Protocol of the Session on June 4, 2015

denn zu Gerechtigkeit gehört weit mehr als politische Rehabilitierung und gehört auch weit mehr als individuelle Entschädigung. Es gilt auch, Konsequenzen aus der Aufarbeitung der Vergangenheit zu ziehen, und zwar nicht nur in der Frage der Beurteilung der DDR, sondern auch für das Hier und Heute.

Für meine Fraktion ist eine Konsequenz daraus: Die Vorstellung, es könne nur die eine staatliche Aufarbeitungsbehörde geben, deren Beurteilung und Wertung als die eine richtige gilt, halten wir für irrig. Aufarbeitung braucht vieles. Wenn sie ernst und umfassend gemeint ist, braucht sie die Untersuchung unterschiedlicher Phänomene, unterschiedlicher Lebensbereiche, sie braucht Forschung, sie braucht Zeitzeugenarbeit, sie braucht die wissenschaftliche und die politische Freiheit, zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen und Bewertungen zu kommen.

So wie es für alle Bereiche der Wissenschaft gilt, gilt es erst recht für die Aufarbeitung der Geschichte der DDR, die im Unterschied zu mir persönlich für viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen

hier im Saal, auch ein Stück der eigenen Geschichte ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es gibt nicht die eine universelle wissenschaftliche Wahrheit über die DDR. Die Idee einer Aufarbeitungsbehörde, wie sie sich im Namen widerspiegelt, so unzweifelhaft ich die Notwendigkeit der Aufarbeitung finde, und der staatlichen Verantwortung für Betroffenenberatung halte ich für problematisch, lehrt uns doch gerade der Blick auf die DDR, dass staatlich vermittelte Wahrheiten und Einstellungen demokratietheoretisch und praktisch mehr als fragwürdig sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn nun der Arbeitsauftrag der Beauftragten erweitert werden soll, dann spiegelt sich das zum einen in der Neubenennung wider. Das heißt für uns aber auch, ganz genau auf die Instrumente und die Arbeitsweise zu schauen und diese gründlich zu evaluieren und umfassend auszurichten.

Die Beschreibung der Aufgabe der politischen Bildung und der Unterrichtung der Öffentlichkeit müssen nach unserer Auffassung das Kontroversitätsgebot, wie es beispielsweise für die Landeszentralen für politische Bildung gilt, reflektieren. Ebenso notwendig ist es, diesen Gesetzentwurf nicht nur für sich allein und nicht nur mit Blick auf die StasiUnterlagenbehörde und ihre Zukunft zu sehen, sondern im Kontext mit den anderen Institutionen und Strukturen im Land, im Kontext der Institutionen der politischen und historischen Bildung, der wissenschaftlichen Forschung, der Wissensvermittlung und der Aufarbeitung und sie so auch einzuordnen.

Für wichtig halten wir es nach wie vor, genau zu prüfen, welche Aufgabe wo am besten erledigt werden kann und deshalb richtig anzusiedeln ist.

Ich teile ausdrücklich die Problemwahrnehmung, dass es der Aufarbeitung nicht dienlich ist, keinen landesgeschichtlichen Lehrstuhl an den Hochschulen zu haben. Ich halte den Ansatz für besser, hier tatsächlich an die Hochschulstrukturen zu gehen und hier die geeigneten Mittel für Forschung zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier wäre anzusetzen, wenn wir umfassende Aufarbeitung tatsächlich voranbringen wollen.

Meine Fraktion begrüßt schließlich im Gesetzentwurf vorgesehene Anbindung der Beauftragten an den Landtag. Wir können uns das im Übrigen auch für andere Beauftragtenfunktionen sehr gut vorstellen, um die Unabhängigkeit zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird der Ausschussüberweisung mehrheitlich zustimmen.

Ich werbe dafür, bei allen unterschiedlichen Herangehensweisen und Auffassungen ergebnisoffen und konstruktiv miteinander zu diskutieren, um zuallererst den Bedürfnissen der Opfer und Beratungsnehmerinnen gerecht werden zu können und dem Ziel umfassender und vielfältiger Aufarbeitung im Zusammenspiel mit allen Verantwortlichen, Beauftragten und interessierten Stellen und Institutionen näherzukommen.

Das heißt auch, ausgetretene Debattenpfade in Politik und in diesem Hohen Haus zu verlassen. Das fällt nie leicht und in Zeiten bevorstehender Wahlkämpfe erst recht nicht. Ich halte es angesichts des hier behandelten Themas für lohnend. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Als Nächste spricht für die Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Schindler.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie es im Titel des vorliegenden Gesetzentwurfs deutlich wird, wollen wir weg von der „Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen“, wie es in der Vergangenheit in der Kurzform hieß, hin zu einer „Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur“.

Wir wollen weg von einer Konzentration nur auf eine Aufbereitung der Unterlagen. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur weiter geht und mehr umfasst, wichtig. Die Aufarbeitung der Vergangenheit - und hier speziell die Aufarbeitung der Vergangenheit der DDR - mit einer Verengung auf den Blick des Überwachungs- und Verfolgungsapparats des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zu sehen, wird der Geschichte nicht gerecht. Die Stasi war schließlich Schild und Schwert dieser Partei.

(Zustimmung von Herrn Geisthardt, CDU)

Die SED war das Mittel der Diktatur. Damit war die Stasi auch Mittel der Partei.

Nur mit Offenheit und mit Transparenz wird es uns gelingen, die noch immer spürbaren Folgen dieser Diktatur, die Macht über die Vergangenheit und die Gegenwart für die Zukunft zu beherrschen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist ein kontinuierlicher Prozess. Die Vorstellung, eine Gesellschaft könnte eine belastende Vergangenheit bewältigen und damit ad acta legen, ist falsch.

Um es mit den Worten unserer Landesbeauftragten Frau Neumann-Becker zu sagen: „Einen Schlussstrich gibt es nicht.“ - Viele Menschen möchten auch weiterhin die Einsicht in die StasiAkten und mehr über ihre persönliche Vergangen

heit und die Zusammenhänge ihrer Geschichte erfahren.

Beim Sachsen-Anhalt-Tag konnte man sehen, wie eng belagert und viel besucht der Stand des Bundes- und der Landesbeauftragten der Stasi-Unterlagen war. Die Opfer der Diktatur erhalten, indem sie die Wahrheit über ihre Geschichte erfahren, ihre Souveränität zurück und können frei entscheiden, wie sie mit diesem Wissen umgehen.

Daher ist auch die weitere enge Zusammenarbeit mit den im Land tätigen Opfer- und Verfolgtenverbänden wichtig und im Gesetz verankert. Nicht jeder kann dieses allein bewältigen. Daher gehört bei der Landesbeauftragten zukünftig die Beratung über die Rechte der Opfer bis hin zur psychosozialen Betreuung mit dazu.

Weiterhin ist uns der Beitrag zur Aufklärung und Bildung bei der Landesbeauftragten wichtig, und dies in enger Zusammenarbeit und in Abgrenzung - meine Vorredner haben es mehrfach dargestellt - zur Landeszentrale für politische Bildung und der Gedenkstättenstiftung in Sachsen-Anhalt, als Ergänzung dieser notwendigen und wichtigen Arbeit.

Akteneinsicht, Überprüfung, Forschung, Bildung: Die Arbeit der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur soll auf ihre vielfältige Weise mit ihren Möglichkeiten weiter dazu beitragen.

Die Unabhängigkeit der Institution, die all dies bewerkstelligen soll, ist ein wichtiges Gut. Hierzu gehören zum einen die Wahl eines/einer Landesbeauftragten durch den Landtag sowie zum anderen die Entscheidung, die Dienst- und Rechtsaufsicht nicht mehr durch das Ministerium durchzuführen, sondern dem Präsidenten des Landtages anzugliedern, als richtige Schlussfolgerungen.

Ich bitte, den Gesetzentwurf intensiv zu beraten und deshalb um Überweisung in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Kollegin Schindler. - Als Nächster spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abgeordneter Herbst.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes in der DDR und der kommunistischen Diktatur ist auch in unserem heutigen Sachsen-Anhalt nicht abgeschlossen, sondern bleibt eine wichtige Aufgabe.

Das bestätigt jüngst auch der 21. Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in

Sachsen-Anhalt, der für das Jahr 2014 ca. 2 500 Beratungen ausweist, hinzukommen etwa 2 000 telefonische Anfragen. Davon sind ca. 650 Personen, die unter weitergehenden Diktaturfolgen leiden und sich damit auch in Zukunft auseinanderzusetzen haben. Hier leistet die LStU eine wichtige Aufgabe. Sie verbreitet eben nicht, liebe Kollegin Quade, eine singuläre Sichtweise oder irgendeine festgeschriebene Wahrheit über die DDR.

Auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution stellen sich weiterhin sehr drängende und ernsthafte Fragen, wie die nach der Rehabilitierung politisch Verfolgter, nach dem Umgang mit Folgeschäden von Haft, Heimerziehung oder Zwangsadoption. Diese Fragen betreffen viele Menschen, ihre Lebensläufe und teilweise auch nachfolgende Generationen.

Es ist wichtig, dass die Opfer politischer Gewaltherrschaft die öffentliche Anerkennung und den Respekt erhalten, die ihnen gebühren. Sie sind Zeitzeugen unserer deutsch-deutschen Geschichte. Unrecht und Willkür in der DDR haben die Würde vieler tausend Menschen verletzt. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen die Akten offenbleiben. Solange es Menschen unter uns gibt, die einen Anspruch auf Aufarbeitung haben, werden wir uns an einer Schlussstrichdebatte nicht beteiligen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)

Meine Fraktion hat die Landesregierung bereits im November 2011 dazu aufgefordert, eine Neuorientierung des Amtes und eine Umbenennung vorzunehmen. Daher begrüßten wir es, als die Regierungsfraktionen dann zweieinhalb Jahre später, im März 2014, einen Vorstoß zur Neuorientierung des Amtes unternommen haben.

Nachdem die Anhörung der betroffenen Verbände und Forschungseinrichtungen bereits im Mai 2014, also vor mehr als einem Jahr, im Rechtsausschuss stattfand, liegt uns nun heute der Gesetzentwurf vor. Das ist relativ spät, aber nicht zu spät, um den Prozess in dieser Legislaturperiode abzuschließen.

Der Gesetzentwurf hat viel Richtiges und findet im Großen und Ganzen unsere Zustimmung. Insbesondere die Tatsache, dass die Landesbeauftragte zu einer Einrichtung des Landtags wird und nicht wie bisher dem Ministerium für Justiz und Gleichstellung unterstellt werden soll, entspricht einer grünen Forderung, aber, wie ich den Reden der anderen Fraktionen entnommen habe, auch einer Forderung der anderen Fraktionen in diesem Hause.

Meine Damen und Herren! Aufarbeitung hat zahlreiche Aspekte, politische, juristische, historische, kulturelle und sehr persönliche. Ein weiterer Aspekt ist die psychosoziale Aufarbeitung. Daher be

grüßen wir es, dass, wie von uns bereits im November 2011 gefordert, neben der Beratung auch die psychosoziale Betreuung in die Aufgabenbeschreibung der Landesbeauftragten aufgenommen werden soll. Soziale und psychische Stabilisierung bei Folgeerkrankungen nach politischer Haft und sogenannten Zersetzungsmaßnahmen sowie die Unterstützung und Anleitung zur

Traumaverarbeitung sind unerlässlich.

Bei aller Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf behalten wir uns aber vor, die Amtsbezeichnung der Landesbeauftragten im Ausschuss noch einmal zu thematisieren und auch den Vorschlag „Beauftragte des Landes SachsenAnhalt zur Aufarbeitung der Folgen der Diktatur in der DDR“ in der Diskussion zu berücksichtigen.

Wir sollten die historische Rückschau nicht auf die SED beschränken, auch wenn die Stasi in der Tat Schild und Schwert der Partei war. Mit der Erweiterung des Betrachtungsfeldes, insbesondere auch auf die Rolle von systemstützenden Organisationen, auch der Blockparteien, kann die Aufarbeitung der Diktatur in der DDR umfassender geschehen und wir können die Wirkmechanismen des Repressionsapparates besser erklären und verstehen. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, freue ich mich über den heutigen Schritt. Es ist ein wichtiger Schritt. Ich freue mich auch auf die Beratungen im Rechtsausschuss. - Vielen herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Zum Schluss der Debatte spricht jetzt Herr Borgwardt für die Fraktion der CDU.