Protocol of the Session on April 23, 2015

Natürlich: Es kommen auch Menschen aus dem Ausland zu uns, die nicht als Investoren, Studenten oder Touristen zu uns kommen. Es sind Menschen, die auf unsere Hilfe hoffen, und es sind mehr als in den vergangenen Jahren. Haben wir deshalb das Recht, Menschen abzuweisen und sie der Verfolgung in ihren Heimatländern auszusetzen? - Ich sage nein, auch vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LIN- KEN)

In den Jahren nach 1933 sind viele, viele Deutsche vor der Verfolgung der Nationalsozialisten geflohen: Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten, Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, Willy Brandt zum Beispiel oder Thomas Mann. Nicht zu vergessen: der gebürtige Dessauer Kurt Weill.

Dazu kommen viele ganz „normale“ Bürgerinnen und Bürger, die ebenfalls ihre Heimat verlassen mussten. Sie alle verdanken ihr Leben dem Umstand, dass es damals Staaten gab, die ihnen Asyl gegeben haben. Diese Erfahrungen aus der deutschen Geschichte prägten auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Seit 1949 ist das Recht auf politisches Asyl fester Bestandteil des Grundgesetzes. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, heißt es dort in Artikel 16a. Das ist die Richtschnur unseres Handelns, und davon lassen wir uns durch niemanden abbringen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir feiern in diesem Jahr den 25. Jahrestag der deutschen Einheit und zugleich das 25-jährige Jubiläum der Wiedergründung Sachsen-Anhalts. Die ersten Jahre des Umbruchs und des Umbaus waren schwierig. Doch inzwischen können wir die Früchte unserer Arbeit ernten. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der 1990er-Jahre, unsere Unternehmen behaupten sich erfolgreich im internationalen Wettbewerb, das Gesicht unserer Städte und Dörfer hat sich positiv verändert.

Deutschland insgesamt erlebt einen Wirtschaftsaufschwung. Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft, die auch an die Schwachen und Benachteiligten denkt. Dieses soziale Element gilt es zu erhalten. Es verträgt keine Einschränkungen.

Als ein Land, in dem Wohlstand herrscht, stehen wir auch in der Verantwortung gegenüber Völkern,

die in Not und Elend leben. Ihr Schicksal darf uns nicht gleichgültig sein.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

So heißt es in unserer Landesverfassung. Und weiter:

„Das Volk von Sachsen-Anhalt bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Dies markiert den Wertekanon unseres Zusammenlebens. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt nicht nur für Sachsen-Anhalter. Das gilt für alle Menschen, die in unserem Land zu Gast sind, unabhängig von ihrer Sprache, Religion und Herkunft.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Aus diesem Verfassungsauftrag heraus sind wir verpflichtet, Verfolgten Schutz und Hilfe zu bieten und sie bestmöglich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Ich weiß, dass uns dies angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen vor besondere Herausforderungen stellt. Wurden im Jahr 2007 in unserem Land noch knapp 600 Asylanträge gestellt, waren es im letzten Jahr mehr als 6 600. In diesem Jahr wird die Zahl weiter steigen. Das ist insbesondere für die Landkreise und kreisfreien Städte eine schwierige Aufgabe, die für die Unterbringung der Asylsuchenden zuständig sind.

Das Land lässt die Kommunen hier jedoch nicht allein. Im Gegenteil: Wir suchen den Dialog, so wie beim Spitzengesprächen im Innenministerium in der letzten Woche, an dem der Innenminister, der Finanzminister und der Sozialminister persönlich teilgenommen haben. Bei dieser Gelegenheit haben wir noch einmal deutlich gemacht, dass das Land für eine auskömmliche Finanzierung der Landkreise und kreisfreien Städte bei der wichtigen Aufgabe der Unterbringung der Flüchtlinge sorgen wird. Keine Kommune wird deswegen in eine finanzielle Schieflage geraten oder gar die Erledigung eigener Aufgaben und Investitionsvorhaben zurückstellen müssen.

Wir setzen darüber hinaus eine Taskforce aus Vertretern der Staatskanzlei, des Innen- und des Sozialministeriums ein, die als interministerielle Arbeitsgruppe als Ansprechpartner der Kommunen in allen wichtigen Fragen dient.

Mit Integrationslotsen wollen wir den Kommunen Hilfe und Entlastung geben. Sie können sich um Nöte und Sorgen der Asylsuchenden kümmern und zugleich Kontakte zu Behörden und Vereinen

herstellen. Auch dies ist ein Beitrag zur Stärkung der Willkommenskultur im Land.

Unumstößlich gilt, dass Asylsuchende humanitären Grundsätzen gemäß untergebracht, betreut und entsprechend begleitet werden müssen. Das ist uns bislang trotz gestiegener Flüchtlingszahlen gelungen, und das wollen und werden wir auch künftig gewährleisten.

Schutzbedürftige haben in unserem Land ein Bleiberecht. Sie sind in unsere Gesellschaft zu integrieren. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahrzehnten sollten wir dies als Chance begreifen und nicht nur mögliche Schwierigkeiten sehen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Ich selbst habe mich in den letzten Wochen in Gesprächen mit Asylsuchenden davon überzeugen können, dass unter ihnen viele gut ausgebildete und integrationswillige Flüchtlinge sind. SachsenAnhalt setzt sich für ein modernes Asyl- und Ausländerrecht ein, das dem Bedarf unseres Landes an Zuwanderung gerecht wird.

Zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren gehört selbstverständlich auch, dass über Asylanträge binnen einer angemessenen Frist entschieden wird. Hierbei ist der Bund in der Pflicht, die Dauer der Verfahrensbearbeitung bis zur behördlichen Erstentscheidung weiter zu beschleunigen.

Ende März 2015 lag die Zahl der noch offenen Asylverfahren bei rund 200 000. Dies sind doppelt so viele offene Verfahren wie zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Diese Zahl muss durch den Bund deutlich reduziert werden, um den betroffenen Menschen schnellstmöglich Klarheit über ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland zu verschaffen.

(Zustimmung bei der CDU und von der Re- gierungsbank)

Angesichts der derzeit hohen Zahl von Asylsuchenden ist es nicht möglich, diese in der zentralen Aufnahmestelle in Halberstadt bis zum Abschluss des Asylverfahrens zu betreuen. Nach der Ankunft in Halberstadt dauert es allein bis zu zwei Monate, ehe der Asylantrag gestellt werden kann. Derzeit treffen aber täglich fast 30 Menschen in Halberstadt ein. Selbst wenn die Einrichtung für über 1 000 Personen ausgelegt ist, stoßen wir dort also an Grenzen.

Deshalb benötigen wir Kapazitäten in den Kreisen und kreisfreien Städten. In über 70 Orten in Sachsen-Anhalt erfolgt derzeit die Unterbringung; in den meisten davon völlig ohne Probleme.

Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens gilt: Auch diejenigen Ausländerinnen und Ausländer, die nicht dauerhaft aufenthaltsberechtigt sind, kön

nen für die Zeit ihres Aufenthalts in unserem Land eine menschenwürdige Behandlung erwarten. Es darf für sie keine Bedrohung oder Gefahr für Leib und Leben geben. Dafür wird das Land mit allen Mitteln des Rechtsstaats sorgen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und von der Regierungsbank)

Aber zu den rechtsstaatlichen Prinzipen gehört auch, dass diejenigen, die kein Bleiberecht erhalten haben, in ihre Heimatländer zurückkehren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Wir haben in den letzten Wochen leider erlebt, dass sich Verantwortungsträger wie Bürgermeister oder Landräte Bedrohungen ausgesetzt sehen. Dies können wir nicht akzeptieren. Wer sich - oft ehrenamtlich - für das Wohl seiner Kommune einsetzt, verdient Anerkennung und nicht Bedrohung. Er kann zudem Schutz für seine Privatsphäre und Schutz vor krimineller Gewalt erwarten.

Dieser Entwicklung haben wir Rechnung getragen; das Innenministerium hat einen Erlass zum Vollzug des Versammlungsrechts herausgegeben. Er enthält Handlungsempfehlungen zu Beschränkungen einer Versammlung in Abwägung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es geht dabei keineswegs um eine Einschränkung des Versammlungsrechts an sich. Wer wüsste besser als wir im Osten, welch hohes Gut das Recht ist, sich zu versammeln und seine Meinung frei kundzutun? - Dieses Recht darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, Druck auf einzelne Personen auszuüben und sie in ihren Persönlichkeitsrechten zu beschränken.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zu- stimmung von Minister Herrn Stahlknecht)

Jedem Bürger muss ein Raum verbleiben, in den er sich zurückziehen kann und in dem er in Ruhe gelassen wird. Dazu gehört in erster Linie die Privatwohnung. Es ist daher gänzlich unangemessen, wenn in ihrem unmittelbaren Umfeld Veranstaltungen stattfinden, die psychischen Druck auf diesen Personen ausüben sollen.

Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit umfasst auch den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Bei den Handlungsempfehlungen des Innenministeriums geht es also nicht darum, Versammlungen zu untersagen, wohl aber soll verhindert werden, dass diese missbraucht werden, um Bürgerinnen und Bürger unter Druck zu setzen und einzuschüchtern.

Ich gehe davon aus, dass in den Behörden der Landesverwaltung und der Landkreise mit den Empfehlungen verantwortungsvoll umgegangen wird. Zum Informationsaustausch und um Ansatzpunkte für die Umsetzung der Empfehlungen aufzuzeigen, wird es im Juni 2015 drei Regionalkonfe

renzen im Bereich der jeweiligen Polizeidirektionen geben. Geladen werden dazu sowohl Vertreter der örtlichen Verwaltungen als auch von Polizei und Justiz.

Bei der Entscheidungsfindung wird immer der konkrete Einzelfall geprüft werden müssen. Ungeachtet dessen ist es beschämend, dass bestimmte Gruppierungen und eine bestimmte Partei das Versammlungsrecht in einer Weise missbraucht haben, die ein solches Eingreifen notwendig machte.

Damit bin ich bei einer anderen wichtigen Erkenntnis aus dem Geschehen der letzten Wochen: Es bestätigt, dass es richtig war, über den Bundesrat den Antrag auf ein Verbot der NPD zu stellen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und von der Regierungsbank)

Von der Notwendigkeit des Verbots sind wir mehr denn je überzeugt. Die NPD fungiert in allen Ländern als Scharnier, Organisationsnetz und legaler Arm einer rechtsextremistischen politischen Bewegung. Sie wirkt in bestimmten Regionen mit besonderer Entschlossenheit auf den politischen Prozess ein und stellt dessen Integrität infrage. Sie agiert aggressiv und mit verfassungsfeindlichen Zielen. Sie will die Kontrolle über den öffentlichen Raum ergreifen und erzeugt eine Atmosphäre der Angst, um demokratisches Handeln einzuschränken. Das darf ihr bei uns nicht gelingen!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zu- stimmung bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Es gehört zum Selbstverständnis einer wehrhaften Demokratie, die zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um verfassungsfeindlichen Aktivitäten keine legitime öffentliche Plattform zu geben. Dem dient der Verbotsantrag.

Wir sind uns natürlich im Klaren darüber, dass sich allein mit einem Verbot der NPD das Problem des Rechtsextremismus nicht erledigt. Prävention im Hinblick auf rechtsextremes Gedankengut ist darum ein wichtiges Begleitinstrument, und das nicht erst seit der Einreichung des Verbotsantrags im Dezember 2013.

In Sachsen-Anhalt gehen wir seit vielen Jahren gegen das Phänomen politischer Radikalisierung vor. Ein wesentliches Element ist unser Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit. „Unsere Demokratie lebt von der Achtung der Menschenwürde, dem Respekt gegenüber Andersdenkenden und der Wertschätzung für die Vielfalt der Kulturen und Weltanschauungen“, so heißt es in seiner Präambel. Es macht damit das deutlich, was auch die Grundlage unseres Umgangs mit Flüchtlingen sein muss.

Das gilt umso mehr in einem Land, das auf Zuwanderung angewiesen ist, einem Land, das, in der