Protocol of the Session on July 2, 2015

Ich stimme der Aussage von Dr. Ursula Bylinski vom Bundesinstitut für Berufsbildung zu: Wenn wir in der beruflichen Bildung Inklusion wirklich umsetzen wollen, müssen wir weg von einer Merkmalsfeststellung für die Teilhabe an Bildungs-, Unterstützungs- und Förderangeboten, hin zu Angeboten, die sich am individuellen Bedarf orientieren. Dies würde auch eine Aufhebung von Etikettierung und Stigmatisierung bedeuten.

Wie in den allgemeinbildenden Schulen wird es auch in diesem Bereich einige Zeit brauchen, bis man entsprechende Konzepte für den Berufsbildungsbereich erarbeitet, initiiert und umgesetzt haben wird.

Die Koalitionsfraktionen sehen in diesem Bereich dringenden Handlungsbedarf und wollen mit diesem Antrag die Landesregierung beauftragen, sich auf den Weg zu machen. Denn der gemeinsame Unterricht, der jetzt schon in den Sekundarschulen läuft, soll nicht nur dazu führen, dass wir mehr Schülerinnen und Schüler zu einem Schulabschluss führen, sondern wir wollen auch erreichen, dass diese Schüler danach auch einen Berufsabschluss bekommen. Wir wollen also auch diese Quote erhöhen.

Nun zu unserem Antrag im Einzelnen. Es wird immer wieder festgestellt, dass die Statistiken zur Inklusion im Bereich beruflicher Bildung nicht ausreichend sind. Wenn wir Rückschlüsse ziehen wollen, bei welchen Maßnahmen und Instrumenten wir nachjustieren müssen bzw. welche wir noch schaffen müssen, um Jugendlichen mit Behinderungen einen besseren Zugang zur beruflichen Bildung zu ermöglichen, brauchen wir eine bessere Datenlage.

Wie viele Schüler mit welcher Behinderung erreichen welchen Abschluss? Wie viele gehen direkt in eine duale Ausbildung? Wie viele landen im Übergangssystem? Werden die Werkstätten für Behinderte ihrer Aufgabe gerecht? Wie viele Jugendliche werden dort zu einer Ausbildung geführt? - All das sind Fragen, zu denen es keine fundierten Statistiken gibt.

Glücklicherweise ist in den in der letzten Woche veröffentlichten Berufsbildungsbericht des Landes zum ersten Mal unter Punkt 1.7 die Inklusion von Menschen mit Behinderungen explizit aufgenommen worden. Aber in dieser gut zusammengefass

ten einen Seite war über Zahlen nicht wirklich etwas zu erfahren. Darin stand lediglich, was die Aufgabe wäre bzw. was für Maßnahmen möglich wären. Hierfür brauchen wir wirklich mehr Informationen. Die Aussagen im Berufsbildungsbericht zu Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund waren viel genauer und expliziter.

Wie ich vorhin ausgeführt habe, gibt es schon jetzt eine Vielzahl von Möglichkeiten, um Menschen mit Behinderungen in eine Ausbildung zu führen. Doch wie so oft existieren zum Teil bei verschiedenen Trägern ähnliche Maßnahmen; der Einzelne kann leicht den Überblick verlieren. Umfragen zeigen, dass auch Firmen oft gar nicht wissen, welche Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten bestehen, wenn sie Azubis mit Behinderung einstellen würden. Daher scheuen sie oft diesen Schritt; das belegen Umfragen und auch Aussagen von Firmen, mit denen ich mich unterhalten habe.

Daher wird oft auf Tagungen, bei denen es um Inklusion im Bereich der Berufsbildung geht, der Wunsch laut, dass Schülerinnen und Schüler eine Art Zusammenstellung ihrer Kompetenzen und der Fördermöglichkeiten bekommen und diese dann quasi ihren Firmen zur Verfügung stellen, damit sie wissen, wo sie Unterstützung beantragen könnten. Im Zuge der Erarbeitung des Handlungskonzepts, das wir uns wünschen, müsste dann geklärt werden, wer hilft, diese Daten zusammenzustellen, damit der Schüler sie in der Hand hat.

Aber generell, meine sehr verehrten Damen und Herren, brauchen wir ein abgestimmtes Handlungskonzept für unser Land, um Inklusion in der beruflichen Bildung umzusetzen. Um dieses Ziel umsetzen zu können, sind nicht nur die Schulen gefragt, sondern auch die Sozial- und Wirtschaftspartner. Daher wollen wir auch, dass sich die Sozial- und Wirtschaftspartner, der Landesbehindertenrat und der Landesschulrat, in dem Lehrer-, Schüler- und Elternvertreter sind, - wenn das MK etwas erarbeitet, ist der automatisch mit dabei - unterhalten und eruieren, was getan werden muss.

Da wollen wir Folgendes: Erstens. Wie sehen wir die Berufsorientierung in Förderschulen? - Auch in den Schulen brauchen wir mehr. Ich bin immer wieder begeistert, dass sich jedes Jahr im Bereich Berufswahlsiegel Förderschulen bewerben und dieses Siegel erreichen oder rezertifizieren, zum Beispiel am letzten Dienstag die Förderschule aus Sangerhausen oder eine Förderschule aus Schönebeck. Davon brauchten wir mehr.

Zweitens. Wir brauchen außerdem kompetenzorientierte individuelle Beratung, die impliziert werden muss, um zu ermitteln, welchen Unterstützungsbedarf der Betreffende braucht, damit man sachgerecht entscheiden kann, welche Qualifizierungen für den Arbeitsmarkt angeboten werden können.

Drittens. Betriebe müssen ermutigt und unterstützt werden, damit sie auch Menschen mit Behinderungen einstellen. Ähnlich wie bei dem Projekt „!NKA“, das gerade im südlichen Teil unserer Bundesrepublik läuft, braucht man dafür Kompetenzstellen bzw. Netzwerkstellen, die bei der Umsetzung der jeweiligen Arbeitsplatzanforderungen helfen, also Adaptionen erkennen, Hilfsmittel installieren und Qualifizierungen konzipieren, aber auch Fortbildungen für die zukünftigen Ausbilder und Kollegen anbieten.

Oft sind im Bereich der Kollegen Ängste vorhanden, wie sie mit dem neuen Kollegen dann umgehen sollen. Diese kann man abbauen, indem man entsprechende Fortbildungen anbietet. Natürlich müssten auch die Ausbilder in den Betrieben geschult werden, um besser auf den Auszubildenden, der eine Behinderung bzw. eine Beeinträchtigung hat, eingehen zu können.

Natürlich bedarf es auch - die Frage müssen wir uns dann stellen - einer neuen Ausgestaltung im Bereich der Aus- und Fortbildung von Berufsschullehrern. Auch hier muss der Bereich Inklusion in Modulen eingebracht werden. Aber natürlich müsste man sich auch darüber unterhalten, wie man Berufsschulen für diesen Bereich baulich ausstattet und unterstützt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden all diese Veränderungen nicht von heute auf morgen schaffen, auch nicht gegen die beteiligten Akteure. Daher müssen wir, wie schon gesagt, die beteiligten Akteure in die Erarbeitung dieses Konzeptes einbinden und müssen vor allem Werbung dafür machen.

Frau Görke hat letztens bei einer Veranstaltung deutlich gemacht, dass auch die Eltern zum Teil überzeugt werden müssen, weil sie oft Angst haben, dass ihre Kinder auf dem Arbeitsmarkt scheitern könnten, weshalb sie sie lieber in einem geschützten Raum sehen, wodurch vielleicht einige Kinder, die es auf dem Arbeitsmarkt schaffen könnten, dann doch in den Werkstätten landen. Wir müssen also auch darauf hinwirken, dass das Potenzial der Kinder unterstützt wird, auch seitens des Elternhauses.

Zu den Änderungsanträgen wird nachher meine Kollegin Frau Dr. Späthe etwas ausführen. Ich möchte abschließend nur noch sagen: Beginnen wir heute, uns auf den Weg zu machen, die Voraussetzungen zu schaffen, um einen gleichberechtigten Zugang zur beruflichen Bildung in SachsenAnhalt zu ermöglichen. Daher bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. - Wir können Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule

in Halle auf der Besuchertribüne begrüßen. Willkommen in diesem Hohen Hause!

(Beifall im ganzen Hause)

Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag beleuchtet einen Gegenstand, der aktuell im Fokus unserer Teilhabepolitik steht, weshalb wir uns nicht erst noch auf den Weg machen müssen. Wir sind schon auf dem Weg, aber wir sind noch längst nicht am Ziel. Dafür müssen wir noch etliches tun.

Die berufliche Bildung für junge Menschen mit Behinderungen stellt nach wie vor die höchste Anforderung an alle teilhabepolitischen Akteure. Das gilt für die Bundesagentur für Arbeit, für die anderen Reha-Träger, natürlich auch für die Landesregierung sowie für die Strukturen der beruflichen Bildung vor Ort, das heißt die Berufsschulen, die Ausbildungsbetriebe und die Leistungserbringer in der beruflichen Rehabilitation.

Trotz erheblicher Anstrengungen, die in den vergangenen Jahren unternommen wurden, um den Übergang von der Schule in den Beruf im Sinne von Inklusion und Teilhabe an den allgemeinen Strukturen des Arbeitsmarktes zu ermöglichen und zu erleichtern, bleibt tatsächlich viel zu tun.

Die Beharrungstendenzen sind aus vielfältigen Gründen stark ausgeprägt und unterstützen eher den Übergang in das stark ausgebaute System der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Hierbei ist meines Erachtens in erster Linie der Bundesgesetzgeber gefragt. Wir hoffen, dass mit dem in Aussicht gestellten Bundesteilhabegesetz der Durchbruch gelingt, der den Zugang zum und den Verbleib im allgemeinen Arbeitsmarkt nachhaltig unterstützt.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Vorschläge der Länder liegen mir seit geraumer Zeit vor. Sie liegen auch auf dem Tisch des Bundes. Nach den Ankündigungen im Koalitionsvertrag muss jetzt einfach gehandelt werden.

Auch die Arbeitsverwaltung und die anderen RehaTräger werden ihr Handeln stärker auf die Teilhabe am allgemeinen Arbeits- und Ausbildungsmarkt ausrichten müssen, und zwar viel stärker als bislang geschehen. Ich führe seit etlichen Monaten und auch in den nächsten Wochen noch Gespräche mit der Spitze der Regionaldirektion SachsenAnhalt, um den fachlichen Austausch fortzusetzen.

Was tun wir bereits, um den Übergang von der Schule in den Beruf und von der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behin

derungen auch über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus zu fördern?

Gemeinsam mit der Regionaldirektion SachsenAnhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit, dem Integrationsamt und dem Kultusministerium hat das Ministerium für Arbeit und Soziales ein Projekt zur Unterstützung des Übergangs schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler in Arbeit und Beruf auf den Weg gebracht. Dieses Landesmodellprojekt wurde mit der Initiative „Inklusion“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verknüpft.

Seit dem Jahr 2012 wurden flächendeckend alle Förderschulen für Geistigbehinderte, für Körperbehinderte und für Sinnesbehinderte in das Projekt aufgenommen. So konnten die Integrationsfachdienste bis Ende des ersten Quartals 2015 387 interessierte und geeignete Schülerinnen und Schüler individuell betreuen und 478 Praktika durchführen.

Arbeitgeber, die bereit sind, behinderten jungen Menschen einen Ausbildungsplatz zu bieten, werden vom Bund über die Initiative „Inklusion“ zusätzlich mit 10 000 € je geschaffenen Ausbildungsplatz gefördert. In Sachsen-Anhalt stehen Mittel für insgesamt 33 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Bisher sind 22 neue Ausbildungsplätze entstanden.

Daran sehen Sie schon, dass es trotz aller Bemühungen nicht in ausreichendem Maße gelingt, den schematisch vorgezeichneten Weg junger Menschen, zum Beispiel mit einer geistigen Behinderung, aus der Förderschule in die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zu vermeiden. Unser Problem ist eigentlich, dass es fast zwangsläufig dazu kommt, dass jemand, der in die Förderschulen kommt, nach der Förderschule in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung landet.

Im Inklusionsausschuss, der sich mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Land befasst, wurde das Thema der beruflichen Bildung erörtert. Es wurde, wie auch in diesem Antrag, empfohlen, einen Maßnahmenplan zu erstellen. Hierzu wurden vom Ministerium für Arbeit und Soziales weitreichende Vorschläge erarbeitet.

Mit den Kammern sind intensive Gespräche zu den Möglichkeiten der betrieblichen Ausbildung und Beschäftigung von jungen Menschen mit Behinderung geführt worden. So ist es zum Beispiel gelungen, die Handwerkskammer Magdeburg davon zu überzeugen, dass sie an dem Bundesprogramm zur Stärkung der Inklusionskompetenz teilnimmt.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten, verbleibt ebendort. Die Herausentwicklung als gesetzlich vorgeschriebene

Aufgabe dieser Werkstätten steht meistens nur auf dem Papier. Nicht zuletzt ist das den besonderen gesetzlichen Regelungen geschuldet, zum Beispiel zur finanziellen Absicherung bei der Rentenversicherung.

Alle, die an dem letzten parlamentarischen Abend teilgenommen haben, konnten einen Eindruck davon gewinnen, wie die Werkstattvertreter bei der Landesarbeitsgemeinschaft das sehen. Sie werden in diesem Rahmen - es waren viele von Ihnen dabei - mitbekommen haben, dass sie sehr deutlich gemacht haben: Sie brauchen auch die anderen in den Werkstätten, die Leistungsträger, damit sie ihre Aufträge erfüllen können. Daran sieht man schon, dass das eine Gemengelage ist, die nicht ganz so einfach ist.

Gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, dem Integrationsamt, der Sozialagentur, der Regionaldirektion der BA wurde hier ein weiteres Landesmodellprojekt auf den Weg gebracht, das diesen Übergang von den Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützt. Dieses Projekt wird von Integrationsfachdiensten durchgeführt. Wir finanzieren es aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Schließlich begleiten wir es auch durch ein Jobcoaching; denn es ist besonders wichtig, dass es dort Unterstützung gibt.

Von den 33 Werkstätten im Land nehmen immerhin 26 an diesem Projekt teil. Seit dem Modellstart im Oktober 2013 konnten immerhin 59 Werkstattbeschäftigte individuell betreut werden. Durch verschiedene Praktika, die sie am allgemeinen Arbeitsmarkt absolviert haben, wurde ein Übergang zumindest in Aussicht gestellt.

Zu den Änderungsanträgen werden sich die Fraktionen wahrscheinlich noch äußern. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Danke schön, Herr Minister. - Wir treten in die Aussprache ein. Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Lüddemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Werterahmen des Antrags ist eindeutig, darüber wurde in diesem Hohen Hause häufig diskutiert und er ist ganz im Sinne grüner Politik.

So lautet der Titel eines der ersten Anträge, die meine Fraktion hier einbrachte: „Die Vision einer

inklusiven Gesellschaft“. Diese Vision liegt auch dem in Rede stehenden Antrag der Regierungsfraktionen zugrunde, diesmal bezogen auf die Schaffung einer inklusiven Ausbildung und damit letztlich eines inklusiven Arbeitsmarktes. Ich denke, dieses Ziel sollten alle in diesem Hohen Hause teilen.

Neben diesem Wertebezug ist natürlich auch der pragmatische Grund für den Antrag deutlich erkennbar. Er ist zwar nicht explizit genannt, aber ich glaube, es ist kein Zufall, dass ein solcher Antrag auch unter fachfremden Politikerinnen und Politikern gerade jetzt, da mittlerweile 33 % der Ausbildungsplätze in Sachsen-Anhalt unbesetzt sind, wie der aktuelle Berufsbildungsbericht zeigt, mehrheitsfähig ist.

Das sind dann die sogenannten harten Argumente dafür, dass ein vermeintlich weiches Thema wie die Inklusion auf die politische Agenda kommt. Ich meine das nicht vorwurfsvoll, sondern schlicht feststellend. Es gibt nun einmal gerade ein günstiges Zeitfenster, um inklusive Ausbildung voranzubringen. Und es ist auch gut und richtig, das jetzt zu nutzen.