Wäre es nicht auch denkbar, Nachhilfe zu gewähren, damit Schülerinnen und Schüler einen höheren Abschluss erwerben können?
Was wären Überlegungen auf der Landesebene? - Auf der Landesebene ist eine schrittweise Schaffung von Beitragsfreiheit in der Kinderbetreuung anzustreben. Bildung muss von Anfang an unentgeltlich sein. Weiterhin müsste die Schülerbeförderung auch in der Sekundarstufe II gratis angeboten werden.
Die Mittel der Kinder- und Jugendförderung sind zu erweitern und sollten den Besonderheiten des ländlichen Raumes Rechnung tragen. Die Schulsozialarbeit als ein fester Bestandteil der Arbeit in den Schulen ist zu erhalten und weiterzuentwickeln.
In den Kommunen sollte eine Infrastruktur an offenen Freizeittreffs vorgehalten werden, in denen kostenlose Angebote für Kinder und Jugendliche unterbreitet werden, die auch sozialräumlich abgestimmt sind. Familien- und Sozialpässe könnten von den Kommunen mehr als bisher eingeführt werden. Dies müsste das Land entsprechend unterstützen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt noch viel mehr Beispiele, was alles getan werden müsste, um unsere Kinder und deren Eltern vor Armut zu schützen. Nur muss es von allen gesellschaftlichen und politischen Kräften gewollt sein. Am Geld liegt es keineswegs. Es ist eine Verteilungsfrage.
Meine Fraktion wird auch in dieser Legislaturperiode nicht müde werden, weitere Anträge, Anfragen, Bundesratsinitiativen und Gesetzentwürfe in den Landtag einzubringen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die Landesregierung spricht die Ministerin Frau Grimm-Benne.
Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Kinderarmut ist das Thema, das heute im Fokus steht, ein Thema mit vielen und oftmals bitteren Facetten. Es ist ein Thema, das die Frage nach der sozialen Lage im Land und nach den Handlungsanforderungen an die Politik stellt. Wie sieht es aus und was können und was müssen wir tun?
Die jüngste Veröffentlichung der Bertelsmann-Stiftung hat erneut die Aufmerksamkeit für ein Thema erzeugt, welches gerade für das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration von zentraler Bedeutung ist, sowohl hinsichtlich der Frage, wie Kinderarmut und die Armut von Familien verhindert werden kann, als auch dahin gehend, was getan werden muss, um die Folgen von Armut zu mildern und ihre ausgrenzende Wirkung zu beseitigen.
Aber Armut ist nicht nur eine Herausforderung für die Arbeit des Sozialministeriums. Sie ist vielmehr eine Herausforderung für die gesamte Landesregierung und vor allem für die Gesellschaft an sich. Wie viel Armut wir uns meinen leisten zu können, wird über den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheiden.
Untersuchungen wie die der Bertelsmann-Stiftung richten unsere Aufmerksamkeit daher zu Recht auf das Ausmaß und die Folgen des Armutsphänomens in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt. Sie gibt zudem auch Auskunft über die Situation in unserem eigenen Bundesland.
72 333 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren lebten im Jahr 2015 in Familien, die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II erhielten. Was Armut für junge Menschen bedeutet, macht bereits das Vorwort der Studie deutlich.
Arme Kinder und Jugendliche erleben häufig einen Mangel in der Versorgung mit existenziellen Gütern. Ungesunder und unzureichender Wohnraum, kein eigenes Zimmer zu haben, keinen Rückzugsort für Schularbeiten, nicht regelmäßig eine warme Mahlzeit zu erhalten und wenig oder kein Obst und Gemüse auf dem Speiseplan, das alles gehört für viele zum Alltag.
Dabei bringt dieser Mangel auch eine soziale Komponente mit sich, wenn zum Beispiel das Einladen von Freunden nach Hause wegen des knappen Wohnraumes oder des Geldmangels
unmöglich wird. Ein Teil der armen Kinder und Jugendlichen wächst daher in sozialer Isolation auf und ist von emotionalen und sozialen Problemen betroffen, die sich auch negativ auf ihre Schulleistungen auswirken können. Insbesondere dauernde Armutserfahrungen in der Kindheit und der Jugend wirken sich negativ auf ihre Versorgungslage sowie auf ihre Bildungs- und Teilhabechancen aus.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte das Thema dankenswerterweise bei der Sendung „Fakt ist“ im September dieses Jahres aufgegriffen. Im Vorfeld der Dreharbeiten bin ich bei Mario Thiesis in Stendal gewesen, den der MDR auch eingeladen hatte.
Mario Thiesis ist - das wissen sicherlich viele von Ihnen - der Vater der Arche in Stendal. Die Arche kümmert sich täglich um etwa 30 Kinder, die zum Großteil zu Hause keine warme Mahlzeit mehr bekommen. Sie kümmert sich um Kinder, die ihre Hausaufgaben machen müssen, ohne dass ihre Eltern sie dabei unterstützen, und sie kümmert sich um Kinder, die vermutlich nicht die besten Chancen haben, den sozialen Aufstieg durch Bildung zu schaffen.
Mario Thiesis macht all das mit seinem Team ehrenamtlich. Er bezieht selbst Leistungen nach dem SGB II. Ich bin nachhaltig beeindruckt gewesen von so viel Engagement und von so viel Leidenschaft, die das Team der Arche Tag für Tag aufbringt. Solche Menschen verdienen unseren hohen Respekt und unsere Anerkennung. Ich will versuchen, die Arche in Stendal mit den Möglichkeiten, die die Kinder- und Jugendhilfe bietet, stärker zu unterstützen.
Aber - auch das möchte ich hier betonen -, wir müssen unser Sozialsystem so ausrichten, dass Institutionen wie die Arche uns unterstützen, dass sie aber nicht flicken müssen, weil die Decke des Sozialstaates zu kurz ist. Die Kinder sollen die Tage in der Arche genießen können, sie sollen sie aber nicht existenziell brauchen müssen.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! 72 333 Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt werden es grundsätzlich schwerer haben, an ihre eigenen Zukunftschancen und an den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu glauben, weil ihre frühen Erfahrungen von diesen Mängellagen geprägt werden.
Das müssen wir uns sehr genau vor Augen halten, wenn wir uns mit den nüchternen Daten und Fakten sowie den politischen und wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten beschäftigen. Das gilt heute hier im Rahmen der Debatte und das
Die Zahl der jungen Menschen, die im SGB-IIBezug aufwachsen, ist in den letzten Jahren hier bei uns leicht rückläufig. Im Jahr 2011 waren es noch 4 100 Kinder und Jugendliche mehr. Das ist gut, aber die Situation entspannt sich nach unserer Auffassung nur sehr wenig. Im Vergleich mit den bundesdeutschen Werten sind es im Jahr 2015 noch immer erschreckend viele junge Menschen gewesen.
72 333 Kinder und Jugendliche in Bedarfsgemeinschaften entsprechen einer SGB-II-Quote von 23,8 %, während diese im Bundesdurchschnitt bei lediglich 14,7 % liegt.
Erschreckend ist auch, dass fast 60 % der sieben- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen mehr als drei Jahre lang auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind. Es sind gerade die jungen Kinder, die Armutserfahrungen machen. Mit zunehmendem Alter sinkt der Anteil der jungen Menschen, die in Familien mit SGB-II-Bezug aufwachsen. Diese Tendenz nehme ich als einen deutlichen Hinweis auf die Bedeutung von Unterstützungsleistungen wahr, die Familien helfen, eine die Existenz sichernde Erwerbstätigkeit mit der Betreuung von Kindern zu verbinden.
Die enormen Anstrengungen auf allen Ebenen, die Tagesbetreuung von Kindern zu sichern und qualitativ auszubauen, ist aus meiner Sicht das zentrale Instrument der Armutsvermeidung. Die Tagesbetreuung ist zudem unverzichtbar bei dem Bestreben, die Folgen von Armut zu lindern; denn sie fördert frühe Bildung und soziale Kompetenz und ermöglicht einen emotionalen Ausgleich zu belasteten Familienverhältnissen.
Ich verweise auf die aktuelle und die geplante Novellierung des Kinderförderungsgesetzes. Dabei werden wir bestimmt solche Punkte ansprechen. Dazu gehört für mich aber mehr als nur der Ganztagsanspruch. Es geht vielmehr hauptsächlich darum, auch mit den Familien und den Eltern zu arbeiten.
Wir werden laut unserer Koalitionsvereinbarung zusätzlich die Kindertageseinrichtungen fördern, die in Vierteln mit besonderem Entwicklungsbedarf liegen. Für Einrichtungen, die mit besonderen sozialen Herausforderungen konfrontiert sind, wird es dann die Möglichkeit geben, bedarfsgerechte Programme aufzulegen, beispielsweise zur Sprachförderung, zur Gesundheitsprävention und zur Stärkung der Kinderbeteiligung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Armut ist weiblich und betrifft zumeist Alleinerziehende. 56,8 % der Kinder im SGB-IIBezug in Sachsen-Anhalt sind Kinder Alleinerziehender. Auf die Frage, wie diesen Familien ge
Eine für Oktober 2016 vorgesehene Fachtagung des Sozialministeriums soll sich speziell mit diesem Thema beschäftigen. Hierbei wird zu erörtern sein, welche Maßnahmen insbesondere Alleinerziehenden helfen können, die anspruchsvolle Familienarbeit mit der notwendigen Erwerbsarbeit zu verbinden.
Dabei wird nicht nur an die Maßnahmen zu denken sein, die der Gestaltung durch die öffentliche Hand auf der Landes- und der Kommunalebene zugänglich sind, sondern insbesondere auch an die Forderungen, die an die Wirtschaft und an die Arbeitgeber zu richten sind.
- Ich merke schon etwas Unruhe. - Wenn Sie heute den Beitrag auf Seite 3 der „Volksstimme“ gelesen haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass das Programm „Familien stärken“, das wir aufgelegt haben, mittlerweile so erfolgreich ist, dass wir der Hälfte aller Teilnehmer einen festen Arbeitsplatz vermitteln konnten. Das ist ein enormer Beitrag dazu gewesen, Kinder von Alleinerziehenden zu unterstützen.
Für Kinder von Alleinerziehenden ist es angesichts des hohen Armutsrisikos besonders wichtig, dass der getrennt lebende Elternteil verlässlich zum Lebensunterhalt beiträgt. Soweit dies nicht möglich ist oder nicht erfolgt, stellen die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz eine notwendige Hilfe und Unterstützung dar, für welche der Bund, das Land und die Kommunen jährlich Mittel in Höhe von insgesamt 40 Millionen € bereitstellen.
Aber wir müssen auch darauf achten - dazu läuft auf der Bundesebene gerade eine Diskussion -, dass nicht nur wir für den Unterhalt dieser Kinder Sorge tragen, sondern auch die Väter und Mütter, die Verantwortung für diese Kinder haben. Deswegen muss neben dem Mindestunterhalt und den Unterhaltsvorschussleistungen auch geprüft werden, wie wir insbesondere Väter dazu bekommen, den entsprechenden Unterhalt zu zahlen.
Zu hinterfragen ist auch, ob die kürzlich angepassten sogenannten familienspezifischen Leistungen, wie der steuerliche Grundfreibetrag, der Kinderfreibetrag, das Kindergeld, der Kinderzuschlag oder der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, insgesamt ausreichen, um das Armutsrisiko von Familien und insbesondere von Alleinerziehenden spürbar zu reduzieren.
Ich sage es noch einmal: Wir brauchen keine ständige Alimentierung, sondern wir müssen es schaffen, die Menschen wieder dahin zu bringen, dass sie Lust und den Willen haben, selber etwas aus sich zu machen, dass sie Lust darauf haben, ohne Hilfe und ohne Staat ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Wir werden alle Maßnahmen darauf ausrichten, Menschen zu aktivieren, wieder zu sagen: Ja, es lohnt sich; ich habe keine Lust mehr, mein Leben immer von der Stütze zu bestreiten, sondern ich mache das selber.
Wir haben im Land gute Rahmenbedingungen dafür. Die Seite 1 der „Volksstimme“ war heute voll davon. Die Arbeitslosenquote ist auf 8,8 % gesunken. Deshalb müssen wir die 40 000 Menschen, die schon länger als drei Jahre im SGB-IIBezug sind, aktivieren und aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausholen. Mit dem sozialen Arbeitsmarktprogramm werden wir genau in diese Bereiche hineingehen und zusehen, dass wir die Leute auf Dauer aus dem SGB-II-Bezug herausholen.
Danke, Frau Ministerin. - Ich sehe keine Wortmeldungen und keine Fragen; somit können wir in der Debatte fortfahren. Für die CDU-Fraktion hat Herr Krull das Wort.