Es bedarf eines Neustarts in der Handels-, Rohstoff- und Investitionspolitik der EU. Das Jahr 2015 ist nicht nur das von der EU ausgerufene „europäische Jahr für Entwicklung“; in diesem Jahr sollte auch die dritte Stufe der von der Uno im Jahr 1970 festgelegten ODA-Ziele, nämlich Entwicklungshilfeausgaben von 0,7 % des BIP der Industriestaaten, erreicht werden - leider Fehlanzeige. Es sind in der Bundesrepublik 0,35 %, also genau die Hälfte.
Zugleich sollen in diesem Jahr die Millenniumsziele, MDGs, durch Sustainable Development Goals, also Nachhaltigkeitsziele, ergänzt werden. All das wird konterkariert durch bilaterale Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Es bedarf Kooperation im Welthandel statt der Konkurrenz. Fehlende Nachhaltigkeit gefährdet die Existenz und den Wohlstand folgender Generationen. Ich weiß natürlich auch um den philosophischen Streit der Thesen „Wir haben uns diese Welt nur von den Nachfahren geborgt“ und „Wir machen uns die Welt untertan“.
Die Organisation „Foodwatch“ bezeichnet TTIP als „Armutsprogramm für die ärmsten Länder“. „Foodwatch“, die Kirchen und andere Verbände gehen davon aus, dass mit dem Freihandelsabkommen geistiges Eigentum stärker geschützt wird. Es könnten Mindestlaufzeiten für Patente festgelegt werden; damit würden Medikamente für Entwicklungsländer unbezahlbar. Privatisierungen werden befördert, weil Stromversorger und Krankenhäuser, wenn sie einmal privatisiert worden sind, nicht rekommunalisiert werden können.
Regionale Kreisläufe im Norden und im Süden, die die Produktion und den Konsum vor Ort nach sozialen und ökologischen Standards sichern, schonen die Umwelt und sind transparent für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Dafür sind Rekommunalisierungen, Mindestlohn und Vergabegesetze auszuweiten, statt sie durch private Schiedsgerichte zum Klagegegenstand zu machen. Es geht um kurze Transportwege, Direktvermarktung und den Schutz regionaler Produkte.
Kaum eine EU-Wirtschaftsinitiative hat in den vergangenen Jahren so viel Kritik hervorgerufen wie das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU. CETA liegt auf Eis. Natürlich will man den Prozess der Beratungen nicht gefährden. Ende Oktober 2015 beginnt in den USA die elfte Verhandlungsrunde seit dem Beginn der Initiative im Jahr 2013. Je mehr Informationen aber aus den Geheimpapieren geleakt und neuerdings in Lese
räumen offenbar werden, desto größer wird der Widerstand. Ich habe mich außerordentlich gefreut, dass der Bundestagspräsident Herr Lammert jetzt auch den Zugang zu Informationen für die Mitglieder des Deutschen Bundestages einfordert - immerhin zwei Jahre danach.
Die amerikanischen Vorschläge werden gar nicht öffentlich, die EU hat ihre nur nach größtem Druck aus der Öffentlichkeit offenbart. Frankreich hatte Ende September bereits angekündigt, TTIP nicht zu ratifizieren, wenn die USA weiterhin intransparent bei Daseinsvorsorge und Agrarmarkt verhandeln. Trotz dieser Widerstände beteuern die TTIPBefürworterinnen und -befürworter, dass das Abkommen ein reines Win-Win-Projekt sei und dass Standards erhalten blieben. - Wer das glaubt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann und an den Klapperstorch.
Die CDU ist sich nicht zu schade zu fantasieren, dass in Deutschland durch TTIP 200 000 neue Jobs entstünden. Die deutschen Exporte in die USA würden um 94 % zunehmen. Das wäre fast eine Verdoppelung. Jeder vierköpfige Haushalt bekäme ein Zusatzeinkommen von 545 € jährlich. Paradiesische Zeiten brächen demnach für die Unternehmen und Bürgerinnen an.
Diese Euphorie teilen indes nicht alle. Laut „Frankfurter Rundschau“ vom 5. Oktober 2015 haben sich mehr als 1 200 kleine und mittlere Unternehmen zur Initiative „KMU gegen TTIP“ zusammengeschlossen, weil sie um ihr Überleben in der Konkurrenz mit Google, DHL, Amazon und Co. bangen. Im Artikel wird eine Initiatorin, eine Geschäftsführerin einer Berliner Agentur für umweltfreundliche Mobilität so zitiert:
„Die meisten KMU werden von TTIP nicht profitieren - im Gegenteil, gerade nachhaltige oder regionale Handwerksbetriebe werden die Verlierer sein.“
Auch die Zahl der TTIP-freien Kommunen steigt. Knapp 300 sind es inzwischen, mit dabei die Landeshauptstadt Magdeburg,
wohlgemerkt: auf Antrag der SPD im September 2015. Auch die Städte Dresden, Leipzig, Schwerin und Köln sind TTIP-frei. Die Stadträtinnen und Stadträte befürchten die schiedsgerichtliche Auslegung ihrer Beschaffungen und Vergaben als Handelshindernis - das ist verständlich -, so steht es jedenfalls bei CETA. Hierin sind auch die Klauseln der Unzurückholbarkeit von einmal liberalisierter Strom- und Gesundheitsversorgung enthalten. Regionale Steuerung ist damit obsolet. Die Träu
me der FDP gehen in Erfüllung: Vergabegesetz, Mindestlohn und nachhaltige Beschaffung gehören dann der Vergangenheit an.
Nichtsdestotrotz ist die Landesregierung von CETA und TTIP begeistert, auf welcher Grundlage, wissen wir jedoch nicht. In der Antwort der Landesregierung in der Drs. 6/2781 auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion zur Exportorientierung sachsen-anhaltischer Unternehmen, zu Direktinvestitionen und nach hiesigen Unternehmen mit Hauptsitz in den USA hieß es lapidar, dass es dazu keine Daten und Erhebungen gebe.
Die breite Ablehnung von TTIP ist hausgemacht. Warum verhandeln EU und USA geheim? Was soll verheimlicht werden? Wenn TTIP und CETA so ein Segen sind, warum drängen dann besonders Deutschland und Frankreich darauf, den audiovisuellen Bereich, also Rundfunk und Filmförderung, aus dem Abkommen herauszuhalten? - Hier werden wohl die zerstörerischen Folgen der nordamerikanischen Filmindustriekonkurrenz gesehen. Wenn schon die Franzosen keine Überlebenschance sehen, wie sollen dann Filmproduktionen aus dem Libanon oder aus Kenia mitspielen können?
Immerhin spricht US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bei TTIP von einer „WirtschaftsNato“. Das beschreibt die Übermacht- und Legitimationsproblematik des Abkommens aus meiner Sicht treffsicher.
Über die privaten Schiedsgerichte, wie sie unter anderem auch im zur Ratifizierung vorbereiteten CETA-Abkommen enthalten sind, wurde schon viel berichtet und diskutiert - zu Recht. Sie schaffen eine Paralleljustiz und können ökologische oder soziale Regelungen als Handelshemmnisse bestrafen. Die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall zum Atomausstieg ist eines der bekanntesten Beispiele. Ein anderes ist die laufende Klage des Tabakkonzern Philip Morris, der Uruguay verklagt, weil das Land auf den Zigarettenpackungen einen Warnhinweis zur Schädlichkeit des Rauchens vorsieht.
Die US-Kanzleien haben für ihre Millionengagen auch noch nie eine Klage verloren. TTIP ist der Sieg der Wirtschaftsinteressen über globale, regionale und lokale politische Regelungen. - Und wir diskutieren immer über mehr Europatauglichkeit der Landtage.
Grenzüberschreitenden Handel gab es schon lange vor Freihandelsabkommen. Bisher ist und war der Welthandel weder fair noch nachhaltig oder entwicklungsfördernd. Das muss ein Ziel von Han
delsabkommen werden, und zwar in transparenten multilateralen Verhandlungen. Und wenn die Automobilindustrie - das ist immer das klassische Beispiel - meint
- Frau Präsidentin, ich komme zum Ende meiner Rede -, US-amerikanische und europäische Fahrzeuge brauchten gleiche Blinkerfarben, dann kann ich dazu sagen: Schon in der US-amerikanischen Automobilindustrie gibt es keine solche Harmonisierung. Dann könnte über ein Deregulierungsabkommen über sämtliche Politiken hinweg entschieden werden. Bei der Gelegenheit sollte auch einmal über wahrheitsgetreue Abgaswerte gesprochen werden.
Wir fordern daher die Landesregierung auf, im Bundesrat die Ratifikation von CETA und TTIP abzulehnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sigmar Gabriel schlingert hin und her.
Es gibt einen Beschluss. Wenn es kein „No-Spy“Abkommen mit den USA gibt, dann gibt es auch kein TTIP. Das gebe ich Ihnen noch mit auf den Weg. - Vielen Dank.
Ich möchte nur eines richtigstellen, Herr Czeke. Sie haben behauptet, dass Magdeburg einen Beschluss zu TTIP gefasst hätte. Das ist nicht wahr. Es liegt ein Antrag vor, das ist ein Prüfantrag, der liegt derzeit in der Verwaltung zur Überprüfung und zur Diskussion in den Ausschüssen. Beschlossen wurde dazu in Magdeburg nichts.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir nehmen natürlich solche Demonstrationen sehr ernst. Wir müssen aber auch die Fakten sehen. Der Bundeswirtschaftsminister hat in den letzten Tagen noch einmal sehr deutlich gemacht: Es wird im Rahmen von TTIP keine Absenkung der in Deutschland und in Europa erreichten Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards geben. Darüber entscheiden auch in Zukunft ausschließlich die national gewählten Parlamente.
Wenn hier die große Angst vor den USA hervorgekramt wird, dann muss man sagen, dass das, was bei VW passiert ist, übrigens in den USA und nicht in Deutschland aufgedeckt wurde.
Das TTIP darf keinen direkten oder indirekten Zwang zur Privatisierung oder Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen beinhalten, zum Beispiel im Gesundheitswesen, bei der Wasserversorgung oder bei sozialen Dienstleistungen. Auch das hat der Bundeswirtschaftsminister klargemacht.
Es soll im TTIP keine privaten Schiedsgerichte mehr geben, wie gerade eben wieder vorgetragen wurde; vielmehr sollen über Investitionsstreitigkeiten ordentliche Handelsgerichtshöfe entscheiden, und zwar mit Berufsrichtern, in öffentlichen Verfahren und auch mit der Möglichkeit einer Berufungsinstanz - also nicht, dass die Wirtshaft hier selbst entscheidet. Hier hat der Druck aus Deutschland schon gewirkt; denn die EU geht genau mit diesem Ziel in die Verhandlungen.
Die in unserem Land und in Europa bestehende Kulturförderung wird ebenfalls nicht eingeschränkt - von der Buchpreisbindung bis zur Förderung von Theatern und Museen. All diese Punkte wurden bereits in zwei Landtagsbeschlüssen im vergangenen Jahr festgelegt. Auch das Vorgehen der Bundesregierung bestätigt dies.
Bei allen Diskussionen sollte man sich immer wieder vor Augen halten, was mit dem Abkommen erreicht werden soll. Grundziel der transatlantischen Freihandelsabkommen ist es, durch Schaffung einer Freihandelszone zwischen den USA und der Europäischen Union bzw. Kanada und der Europäischen Union Wirtschaftswachstum zu beflügeln und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern.
Dieses Ziel soll durch den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen sowie die Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung schutzwürdiger Standards verwirklicht werden.
Die Wirtschaftsministerkonferenz - dort sitzen alle 16 Wirtschaftsminister der Bundesländer und der Bundeswirtschaftsminister zusammen - hat sich
daher im Juni dieses Jahres einstimmig dazu bekannt - also quer über alle Parteien -, dass Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA wichtige Bausteine transatlantischer Partnerschaft sind und insbesondere TTIP als Basis für eine noch engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dienen vermag.
Nach der Auffassung aller Landeswirtschaftsminister wird TTIP die voraussichtlich größte Freihandelszone der Welt schaffen und den transatlantischen Handel mit Waren und Dienstleistungen intensivieren.
Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass der Abbau von Handelshemmnissen im Interesse der exportorientierten deutschen Wirtschaft ist, für die die USA bereits heute ein wichtiger Handelspartner sind.