Ein bisher wenig beachtetes Problem will ich auch noch anführen, weil es neu in der Debatte ist. Im Rahmen des SGB-II-Vereinfachungsgesetzes bedarf es nämlich aus unserer Sicht dringend einer Anerkennung des Mehrbedarfes, wenn Kinder bei beiden Elternteilen leben, die die elterliche Sorge
Wenn ein Kind in zwei Haushalten lebt, ist der Regelsatz nicht einfach zu teilen. Jeder, der das selbst erlebt hat, weiß, dass die Welt nicht so simpel ist. Allein das Pendeln zwischen zwei Haushalten erzeugt schon einen Mehrbedarf. Hier sollten wir uns mindestens im Rahmen der Bundesratsbehandlungen engagieren.
Dringend zu ergänzen ist das Hartz-IV-System - es kam jetzt schon in unterschiedlichen Ausprägungen - durch einen sozialen Arbeitsmarkt. Arbeitsmarktintegration kann nicht für alle Erwerbslosen das übergeordnete Ziel sein. Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können,
Wir müssen auch akzeptieren, dass es gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten gibt, die nicht über den ersten Arbeitsmarkt abzusichern sind.
Sozialstaatlich flankierte Tätigkeit ist aus meiner Sicht hier nötig. Das soll heißen, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihren Sinn in frei gewählten Arbeitsstellen zu finden, eben nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt, bei Tätigkeiten, die gesellschaftlich erwünscht sind.
Natürlich - das ist in Gerichten, über Sozialverbände, auf allen möglichen Ebenen immer wieder diskutiert worden und, ich glaube, genügend nachgewiesen -: Die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze ist unumgänglich. Unser Bundestagswahlprogramm hat das en détail ausgeführt. Aber leider sind wir ja aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bund von einer solchen Erhöhung im Moment weit entfernt.
Ich will auch noch einmal ganz deutlich sagen: Wenn wir über einen sozialen Arbeitsmarkt reden, dann müssen wir auch die Diskussion über ein Grundeinkommen führen.
(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE - Herr Kurze, CDU: Ach! - Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)
Hätten wir ein Grundeinkommen - das ist nichts anderes als das, was die Kollegin Dirlich auch beschrieben hat -,
- auch wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, liebe Kollegen von der CDU - auch vieles, was sich in Cent und Euro ausdrücken lässt.
Abschließend noch einmal zusammengefasst: Vom Grundsatz her war Hartz IV ein richtiger Schritt, wenn nicht die Änderungen durch den Bundesrat zum schlechten erfolgt wären. Aktuell müssen wir damit umgehen. Wir brauchen Reformen von Hartz IV, die Abschaffung der Sanktionen, erhöhte Regelsätze, einen sozialen Arbeitsmarkt, die Anerkennung der Lebenswirklichkeiten, beispielsweise in der elterlichen Sorge. Wir brauchen auch andere Mehrheitsverhältnisse im Bund, um das durchzusetzen. - Vielen Dank.
Kollegin Lüddemann, würden Sie eine Frage des Abgeordneten Hövelmann beantworten wollen? - Sie sagt ja. Herr Hövelmann, bitte.
Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. Der Vorschlag zu einem bedingungslosen Grundeinkommen ist ja schon seit Jahren in Deutschland in der Diskussion. Ich finde, man soll über solche Dinge auch vorbehaltslos diskutieren können.
Dennoch bewegt mich, wenn ich darüber nachdenke, eine Frage, um deren Beantwortung ich Sie bitte, zu der ich auch Ihre Meinung gern hören möchte. Wenn wir in Deutschland den Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen geben, das es ihnen ermöglicht, ihren Lebensunterhalt ohne eigene Arbeit zu bestreiten: Welchen Anreiz sollen die Menschen haben, sich eine Ausbildung anzueignen, die Kraft in eine berufliche Qualifizierung, in einen Berufsalltag hineinzustecken, der - ich glaube, das können wir alle, jedenfalls bedingt, bestätigen - nicht immer so ganz einfach ist? Warum sollen sich Menschen quasi im Alltag quälen, um Lohn und Einkommen zu erzielen, wenn sie Selbiges vom Staat auch ohne diese eigene Anstrengung bekommen? Das geht mir durch den Kopf, ganz ehrlich.
Vielen Dank für die Frage. Das impliziert ja zwei Dinge: Erstens unterstellen Sie, dass die Menschen kein Bedürfnis nach Arbeit haben, dass sie
Diese Frage unterstellt, dass all diejenigen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, dies nur tun, weil sie müssen.
Auf der anderen Seite: Gucken Sie sich doch einmal die Menschen an, über die wir jetzt gesprochen haben, die, wenn wir jetzt nur einmal den letzten Zeitraum nehmen, seit zehn Jahren Leistungen gemäß Hartz IV beziehen; solche Menschen gibt es ja. Wäre es da nicht eine Vereinfachung zu sagen: Die kriegen ein Budget, damit können sie leben, wir können uns diese ganze Verwaltung, diesen ganzen Schmarrn, diese ganze Unterdrückung, alles sparen und uns stattdessen darauf konzentrieren, die Menschen wirklich so zu motivieren, dass sie einen Sinn in Erwerbsarbeit sehen. Ich finde das sinnvoll.
(Herr Borgwardt, CDU: Dabei bleibt es doch nicht! - Herr Miesterfeldt, SPD: Das sind die Folgen von Cannabis! Solche Träume! Mein lieber Mann! - Zurufe von Herrn Schröder, CDU, und von Herrn Borgwardt, CDU)
Vielen Dank für die Gelegenheit. - Zum einen möchte ich für mich feststellen, dass meine Frage nicht die Unterstellung beinhaltet, dass Menschen per se nicht arbeiten wollen; das will ich nur feststellen. Ich sehe das wirklich nicht so.
Zweitens. So Recht Sie haben, was das Thema Verwaltungsvereinfachung und, ich sage einmal, effektiver Einsatz der staatlichen Mittel anbelangt, egal ob es beitrags- oder steuerfinanzierte Mittel sind, ist dennoch die Frage berechtigt: Wie wollen wir Menschen aus diesem Zustand der, ich sage einmal, Alimentation herauskriegen, wenn wir sie
nicht auch ein Stück weit dazu auffordern, auch mit den Instrumenten, die die von Ihnen so kritisierten Gesetze bieten?
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der staatlichen Alimentation auf der einen Seite - da haben Sie völlig Recht - und auf der anderen Seite der Forderung, für staatliche Alimentation auch eine Bereitschaft zu entwickeln, aus dieser Situation wieder herauszukommen, ist für mich jedenfalls etwas, das notwendig ist, um Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. - Vielen Dank.
Wir haben ja immer wieder Fragen in diesem Hohen Hause - ich glaube, auch diese fällt darunter -, an denen man merkt, dass es wirklich eine kulturelle Grundverschiedenheit gibt, wie man soziale Fragen angeht.