Protocol of the Session on October 28, 2016

Sie müssen damit umgehen, nicht zu wissen, wie viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn nicht die eine Sicherheitsbehörde Ermittlungen zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe torpediert hätte, während die andere Sicherheitsbehörde, die Polizei, sie selbst verdächtigte, in einer Soko Bosporus Opfer zu Tätern erklärte und einschätzte, dass angesichts der Brutalität der Verbrechen die Täter keine Deutschen sein könnten.

Sie müssen auch damit leben, dass dieselbe Behörde, der Verfassungsschutz, festlegt, dass Menschen, die in Flüchtlingsunterkünften helfen, die Begegnungen oder Kinderbetreuung organisieren, als linksextreme potenzielle Gefährder beschrieben werden, während als potenziell gefährlicher Rechter nur gilt, wer „Heil Hitler“ sagt, einen NPD-Mitgliedsausweis um den Hals hängen hat und am besten bei der Polizei noch angibt, aus rassistischen Motiven gehandelt zu haben.

Wo bleibt der Generalverdacht gegen Nazis? Wo bleibt die überfällige Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das sind die Dinge, über die wir reden müssen, wenn wir über Bedrohung und Sicherheit sprechen.

„Staat und Gesellschaft gemeinsam für den Rechtsstaat“, so haben die Kollegen der CDUFraktion ihre Aktuelle Debatte treffenderweise

genannt. Genau darum geht es. Wenn wir etwas für den demokratischen Rechtsstaat tun wollen, dann dürfen wir nicht Grundrechte einschränken, um vermeintliche Sicherheit zu erzeugen.

Ausgehend von den täglichen Erscheinungen der Bedrohung der Sicherheit von Leib und Leben, der Sicherheit der Wahrung der Würde eines jeden Einzelnen, der Wirksamkeit von moralischen Grundregeln, die diese Sicherheit garantieren sollen, hier in Sachsen-Anhalt, heißt über öffentliche Sicherheit zu reden aus der Sicht der LINKEN vor allem, über die innere Verfasstheit unserer Gesellschaft zu reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Fast alle Redner haben es heute im Grunde genommen gestreift: Die Akzeptanz grundlegender Prinzipien des Rechtsstaats, der Gewaltenteilung, der Ächtung von Selbstjustiz, des Gewaltmonopols des Staates, ist nicht mehr etwas, das als Common Sense gelten kann. Grundlegende Werte für eine Gesellschaft, die den demokratischen Rechtsstaat als Organisationsform, als Staatsmodell nicht nur hat, sondern aktiv wählt, verlieren ihre Bindungswirkung.

Freiheit und Offenheit in Fragen von Lebensweisen, sexueller Selbstbestimmung und kultureller Prägungen und Präferenzen und vor allem ihre Gleichwertigkeit und ihre Gleichberechtigung werden infrage gestellt.

Zugleich sehen wir rechte Reichsbürger bei der Polizei, erneut diagnostizierte Defizite im Umgang mit migrantischen Opferzeugen und Rassismus, bundesweit eben auch Fälle von Polizeiversagen beim Schutz von Asylunterkünften und bei der Einschätzung von Bedrohungslagen durch Rechtsextreme.

Ja, die Polizei ist ein Querschnitt der Gesellschaft und zugleich Trägerin hoheitlicher Aufgaben. Nicht Law and Order muss die Devise von Politik sein, die den Rechtsstaat verteidigen will, sondern die Stärkung demokratischer Werte.

Das, was Carolin Emcke als individuelle Vielfalt bei normativer Gleichheit beschreibt, muss im Fokus der Debatten, auch derjenigen über öffentliche Sicherheit und innere Verfasstheit stehen - im Staat, bei seinen Akteuren und in der Gesellschaft. Denn genau das ist der Kern des Rechtsstaats. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Quade, es gibt einige Nachfragen. Möchten Sie diese beantworten? - Als Erster hatte sich Herr Schmidt von der AfD-Fraktion gemeldet, Herr Mrosek war der Zweite. Bitte, Herr Schmidt.

Erst einmal guten Tag, Frau Quade. Sie bekommen es auf den Gängen ja immer nicht hin zurückzugrüßen.

(Beifall bei der AfD)

Das verbietet mir mein Anstand in der Tat.

Ich habe zwei Fragen an Sie. Die erste Frage ist: Sie haben davon gesprochen, Sprachbarrieren abzubauen. Wollen Sie, dass die Migranten hier in Deutschland Deutsch lernen, oder wollen Sie, dass die Polizisten jetzt alle Sprachen der Einwanderer sprechen können?

Die zweite Frage ist: Sie haben davon gesprochen, dass Asylbewerberunterkünfte blockiert werden, dass die Asylbewerber erst gar nicht in die Unterkünfte hineinkommen. Wo ist das in Sachsen-Anhalt passiert? Haben Sie Beispiele dafür?

Ich fange bei den Sprachbarrieren an. Ich möchte in der Tat, dass jeder Mensch, der hier lebt, unabhängig von seinem Status die Chance hat, Deutsch zu lernen. Das ist nicht der Fall. Das ist etwas, das meine Fraktion seit Langem beklagt. Das muss passieren.

Ich möchte aber auch eine Polizei, die in der Lage ist, für alle Menschen erreichbar zu sein. Wenn wir feststellen, dass es Menschen gibt, die hier leben, denen es zum Beispiel verwehrt wird, die deutsche Sprache zu erlernen - -

(Eva Feußner, CDU: Was?)

- Natürlich.

(Eva Feußner, CDU: Das verwehrt ihnen doch niemand!)

- Selbstverständlich, Frau Feußner. Was denken Sie, wer Zugang zu Sprachkursen hat?

(Robert Farle, AfD: Sie erzählen hier doch Märchen!)

Zugang zu Sprachkursen hat nur, wer nach deutschem Gesetz dauerhaft hier bleiben darf. Das ist eine unglaubliche Lücke, die dieses Recht reißt.

(Minister Holger Stahlknecht: Das stimmt nicht! Das ist falsch!)

- Na ja, sie können es sich anders organisieren, Herr Minister. Das ist wohl wahr. Sie können sich das selbst organisieren. Das müssen sie

selbst finanzieren. Das müssen sie selbst organisieren.

(Unruhe bei der AfD - Eva Feußner, CDU: Es können doch alle die deutsche Sprache lernen! Das verwehrt ihnen niemand! - Da- niel Roi, AfD: Sollen wir alle Afghanisch ler- nen?)

Das ist in der Tat ein riesiges Problem für Menschen, die seit Jahren hier leben, und es ist auch kein neues Problem. Hören Sie sich die Debatten auch im Sozialausschuss an. Fragen Sie einmal die Integrationsbeauftragte, zu welchen Folgen die Einschränkung des Rechtsanspruchs auf einen Integrationskurs für die Menschen führt, die hier leben. - So. Das ist Punkt 1.

Punkt 2. Wenn wir feststellen müssen, dass es die Polizei in Sachsen in dem Fall des Terrorverdächtigen al-Bakr zunächst einmal nicht selbst vermag, den Terrorverdächtigen festzunehmen, sondern dies durch ein zivilcouragiertes Eingreifen von Menschen gelingt, die hier leben, aber offenkundig die deutsche Sprache noch nicht gut genug beherrschen, um sich bei der Polizei telefonisch verständlich zu machen, wenn wir feststellen, dass ein Terrorverdächtiger von ihnen gefasst wird und es tatsächlich nicht möglich ist, die Polizei zu rufen, weil die Verständigung scheitert, dann ist das ein Problem.

Nein, ich möchte nicht, dass die Polizei - das ist überhaupt nicht die Frage - sämtliche Landessprachen dieser Welt beherrscht. Englisch wäre ein Anfang.

(Beifall bei der LINKEN - Eva Feußner, CDU: Das setzt aber voraus, dass die Asyl- bewerber auch Englisch können!)

- Das können sie in aller Regel, Frau Feußner.

(Eva Feußner, CDU: Nein! Das ist nicht der Fall! - Robert Farle, AfD: Am besten jetzt Schluss machen!)

Zu der Frage der Belagerung von Asylunterkünften, der Blockade von Zufahrtsstraßen: Ja, in der Tat, wir haben großes Glück - ich hoffe, Sie geben mir darin recht, Herr Schmidt -, dass wir in Sachsen Anhalt einige Fälle, die wir in anderen Bundesländern beobachtet haben, bislang noch nicht erleben mussten.

(Minister Holger Stahlknecht: Das war nicht nur Glück!)

- Das können Sie gern darstellen, Herr Minister. Sie haben noch ein Rederecht.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Wir haben großes Glück, dass das nicht passiert ist. Aber natürlich gibt es diese Fälle. Natürlich ist es absurd, so zu tun, als ob das, was knapp hinter

der Landesgrenze passiert, nichts mit dem zu tun hätte, was hier passiert.

(Daniel Roi, AfD: Wir sind aber hier in Sachsen-Anhalt!)

Die Naziszene ist vernetzt. Die Szene derer, die sich aktiv verabreden, zu solchen Blockaden zu fahren, wie sie in Heidenau und in verschiedenen Orten passiert sind, ist bestens vernetzt. Das wissen Sie doch besser als ich. Insofern ist es absurd, so zu tun, als hätte das mit uns in Sachsen-Anhalt nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Wir haben noch weitere Anfragen. Ich würde gern noch zwei Fragen zulassen. Herr Mrosek ist der Nächste und danach Herr Dr. Tillschneider. Danach, würde ich sagen, beenden wir die Debatte. - Herr Mrosek, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Abg. Quade, drei kurze Fragen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Zwei sind nur zulässig!)