Hält man sich diese Widersprüche vor Augen, stellt es sich nicht ganz so einfach dar, wie es uns der Gesetzentwurf, aber auch die Einbringungsrede von Frau von Angern haben glauben machen wollen.
Zu den grundlegenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, die vor Beginn eines Gesetzgebungsverfahrens einer belastbaren wissenschaftlichen Einschätzung bedürfen, gehören insbesondere das Differenzierungsverbot wegen des Geschlechts - eine der tragenden Säulen unserer Verfassung -, die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie der Status und die Chancengleichheit der politischen Parteien.
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht im Wesentlichen zwei Ansätze vor, um eine paritätische Besetzung, also eine gleichmäßige Verteilung der Abgeordnetensitze auf Frauen und Männer, sicherzustellen. Einerseits sollen die Wahlkreise, wie sie im Augenblick bestehen, doppelt so groß werden.
Wir wollen nach diesem Gesetzentwurf nicht mehr 43, sondern 22 Wahlkreise haben. Dafür darf dann jeder Wahlkreis zwei Abgeordnete/Abgeordnetinnen entsenden,
(Heiterkeit bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - La- chen bei der AfD - Tobias Rausch, AfD: Sie wissen es selbst nicht! - Hannes Loth, AfD: Die Diversen fehlen!)
- ja, ist schon neutral; deswegen: weibliche Abgeordnete -, wobei eine Frau und ein Mann gewählt werden, wie es eben vorgeschlagen worden ist.
Damit wird aber der Grundsatz, den wir als Teil unserer repräsentativen Demokratie auch haben, wonach jeder Landstrich, jede Region einen Abgeordneten in dieses Parlament entsenden darf, zurückgestellt.
Es werden nicht mehr 43 Wahlkreise einen Abgeordneten wählen. Es werden dann nur noch 22 Wahlkreise zwei Abgeordnete wählen. Das ist ein Punkt, mit dem man sich auseinandersetzen muss.
Der zweite Vorschlag, die Parteien zu verpflichten, ihre Kandidatenlisten alternierend mit Frauen und Männern zu besetzen und im Fall der Nichtbeachtung - denn das geht noch weiter - überschüssige Kandidaten kraft Gesetzes zu streichen, begegnet in meinen Augen noch viel weitergehenden Bedenken.
Werden die Gleichheit der Wahl und das passive Wahlrecht von Männern nicht beeinträchtigt, wenn eine Partei nicht genügend weibliche Kandidaten findet und männliche Kandidaten deshalb - und zwar nur deshalb - von der Liste zu streichen sind?
Wird die Parteienfreiheit verletzt, wenn Parteien mit einem geringen Frauenanteil gezwungen werden, gemessen an ihrem Mitgliederbestand überproportional viele Frauen aufzustellen? Werden Parteien mit einem geringen Anteil weiblicher Mitglieder gegenüber anderen Parteien systematisch in ihrer Chancengleichheit benachteiligt?
Und ist es gerechtfertigt, einer bestimmten Bevölkerungsgruppe Parlamentssitze zu reservieren, eine gleichmäßige Repräsentation im Parlament vorzugeben, wie es für andere Bevölkerungsgruppen eben gerade nicht vorgesehen ist?
Im geltenden Wahlrecht - das habe ich eben auch schon mit dem Exkurs zu den Wahlkreisen gezeigt - ist ein gewisser Proporz nicht völlig unbekannt. Es ist ein regionaler Proporz, wenn Wahlkreise gebildet werden und damit Regionen auch die sichere Chance haben, unabhängig von der Wahlbeteiligung einen Abgeordneten mit seiner Erststimme in dieses Parlament zu wählen. Möglicherweise lässt sich diese Idee auf die Geschlechterparität übertragen.
Erwähnenswert erscheint mir auch der Ansatz, den Wählerinnen und Wählern durch ein stärker personalisiertes Wahlverfahren die Option zu eröffnen, sich für einzelne Kandidatinnen oder auch Kandidaten einer Liste zu entscheiden, ohne für die gesamte Liste stimmen zu müssen. Auf diese Weise könnte die Wählerschaft in einer ganz bewussten Entscheidung weibliche Kandidaten herausgreifen, die sich möglicherweise im unteren Teil der Liste befinden.
Meine Damen und Herren! All diese Fragen, all diese Ansätze, diese Bedenken, aber auch diese Vorschläge sollen in einem Wahlrechtsforum mit Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtlern erörtert werden. Dieses Wahlrechtsforum wird derzeit im Ministerium für Justiz und Gleichstellung vorbereitet und soll noch im Laufe dieses Jahres stattfinden. Die Ergebnisse werden eine belastbare verfassungsrechtliche Grundlage für die sich anschließenden politischen Entscheidungen bieten.
Zu gegebener Zeit könnten die Ergebnisse dieses Wahlrechtsforums dann im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung beraten werden. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke. - Frau Ministerin, bevor wir nunmehr in die Fragen gehen, begrüßen wir ganz herzlich auf unserer Zuschauertribüne - sie hören sich die Debatte schon etwas länger an - die Schülerinnen und Schüler der Clausewitz-Sekundarschule in Burg. Herzlich willkommen!
Bisher habe ich zwei Fragen, und zwar aus der Fraktion DIE LINKE. Da geht es mit Herrn Gebhardt los.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich habe zwei Fragen. Die erste Frage bezieht sich auf Ihre Eingangsbemerkung, dass auch Sie sich die Frage stellen, warum, obwohl in SachsenAnhalt die Hälfte der Bevölkerung aus Frauen
besteht, hier im Landtag die Frauen so unterrepräsentiert sind. Ich nehme jetzt mal stark an, Sie haben diese Frage ernst gemeint und Sie beschäftigen sich tatsächlich damit; das unterstelle ich Ihnen jetzt.
Jetzt wäre es, glaube ich, wenn man sich SPD, GRÜNE und LINKE anguckt, Quatsch, den drei Fraktionen die Frage zu stellen. Ich suggeriere jetzt mal: Sie haben die Frage vielleicht Ihrer Fraktion, der CDU-Fraktion, der Partei, der Sie angehören, gestellt. Mich würde die Antwort, die Sie da auf Ihre Frage bekommen haben, die Sie so dringend beschäftigt, interessieren. Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage ist: In Ihrem Redebeitrag haben Sie jetzt sehr deutlich gemacht, was aus Ihrer Sicht sehr problematisch ist und was nicht geht. Welche Vorstellungen in Sachsen-Anhalt hat denn die Gleichstellungsministerin, wie man zu einer Parité kommen könnte?
Ich habe in meiner Rede auch sehr deutlich gemacht, welche Ansätze ich für verfolgungswürdig halte und welche ich auch für diskussionswürdig halte. Im zweiten Teil meiner Rede habe ich das im Einzelnen ausgeführt.
Zu der ersten Frage. Warum sind Frauen im Parlament unterrepräsentiert? Nun sind die Fragen, die wir uns auf zahlreichen Veranstaltungen stellen, Fragen wie diese: „Warum kandidieren nicht mehr Frauen?“ und: „Warum werden, wenn Frauen kandidieren, diese nicht auch besser gewählt, als es im Augenblick der Fall ist?“ - Ich glaube, das ist eine Frage, die viele Ursachen hat.
Das hat etwas mit Empowerment zu tun. Es hat etwas mit Role Models zu tun. Es hat etwas mit Vorstellungen zu tun. Es hat etwas mit den Wählern und den Wählerinnen zu tun, die überlegen: Wer setzt sich für mich am meisten ein? - Das muss nicht immer zwingend jemand des gleichen Geschlechtes sein. Da halte ich es auch für richtig, dass Wählern und Wählerinnen diese Entscheidung auch nicht abgenommen wird, sondern dass sie diese Entscheidung frei treffen können. Ich glaube, das könnte auch etwas damit zu tun haben - deswegen wollen wir das auch prüfen -, dass bestimmte Wahlrechtsvorschriften die Chancengleichheit beeinträchtigen.
Auch dazu habe ich etwas ausgeführt, auch indem ich die Antwort dazu gegeben habe, dass ich glaube, dass auch eine Personalisierung des Verhältniswahlrechts insoweit, als wir aus einer Liste auswählen können, die Entscheidung ermöglicht, welchen Kandidaten man dort dann
Ich stelle eine Überziehung der Redezeit von der Frau Ministerin um drei Minuten fest. Das heißt, alle Fraktionen, deren Sprecher nun reden werden, führen nicht mehr eine Fünfminuten-, sondern eine Achtminutendebatte. Wir beginnen nun mit der Diskussion der Fraktionen. Für die SPDFraktion spricht die Abg. Frau Prof. Dr. KolbJanssen. Bitte sehr.
Wir machen das jetzt so: Die fünf Minuten sind hier vorn einprogrammiert. Wenn es da rot wird, können Sie einfach noch drei Minuten weiterreden.
Ich versuche, die acht Minuten nicht auszuschöpfen, Herr Präsident. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Parität in allen Bereichen erscheint mir einfach logisch“ - ein kurzer, klarer Satz, der eine Selbstverständlichkeit beschreibt. Die Bundeskanzlerin hat ihn im Januar in einem Gespräch mit der „Zeit“ gesagt. Und: Sie hat völlig recht.
Wir reden im Moment in Deutschland viel über 100 Jahre Frauenwahlrecht und uns wird vorgehalten, dass sich in Sachen Gleichstellung vieles getan hat. Ja, aber was definitiv nicht erreicht wurde, ist die Parität in den Parlamenten, und zwar auf allen Ebenen, angefangen vom Bundestag über die Landesparlamente bis hin zu den Kommunalparlamenten. Dabei sollte es im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen in den Parlamenten repräsentiert sind und die entsprechenden politischen Entscheidungen auch gemeinsam treffen.
Die Abg. Frau von Angern hat es sehr ausführlich dargestellt: Gerade der Landtag in Sachsen-Anhalt geht hierbei mit negativem Beispiel voran. Wir haben nicht nur die schlechteste Frauenquote seit der ersten Wahlperiode. Wir sind bundesweit
Meine Damen und Herren! Das ist nicht hinnehmbar. Wir sind nach Artikel 34 der Landesverfassung verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft durch geeignete Maßnahmen zu fördern.