Er tötete in der Nähe zwei Menschen, Jana L. auf der Straße vor der Synagoge und Kevin S. durch gezielte Schüsse im „Kiez-Döner“ in der LudwigWucherer-Straße. Auf seiner Flucht verletzte und traumatisierte der Attentäter von Halle weitere Menschen, unter anderem in Wiedersdorf.
Seine Taten streamte er live ins Internet. Zuvor hatte er eine Waffenliste sowie ein kurzes antisemitisches, rassistisches und frauenfeindliches Pamphlet unter dem Titel „Kill all Jews“ veröffentlicht.
Auch nach einem Jahr ist nichts vorbei und nichts abgeschlossen. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle geschah eben nicht völlig überraschend oder unvermittelt, wie das von vielen Politikerinnen und Politikern gern behauptet wird. Ministerpräsident Haseloff erklärte am ersten Gedenktag im MDR, dieser Tag habe alles verändert, und er sagte das auch heute in seiner Rede noch einmal. Ich widerspreche ihm ausdrücklich.
Der Anschlag auf die Synagoge in Halle ist das Resultat einer immer weiter nach rechts rückenden Gesellschaft, in der viel zu oft nicht eingeschritten wird, weggeschaut wird, wenn sich Antisemitismus, wenn sich Rassismus im alltäglichen Sprachgebrauch, im alltäglichen Leben ausbreiten.
Ja, wir verzeichnen ein Erstarken der antisemitischen Gewalt, eine Gewalt, die nicht nur von den Rändern, sondern aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Der am Montag öffentlich gewordene Umgang wahrscheinlich mehrerer Generationen von Polizeibeamtinnen und -beamten in der Bereitschaftspolizei ist ein beredtes Beispiel dafür. Ein weit über die extreme Rechte hinaus verbreiteter und akzeptierter Antisemitismus sowie Rassismus waren und sind der Nährboden für solche Taten.
Der Attentäter hat sich nicht allein in seinem Zimmerchen zu Hause radikalisiert. Er bezog sich auf andere Rechtsterroristen, ist Teil eines weltweiten rechten antisemitischen und antimuslimischen Terrors. Er war eben kein Einzeltäter, und es ist kein Einzelfall.
Ein Jahr nach dem Attentat ist es für uns ein tiefes Bedürfnis, heute hier im Hohen Haus an diese Ereignisse zu erinnern sowie ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und Radikalismus zu setzen. Der 9. Oktober ist ein Tag der Mahnung und Erinnerung und ein Tag der Solidarität mit den Betroffenen des Attentats.
Wir wollen ganz bewusst am ersten Jahrestag des Anschlages an Jana L. und Kevin S. erinnern und zur Solidarität mit den Betroffenen des Anschlags aufrufen. Wir wünschen ihnen viel Kraft, um das Unfassbare eines Tages zu verarbeiten.
Ja, uns ist es wichtig und wir wollen erreichen, dass im Mittelpunkt die Betroffenen stehen, allein die Betroffenen und ihre Namen und nicht der Name des Täters. Denn wie so oft erleben wir nach Terroranschlägen, dass nur die Namen und die Taten der Täter in Erinnerung bleiben und in der öffentlichen Wahrnehmung stehen.
Wir wollen ganz bewusst, dass die Betroffenen zu Wort kommen. Ich empfehle Ihnen die Ausstellung auf dem Marktplatz in Halle „Unantastbar: Unsere Grundrechte“. Erlauben Sie mir, auf ein Zitat aus dieser Ausstellung von Annemarie G. hinzuweisen:
„Am Tag des Anschlags habe ich mich allein in einer Wohnung nahe der Synagoge aufgehalten. Die Ungewissheit über das Geschehen und die kollektive Angst und Ohnmacht mitzuerleben, war für mich traumatisierend.
Wie müssen sich erst die Menschen fühlen, die sich in der Synagoge aufhielten oder die dem Täter auf der Straße begegnet sind? Wie können Menschen, die ein solches Ereignis miterlebt haben, weiterhin Menschen verurteilen, die aufgrund von Verfolgung, Diskriminierung und Krieg fliehen, die alltägliche Gewalt erleben?“
Wir wollen mit der Debatte heute Anteilnahme und Solidarität ausdrücken, aber wir wollen das Gedenken an die vielen Opfer nicht ritualisieren und nur auf die jeweiligen Jahrestage beschränken. Nein, wir wollen konsequent gegen den alltäglichen Rassismus, den alltäglichen Antisemitismus vorgehen.
Ein Jahr nach dem Anschlag steht die gesellschaftliche und politische Aufarbeitung tatsächlich noch am Anfang. Einer gegen den Antisemitismus
laut werdenden Zivilgesellschaft steht eine Landesregierung gegenüber, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wird. Schon kurz nach dem Anschlag von Halle hatten Ministerpräsident Haseloff sowie der Innenminister nichts Besseres zu tun als zu betonen, dass natürlich kein Fehler der Behörden gemacht wurde.
Die unüberlegten und völlig unpassenden Äußerungen des Ministerpräsidenten in der Jüdischen Gemeinde Halle zum Jom Kippur ein Jahr nach diesem schrecklichen Attentat offenbaren ebenfalls ein grundsätzliches Problem im Umgang mit den jüdischen Gemeinden hier in Sachsen-Anhalt seitens der Landesregierung.
Der Anschlag von Halle hätte nicht durch die Versöhnung der Juden verhindert werden können, wie sich Äußerungen des Ministerpräsidenten zumindest interpretieren ließen, sondern dadurch, dass die Polizei an diesem höchsten jüdischen Feiertag die jüdische Gemeinde beschützt hätte. Und ja: Natürlich sind die letzten Äußerungen des Innenministers zu entstehenden personellen Engpässen bei der Polizei in Sachsen-Anhalt allein durch die Bewachung oder fokussiert durch die Bewachung jüdischer Einrichtungen eben symptomatisch für den Umgang der Landesregierung mit den jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt. Den öffentlichen Schutz der jüdischen Gemeinden gegen die Interessen der Mehrheitsbevölkerung aufzurechnen, ist völlig inakzeptabel.
Ich wiederhole: Wer - ob gewollt oder nicht - antisemitische Ressentiments befeuert, der ist als Innenminister nicht tragbar.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es bedarf einer grundlegen Veränderung der Arbeit der Sicherheitsbehörden in Bezug auf rechten Terror und rechte Gewalt. Die kürzlich vorgestellte RIASStudie bemängelt ein nur instrumentelles Verhältnis seitens der Politik zu den jüdischen Gemeinden. Deswegen fordern wir eine ehrliche Fehleranalyse und endlich auch einen Umgang mit den Betroffenen auf Augenhöhe. Wer Gedenken ernst meint, muss den Worten auch Taten folgen lassen.
Deswegen wollen wir heute noch einmal ganz deutlich darauf hinweisen, dass wir das zivilgesellschaftliche Gedenken in Halle würdigen, das vor allem die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Beispielhaft genannt sei der Raum der Erinnerung und Solidarität, der eine Anlaufstelle für die Betroffenen war und der ein sehr kluges Signal, ein sehr gutes Zeichen auch in die Bevölkerung hinein war. In diesem Zusammenhang richte ich einen herzlichen Dank
an die ehrenamtlichen Aktivistinnen und Aktivisten von „Halle gegen rechts - Bündnis für Zivilcourage“ und die Mobile Opferberatung des Vereins Miteinander.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es liegt an uns allen, an uns, den demokratischen Kräften hier im Land, dem wachsenden rechten Terror, dem Antisemitismus, dem Rassismus und auch der rechten Hetze tagtäglich entschieden entgegenzutreten. Ich kann Ihnen deutlich sagen, dass wir niemals zusehen und schweigen werden, wenn wir rechten Terrorismus, Antisemitismus, Rassismus und auch Frauenfeindlichkeit begegnen, immer und überall.
Lassen Sie uns diese Debatte heute als Ermutigung so nehmen, wie sie ist: ein solidarisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt auch in Zukunft zu sein. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau von Angern. Mir liegen eine Wortmeldung und eine Kurzintervention vor. - Wenn Ihre Fraktion etwas leiser wird, dann kann ich Ihnen das noch einmal mitteilen. - Es gibt eine Wortmeldung und eine Kurzintervention, einmal von Herrn Dr. Tillschneider. - Dann keine Frage. Aber es gibt noch eine Kurzintervention. Herr Farle, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist wirklich beachtlich, mit welcher Hartnäckigkeit die Fraktion DIE LINKE in diesem Parlament ständig eine Realitätsverweigerung betreibt. Der Attentäter hat sich alleine in seinem Hinterzimmer radikalisiert, und zwar auf US-amerikanischen Plattformen, und hatte mit der rechten Szene in Deutschland gar nichts zu tun, weder mit Extremisten noch mit anderen. Wer an dem Prozess teilgenommen hat - das habe ich zwei Tage lang -, der weiß das auch. Sie verbreiten hier also völlig falsche Meldungen.
Meine Solidarität gehört den beiden Menschen, die dieser Mann, weil er nicht in die Synagoge hineinkam, als deutsche Menschen erschossen hat.
Diesbezüglich bezeuge auch ich meine Solidarität; denn dieser Täter hatte nur ein Ziel: Er wollte mit dieser Wahnsinnstat weltweit in seiner Szene berühmt und werden. Dafür hat er alles organisiert. Was Sie sich in diesem Zusammenhang zusammenschwurbeln, hat mit der Realität gar nichts zu tun.
Eines muss man allerdings auch sagen: Aufgrund der Arbeit des 19. Untersuchungsausschusses wissen wir ganz genau, dass die Polizeibeamten wussten, was Jom Kippur ist. Sie wussten aber nicht, wann Jom Kippur ist, und diesbezüglich hat der Innenminister tatsächlich versagt; denn er hat die Gefahrenlage nicht richtig eingeschätzt. Wenn dort ein Polizeifahrzeug gestanden hätte, wäre das ganze Attentat gar nicht zustande gekommen. Darin besteht die Mitschuld, die in diesem Fall zu tragen ist.
Zusätzlich sage ich aber auch: Daraus einen Antisemitismus des Innenministers zu konstruieren, ist genauso schäbig wie Ihre Lügen bezüglich der AfD.
Wir kommen zur nächsten Debattenrednerin. Für die SPD-Fraktion spricht die Abg. Frau Dr. Pähle. Sie haben jetzt das Wort. Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Hohes Haus! Ich gebe zu: Es fällt mir schwer, an dieser Stelle nach diesen Wortmeldungen in meine Rede einzusteigen. Das, was Sie gerade gemacht haben, Herr Farle, zeigt Ihren Nationalismus. Mir ist es völlig egal, welche Nationalität die Menschen hatten, die in Halle erschossen wurden.
Es ist mir völlig egal, welche Nationalität die Menschen hatten, die in der Synagoge versammelt waren. Dort war ein Täter unterwegs, der, von einem antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen und frauenfeindlichen Weltbild angetrieben, gehandelt hat. Dass Sie das heute immer noch leugnen,
dass Sie es verneinen, dass Sie dem widersprechen, dass es eine antisemitische Tat war, lässt tief blicken und macht mich sehr betroffen. Schämen Sie sich! Schämen Sie sich wirklich!
Meine Damen und Herren! Der Anschlag vom 9. Oktober 2019 hat unser Land und hat insbesondere die Stadtgesellschaft von Halle in vielfältiger Weise getroffen. Die Gedanken vieler sind immer noch bei den Opfern, bei den Getöteten, Ermordeten, bei den Verletzten.
Ich bin froh, dass am vergangenen Freitag diese Vielfalt durch die unterschiedlichsten Formen des Gedenkens sichtbar geworden ist. An diesem Tag