Inzwischen hat sie auf ihrer Homepage unter der Rubrik „Spektrum“ und unter der Kategorie „Frauengesundheit“ den Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ angeführt, der, klickt man ihn an, mit einem Kontaktformular verlinkt ist, mit dem man um die Zusendung von Informationen bittet.
Auch Kristina Hänel ging in Berufung und auch sie hatte keinen Erfolg. Die Dritte Kleine Strafkammer des Landgerichts Gießen bestätigte die Verurteilung des Amtsgerichts.
Doch, meine Damen und Herren - und das ist das Denkwürdige -: Richter Johannes Nink ist nicht glücklich mit dem Urteil, das er verkündet hat. Er sagt - Zitat -: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz.“
„Ich bin einen Schritt weiter auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht, auch wenn es hart ist. Der Richter stimmt mir inhaltlich zu, vergleicht mich mit Sokrates und dem Schierlingsbecher, bestätigt das Urteil - absurd.“
Die Ärztin wird verurteilt und gleichzeitig macht der Richter als Bürger deutlich, was er von dem Gesetz hält, das er in diesem Fall anzuwenden hat, und was er offenbar für geboten hält.
Ich möchte hier nicht darüber nachdenken, warum er die Angelegenheit nicht selbst dem Verfassungsgericht vorgelegt hat. Es wird gute Gründe gegeben haben, dies nicht zu tun, und das haben wir zu respektieren.
Ich möchte hier über unsere Verantwortung als Volksvertreterinnen und Volksvertreter sprechen, die ihre Meinung zu diesem Zustand deutlich machen können, ja, deutlich machen müssen und die, wenn auch nur vermittelt durch die Landesregierung und den Bundesrat, auf eine Veränderung des derzeitigen Zustandes hinzuwirken haben.
Warum muss diese Regelung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden? Die Norm des § 219a ist im offenen Widerspruch zu dem in die Norm des § 218a gegossenen politischen Kompromiss zur rechtlichen Ausgestaltung des
Nach § 218a sind Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt. Mithin dürfen ein Arzt oder eine Ärztin nach dieser Gesetzeslage unter bestimmten Bedingungen explizit Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und dafür finanzielle Gegenleistungen von der Patienten oder deren Krankenversicherung beanspruchen. Denn wir wollen doch ganz sicher nicht, dass diese die Schwangerschaft beendenden Handlungen zukünftig durch sogenannte kundige Laien durchgeführt werden. Das hatten wir schon einmal.
Wenn wir also an § 218a festhalten wollen und wenn wir wollen, dass dies Ärzte tun, dann ist es scheinheilig, dass wir, wie im Fall von Frau Hänel, den schlichten Hinweis darauf, dass sie in ihrer Praxis diese Leistung anbietet, unter Strafe stellen.
Ich verweise auf eine Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes aus diesem Jahr, in der es heißt: Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.
Die beiden § 219a StGB vorangegangenen Normen sind mit dem Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften im Jahr 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch eingeführt worden. §§ 219 und 220 des Reichsstrafgesetzbuches waren damit Teil der ersten nationalsozialistischen Strafrechtsreform. Hintergrund sei - ich verweise erneut auf die Stellungnahme von eben - die seit Beginn des 20. Jahrhunderts sinkende Geburtenrate gewesen, weshalb das Ziel bestanden habe, die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik
- Warum fühlen Sie sich denn das angesprochen? - Die drakonischen Strafen, die bis zur Todesstrafe gingen, sind nach 1945 zwar aufgehoben worden, die Verbote sind allerdings beibehalten worden.
Dieser Regelungszustand legt die Strafbestimmung nun in den Instrumentenkasten der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Scheint § 219a StGB jahrzehntelang faktisch nicht angewendet worden zu sein, hat sich jedoch die Zahl der Strafanzeigen durch radikale Abtreibungsgegner in den letzten Jahren deutlich erhöht. Dass es inzwischen auch Anklagen und Verurteilungen gibt, habe ich erwähnt.
Recherchiert man nun im Netz, fällt auf, dass hinter vielen aktuellen Strafanzeigen die Initiative „Nie wieder“ um den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen steht bzw. stehen könnte. Er betreibt auch die Internetseiten „Babycaust.de“ und „Abreiber.com“, listet Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, neben Bildern zerstückelter Embryonen auf und bezeichnet sie als - Zitat - „Tötungsspezialisten für ungeborene Kinder“ und nennt Abtreibung den - Zitat - „neuen Holocaust“. Die erstgenannte Internetseite weist auch unverhohlen auf diesen Bezug hin.
Meine Damen und Herren! Ich teile die Einschätzung des Deutschen Juristinnenbundes, dass § 219a StGB auch verfassungsrechtlich anachronistisch und aus der Zeit gefallen ist. Es ist doch verfassungswidrig, weil durch die Kriminalisierung der Sachinformation ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten auf der einen Seite vorliegt, aber auf der anderen Seite auch die Informationsfreiheit und das Recht auf Selbstbestimmung der Patientinnen verletzt wird.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Die gesellschaftspolitische und rechtsfachliche Debatte hat die bundesstaatlichen Institutionen erreicht. Dem Bundestag liegen verschiedene Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Hauses vor, im Einzelnen der Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, aber auch - ein bisschen modernisiert - der FDP. Auch in den Bundesrat ist durch die Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen ein Gesetzesantrag eingebracht worden, dem das Land Bremen beigetreten ist, der die Aufhebung von § - -
Ja, danke. - Mit Nr. 2 unseres Antrages werben wir darum, dass die Landesregierung dieser Bundesratsinitiative den Rücken stärkt. Sie soll ihr nicht zwingend beitreten, aber soll sie zumindest unterstützen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau von Angern. Es gibt auch hierzu keine Fragen. - Bevor wir aber in die Dreiminutendebatte der Fraktionen einsteigen, hat wiederum die Ministerin Frau Keding das Wort für die Landesregierung. Bitte, Frau Ministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Spätestens seit dem Verfahren vor dem Landgericht Gießen ist die Diskussion um den Regelungskomplex zum Schwangerschaftsabbruch wieder neu aufgeflammt. Frau von Angern hat es eben schon angedeutet: Wir befinden uns in einem dogmatisch höchst komplizierten Bereich, der nicht kurzerhand neu geregelt oder einseitig verändert werden sollte.
Unterschiedliche juristische, politische und ethische Bewertungen sowie teilweise sehr persönliche Erfahrungen und Überzeugungen bilden den Hintergrund für einen vielfach abgeschichteten und miteinander verschränkten Regelungskomplex.
Dabei wurde versucht, den letztlich unauflösbaren Widerspruch zwischen zwei insoweit widersprüchlichen Maximen rechtlich zu regeln, nämlich den Schutz auch des ungeborenen Lebens und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren eigenen Körper.
Meine Damen und Herren! Das Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch in § 219a StGB flankiert in dem genannten Regelungskomplex das sogenannte Beratungsmodell. Ich möchte auch in Erinnerung rufen, dass der Bundesgesetzgeber nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998 den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens nur dann zurücknehmen darf, wenn er an dessen Stelle ein anderes wirksames Schutzkonzept setzt.
Soweit kritisiert wird, dass § 219a StGB die Berufsfreiheit der Ärzte und die Informationsfreiheit schwangerer Frauen verletze, ist dem entgegenzuhalten, dass § 219a StGB der Forderung aus dem zweiten Fristenregelungsurteil des Bundesverfassungsgerichts nachkommt, wonach „der rechtliche Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben ist“.
Bei einem Schwangerschaftsabbruch handelt es sich - um mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen - eben „nicht um einen alltäglichen, [also] der Normalität entsprechenden Vorgang“.
Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist ergebnisoffen zu führen. Das ist eine der Voraussetzungen für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB. Frauen in einer Notlage soll der Schwangerschaftsabbruch nicht verwehrt werden. Daher schränkt § 219a StGB eine neutrale und von Erwerbsinteressen unabhängige Information gerade nicht ein.
Im Januar des Jahres hat der Rechtsausschuss des Bundesrats den Antrag der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Bremen, wonach die Strafvorschrift des § 219a aufgehoben werden sollte, bis zum Wiederaufruf vertagt, sprich: bis zum rechtskräftigen Ausgang des Strafverfahrens in Gießen.
Bei der Prüfung von Änderungen oder Ergänzungen eines nach langen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen hart errungenen Gesamtkonzepts sollte nicht Schnelligkeit, sondern
Vielen Dank, Frau Ministerin Keding. Ich sehe hierzu keine Fragen. - Nunmehr steigen wir in die Debatte der Fraktionen ein. Die erste Debattenrednerin wird für die SPD-Fraktion die Abg. Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen sein. Sie haben das Wort, Frau Professorin.
Danke, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, deutlicher als mit den Worten, dass die Verurteilte das Urteil tragen soll wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz, konnte der Richter das Dilemma, in dem sich derzeit Gerichte bei einer Entscheidung über § 219a befinden, nicht zum Ausdruck bringen.
Das eigentliche Problem ist, dass sich auch alle Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, genau in diesem Dilemma befinden, obwohl sie das, was sie tun, rechtmäßig tun. Deshalb, meine Damen und Herren, ist hier die Politik gefordert; sie ist gefordert, den § 219a zu streichen.
Frau Keding, ich möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen. Es geht nicht um die Aufhebung des gefundenen Kompromisses zu § 218, sondern es geht tatsächlich darum, eine aus der Zeit gefallene Norm aufzuheben.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu bereits im Dezember 2017 einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Es ist und bleibt auch Position der SPD, dass Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, darüber auch straffrei informieren dürfen müssen.
Frauen bedürfen in dieser Situation, in der der Gesetzgeber ihnen diese Beratungspflicht auferlegt, einer Beratung, die auch diese ärztlichen Aspekte mit berücksichtigt. Dazu brauchen Ärztinnen und Ärzte Rechtssicherheit, damit sie den Frauen tatsächlich auch diese eigenverantwortliche Lösung ermöglichen.
Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, die SPD hat diesen Gesetzentwurf wieder zurückgenommen, aber an ihrer Haltung ändert das nichts. Wir nehmen hierbei die Kanzlerin beim Wort, die eine vernünftige Lösung zugesagt hat: Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte auf der einen Seite und objektive gute Informationen für Frauen auf der anderen Seite. Ich sage es auch ganz deutlich: Diese Lösung gibt es nur, wenn im Ergebnis die Strafbarkeit für Ärztinnen und Ärzte bei objektiver Information aufgehoben wird.