Protocol of the Session on June 4, 2015

Die Tierschutzorganisation ARIWA hat im Februar 2015 gravierendes Tierleid in der Gut Klein Wanzleben Schweinezucht GmbH öffentlich gemacht.

(Zuruf von der SPD)

In der Sendung „Exakt“ am 5. März 2015 berichtet der MDR erstmals über die skandalösen Haltungsbedingungen in der Anlage. In der Sendung sagte der technische Leiter noch, es sei alles in Ordnung. Auch vom Amtstierarzt hätten sie nie irgendwelche Probleme gemeldet bekommen. Dann die Anlasskontrolle am 3. März 2015 mit zehn Kontrollpersonen. Die bestätigte die gravierenden tierquälerischen Missstände, über die ARIWA vorher berichtet hatte. Genau diese vielen Missstände waren von der unteren Veterinärbehörde in vorangegangenen Kontrollen nicht festgestellt worden. Diese Missstände waren so gravierend, dass sich die Behörde, die all die Jahre gar nichts festgestellt hatte, ganz plötzlich veranlasst sah, sogar eine

Strafanzeige zu stellen. Wir alle wissen, Strafrecht ist die Ultima Ratio für Rechtsverstöße.

Das Beispiel Saza GmbH, Großkayna, Saalekreis: Strafanzeige durch die Tierschutzorganisation ARIWA, dann erst Durchgreifen der Behörden. Danach Ausstallung von Sauen und Abbau von Kastenständen.

Dieses Muster wiederholt sich. Erst nachdem die Bilder von zu engen Kastenständen und dem grausamen Ferkeltöten im Fernsehen gelaufen sind, reagiert Landwirtschaftsminister Aeikens, der bereits seit dem Jahr 2009 im Amt ist, davor auch viele Jahre Staatssekretär war und in dessen Beisein im Landwirtschaftsausschuss bereits seit dem Jahr 2013 über die lange Liste von Rechtsverstößen von Herrn Straathof diskutiert wurde.

Erstmals im September 2014 äußert er sich öffentlich zu den Tierschutzrechtsverstößen. Ich zitiere aus seiner Presseerklärung vom 3. September 2014:

„Es sind systematische Verstöße gegen die Tierschutzbestimmungen vor allem durch bestimmte Tierhalter mit sehr großen Beständen zu beobachten. Die Erfahrungen der zuständigen Kontrollbehörden zeigen, dass die derzeitigen Rahmenbedingungen im Bereich der amtlichen Tierschutzüberwachung in bestimmten Tierhaltungsanlagen nicht so effektiv und wirksam sind wie erforderlich.“

Diese mangelhaften Zustände zeigen, die Umsetzung des Tierschutzes stand also nicht auf seiner Agenda. Genau damit hat er sich zum Lobbyisten der Großagrarindustriellen à la Straathof gemacht und ihnen, wenn sicherlich auch nicht beabsichtigt, Rückendeckung für illegales Handeln gegeben.

(Oh! bei der CDU - Zuruf von Herrn Schrö- der, CDU)

Herr Minister Aeikens als Verantwortlicher für den Tierschutz hat jahrelang weggesehen. Er hat es versäumt, die Kontrollstrukturen rechtzeitig an die stetig größer gewordenen Ställe anzupassen und mitwachsen zu lassen.

Die Landesregierung hat sich immer wieder für die größer werdenden Agrarstrukturen ausgesprochen, hat immer wieder den Willen zu Exportorientierung betont. So stehen heute industrielle Großbetriebe mit angeschlossenen Anwaltskanzleien personell unterbesetzten Behörden gegenüber. Dieses ungleiche Kräfteverhältnis muss ganz dringend geändert werden,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

und zwar von zwei Seiten: Die Behörden müssen so ausgestattet werden, dass sie auch große Betriebe wirksam kontrollieren können und die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns wiederherstellen.

Es bedarf einer strukturell, personell und finanziell besseren Ausstattung.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Zugleich müssen Gesetze und Verordnungen erlassen werden, um die Auswüchse in Größe und Besatzdichte zu begrenzen, um sie auch Kontrollen zugänglich zu machen.

Auch aus diesem Grund halten wir die Debatte um Bestandsobergrenzen für angebracht. Wir hatten das Thema ja im Januar. So etwas wie die Ferkelzuchtanlage in Gladau darf es in Zukunft nicht mehr geben. Es muss Obergrenzen geben.

Wir brauchen vollumfängliche und grundsätzlich unangekündigte Kontrollen. Der gesamte Betrieb muss kontrolliert werden, und zwar nach einheitlichen Vorgaben. Seit Monaten mahnen wir das an. Diesen Weg versucht nun endlich die Landesregierung zu gehen. Sie hat am 19. Mai 2015 einen Erlass herausgegeben. Unser Bohren, Nachhalten und Drängen hat also an dieser Stelle erste Früchte getragen.

(Zuruf von Herrn Daldrup, CDU)

Endlich erkennt die Landesregierung, dass die Kontrollen bisher mangelhaft waren.

(Zuruf von Herrn Daldrup, CDU)

Allerdings, Herr Daldrup, scheint gerade dieser Erlass nicht geeignet, um bessere tierschutzrechtliche Kontrollen auf den Weg zu bringen.

10 % aller gewerblichen Rinder- und Schweinehaltungen sollen jährlich in einer gemeinsamen Kontrolle - ich vermute des Landesverwaltungsamtes, des Landesamtes für Verbraucherschutz und der unteren Veterinärbehörden - geprüft werden, 10 % gemäß der in BALVI erstellten Betriebsliste von den unteren Veterinärbehörden. Danach würde statistisch jeder Stall nicht einmal jährlich kontrolliert, während auf der anderen Seite die Ställe für Rinder und Schweine der Händler jährlich überwacht werden sollen.

Diese Festlegungen der Kontrollfrequenzen sind doch aberwitzig. Da, wo Tiere über Monate und Jahre gehalten werden, sollen die Kontrollen weniger häufig stattfinden als da, wo die Tiere für wenige Tage stehen. Das konterkariert doch den Grundansatz, dass wir nach all den bekanntgewordenen Skandalen der letzten Monate zu Tierleid in den Ställen wirklich ausreichende Kontrollfrequenzen brauchen.

Wir meinen, jeder Betrieb sollte mindestens einmal jährlich kontrolliert werden. Außerdem scheint der Erlass alter Wein in neuen Schläuchen zu sein. Die dort beschriebene bundesweite BALVI-Datenbank gibt es ja schon lange und sollte deshalb auch schon lange genutzt werden.

Unabhängig von einer offensichtlich verbesserten Risikoanalyse frage ich: Bedeutet dieser Erlass: weitermachen wie bisher, das heißt, Weiterführung der unzureichenden Kontrollen und eben keine grundsätzlichen Reformen? Das ist leider zu befürchten.

Wie sonst ist es zu erklären, dass die Landesregierung den unteren Veterinärbehörden die Überprüfung der Sauen haltenden Betriebe nicht mehr allein zutraut? - Mit einem Sonderprogramm sollen die unteren Veterinärbehörden bei Prüfungen in Sauenhaltungen durch Personal vom Landesverwaltungsamt und vom Landesamt für Verbraucherschutz unterstützt werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, die Kontrollressourcen bei den unteren Veterinärbehörden reichen nicht aus.

Wie können wir dieses Problem lösen? - Damit die Kontrollen in dem erforderlichen Umfang und mit ausreichend Personal durchgeführt werden können, fordern wir ihre Finanzierung über kostendeckende Gebühren, vergleichbar mit den TÜVGebühren beim Auto. Gewerbsmäßige Tierhalter, die mit ihren Tieren Geld verdienen, sollen für alle tierschutzrechtlichen Kontrollen bezahlen. Es geht also nicht um Omas Wellensittich, sondern es geht um diejenigen, die gewerblich Tierhaltung betreiben, die damit Geld verdienen. Sie sollen die Gebühren sowohl für Regelkontrollen als auch für Anlasskontrollen bezahlen.

(Herr Thomas, CDU: Und Zulagen auch, oder wie?)

Damit kann dann ausreichend Kontrollpersonal in den Veterinärbehörden finanziert werden.

(Zuruf von Herrn Thomas, CDU)

Dass das geht, zeigen die gebührenfinanzierten Kontrollen bei den Schlachthöfen. Da ist das schon verankert. Die kostendeckende Gebührenfinanzierung könnte auf der Landesebene zum Beispiel in der Allgemeinen Gebührenordnung verankert werden.

Weiterhin sehen wir Verbesserungspotenzial für den effektiven Vollzug des Tierschutzrechtes, wenn sich die Behörden untereinander besser koordinieren würden. Gerade bei Tierhaltern, die Anlagen in mehreren Landkreisen oder mehreren Bundesländern haben, müssen die verschiedenen Behörden wirklich koordiniert vorgehen. Wenn die Behörden die Ergebnisse ihrer Kontrollen austauschen, wird eine bessere Gesamtschau auf den Umgang des Tierhalters mit seinen Tieren möglich. Systematische Missstände können besser erkannt werden. Dann zählen auch Argumente wie „Zufall“ oder „Einzelfall“ nicht mehr.

Zur Umsetzung auf der Landesebene ist es denkbar, dass eine Datenbank installiert wird, in die alle unteren Veterinärbehörden ihre Kontrollergebnisse eintragen. Wenn es sich um einen Tierhalter mit

Anlagen in mehreren Landkreisen handelt, könnten die unteren Veterinärbehörden verpflichtet werden, sich die Ergebnisse der anderen Veterinärbehörden anzuschauen, um dadurch zielgerichtet Hinweise für ihre eigenen Kontrollen zu bekommen.

Außerdem können bei zentraler Ergebniserfassung das Ministerium und das Landesverwaltungsamt als oberste und obere Fachaufsicht für die unteren Veterinärbehörden die Kontrollen evaluieren. Sie können bessere Vorgaben für Prüfschwerpunkte machen. Des Weiteren können sie anordnen, dass mehrere Anlagen eines Tierhalters parallel zu einem Termin kontrolliert werden, um Manipulationsmöglichkeiten zu minimieren.

Systematische tierschutzrechtliche Verstöße in mehreren Anlagen eines Tierhalters können besser erkannt werden. Daraus resultierend könnte das Landesverwaltungsamt dann auch die Entscheidung treffen, das Verfahren an sich zu ziehen und selbst für mehrere Anlagen eines Tierhalters in mehreren Landkreisen ein Verfahren zu führen.

Auflagen, Zwangsgelder, Sanktionen wie Bußgelder oder auch Strafanzeigen können viel besser, das heißt unangreifbar argumentiert werden, wenn der Kontrollumfang größer ist. Auflagen und Sanktionen könnten bei gravierenden Mängeln auch schärfer formuliert werden. Das staatliche Handeln würde an Durchsetzungskraft gewinnen. Mit so einem Prozedere wäre das Tierhaltungsverbot gegen den Schweinezüchter Adrianus Straathof viel früher möglich gewesen. Auf der Bundesebene könnten sich die Behörden besser austauschen, beispielsweise im Rahmen der Gremien der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz.

Einen weiteren Schwerpunkt sehen wir beim Personal in den Ställen, das oft nicht qualifiziert ist. Das bestätigt auch der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums in seiner Stellungnahme von März 2015 zur Nutztierhaltung.

Heute geht man ja davon aus, dass in landwirtschaftlichen Betrieben Menschen mit einer landwirtschaftlichen Ausbildung arbeiten. Dieses Bild stimmt nicht mehr; es stimmt schon lange nicht mehr. Gerade in den Agrarfabriken werden Menschen über Werkverträge angestellt und die Qualifikation ist oft nicht bekannt. Zu kurz kupierte Ringelschwänze, falsch zugeordnete Sauen in Kastenständen, unfachliche Versorgung von kranken Tieren, das sind dann Resultate, die zu Tierleid führen, weil die Tiere eben nicht sachgerecht versorgt werden.

Die Erlaubnis zum Halten von Tieren nach § 11 des Tierschutzgesetzes ist ausgerechnet für Nutztiere nicht erforderlich. Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verlangt Sachkunde nur für Masthühner und Kaninchen; das ist viel zu wenig. Diese Regelungslücken müssen geschlossen werden.

Wir fordern deshalb, dass sich die Landesregierung auf der Bundesebene dafür einsetzt, dass rechtsverbindlich Personalschlüssel in Abhängigkeit von Art und Anzahl der Tiere einschließlich der Qualifikationsanforderungen festgelegt werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Frederking, es gibt eine Nachfrage des Kollege Bergmann. - Ja? - Kollege Bergmann.

Frau Kollegin Frederking, eine kurze Frage. Sie haben vorhin, ich will mal sagen, ziemlich pauschal ein Behördenversagen bei deren Tätigkeit unterstellt. Ich wüsste gern, ob sich das mit meiner Wahrnehmung deckt.

Ich habe in den letzten eineinhalb Jahren mitbekommen, dass der Landkreis Jerichower Land mit einem jungen Landrat sehr stark gegen die Firma Straathof und entsprechende Unternehmen vorgegangen ist. Wir kommentieren jetzt aus sicherer Entfernung solche Dinge, während der Landrat vor Ort und seine Behörde viele Dinge beachten müssen. Ich hätte mich gefreut - deswegen frage ich, ob Sie meine Meinung teilen -, wenn Sie zumindest diese Behörde vorhin herausgehoben und einmal gelobt hätten. Denn ich glaube, viele brauchen einfach auch einmal ein Lob von außerhalb, um mutig genug zu sein, gegen diese Tatbestände vorzugehen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der LINKEN)

Es geht dabei nicht nur darum, die eine oder andere Richtlinie zu ändern, sondern denjenigen, die wirklich etwas Tolles leisten, einmal zu sagen: Danke schön für den Mut. - Das wollte ich noch loswerden.

Die Veterinärbehörde im Jerichower Land ist exakt die Ausnahme. Das habe ich schon ganz oft gesagt.

(Oh! bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)