Protocol of the Session on November 19, 2020

Wir erleben jetzt seit einigen Monaten, dass das Leben so, wie wir es vorher gekannt haben, eben nicht mehr existiert. Wir sind längst angekommen in einer neuen, in einer schmerzhaften Realität. Die bedeutet eben, dass wir seit Monaten auf Kultur verzichten müssen, dass Theateraufführungen, Opern und Konzerte ausfallen, dass es keine Lesungen, dass es kein Kabarett, keine Ausstellungsbesuche mehr gibt.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit fehlt mir das besonders. Und es fehlt mir auch der Austausch mit anderen Menschen, der damit verbunden ist.

Es ist tatsächlich so wie bereits im Frühjahr: Der Kulturbereich ist von dem neuerlichen Lockdown besonders hart betroffen.

(Zuruf)

Es trifft insbesondere Künstlerinnen und Künstler wie Soloselbstständige. Veranstaltungen wurden abgesagt. Wir stehen vor verschlossenen Türen. Es ist eben nicht so, wie Herr Minister Robra in einem MDR-Interview am 12. Oktober 2020 eingeschätzt hat,

(Unruhe)

dass es zu wenig Kreativität im Umgang mit dem Virus gegeben hätte. Es gab sehr viele Kulturein

richtungen und sehr viele Akteure, die sich mit der ihnen eigenen Agilität und Kreativität den neuen Gegebenheiten gestellt haben. Sie haben digitale Formate entwickelt, sie haben Veranstaltungen verlegt. Sie haben Veranstaltungen unter neuen Bedingungen konzipiert und sind aus meiner Sicht wirklich auch innovativ und kreativ gewesen. Und - auch das war klar - es werden neue Bedingungen sein, die dazu führen, dass die Einnahmen, von denen wir wissen, dass sie ohnehin nicht kostendeckend sind, in Zukunft noch geringer ausfallen werden, sodass sich in jedem Fall eine Lücke auftut.

Ja, ich finde es legitim, dass man das auch sagt, und ich empfinde das auch nicht als Jammern, wenn, weil von heute auf morgen Einnahmen wegbrechen, Sorgen darüber geäußert werden, wie es weitergehen kann und wie die Zukunft von Kunst und Kultur in unserem Land aussieht. Hier sind Empathie und Unterstützungsangebote gefragt.

Ich habe auch Verständnis für die Kulturschaffenden, die sagen: Wir haben doch Hygienekonzepte entwickelt, wir haben Ideen vorgelegt; warum sind wir es, die jetzt darunter leiden müssen, dass es einen neuerlichen Lockdown gibt? - Dazu muss man klar sagen: Es ist so, dass die Betreffenden hier ein Sonderopfer erbringen. Es ist ein Sonderopfer, weil wir festgestellt haben, dass wir Kontakte verhindern müssen. Das wollen wir insbesondere im Freizeitbereich tun. Deshalb bin ich froh, dass mittlerweile auch zwischen Kultur und Freizeitbereich unterschieden wird; denn auch die Eingliederung von Kunst in den Freizeitbereich ist vielen negativ aufgefallen.

Es ist Zeit für Wertschätzung. Ich glaube, wenn wir das, was hier so eindrucksvoll dargestellt worden ist, auch in Zukunft erhalten wollen, müssen wir tatsächlich den Betreffenden noch sagen: Wir sind dankbar, dass es euch gibt, und wir werden jetzt alles tun, damit es euch auch in Zukunft gibt.

Und: Ja, ich war froh. Sachsen-Anhalt war das erste Land, das für den Bereich der Kultur eine Soforthilfe aufgelegt hat.

(Zuruf)

- Ja, 400 € waren mehr eine Anerkennung. Aber das ist gut angekommen. Schade war, dass viele das nicht in Anspruch nehmen konnten, dass es heute auch einige gibt, die mit Rückforderungsbescheiden leben müssen.

Herr Dr. Tillschneider, der Vergleich mit den SGBLeistungsempfängern funktioniert nicht. Das ist nicht der Vergleich, der hier angemessen ist. Es geht darum, dass im Bereich der Wirtschaft Wirtschaftshilfen gezahlt worden sind, die aber für

den Bereich der Kultur und der Soloselbstständigen nicht funktioniert haben. Sie sind ja nicht arbeitslos. Sie haben nicht ihre Arbeit verloren, sondern sie bekommen von staatlicher Seite gesagt, dass im Moment ihre Arbeit nicht ausgeführt, nicht in Anspruch genommen werden kann.

Sachsen-Anhalt hat dann ein Stipendienprogramm aufgelegt. Das war allerdings so unattraktiv, dass nicht einmal ein Drittel der Mittel abgeflossen ist. Es ist schade, dass die nicht verausgabten Mittel - so ist jedenfalls die Frage in der letzten Sitzung des Ausschusses für Bildung und Kultur beantwortet worden - nicht für neue Projekte genutzt werden, sondern letzten Endes wieder in den Bereich des Finanzministers zurückgeflossen sind. An dieser Stelle hätte ich mir gewünscht, dass man auf die Wünsche und Vorstellungen der Kulturschaffenden - es gibt eine ganze Reihe von Forderungspapieren und Vorschlagskatalogen - noch stärker eingeht.

Ich bin froh, dass der Bund jetzt tatsächlich mit der Novemberhilfe eine Möglichkeit geschaffen hat, den Künstlerinnen und Künstlern, quasi wie allen anderen Soloselbstständigen, unkompliziert zu helfen. Ich hoffe, dass das dann wirklich so unbürokratisch und unkompliziert umgesetzt werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht vor allem darum, welchen Stellenwert Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft haben sollen. Neben der finanziellen Unterstützung des Kulturbereiches lautet die relevante Frage: Welche gesellschaftliche Kraft kann Kultur in Zeiten wie diesen entwickeln, vor allen Dingen unter den aktuellen Bedingungen?

Deshalb ist es wichtig, dass wir die Chancen, die wir jetzt haben, nutzen, dass wir die Impulse, die gerade von den Akteurinnen und Akteuren der Kunstszene ausgehen, positiv aufgreifen, um das als Impuls für die weitere Kulturentwicklung mitzunehmen; denn wir haben von Herrn Staatsminister Robra die sehr positive Bilanz gehört: Ja, die Haushaltsansätze sind gestiegen. - Aber wir haben im Wesentlichen das verstetigt, was wir schon immer hatten, was gut funktioniert hat.

Wenn ich nur an das Beispiel der Industriekultur denke; hierbei sind wir praktisch noch keinen Schritt weiter. Dafür gibt es zwar das Konzept, aber wir wissen noch immer nicht, wie wir die einzelnen Standorte, die wir stärken wollen, dann tatsächlich so stärken, dass das, was an Knowhow entwickelt worden ist, nachhaltig an die nächsten Generationen weitergegeben werden kann.

Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir die nächsten Monate noch nutzen, um uns im Sinne einer nachhaltigen - das war ein Wort in der Über

schrift - Kulturentwicklung - das Wort „Nachhaltigkeit“ ist dann allerdings in der Rede weniger vorgekommen - über dieses Thema noch einmal auszutauschen und zu überlegen, was denn tatsächlich die Bereiche sind, in denen wir perspektivisch mit dem Potenzial, das wir haben, unser Land noch besser darstellen können, als das im Moment der Fall ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine moderne Kulturpolitik hinterfragt Angebote, Strukturen, Förderinstrumente, sie fördert Veränderungen von Einrichtungen. sie sichert soziale Mindeststandards, sie kümmert sich um Gleichstellung und um kulturelle Bildung und ist für alle nachhaltig.

„Nachhaltigkeit“ bedeutet nicht nur die stärkere Ausrichtung an ökologischen Standards oder Umweltmanagementsystemen, sondern auch die Orientierung an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.

Wir müssen uns auch in der Kultur darauf einstellen, dass sich die Welt verändert. Wir sehen gerade besonders eindrücklich, wie stark und wie schnell sich die Welt auf einmal verändern kann. Hierauf können und müssen Kultur und Kulturpolitik eine Antwort geben. Man muss nicht nur fragen, man muss auch zuhören, man muss Prozesse begleiten, man muss die entsprechenden Vorschläge aufgreifen. Dann hat man die Möglichkeit, tatsächlich eine Kulturpolitik zu gestalten, die unserem Slogan „#moderndenken“ gerecht wird. - Vielen Dank.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Frau Abg. Prof. Kolb-Janssen. Es gibt eine Kurzintervention. Sie können selbst entscheiden, ob Sie darauf erwidern möchten. - Bitte schön, Herr Dr. Tillschneider.

Frau Prof. Kolb-Janssen, Sie haben sich am Beginn Ihrer Rede auf die Kunstfreiheit berufen und diese gegen das, was ich gesagt habe, ins Feld geführt. - Das ist so billig; denn wenn der gesamte offizielle Kunst- und Kulturbetrieb in einer Art vorauseilendem Gehorsam nur das macht, was ihm in den Kram passt, wenn sich der gesamte offizielle Kunst- und Kulturbetrieb in den Grenzen der Dogmen bewegt, die Sie mit Ihrer politischen Ideologie abstecken, dann ist es sehr einfach, für die Kunstfreiheit zu sein.

Ich frage mich: Was wäre, wenn wir einmal einen Intendanten hätten, der ein bisschen anders wäre, der aus konservativen, rechten Traditionen käme und ein anderes Theater machen würde? - Ich

glaube, dann wäre es ganz schnell mit Ihrem Sinn für Kunstfreiheit und Ihrer Toleranz vorbei. Ja? - Da nicken Sie.

(Unruhe)

Ich kann Ihnen ein Beispiel geben. In Radebeul, in Dresden wurde Jörg Bernig zum Kulturdezernenten gewählt, ein sehr feinsinniger Erzähler und Lyriker, der aber aus konservativer Tradition kommt, der mal für die „Sezession“ schreibt, aber der kein Extremist und kein Fanatiker ist, einfach ein sehr konservativer Mensch.

(Zuruf)

- Eben nicht linker Mainstream. Der wurde von der AfD und von der CDU gewählt.

(Zuruf: Ja!)

Was haben die linken Parteien, die SPD und die GRÜNEN, gemacht? - Die haben einen Shitstorm entfacht und einen Druck aufgebaut, sodass er am Schluss nicht mehr zu halten war und die CDU eingeknickt ist. Das ist Ihre Kunstfreiheit.

(Zurufe - Unruhe)

Sie sind die wahren Feinde der Kunstfreiheit,

(Zurufe - Unruhe)

denn Kunstfreiheit ist kein Anspruch, jeden Dreck gefördert zu bekommen.

(Beifall)

Kunstfreiheit ist ein Abwehrrecht gegen den Staat. Kunstfreiheit ist ein Recht, nicht Geld zu bekommen, sondern zu Recht in Ruhe gelassen zu werden.

(Unruhe)

Dieses Recht verletzen Sie und treten Sie mit Füßen bei Künstlern, die Ihnen nicht passen und die auch noch nie einen Cent Staatsgeld bekommen haben. Es bleibt dabei: Sie sind die wahren Feinde der Kunstfreiheit.

(Beifall - Unruhe)

Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen, Sie haben jetzt die Möglichkeit, darauf zu erwidern. Sie haben das Wort.

Nur eine ganz kurze Bemerkung, Herr Dr. Tillschneider. Bei Ihnen ist das ganz durchsichtig, weil das, was Sie uns vorwerfen, genau das ist, was Sie wollen. Sie wollen bestimmen,

(Zurufe)

wie Programme laufen und aussehen sollen,

(Zuruf: Was? - Weitere Zurufe - Unruhe)