Protocol of the Session on August 31, 2018

Ich möchte auch auf ein Thema zu sprechen kommen, das schon gestern in der Debatte zur beruflichen Bildung eine Rolle gespielt hat und das damit zu tun hat, wie wir junge Leute im Land halten können. Im Koalitionsvertrag des Bundes ist die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung vereinbart worden. Ich hoffe, sie kommt schnell. Ich hoffe, sie kommt in einer deutlich spürbaren Höhe für die jungen Menschen.

Ich habe in den letzten Tagen als Gegenargument tatsächlich wieder gehört: Das brauchen wir nicht; das regelt der Markt. - Ja, das tut er; das tut er nämlich immer. Aber der Markt kommt dann im Zweifelsfall zu dem Ergebnis, dass Branchen in einer ganzen Region keinen Nachwuchs mehr finden. Es ist doch tatsächlich noch immer die Auffassung verbreitet, dass die Abbrecherquote in der Berufsausbildung rein gar nichts mit den Ausbildungsvergütungen zu tun hat. So kann man sich zwar der Realität verweigern, aber durch Ignoranz sind Probleme noch nie gelöst worden.

Das können wir nicht wollen. Deshalb ist genau der gleiche Weg nötig, wie wir ihn beim Mindestlohn gegangen sind. Und er hat - das wissen wir alle mittlerweile - nicht zum Sterben in der Wirtschaft geführt.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen-Anhalt darf kein Billiglohnland sein. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienen eine gerechte Entlohnung; gutes Geld für gute Arbeit.

Wir, also die öffentliche Hand, Land und Kommunen, müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Gefragt sind aber zu allererst die privaten Arbeitgeber, vom Industrieunternehmen bis zum Handwerksbetrieb, vom Gewerbebetrieb bis zum Dienstleister.

Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.

Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin. Ein letzter Satz, wenn er mir gestattet ist. - Es ist nicht nur im ureigenen Interesse der Unternehmerinnen und Unternehmer, es ist wichtig für den Zusammenhalt und die Entwicklung unserer Gesellschaft, damit sie zusammenhält. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministe- rin Petra Grimm-Benne)

Vielen Dank für die Einbringung, Herr Abgeordneter.

(Ulrich Siegmund, AfD, meldet sich zu Wort)

- Eine Nachfrage? - Ja. Bitte, Herr Siegmund, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Lieber Kollege Hövelmann, mich würde einmal interessieren, warum viele Gewerkschaften, die ja noch immer sehr SPD-nah sind, fast 29 Jahre nach der Wende bei Tarifverträgen noch immer in Ost und West unterscheiden, und welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um das zu endlich zu vereinheitlichen.

Herr Hövelmann, bitte.

Die Tarifsituation in Deutschland ist eines unserer Probleme, das ich auch angesprochen habe. Zum einen haben wir eine ausgesprochen unterdurchschnittliche Tarifbindung in Ostdeutschland. Zum anderen - Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen - gibt es noch immer Branchen, in denen auch tarifliche Unterschiede zwischen Ost und West gemacht werden. Diese sind jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht mehr zu rechtfertigen.

Es gibt allerdings tarifliche Unterschiede auch zwischen Nord und Süd sowie zwischen bestimmten Regionen; das werden wir auch in Zukunft erleben. Aber die Grenze an der Stelle zu ziehen, wo bis zum Jahr 1989 eine Grenze war, das lässt sich jedenfalls sachlich nicht mehr rechtfertigen.

Deshalb muss es unser gemeinsames Ziel sein, dafür Sorge zu tragen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände diesen Unsinn beenden; das sage ich ganz offen. Und es muss auch unser Interesse sein, verstärkt Arbeitgeber, Unternehmen dafür zu gewinnen, erstens Mitglied in Unternehmensverbänden zu werden und zweitens dafür zu sorgen, dass es bei Tarifverhandlungen nicht darauf ankommt, ob man im Osten oder im Westen seinen Betrieb hat. Vielmehr sollte es

darauf ankommen, dass die Menschen, die in den Unternehmen beschäftigt sind, anständig bezahlt werden. Dazu gehört natürlich auch, dass wir dafür werben, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisieren und einer Gewerkschaft angehören.

Sie haben gefragt, was wir als SPD konkret dafür tun. Zum einen haben wir eine klare politische Position dazu. Zum anderen - das will ich ganz persönlich sagen - bin ich Mitglied einer Gewerkschaft; ich bin Mitglied bei ver.di. Ich weiß, dass meine Gewerkschaft Tarifverträge hat, bei denen es keine Rolle spielt, ob man im Osten oder im Westen beschäftigt ist. Ich weiß aber auch, dass meine Gewerkschaft Tarifverträge hat, bei denen es sehr wohl eine Rolle spielt, ob man im Osten oder im Westen beschäftigt ist. Ich nutze jede Gelegenheit, meine Gewerkschaft darauf hinzuweisen, dass dieser Unsinn endlich beendet werden muss.

(Zustimmung bei der SPD, von Siegfried Borgwardt, CDU, und von Ministerin Petra Grimm-Benne)

Vielen Dank, Herr Hövelmann. Ich sehe keine weiteren Fragen. - Für die Landesregierung spricht jetzt Ministerin Frau Grimm-Benne. Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt entwickelt sich äußerst positiv. Doch das Einkommensgefälle gerade zu den westdeutschen Ländern nimmt nur langsam ab, trotz zunehmenden Fachkräftemangels.

Sachsen-Anhalts Beschäftigte sind gut qualifiziert und schlecht bezahlt. Dass diese so einfache wie bittere Formel die Realität in Sachsen-Anhalt trotz positiver Entwicklungen weiterhin ziemlich treffend beschreibt, legen die Statistiken nahe.

Der Anteil der qualifizierten Beschäftigung hat weiter zugenommen. Laut IAB-Betriebspanel gibt es in zwei Dritteln der Betriebe ausschließlich Arbeitsplätze mit einer beruflichen oder akademischen Ausbildung. Für fünf von sechs Arbeitsplätzen in Sachsen-Anhalt ist eine formale berufliche Qualifikation erforderlich. Das ist im Bundesvergleich ein überdurchschnittlich hoher Anteil.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind zwar kein Land der Einfach- und Billigarbeitsplätze - im Gegenteil: die Anforderungen sind hoch -, aber wird diese anspruchsvolle Arbeit auch gut genug bezahlt? - Ich meine, nein.

Natürlich ist es positiv, dass die Durchschnittslöhne in Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 2014 um fast

10 % gestiegen sind. Ich kann mit Freude darauf verweisen, dass bei uns heute im Vergleich der ostdeutschen Flächenländer im Schnitt die höchsten Löhne gezahlt werden, wenn auch die Abstände sehr gering sind. Der relative Lohnzuwachs war deutlich stärker als in Westdeutschland; er betrug knapp 6 % seit dem Jahr 2014, auch dank der Einführung des Mindestlohns.

Was für mich besonders problematisch ist: In Sachsen-Anhalt sind sehr niedrige Löhne sehr häufig. Laut dem IAB-Betriebspanel wird in mehr als der Hälfte der Betriebe in Sachsen-Anhalt ein Monatsverdienst von durchschnittlich weniger als 2 000 € brutto für eine Vollzeitstelle gezahlt. Das entspricht etwa einem Stundenlohn von 11,60 €. Der gesetzliche Mindestlohn liegt derzeit bei 8,84 €.

Diese Lohnstruktur wird der hochqualifizierten Arbeit, die geleistet wird, nicht gerecht. Das ist, meine Damen und Herren, auch ein riesiges Problem für die Fachkräftesicherung; denn dort, wo schlecht bezahlt wird, ist es schwer, qualifizierte Fachkräfte zu binden.

Wir brauchen eine bessere Lohnentwicklung. Wir brauchen angemessene Tariflöhne, die durch die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften ausgehandelt werden. Und wir brauchen vor allem mehr tarifgebundene Unternehmen. Nach wie vor sind in Sachsen-Anhalt weniger als ein Viertel der Unternehmen tarifgebunden und weniger als die Hälfte der Beschäftigten erhalten tarifvertraglich vereinbarte Entgelte.

Sich stärker in Arbeitgeberverbänden zu organisieren und durch die Anwendung tariflicher Standards faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, liegt auch im Eigeninteresse von Unternehmen, die im Kampf um Fachkräfte langfristig wettbewerbsfähig bleiben wollen. Leider stelle ich hierbei bei den Arbeitgebern noch immer eine eher abwartende Haltung fest. Doch das Fachkräfteproblem wird sich nicht von selbst auflösen.

Daher haben wir uns auch im Fachkräftesicherungspakt darauf verständigt, uns mit dem Thema attraktive Arbeitsbedingungen bzw. Arbeitgeberattraktivität intensiv auseinanderzusetzen, und haben dazu eine Arbeitsgruppe unter der Federführung der Sozialpartner eingerichtet.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch kurz auf die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung mit dem Titel „Mangel an Fachkräften oder Zahlungsbereitschaft?“ eingehen. In dieser Studie stellt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut - kurz: WSI - die These auf, dass der Fachkräftemangel im Niedriglohnbereich, insbesondere in der Leiharbeit, im Gastgewerbe, Güterverkehr und Sicherheitsgewerbe, von einschlägigen Studien der Wirtschaft systematisch überschätzt werde. Dass Stellen in diesen Bereichen

oft nur schwer besetzt werden könnten, liege nicht am Mangel von Fachkräften, sondern an wenig attraktiven Arbeits- und Entlohnungsbedingungen.

Das Institut macht des Weiteren nachdrücklich klar, dass der herbeigeredete Fachkräftemangel in diesen Niedriglohnbereichen nicht dazu führen dürfe, Dumping-Konkurrenz, zum Beispiel durch niedrig qualifizierte Zuwanderer, zuzulassen. Dazu möchte ich klar sagen: Ich teile die Auffassung, dass solche Dumping-Konkurrenz verhindert werden muss. Gerade deshalb treten wir für mehr Tarifbindung und bessere Lohnbedingungen ein.

Dafür habe ich in der letzten Woche zusammen mit dem DGB-Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann ein Projekt auf die Schiene gesetzt, das den Auftrag hat, Arbeitsausbeutung und DumpingKonkurrenz von migrantischen Arbeitskräften in Sachsen-Anhalt aufzudecken und zu verhindern.

Ich sage aber auch klar, dass wir in manchen Bereichen, unter anderem im Gesundheitswesen, sehr wohl einen wachsenden Fachkräftemangel zu verzeichnen haben. Das wird übrigens auch von der Studie nicht infrage gestellt. Diesen Bedarf werden wir wahrscheinlich trotz aller Anstrengungen nicht allein aus dem hier vorhandenen Arbeitskräfteangebot decken können.

Ich denke daher, dass wir in diesen Bereichen auch geordnete Zuwanderung von qualifizierten ausländischen Fachkräften brauchen, um unsere Probleme zu lösen. Kurz gesagt: Es geht hierbei nicht um Abschottung, sondern um die Sicherstellung fairer Arbeitsbedingungen für alle Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung bei der SPD und von Sieg- fried Borgwardt, CDU)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass das die Punkte sind, die die Menschen in unserem Land umtreiben, nämlich das, was sie in ihrer Lohntüte haben.

(Unruhe)

Ich finde es schade - - Ich weiß, dass ich die Präsidentin bitten müsste, Sie zu ermahnen, den Geräuschpegel ein bisschen zu senken. Ich finde es wichtig, dass wir hier auch über Arbeitsplätze und gut bezahlte Arbeitskräfte reden können und dass wir das mit aller Ernsthaftigkeit tun.

Ich möchte einen Punkt ansprechen, auf den auch Herr Hövelmann schon eingegangen ist: Was können wir als Land, als öffentlicher Auftrag- und Fördermittelgeber tun, um gute Arbeit zu ermöglichen? Wie gestalten wir Arbeitsbedingungen und Entlohnungsbedingungen als Kunde und als Fördermittelgeber?

Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge darf es nicht mehr passieren, dass Anbieter nur deshalb keinen

Zuschlag bekommen, weil sie tarifgerecht bezahlen und daher etwas höhere Preise kalkulieren müssen. Das geltende Vergaberecht ist in dieser Hinsicht leider nicht immer einfach zu handhaben. Deshalb wäre ich sehr dankbar, Herr Hövelmann, wenn wir über das Vergaberecht hier im Parlament beraten würden.

In meinem eigenen Hause habe ich schon die klare Anweisung gegeben, dass bei der Vergabe, zum Beispiel von Reinigungsleistungen, tarifliche Standards eingehalten werden.

(Zustimmung)

Wir wollen gute Arbeit und angemessene Entlohnung auch durch die Gestaltung unserer Förderbedingungen ermöglichen. Wir sind im Sozialministerium schon weit vorangekommen. Ein Beispiel hat Herr Hövelmann genannt: Bei dem Kinderförderungsgesetz haben wir auf eine tarifgerechte Entlohnung von Erzieherinnen und Erziehern geachtet.

Auch in dem großen Bereich der Eingliederungshilfe haben wir es geschafft, die Verträge mit den Einrichtungen so zu gestalten, dass eine tarifliche Bezahlung der Beschäftigten möglich ist. Ich finde das richtig und wichtig, auch weil die Aufgaben des Staates anwachsen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Debatte über gute Arbeit ist keine Debatte nur um den Lohn. Wenn wir qualifizierte Arbeit stärken wollen, müssen wir in die weichen Faktoren guter Arbeit investieren. Dazu gehören Maßnahmen der gesundheitlichen Prävention und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genauso wie Weiterbildung und eine kluge Dienstplanung, die zum Beispiel die Arbeit im Pflegebereich attraktiver machen kann.

Für Unternehmen, die sich hier entwickeln wollen, bieten wir im Rahmen der Landesinitiative „Fachkraft im Fokus“ und der ESF-Förderrichtlinie „Weiterbildung Betrieb“ Unterstützung an. Wir wollen noch stärker die Branchen ansprechen, die besonders große Probleme bei der Fachkräftesicherung haben. Zwei große Informationsveranstaltungen für die Pflegebranche sind in Vorbereitung.