75 Jahren aber vor allem eines: weit weg.

(Zuruf: Und Jugoslawien?)

Das hat sich mit dem vom russischen Präsidenten PuƟn befohlenen Angriff auf die Ukraine drasƟsch geändert. Von Berlin nach Kiew ist es genauso weit wie von Berlin nach Rom und von Berlin nach Kaliningrad ist es genauso weit wie nach Stutgart. Das, was jetzt geschieht, geschieht buchstäblich vor unserer Haustür. Dieser Krieg, der gerade erst begonnen hat und doch aktuell mit brachialer Gewalt fortgesetzt

wird, wird vor allem großes Leid über die ukrainische Zivilbevölkerung bringen. Schon die ersten Bilder sind erschreckend.

Darüber hinaus werden die wirtschaŌlichen Folgeschäden dieses Konfliktes den gesamten KonƟnent treffen, ebenso Russland. Es führt jedoch kein Weg daran vorbei, dass die Staaten der Europäischen Union auf das russische Vorgehen eine unmissverständliche und geschlossene Antwort geben, auch wenn das einen hohen ökonomischen Preis bedeutet - zu einschneidend ist der Verstoß gegen alle Werte der internaƟonalen StaatengemeinschaŌ.

Blicken wir zurück auf die Anfänge der Nachkriegsordnung. Unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus gründeten 50 Staaten, darunter übrigens neben der Sowjetunion auch die Ukraine und Belarus, nur wenige Wochen nach der KapitulaƟon Nazideutschlands die Vereinten NaƟonen.

In der Charta der Vereinten NaƟonen verankerten sie Grundsätze, die bis heute für das Zusammenleben der Staaten verbindlich sind: die Souveränität der Staaten, ihr Recht auf territoriale Integrität, das SelbstbesƟmmungsrecht der Völker, Gewaltlosigkeit in den internaƟonalen Beziehungen und die Achtung der Menschenrechte. Gegen jeden einzelnen dieser Grundsätze hat PuƟn mit seinem Angriffsbefehl ver- stoßen.

(Beifall)

Das ist für ihn keineswegs ein Kollateralschaden. In seiner Fernsehansprache hat er deutlich gemacht, dass er der Ukraine das Existenzrecht abspricht. Der Angriff auf die Ukraine ist deshalb ein Angriff auf das Wertesystem der internaƟonalen GemeinschaŌ insgesamt.

(Beifall)

Deshalb ist es ein Gebot der Menschlichkeit und der Solidarität, aber auch unseres eigenen Interesses als Bürgerinnen und Bürger eines demokraƟschen Staates, dass wir uns nachdrücklich und entschieden an die Seite des ukrainischen Volkes stellen und sagen: Der Krieg muss enden!

(Beifall)

PuƟns Truppen müssen sich aus der Ukraine vollständig zurückziehen! Und: Wir werden es nicht akzepƟeren, dass Russland in der Ukraine eine GewaltherrschaŌ errichtet, wie es der Plan von PuƟn zu sein scheint. Ich habe mehrmals den Satz gelesen: Wir stehen seit gestern früh in einer anderen Welt, als sie sich noch am Abend vorher dargestellt hat. - Das sƟmmt auch.

(Zustimmung)

Das heißt aber nicht, dass wir uns in einer Welt wie dieser einrichten müssen. Jetzt gilt es daher, Flagge zu zeigen; denn wir dürfen das Spiel von PuƟn und anderen Diktatoren nicht mitspielen.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was heißt das? - Erstens. Wir müssen dafür sorgen, dass der Protest gegen den Einmarsch nicht zu übersehen ist, damit die Menschen in der Ukraine wissen, dass wir an ihrer Seite stehen. PoliƟsche Beschlüsse wie der, den wir gleich fassen werden, sind wichƟg. WichƟg sind aber auch die DemonstraƟonen und ProtestakƟonen, die gestern schon spontan statgefunden haben, und natürlich auch der Protest im Netz, der in der Ukraine und hoffentlich auch in Russland ankommt.

Zweitens. Die Antwort der demokraƟschen Staaten muss für den Aggressor spürbar sein. Wir zeigen deshalb, dass wir zu wirtschaŌlichen und diplomaƟschen SankƟonen in der Lage und

bereit sind, auch wenn sie wirtschaŌliche Nachteile für unser Land bringen sollten.

Herr Ministerpräsident, ich teile Ihre Sorge um die Auswirkungen von steigenden Energiepreisen oder sogar Lieferausfällen auf die WirtschaŌ und die Menschen in Sachsen-Anhalt. Tatsache ist: Gas, das uns heute fehlt oder fehlen könnte, können wir nicht durch erneuerbare Energien von morgen ersetzen, durch Kohle aus verlängerten Laufzeiten von übermorgen allerdings auch nicht. Ich halte dabei an der BotschaŌ von Armin Willingmann aus der letzten Woche fest: Gerade jetzt müssen wir auf mehr Energieunabhängigkeit setzen; dazu tragen die erneuer- baren Energien wesentlich bei.

(Zustimmung - Zuruf: Und wer bezahlt das?)

Dritens. Wir müssen die zarten Pflänzchen der ZivilgesellschaŌ in Russland unterstützen. Es sƟmmt ja, dass das russische und das ukrainische Volk in enger NachbarschaŌ leben, nicht erst seit der Sowjetzeit. Die verwandtschaŌ- lichen, kulturellen, sozialen und wirtschaŌ- lichen Bande sind eng. Deshalb sind auch in Russland Menschen empört darüber, was PuƟn in der Ukraine anrichtet. Wir können ahnen, wie viel Mut dazu gehört, in Russland eine kriƟsche SƟmme zu erheben und auf die Straße zu gehen. Das müssen wir ermuƟgen und unterstützen.

(Beifall)

Viertens. Die NATO-Mitgliedsstaaten in Osteuropa, in denen sich die Menschen große Sorgen machen, brauchen unsere Unterstützung. Ich weiß, dass die Frage der NATO-Osterweiterung in den letzten 25 Jahren durchaus umstriten ist. Jetzt gilt es jedoch, den Grundsatz „Pacta sunt servanda“ auch einzuhalten. Deshalb stehen wir zu unseren Verpflichtungen im Bündnis. Aber wir sollten auch nicht Ausweitungen der bewaffneten Auseinandersetzungen Vorschub

leisten. Den Menschen in der Ukraine hilŌ es nicht, wenn weitere Länder in den Krieg hineingezogen werden. Weder ist ein militärisches Eingreifen in der Ukraine eine OpƟon für die Nachbarstaaten, noch ist es sinnvoll, dass z. B. Deutschland zu Waffenlieferungen in diesem Konflikt übergeht.

FünŌens. Wir müssen humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Ich begrüße es daher sehr, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser - ich habe gehört, auch unsere Innenministerin - vorsorglich Sachen in die Hand nimmt, um mit Flüchtlingen, die möglicherweise in Deutschland ankommen, umzugehen. Das ist der richƟge Schrit. Natürlich wollen wir nicht hoffen, dass Menschen in erheblichen Größenordnungen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Aber wir sind für den Fall der Fälle zu einem starken Signal der Mitmenschlichkeit verpflichtet und bereit.

(Beifall)

Mir wäre es wichƟg, dass in dieser SituaƟon die verbliebenen Flüchtlinge, die an der Grenze zwischen Polen und Belarus als Faustpfand gehalten werden, nicht vergessen werden. Auch für diese brauchen wir jetzt eine Lösung.

(Beifall)

Das sind die Aufgaben, die sich aktuell stellen. Zu den Leitlinien unseres Handelns muss es aber immer gehören, auf absehbare Zeit zu einer stabilen Friedensordnung in Europa zurückzukehren.

Als Willy Brandt im Jahr 1971 in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennahm, skizzierte er seine grundlegenden Vorstellungen dazu, wie man an einem europäischen Haus des Friedens arbeiten und bauen kann. Ich erinnere daran: Das geschah nicht in einer Phase jahrzehntelangen Friedens, sondern im Ɵefen Misstrauen des

Kalten Krieges. Aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus, mit Krieg und Verfolgung, mit dem Mauerbau in Berlin und mit der Kubakrise, in der der Welƞrieden für einige Tage auf Messers Schneide stand, formulierte Willy Brandt Grundsätze, die gerade in unserer heuƟgen Lage eindringlich wirken und die uns zugleich zeigen, was für einen weiten Weg wir in den nächsten Jahren zurücklegen müssen. Er sagte:

„Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. Kein nationales Interesse lässt sich heute noch von der Gesamtverantwortung für den Frieden trennen.

Krieg ist nicht mehr die UlƟma RaƟo, sondern die UlƟma IrraƟo.“

(Beifall)

Er sagte weiter:

„Wir müssen […] ein Gleichgewicht zwischen den Staaten und Staatsgruppen schaffen und wahren, in dem die IdenƟtät und die Sicherheit eines jeden von ihnen geborgen sein kann.

Wir müssen der Gewalt und der Androhung von Gewalt im Verkehr der Staaten entsagen, endgülƟg und ohne Ausnahme. Das schließt die Unverletzlichkeit bestehender Grenzen notwendig ein. Unantastbarkeit der Grenzen kann jedoch nicht heißen, sie als feindliche Barrieren zu zemenƟeren.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden es an meiner SƟmme gehört haben: Die Ereignisse in der Ukraine beschäŌigen uns alle, auch mich. Lassen Sie uns als PoliƟker klug mit dieser SituaƟon umgehen.

(Beifall)

Lassen Sie uns abwägen, vernünŌige Entscheidungen im Sinne der Menschen treffen, der Menschen hier und auch der Menschen in der Ukraine. - Vielen Dank.

(Beifall)

Frau Dr. Pähle, Kollege Striegel möchte Ihnen gern eine Frage stellen. - Bite.

SebasƟan Striegel (GRÜNE):

Frau Kollegin Pähle, Sie haben auf die WichƟgkeit der Proteste in Solidarität mit der Ukraine verwiesen. Sie haben das Thema WirtschaŌssankƟonen angesprochen und die Notwendigkeit, auch schwerwiegende Eingriffe und daraus folgende eigene Schädigung zu akzepƟeren. In der Ukraine gibt es gerade sehr, sehr viel Unverständnis darüber, dass unter anderem die Bundesrepublik Deutschland die Abkoppelung von Russland von SWIFT nicht unterstützt. Ich möchte Sie gern nach der PosiƟon der sachsenanhalƟschen SPD fragen. Unterstützen Sie die Abkoppelung Russlands von SWIFT?

Sehr geehrter Kollege Striegel, in diesen internaƟonalen Beziehungen gilt erst recht der Grundsatz „Schuster, bleib bei deinem Leisten“. Die Bundesregierung hat an dieser Stelle deutlich gemacht, dass das gestern auf der europäischen Ebene geschnürte Paket von SankƟonen ein erstes Signal ist. Sie hat weiterhin deutlich gemacht, dass weitere Schrite, wenn notwendig, folgen werden. Es ist auch meine Einschätzung, dass das ein kluges Vorgehen an dieser Stelle ist. - Vielen Dank.

Danke für die Antwort. - Als nächster Debatenredner spricht Herr Gallert. - Bite.

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen gestern gegangen ist, aber ich hate den Eindruck, wir lebten in einem surrealen Raum. Wir diskuƟerten über Dinge, die für Spezialisten in hohem Maße von Interesse waren, aber gleichzeiƟg wurden wir Zeuge eines laufenden Krieges in Europa. Ich werde dieses Gefühl bis heute nicht los. Das erschütert mich, und ich hoffe, Sie auch.

(Beifall)

Ja, wir sind nicht der Bundestag, wir sind nicht das Europäische Parlament, wir haben keine außenpoliƟschen Kompetenzen. Das macht uns aber auch an einer Stelle ein bisschen frei in der PerspekƟve, und zwar deswegen, weil wir, glaube ich, zuerst die PerspekƟve der Betroffenen und nicht der Staaten übernehmen können. Wir als Ostdeutsche haben eine spezielle Verantwortung dafür. Magdeburgs Partnerstadt Saporoschje ist gestern russisch bombardiert worden. Das ist noch einmal etwas anderes, wenn man Menschen dort kennt, die Opfer dieses Krieges werden.

(Beifall)