Protocol of the Session on April 4, 2019

Antwort Landesregierung - Drs. 7/3941

Unterrichtung Landtagspräsidentin - Drs. 7/4128

b) Erste Beratung

Strukturen des Pflegekinderwesens verbessern - Alleinerziehende stärker unterstützen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/4143

Für die Aussprache zur Großen Anfrage wurde die Debattenstruktur „D“, also eine 45-minütige Debatte, vereinbart. Eine gesonderte Einbringung des Antrags ist nicht vorgesehen. Die Reihenfolge der Fraktionen und ihre Redezeiten sind wie folgt: CDU zwölf Minuten, AfD acht Minuten, GRÜNE zwei Minuten, SPD fünf Minuten und DIE LINKE sechs Minuten.

Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages erteile ich zuerst der Fragestellerin das Wort. Frau Abg. Hohmann, Sie haben das jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schade, dass wir die Tagesordnungspunkte getauscht haben, weil mir Informationen vorliegen, dass der Landesverband der Pflegeeltern zu 11 Uhr hier sein und die Debat

te verfolgen wollte. Vielleicht können wir die Debatte ein wenig strecken. Aber das ist eben schwierig.

(Zuruf von Stefan Gebhardt, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren!

„Zufriedene Pflegefamilien wirken sich auf die Gewinnung neuer Pflegefamilien als beste Werbung aus.“

Dieser Satz einer Mitarbeiterin im Pflegekinderwesen trifft meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf. Wir wollten mittels unserer Großen Anfrage von der Landesregierung die Hintergründe zu den Ursachen, den Herkunftsfamilien und zur Lebenssituation der Pflegekinder erfahren. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Landkreisen und den kreisfreien Städten, die auf unsere Frage antworteten, recht herzlich bedanken.

In meinen Ausführungen werde ich nun auf einige wesentliche Ergebnisse dieser Anfrage eingehen. Zuerst möchte ich zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, Hilfen für Kinder, Jugendliche und junge Menschen unter 18 Jahren, ausführen.

Wir haben bei der Zahl der unter 18-Jährigen in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII eine Zunahme zu verzeichnen. Lag sie im Jahr 2010 noch bei 1 918 Kindern und Jugendlichen, befanden sich im Jahr 2017 insgesamt 2 650 Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege.

Von den insgesamt 2 650 Pflegekindern in Sachsen-Anhalt nahm der Burgenlandkreis im Jahr 2017 mit insgesamt 379 Pflegekindern die höchste Zahl auf, gefolgt vom Harzkreis mit 297. Am wenigsten Kinder und Jugendliche nahm die Stadt Dessau-Roßlau in Vollzeitpflege auf, nämlich insgesamt 52.

Obwohl die Vollzeitpflege mit 18 Jahren endet, verbleiben immer mehr Jugendliche in den Pflegefamilien und müssen, wenn sie einer Ausbildung nachgehen, von ihrer Ausbildungsvergütung 75 % an das zuständige Jugendamt abtreten. Hierzu haben wir bereits einen Antrag in das Parlament gebracht, der sich derzeit im Sozialausschuss befindet.

163 junge Menschen im Alter von 18 Jahren bis unter 21 verblieben im Jahr 2017 in SachsenAnhalt in der Vollzeitpflege. Im Jahr 2011 waren es noch 104 Jugendliche. Auffällig war, dass erstmals mehr weibliche Jugendliche in der Vollzeitpflege verblieben sind als männliche Jugendliche. Das war in den Jahren zuvor nicht der Fall.

Von den 191 Kindern und Jugendlichen, die seit dem Jahr 2017 außerhalb von Sachsen-Anhalt bei Pflegeeltern untergebracht sind, kommen allein 135 aus der Stadt Halle. Warum dies so ist, konnte nicht beantwortet werden.

Am längsten verbleiben Kinder und Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren in der Vollzeitpflege. Im Jahr 2017 betrug die Verbleibdauer 61 Monate, sprich fünf Jahre. Diese Zahl ist analog zum Bundestrend.

Nun haben wir uns nach dem Status der Herkunftsfamilien erkundigt. Nach der Auskunft der Landkreise und der kreisfreien Städte erhalten die Herkunftseltern überwiegend Sozialleistungen,

also nach SGB II Hartz IV oder auch Sozialhilfe. Sie verfügen oftmals nicht über einen Schul- oder Berufsabschluss. Sie sind alleinerziehend oder leben getrennt bzw. in wechselnden Partnerschaften. Ebenfalls sind sie oft gesundheitlich beeinträchtigt bzw. psychisch erkrankt. Ihre Erziehungsfähigkeiten sind eingeschränkt bzw. besitzen sie wenig soziale Kompetenz.

Wir haben auch nach der Anzahl der Pflegekinder unter 18 Jahren gefragt. Wie gesagt, wir hatten im Jahr 2010 1 656 Pflegekinder unter 18 Jahren in Sachsen-Anhalt. Davon sind 932 Kinder, die vorher nur bei einem Elternteil gelebt haben, also mehr als 50 %.

Im Jahr 2017 war das analog. Wir hatten 2 329 Pflegekinder unter 18 Jahren und 1 299 Kinder lebten vorher bei nur einem Elternteil. Wenn man sich das in den Landkreisen anschaut, dann stellt man fest, dass es dort analog ist.

Woran liegt es, dass hauptsächlich Alleinerziehende von der Inobhutnahme ihrer Kinder betroffen sind? - In wissenschaftlichen Untersuchungen findet man oft Befunde dahingehend, dass sich Alleinerziehende weniger mit Nachbarn, Freunden, Verwandten und Bekannten treffen, dass sie weniger Veranstaltungen besuchen und ebenfalls an einem Defizit an Freizeitaktivitäten leiden. Gründe hierfür seien die Eigenverantwortung für ihre Kinder, aber auch eingeschränkte Wohnverhältnisse und vor allem finanzielle Einschränkungen.

Klar wurde auch, dass sich die Folgen des Alleinerziehens nicht von denen der Einkommensarmut und der sozialen Ausgrenzung trennen lassen. Deshalb, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, finden Sie auch in unserem Antrag hierzu unter Punkt 3, dass wir in einem ersten Schritt die Hilfen und die Unterstützung für Alleinerziehende in Sachsen-Anhalt ausbauen müssen und dass natürlich ein entsprechender Maßnahmenkatalog zu erarbeiten ist.

Ich weiß, dass die Koalition sicherlich gleich sagen wird: Wir haben doch schon eine ganze Menge für Alleinerziehende getan. - Das ist richtig, aber bei Weitem noch nicht genug.

In einem dritten Punkt ging es uns um die Zahl der betreuten Pflegekinder je Vollzeitstelle. Die Angaben der Landkreise und der kreisfreien Städ

te lassen erkennen - so die Aussage der Landesregierung -, dass der Pflegekinderdienst in den letzten Jahren mitunter einen Stellenaufwuchs erfahren hat. In der Fachpraxis besteht jedoch die Forderung, eine Fallzahlbegrenzung für die Fachkräfte im Pflegekinderdienst festzuschreiben. Dabei sollte je nach Pflegeform und Aufgabenzuschnitt unterschieden und es sollten daran angepasste Obergrenzen festgelegt werden.

Dazu heißt es: Die Fallbelastungen sollten je nach Pflegeform und Aufgabenzuschnitt zwischen etwa zwölf für besondere Pflegeformen und höchstens 35 für die allgemeine Vollzeitpflege liegen. Teilweise wird eine Begrenzung auf 25 Fälle pro Vollzeitkraft im PKD gefordert, so auch von dem Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner, dem Vater des SGB VIII.

Wenn man sich die Zahlen anschaut, die aus den Landkreisen gemeldet worden sind, dann stellt man fest, dass sich nur die Stadt Halle an diese Obergrenzen gehalten hat. Sie hat eine Pflegedienstkraft für 25 bis 30 Kinder eingesetzt. Wenn man weiß, was der PKD alles zu leisten hat, ist das ein Ziel, zu dem andere Landkreise sicherlich erst noch kommen müssen.

Sehr schlecht sah es aus meiner Sicht im Jerichower Land aus. Dort war es so, dass eine Pflegedienstkraft auf 80 Pflegekinder kommt. Vor diesem Hintergrund frage ich mich wirklich, inwieweit diese in der Lage ist, alle Aufgaben - das betrifft auch den Kontakt zu den Herkunftsfamilien usw. -, zu erledigen. Daran müssen wir auf alle Fälle weiter arbeiten.

In einem vierten Punkt ging es um den Vergleich der Kosten für die Pflegekinder. Bei der Ausgestaltung der Zusatzbeiträge, wie Erziehungsbeträge, Beihilfen, Kosten für Weiterbildung und Ferienfreizeiten für Pflegefamilien, zeigt sich in Sachsen-Anhalt eine enorme Spannbreite. Die Landkreise und die kreisfreien Städte bezuschussen in sehr unterschiedliche Höhe. Am Anfang habe ich gedacht: Das wird wahrscheinlich daran liegen, dass die Landkreise, die nicht so gut ausgestattet sind, weniger zahlen und die Landkreise, die es sich leisten können, mehr zahlen. Aber diesbezüglich bin ich einem Irrtum erlegen.

Ich möchte das an zwei Beispielen aufzeigen. Bei den Ferienfreizeiten und bei Urlaubsfahrten gibt es unterschiedliche Zuwendungen in den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Während der Altmarkkreis Salzwedel und der Landkreis Stendal überhaupt keine Kosten übernehmen, sind das in Magdeburg bis zu 280 €, allerdings mit einem Eigenanteil von 30 € - aber immerhin. Im Landkreis Mansfeld-Südharz sind bei Einzelfallentscheidungen bis zu 500 € möglich. Sie sehen, es liegt nicht unbedingt an der Finanzkraft der einzelnen Landkreise.

Ein zweites Beispiel, das ich vortragen möchte, ist: Im Jahr 2017 betrugen die Kosten je Pflegekind im Jerichower Land durchschnittlich 8 030 €. Im Landkreis Wittenberg lag die durchschnittliche Kostenbeteiligung je Pflegekind bei 12 000 €; das sind fast 30 % mehr als im Jerichower Land.

Wir sind der Auffassung, dass die Landesregierung unbedingt angehalten werden sollte, den Beschluss des Landtags vom 30. September 2016 in der Drs. 7/430 endlich umzusetzen; denn wir halten die Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden allemal für zielführend. Es muss uns wirklich gelingen, gleichwertige Rahmenbedingungen für Pflegeeltern in Sachsen-Anhalt zu schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren der Koalition, ich denke, das müsste zu machen sein, zumal dieser Punkt aus Ihrem Alternativantrag stammt. Insofern denke ich, dass wir dabei zum Ziel gelangen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Abschluss möchte ich für Punkt 2 unseres Antrags werben. Der Landesverband für Pflege und Adoptiveltern im Land Sachsen-Anhalt e. V. hat sich jüngst mit einem Schreiben an die Landespolitik gewandt. Mir ist gesagt worden, dass alle Fraktionen das Schreiben erhalten haben, in dem der Landesverband eine institutionelle Förderung durch das Land vorschlägt. Notwendig sei dieses wegen der geplanten Gründung einer Landesgeschäftsstelle.

Ich glaube, für die Gründung der Landesgeschäftsstelle fallen einmalige Anschaffungskosten in Höhe von etwa 12 000 € an zuzüglich der jährlichen Unterhaltskosten von 12 000 €. Das ergibt im ersten Jahr einen Betrag in Höhe von 24 000 € und im zweiten Jahr einen Betrag in Höhe von 12 000 €. Ich denke, das müsste ihm als anerkanntem Familienverband auf alle Fälle zustehen. Wir als antragstellende Fraktion halten es für angemessen, diese beantragte institutionelle Förderung auf den Weg zu bringen. - So viel in Kürze.

Es waren nur einige prägnante Punkte. Es gibt natürlich noch eine ganze Menge andere interessante Dinge. Ich denke, wir werden von den Fraktionen noch das eine oder andere hören. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Abg. Hohmann. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Dann spricht jetzt Frau Ministerin Grimm-Benne für die Landesregierung.

Bevor ich der Frau Ministerin das Wort erteile, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen

und Schüler der Ganztagsschule Albert Schweitzer aus Aschersleben recht herzlich bei uns im Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Ministerin, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Für immer mehr Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt bedarf es der Betreuung und Förderung in einer Pflegefamilie, weil die Herkunftsfamilie aus verschiedenen Gründen zumindest vorübergehend nicht in der Lage ist, ihrer Erziehungsaufgabe nachzukommen.

Seit dem Jahr 2011 sind es fast doppelt so viele Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien betreut werden. Waren es im Jahr 2011 noch 1 434 in unserem Land, so waren es im Jahr 2017 insgesamt 2 650. Ursachen für diesen deutlichen Anstieg lassen sich aus den Quellen der Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht ohne Weiteres ableiten.

Insgesamt wird man jedoch davon ausgehen können, dass der Unterstützungsbedarf der Familien gestiegen ist, aber auch die Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für Hilfebedarfe deutlich zugenommen hat.

Gleichzeitig wird aber mit der Feststellung dieses Anstiegs auch deutlich, dass sich immer mehr Familien in Sachsen-Anhalt der herausfordernden Aufgabe stellen.