Protocol of the Session on December 15, 2020

Derzeit sind im Pflegebereich 20 000 bis 30 000 Stellen unbesetzt. Dass Herr Spahn jetzt 20 000 Hilfskräfte einsetzen will, ist ein weiterer Offenbarungseid für eine Pflegepolitik, die nur zaghaft an den Symptomen herumdoktert; die Ursachen der Misere werden nicht angepackt.

(Zustimmung)

Solange zu viele Pflegeunternehmen - das muss man so deutlich sagen - als Filialen im Niedriglohnsektor agieren, wird sich an der Personalmisere eben nichts ändern. Zwei Drittel der vollzeitbeschäftigten Altenpflegehelferinnen - es sind überwiegend Frauen - verdienen weniger als 2 203 € brutto im Monat. Das ist die Niedriglohnschwelle.

(Zuruf)

Jede siebente Fachkraft müsste für diesen Niedriglohn arbeiten. Das hat die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE kürzlich ermittelt. Die Bertelsmann Stiftung sieht die Coronahelden im Gesundheitswesen bei den Löhnen ganz klar abgehängt.

Ich hebe diese Kritik der LINKEN am GPVG hervor, die sehr stark über Nachbesserungswünsche aus dem Bundesrat hinausgeht. Das hindert uns allerdings überhaupt nicht daran, sie zu unterstützen, weil es um die Interessen der Kassen und der Versicherten geht. Insbesondere gilt das im Übrigen auch für die AOK Sachsen-Anhalt, die für gut ein Drittel der gesetzlich Krankenversicherten in Sachsen-Anhalt zuständig ist, hier Leistungen anbietet und bisher - darauf sind sie von der AOK auch stolz - einen Zusatzbeitrag ausdrücklich nicht erheben musste.

Deswegen bitte ich Sie herzlich um eine direkte Abstimmung und um eine direkte Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Ich sehe keine Fragen und habe offensichtlich auch niemanden übersehen. Dann können wir in der Debatte fortfahren. Für die Landesregierung spricht die Ministerin Frau Grimm-Benne. Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Durch das Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege, welches am 18. Dezember 2020 im zweiten Durchgang im Bundesrat beraten wird, sollen verschiedenste Fragestellungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, der Finanzierung von Krankenhäusern und der Pflege gelöst werden. Einige Regelungen sind gut, andere sind verbesserungswürdig. Die Regelungen, um die es vor allem in diesem Antrag geht, die die Verantwortung der Finanzierungslasten der Coronapandemie fast gänzlich den gesetzlichen Krankenkassen übertragen, sind insbesondere für Sachsen-Anhalt schlecht.

Von den bisher nicht gedeckten Kosten der Coronapandemie in Höhe von mehr als 16 Milliarden € soll die gesetzliche Krankenversicherung, das heißt, sollen die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung weitere 11 Milliarden € tragen. Der Bund will lediglich 5 Milliarden € durch die Erhöhung des Bundeszuschusses beisteuern. Die gesetzlichen Krankenkassen - nur sie sollen herangezogen werden - sollen diese 11 Milliarden € dadurch aufbringen, dass ihre Zusatzbeiträge anheben und zudem 8 Milliarden € ihres Vermögens an den Gesundheitsfonds abführen.

Die Finanzierung der Pandemie aus den Rücklagen der Krankenkassen, deren Obergrenze ohnehin schon Ende des Jahres 2019 mit dem beschlossenen GKV-Versichertenentlastungsgesetz heruntergefahren wurde, gefährdet die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung.

(Zustimmung)

Die Rücklagen dienen dazu, die Leistungsfähigkeit einer Krankenkasse sicherzustellen. Gerade am Beispiel der Coronapandemie zeigt sich, wie wichtig es ist, ausreichende Rücklagen zu haben, um die GKV-Leistungen auch in ausgabeintensiven Zeiten finanzieren zu können.

Für Sachsen-Anhalt hätten die vorgelegten Regelungen negative finanzielle Auswirkungen.

Schätzungen liegen für die AOK Sachsen-Anhalt und die IKK „gesund plus“ vor. Diese müssten damit rechnen, dass ihnen eine knappe halbe Milliarde Euro an Rücklagen entzogen wird. Dabei weiß noch keiner, wie sich die Pandemie weiter entwickeln wird und welche Auswirkungen die vielen neuen ausgabensteigernden Gesetze und Verordnungen für die GKV haben werden.

Gelder, die den Krankenkassen, insbesondere der regional organisierten AOK Sachsen-Anhalt, entzogen werden bzw. nicht mehr zufließen, stehen für die medizinische Versorgung im Land und damit insbesondere für Löhne und Gehälter des medizinischen Personals nicht zur Verfügung. Gerade diese Berufsgruppe ist aber angesichts ihrer besonderen Bedeutung - nicht nur in der Zeit einer Pandemie - zukünftig grundsätzlich eher besser zu finanzieren als schlechter. Aus diesem Grund ist im Bundesrat bisher aus Sachsen-Anhalt ein deutliches Signal gesetzt worden - diesbezüglich war sich die Landesregierung A- und B-seitig einig -, dass diese Regelungen falsch sind und der Bund sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen kann.

Ich habe eingangs gesagt, dass einige Regelungen in dem Gesetz gut, aber verbesserungswürdig sind. Dazu gehören die 20 000 zusätzlichen Pflegehilfskräfte in stationären Einrichtungen, ohne dass die Pflegebedürftigen zur Zuzahlung verpflichtet werden. Sie können dann tatsächlich nur ein erster Schritt sein.

Aber ich möchte fairerweise auch noch auf etwas anderes hinweisen. Sofern es eine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses geben wird, ist wohl nicht davon auszugehen, dass dieses Verfahren noch im Jahr 2020 abgeschlossen werden kann. Jedenfalls wird die Zeit knapp. Dann würden auch die guten Regelungen erst zeitverzögert in Kraft treten können. Dem Vernehmen nach wird sich der Bund zu der Frage der Finanzierung noch etwas bewegen. Daher bitte ich jedenfalls um Verständnis, dass eine gemeinsame Bund-Länder-Lösung gegebenenfalls erst - Sie kennen das - am kommenden Donnerstag, also quasi übermorgen, in der Länderkoordinierungsrunde zum Bundesratsplenum erfolgen kann. Wir haben im Kabinett deshalb freie Hand vereinbart. - Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Zustimmung)

Danke. Ich sehe keine Fragen an die Ministerin. - Wir kommen jetzt zur Dreiminutendebatte der

Fraktionen. Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Herr Krull. Herr Krull, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege umfasst ein ganzes Maßnahmenpaket. Dazu gehören zum Beispiel auch Schutzschirme und Hilfen für viele Berufsgruppen, die im Gesundheitssystem tätig sind, sowie für Menschen, die entsprechende Leistungen aus diesem System erhalten.

Eine kurze Aufzählung: Stärkung der stationären und ambulanten Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen inklusive der Müttergenesungswerke; Verbesserungen für Heil- und Hilfsmittelerbringer; Flexibilisierung und Verlängerung der Familienpflegezeit; Möglichkeiten für die kassenzahnärztliche Vereinigung, jungen Zahnärzten und Zahnärzten zu helfen, die sich neu niedergelassen haben und aufgrund der pandemischen Lage relativ wenig Patienten haben und in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind; Unterstützung von Pflegeeinrichtungen.

So sollen 20 000 zusätzliche Assistenzstellen in der Altenpflege finanziert werden. Dieser Schritt ist richtig, wobei natürlich vor allem auch die Frage zu klären ist, ob man diese Stellen nicht nur auf dem Papier zur Verfügung hat, sondern sie tatsächlich mit Personen besetzen kann. Dabei geht es nicht nur um die öffentliche Wertschätzung der Arbeit, die in der Pflege geleistet wird, sondern auch um faire und angemessene Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten. Die Personalbemessung in der Pflege soll darüber hinaus auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden.

Durch die im Gesetz geregelten Selektivverträge sollen im Sinne der bestmöglichen Versorgung der Patienten auch andere Sozialleistungsträger einbezogen werden. Auch die Hebammenversorgung soll verbessert werden. Als Land SachsenAnhalt haben wir hierzu eine umfassende Studie in Auftrag gegeben, die deutlich macht, wie wichtig solche Maßnahmen sind. Für Kinderkrankenhäuser und die kinder- und jugendmedizinischen Fachabteilungen an Krankenhäusern wird ein Sicherstellungszuschlag von 400 000 € jährlich gewährt. Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, es handelt sich um ein wirklich umfangreiches Paket.

Aber die gesamte Debatte zu dem Gesetzentwurf hat sich vor allem um die Finanzierungsfrage gedreht. So ist vorgesehen, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen von ihren Rücklagen in Höhe von rund 20 Milliarden € 8 Milliarden € einbringen sollen, um die entstehenden Mehrkosten

zu finanzieren. Gleichzeitig steigt der Bundeszuschuss um 5 Milliarden € auf dann 19,5 Milliarden €.

Besonders betroffen von dieser - ich nenne sie einmal so - Solidaritätszahlung sind die AOK, insbesondere auch die AOK Sachsen-Anhalt. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass Unmut herrscht. Sehr sparsames Wirtschaften, was durchaus auf Kritik gestoßen ist, wird auf eine gewisse Art und Weise bestraft, weil die Mittel abgezogen werden. Dabei wird das Geld, das aus entsprechenden Beiträgen stammt, für den gedachten Zweck, nämlich für die medizinische und pflegerische Versorgung genutzt.

Was aber zu Recht aus der Sicht unseres Landes kritisiert werden darf, ist die Tatsache, dass die ostdeutschen Bundesländer aufgrund des relativ geringen Anteils an privat Krankenversicherten benachteiligt werden, weil nur die gesetzlichen Krankenversicherungen herangezogen werden und Ostdeutschland damit überproportional betroffen ist.

Im kommenden Jahr erwarten die gesetzlichen Krankenkassen ein Defizit von rund 16 Milliarden €. Das macht deutlich, dass der Bund in der Verantwortung steht, die „Sozialgarantie 2021“ umzusetzen und darauf zu achten, dass die Sozialbeiträge nach dem Jahr 2022 nicht unkontrolliert steigen. Das gilt auch für die Zusatzbeiträge bei den Krankenkassen.

Wir sollten also bei der Diskussion darauf achten, nicht nur die Finanzfragen zu behandeln, sondern auch die inhaltlichen Themen des Gesetzentwurfs zu diskutieren. Die Ministerin sprach es an: Es wird um freie Hand gebeten. Daher beantrage ich die Überweisung des vorliegenden Antrages in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Das ist eine Ablehnung!)

Gut, danke. Ich sehe keine Fragen.

(Zuruf: Doch, doch!)

- Doch? - Entschuldigung, stimmt: Herr Gebhardt hat sich zu Wort gemeldet. Das ist richtig. - Herr Gebhardt, ich hatte Ihren Namen sogar schon aufgeschrieben. - Wollen Sie die Frage beantworten?

Herr Krull will sie beantworten. Herr Gebhardt, Sie können die Frage stellen.

Vielen Dank. - Herr Krull, eine Frage zu Ihrem Vorschlag der Überweisung: Welchen Sinn ergibt aus Ihrer Sicht die Überweisung eines Antrages, der ein Verfallsdatum von quasi übermorgen hat? Diese Woche ist die Abstimmung im Bundesrat. Um diese geht es im Antrag. Was soll der Antrag im Ausschuss bewirken? - Das ist meine erste Frage.

Zu der zweiten Frage. Wir haben hier nun schon mehrfach über Beiträge diskutiert. Können Sie den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich vermitteln, dass Sie eine Beitragserhöhung um 86 Cent für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unzumutbar finden, aber akzeptieren, wenn die Krankenkassenbeiträge allein bei der AOK im nächsten Jahr um etwa 30 € bis 40 € monatlich steigen?

Zum ersten Punkt. Ich habe kurz versucht, es an der Stelle darzustellen. Es geht mir einfach darum, dass wir als Landtag unserer Landesregierung jetzt keine Fesseln anlegen, sondern ihr für das Dialogverfahren - es wurden schon erste Kompromisse ein Stück weit avisiert - freie Hand zu lassen. Ich habe die Überweisung auch deshalb beantragt, weil die Themen, die im Gesetzentwurf behandelt werden, aus meiner Sicht in den Ausschuss gehören - unabhängig davon, wie die Finanzfrage geklärt wird -, weil auch die inhaltlichen Punkte diskutiert werden müssen.

Bezüglich der Beitragsgebühren: Verzeihen Sie mir, aber ich glaube, dieses Thema haben wir heute mehr als umfänglich diskutiert. Deswegen werde ich von der Beantwortung dieser Frage absehen.

(Lachen)

Ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr gesehen. Demzufolge können wir zum nächsten Debattenbeitrag schreiten. Der kommt von der AfD-Fraktion, von dem Abg. Herrn Siegmund.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegen! Im Gesundheitsfonds fehlen 8 Milliarden €. Das haben wir schon gehört. Die Schieflage, auf die wir jetzt zusteuern, war mathematisch absehbar. Das wissen wir alle. Es war eine Frage der Zeit, bis auch der Bürger, der für die Situation am allerwenigsten etwas kann, zur Kasse gebeten wird. In dieser Situation befinden wir uns jetzt. Aber dieser Fehler liegt unserer Meinung nach etwas tiefer begründet im System, primär an drei Stellen, auf die ich jetzt kurz eingehen möchte.

Das Kassensystem in Gänze ist absolut aufgebläht. Das kritisieren wir, seitdem wir hier im Landtag vertreten sind. Es muss auch wieder die Frage aufgeworfen werden, wozu wir 130 Krankenkassen mit 130 Dienstwagenflotten, 130 Managementsystemen und 130 Marketingbereichen etc. brauchen. Wir brauchen endlich eine Vereinheitlichung des Kassensystems. Dann wäre viel, viel mehr Geld vorhanden, bei allem notwendigen Wettbewerb. Einen Wettbewerb in dieser Form brauchen wir schon einmal nicht.

Wir brauchen keinen weiteren Zuzug von Menschen in die Sozialsysteme, die niemals eingezahlt haben. Auch das ist ein Problem, das sich jetzt rächt. Auch das sagen wir, seitdem wir im hier Landtag vertreten sind.

Ein Thema, das hier noch gar nicht richtig diskutiert wurde, das aber auch einmal angesprochen werden muss, ist die Möglichkeit der Hersteller, im ersten Jahr nach der Marktzulassung einen Wunschpreis festzusetzen. Im ersten Jahr nach der Zulassung neuer Medikamente kann der Hersteller den Preis beliebig festsetzen. Das ist ein Problem, das die Kassen ausbaden müssen. Nach einem Jahr erfolgt dann die sogenannte Nutzerbewertung. Hierzu stelle ich ganz klar die Frage in den Raum, wer den Zeitraum von einem Jahr festgelegt hat und ob dies eine Stellschraube wäre, eine Entlastung der Bürger zu erreichen.

Alles in allem sehe ich es auch so, dass die Überweisung des Antrages in den Ausschuss keinen Sinn ergeben würde. Es kann gern direkt über ihn abgestimmt werden. Wir werden uns als AfD-Fraktion zu diesem Antrag der Stimme enthalten, weil die Grundproblematiken unserer Meinung nach woanders liegen. Aber gegen eine Ablehnung sprechen positive Aspekte in diesem Antrag; daher die Enthaltung. - Ich bedanke mich ganz herzlich.

(Zustimmung)

Ich sehe keine Fragen dazu. Wir kommen zum nächsten Debattenbeitrag. Den wird Frau Lüddemann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten. Sie haben das Wort.