Protocol of the Session on May 8, 2020

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne hiermit die 101. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode und begrüße Sie auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich, wie bereits angekündigt, das Wort ergreifen, um aus Anlass der 75. Wiederkehr des Tages der Befreiung, des 8. Mai 1945, zu gedenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erinnern heute daran, dass am 8. Mai 1945, also heute vor 75 Jahren, der von uns Deutschen angezettelte Zweite Weltkrieg zumindest in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches beendet wurde.

Es wird aktuell wieder darüber diskutiert, was der 8. Mai 1945 für uns war und ist. Bezeichnet er eine Niederlage, einen Untergang? Oder ist er ein oder der Tag der Befreiung? Wir sind eine pluralistische Gesellschaft. Deshalb werbe ich darum, zu respektieren, dass die individuelle Sicht auf dieses Datum auch eine Frage der individuellen Perspektive war und ist.

Aus der Perspektive der Historiker war der 8. Mai 1945 für viele, für sehr viele Menschen, ohne Zweifel ein Tag der Befreiung. Ich denke dabei an die Millionen Menschen in den bis zum Schluss besetzten Gebieten. Ich denke dabei an die vielen Tausenden in den Konzentrationslagern, in denen bis zum Schluss gemordet wurde. Ich denke dabei an die Millionen Kriegsgefangenen, die unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern zusammengepfercht wurden. Ich denke an die unzähligen Menschen, die zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt und dort brutal ausgebeutet wurden.

Ich denke aber auch an die Deutschen. Nur der Sieg der Alliierten und die bedingungslose Kapitulation, nur die Niederlage, haben uns Deutsche von der nationalsozialistischen Diktatur befreit. Wir Deutschen hatten und haben einen brutalen Raub- und Eroberungskrieg, einen weltanschaulichen Vernichtungskrieg, das millionenfache Morden, den Versuch der vollständigen Vernichtung der europäischen Juden sowie die materielle und seelische Verwüstung Europas zu verantworten.

Viele, sehr viele Deutsche, waren an der Einrichtung der Diktatur und am Vorbereiten und Führen des Krieges beteiligt. Nur sehr wenige hatten den

Mut zum Widerstand. Wir selbst haben uns weder der Anfänge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wirksam erwehrt, noch haben wir die Kraft, die Courage oder den Willen aufgebracht, die offen menschenverachtende und Menschen vernichtende Diktatur abzuschütteln. Deshalb mussten wir Deutschen befreit werden - um eine Chance auf einen Neuanfang, auf ein Leben in Frieden und Freiheit zu gewinnen. Dass diese Chancen auf ein Leben in Freiheit in Deutschland ungleich verteilt waren, ist jedem von uns bewusst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dafür, dass die Perspektive sehr vieler Zeitzeugen bis heute durch ihr ganz individuelles Erleben des Kriegsendes geprägt ist und dass dies auch familiär weitergegeben wird, dafür, dass es dabei nicht selten ein Sowohl-als-Auch gibt, habe ich sehr viel Verständnis. Ich denke dabei stellvertretend etwa an die Heimatvertriebenen oder an die ausgebombten Menschen und nicht zuletzt an die vielen misshandelten Frauen.

Aber dies darf kein Grund und keine Rechtfertigung dafür sein, die Bezeichnung des 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung im Sinne der Befreiung eines unschuldigen Volkes misszuverstehen. Es lässt Sie sicherlich ebenso wie mich zusammenzucken, wenn nach einer aktuellen Umfrage der Wochenzeitung „Die Zeit“ 53 % der Befragten der folgenden These zustimmen - ich zitiere -:

„Die Masse der Deutschen hatte keine Schuld, es waren nur einige Verbrecher, die den Krieg angezettelt und die Juden umgebracht haben.“

Deshalb stand und steht über allem der zentrale mahnende Satz aus der historischen Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985: Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Ostdeutschen tragen für den Umgang mit dem 8. Mai 1945 eine besondere Verantwortung; denn wir Deutschen in der DDR haben unsere Mitverantwortung für die nationalsozialistische Diktatur und den Zweiten Weltkrieg aus ideologischen Gründen nie ganzheitlich angenommen. Das gilt in ganz besonderer Weise für den versuchten Völkermord an den europäischen Juden.

Von Kindesbeinen an ist uns die Erzählung vermittelt worden, wir stünden auf der Seite der Sieger, auch weil in der DDR im Unterschied zur Bundesrepublik aus der nationalsozialistischen Diktatur die historisch richtigen Lehren gezogen worden seien. Das war ein Gründungsmythos der DDR. Er hatte Folgen für den in der DDR gelebten Antifaschismus.

Alternative Deutungen des 8. Mai 1945 konnten dabei oft nur in kirchlichen, intellektuellen, künstlerischen oder - zum Ende der DDR hin - in politischen Oppositionskreisen stattfinden. Für eine offene gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Täterschaft und Mittäterschaft auch der Deutschen in der DDR und ihren vielfältigen Ursachen und mit der Schuld dieses Teils des deutschen Volkes war kaum Raum.

Bedeutete die Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 für die Westdeutschen die Übernahme der ganzen, ungeteilten Last der Geschichte, so bewirkte dies für uns Ostdeutsche ein Beschluss der am 18. März 1990 frei gewählten Volkskammer. Auf Antrag aller Fraktionen hieß es dort - ich zitiere -:

„Durch Deutsche ist während der Zeit des Nationalsozialismus den Völkern der Welt unermessliches Leid zugefügt worden. Nationalismus und Rassenwahn führten zum Völkermord, insbesondere an den Juden aus allen europäischen Ländern, an den Völkern der Sowjetunion, am polnischen Volk und am Volk der Sinti und Roma.“

Und weiter heißt es:

„Das erste frei gewählte Parlament der DDR bekennt sich im Namen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zur Mitverantwortung für Demütigung, Vertreibung, Ermordung jüdischer Frauen, Männer und Kinder. Wir empfinden Trauer und Scham und bekennen uns zu dieser Last der deutschen Geschichte.

Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“

Und schließlich heißt es:

„Diese Schuld darf niemals vergessen werden. Aus ihr wollen wir unsere Verantwortung für die Zukunft ableiten.“

Diesem 30 Jahre alten Beschluss der Volkskammer ist nichts hinzuzufügen. Diese Botschaft ist elementarer Bestandteil unserer Staatsräson. Das muss sie bleiben, unbedingt.

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich im Gedenken an die Toten des durch uns Deutsche angezettelten Zweiten Weltkrieges und der durch uns über ganz Europa und andere Teile der Welt ausgebreiteten Gewaltherrschaft von Ihren Plätzen zu erheben. - Vielen Dank.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur heutigen Sitzung des Landta

ges. Als Erstes habe ich die ehrenvolle Aufgabe, einer Abgeordneten zum Geburtstag zu gratulieren. Frau Abg. Henriette Quade hat heute Geburtstag. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich Ihnen recht herzlich und wünsche Ihnen alles Gute. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 48. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit einer Aktuellen Debatte. Ich erinnere daran, dass sich Frau Ministerin Prof. Dalbert für die heutige Sitzung bis 12 Uhr entschuldigen lässt.

Wir kommen zu dem

Tagesordnungspunkt 2

Aktuelle Debatte

Aus der Coronakrise lernen: Das Virus bekämpfen. Chancen ergreifen. Regional denken und ökologisch umsteuern

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/6031

Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Fraktion der AfD, Fraktion der CDU, Fraktion DIE LINKE und Fraktion der SPD. Zunächst hat die Antragstellerin das Wort. Frau Abg. Lüddemann, Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Coronapandemie ist die größte Herausforderung, vor der Sachsen-Anhalt in seiner knapp 30-jährigen Geschichte steht. Sie betrifft alle Lebensbereiche und wird über viele Jahre weitreichende Folgen zeigen.

Die Pandemie hat eine Krise ausgelöst, die eine Zäsur darstellt. Vieles ist schwierig, kompliziert und unbekannt. Wir können stolz darauf sein, dass wir in Deutschland hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, die faktenbasierte Entscheidungen ermöglichen.

Es ist aber auch viel Großartiges in diesen Tagen passiert - dazu später.

Wir mussten und müssen kurzfristig reagieren, von Woche zu Woche lernen, um den bestmöglichen Gesundheitsschutz zu gewährleisten, auch immer wieder in Abwägung mit den sogenannten nicht intendierten Coronafolgen, also den unbeabsichtigten Nebenwirkungen.

Sie können mir glauben: Wir als Bürgerrechtspartei haben hart gerungen, auch mit der Sozialministerin, auch mit dem Ministerpräsidenten, um die Grundrechte auch in dieser Krise wirksam werden zu lassen; immer in Risikoabwägung. Wenn man sich umschaut, scheint das ganz gut gelungen zu sein, wenn es sogar Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und anderen Weltvergessenen möglich ist, ihre kruden Theorien auf unseren Markplätzen zur Schau zu stellen.

Aber man sieht ganz deutlich: Hass macht auch in Zeiten von Corona keine Pause. Dem treten wir aber auch in Zeiten von Corona hart entgegen.

(Beifall)

Angriffe auf vermeintlich andere, auf vermeintliche Verursacher des Übels werden wir nicht dulden. Hier muss der Rechtsstaat einschreiten.

Nun hat sich Gott sei Dank gezeigt, dass unsere Maßnahmen erfolgreich waren. Die Fallzahlen im Land waren gering und werden immer geringer. Wir sind nun in eine neue Phase eingetreten. In dieser Phase geht es nicht nur um Lockerungen; es geht vor allem darum, Schlussfolgerungen aus der Krise zu ziehen und diese konzeptionell und strukturell aufzunehmen und in konkretes politisches Handeln zu überführen. Nach dieser dramatischen weltweiten Zäsur kann und darf es kein „Weiter so!“ geben. Wir dürfen nicht zu dem Zustand vom Jahresbeginn zurückzukehren.

Der Menschheit ist der Spiegel vorgehalten worden. Wir haben diese Krise selbst verursacht durch unseren Raubbau an der Natur.

(Unruhe)

Wir Menschen zerstören Ökosysteme, versiegeln Böden und treiben ganze Tiergattungen in die Enge.

(Zurufe)

Wenn wir so weitermachten, würden immer mehr Viren ihr normales Umfeld verlassen und sich auf den Menschen übertragen.

(Lachen - Zuruf: Was? - Weitere Zurufe)

Es ist klar: Die beiden großen Krisen der Menschen - die Coronakrise und die Klimakrise - haben den gleichen Ursprung.