Protocol of the Session on January 29, 2015

Herr Professor Dr. Christian Tietje.

Herr Prof. Dr. Tietje:

Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe.

Herr Stephan Rether.

Herr Rether:

Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe.

Frau Tatjana Stoll.

Frau Stoll:

Ich schwöre.

Frau Jutta Fiedler.

Frau Fiedler:

Ich schwöre.

Meine sehr geehrten Mitglieder des Landesverfassungsgerichts und Stellvertreter! Meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses und Gäste im Haus! Das ist heute ein besonderer Anlass gewesen. Mit der Vereidigung ist der Akt der Ernennung des neuen Landesverfassungsgerichts abgeschlossen, und es kann die Arbeit aufnehmen.

Es ist ein hohes Gericht mit hoher Bedeutung. Für viele Menschen ist es Ausdruck des Rechtsstaats und für nicht wenige mit der Hoffnung verbunden, ihre Rechte, verbrieft in der Verfassung, wahrzunehmen und gegebenenfalls gegen Regierung und Parlament die Frage zu stellen, ob es rechtens ist, was getan oder beschlossen wurde. Es ist der wesentliche Stützpfeiler eines demokratisch verfassten Rechtsstaats. Insofern ist die Bedeutung Ihrer Aufgabe und Ihrer Verantwortung nur angerissen, aber dennoch deutlich.

Ich danke Ihnen im Namen des Landes für die Bereitschaft zu diesem Dienst am Land und am Rechtsstaat. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen.

(Beifall im ganzen Hause)

Raum A0 51 hier im Hause steht für die Möglichkeit, im Anschluss noch einmal zusammenzukommen, zur Verfügung, und ich darf - so ist das in einem Rechtsstaat - in der heutigen Tagesordnungspunkt fortfahren.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Zur Information, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Besucher auf der Tribüne, liebe Angehörige der Richterinnern und Richter: Dieser schwarze Kasten ist nicht einfach eine Blackbox, sondern darin befindet sich die Urschrift der Landesverfassung von 1992. Auch wenn es noch kein tau

send Jahre altes Papyrusdokument ist, das nur mit Handschuhen geschützt in Glaskästen unter Vakuum in Museen zu betrachten ist, ist die Bedeutung nicht geringer. Deswegen ist es auch in der Blackbox geblieben und wird nunmehr sorgfältig verwahrt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 a auf:

Regierungserklärung des Ministers für Arbeit und Soziales Herrn Norbert Bischoff zum Thema: „Teilhabe für alle“

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erteile nunmehr dem Minister für Arbeit und Soziales Herrn Norbert Bischoff zur Abgabe der Regierungserklärung das Wort.

Zuvor darf ich Gäste begrüßen, die auf der Besuchertribüne gerade eintreffen. Es sind Schülerinnen und Schüler des Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums Wolmirstedt. Herzlich willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist meine erste Regierungserklärung, also schon etwas Besonderes. Bezüglich der Frage, welches Thema man bei einer Regierungserklärung wählt, das - Zumindest für das Haus - etwas Besonderes ist - ansonsten reagiert man ja nur oder bringt Gesetze ein -, möchte ich die Gelegenheit ergreifen, auf Themen hinzuweisen, die wichtig sind.

Als ich vor fünf Jahren im Sozialministerium angefangen habe, habe ich einen Prozess geführt, der sich mit den Fragen beschäftigt hat: Was ist eigentlich die prioritäre Aufgabe? Was ist die umfassende Aufgabe eines Sozialministeriums? - Da gab es viele Diskussionen. Richtig einigen konnten wir uns nicht, weil zwischen Kinderbetreuung, Arbeitsmarkt - das ist besonders wichtig -, Verbraucherschutz, Gesundheit und Sozialem vieles zu besprechen war.

Aber es hat sich herauskristallisiert, dass das Thema Demografie und die Frage „Wie leben wir untereinander?“, also das Thema Inklusion, Themen sind, die über allem - sozusagen wie ein gespannter Bogen - stehen und weit in die Zukunft reichen.

Ich möchte Sie bitten, diese Regierungserklärung nicht als etwas zu sehen, das zurückblickt, bzw. nicht als einen Rechenschaftsbericht zu sehen, der aussagt, was wir alles geleistet haben, sondern als etwas zu sehen, das aussagt, welche Aufgaben vor uns stehen und mit welchen wir uns schon befasst haben, ohne dass uns das bewusst ist.

Um gleich am Anfang denjenigen, die sagen: „Beim Wort ‚Inklusion‘ fallen bei mir erst einmal etliche Schotten.“, die Angst zu nehmen - das ist ein Prozess, der lange dauert, bei dem man Menschen mitnehmen muss -, will ich Ihnen sagen, dass ich Sie mit dieser Regierungserklärung mit auf den Weg nehmen will. Als ich mit einigen Mitarbeitern meines Hauses zusammensaß, habe ich einige überraschende Erkenntnisse gewonnen, die mir deutlich gemacht haben, was die UN darüber denkt und was in Europa darüber gedacht wird. Seit dieser Zeit bin ich bei diesem Thema - ich würde es fast so nennen - Feuer und Flamme. Es ist eine totale Herzensangelegenheit, und vielleicht wissen Sie am Ende auch, warum.

Die Schwerpunkte der sozialpolitischen Diskussion bewegen sich seit Jahren hauptsächlich um die Begriffe Demografie und Inklusion. Der Ausspruch „Vielfalt tut gut.“ akzeptiert, dass Menschen unterschiedlich sind und mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten das Leben der Gesellschaft prägen und bereichern. Der Satz „Es ist normal, unterschiedlich zu sein.“ bringt diesen Gedanken auf den Punkt. Dann ist es nicht wichtig, alt oder jung, Frau oder Mann, behindert oder nicht behindert zu sein, weil jeder Mensch das in die Gesellschaft einbringt, was er kann und wozu er in der Lage ist.

Was aber benötigt eine Gesellschaft, damit sich Menschen mit ihrer Unterschiedlichkeit engagieren und beteiligen können? Brauchen wir - um es einmal als Fragestellung zu formulieren - immer neue Hilfssysteme, um Benachteiligungen und Behinderungen auszugleichen? Können wir in Zukunft auf isolierte Spezialangebote und Spezialeinrichtungen verzichten, weil wir eine Infrastruktur schaffen, die für viele nutzbar ist - vielleicht sogar für alle? Können wir dann wenige, besondere Angebote, die wir brauchen und noch weiterhin brauchen, mit dem Angebot für alle verknüpfen? Können wir jene, die temporär nötig sind, dann wieder aufgeben, wenn sie nicht mehr gebraucht werden?

Aber auch für Menschen mit Beeinträchtigungen stellt sich der von mir verfolgte menschenrechtliche Ansatz der Teilhabe als eine Herausforderung dar. Sie sind Teil der Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens und haben nun im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Chance, dies selbstbestimmt anzunehmen und auszuüben.

Deshalb geht es in meiner Regierungserklärung in erster Linie nicht um verschiedene Schwerpunkte im Bereich des Sozialministeriums und auch nicht, wie gesagt, um eine Bestandsaufnahme. Das, was ich heute sagen werde, ist in die Zukunft gerichtet.

Ich habe vier Thesen. Diese lauten:

Erstens. Teilhabe ist in allen Bereichen und allen politischen Aufgabenfeldern möglich. Wir müssen aber dazu bereit sein.

Zweitens. Teilhabe für alle ist auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels möglich.

Drittens. Teilhabe erfordert nicht zwingend mehr Geld, aber sicher neue Konzepte.

Viertens. Teilhabe ist für alle von großem Nutzen und für alle eine Aufgabe.

Sehr geehrte Damen und Herren! Erstens. Teilhabepolitik betrifft alle Menschen. Ihren Ursprung aber findet sie in der Politik für Menschen mit Behinderungen. Ich werde nachher noch sagen, welch überraschende Erkenntnisse das bringt.

Die Aufnahme des Benachteiligungsverbots in das Grundgesetz setzte 1994 einen Paradigmenwechsel in Gang, der auch auf der Ebene der Gesetzgebung noch keineswegs vollendet ist. Im Zentrum der Politik für Menschen mit Behinderungen steht seitdem nicht mehr der Begriff der Fürsorge, sondern die Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebens in einer offenen Gesellschaft.

Starke Impulse zur Verwirklichung von Gleichstellung, Selbstbestimmung und Teilhabe gibt das in Deutschland im Jahr 2009 in Kraft getretene Übereinkommen der Vereinten Nationen bezüglich der Rechte von Menschen mit Behinderungen - kurz: Behindertenrechtskonvention. Diese Konvention ist ein Ausfluss der allgemeinen Menschenkonvention. Dann gab es die Kinderrechtskonvention und jetzt die Behindertenrechtskonvention, also eine Grundlage und die beiden speziellen Konventionen.

Die Behindertenrechtskonvention geht in ihrem Ansatz weit über das bisherige Verständnis des Benachteiligungsverbots hinaus. Sie hat den Blick dafür geöffnet, dass Menschen mit körperlichen, geistigen oder mentalen Beeinträchtigungen nicht per se behindert sind. Behinderungen entstehen vielmehr erst im Zusammenwirken der Beeinträchtigungen mit Einstellungen und umweltbedingten Barrieren, die sie an der gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft hindern.

Zu diesen Barrieren zählen nicht nur die zu hohe Bordsteinkante, sondern auch der unnötig komplizierte Bedienungshinweis am Fahrkartenautomaten oder die vorgefasste Meinung über eingeschränkte Fähigkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen.

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und mit dem Beschluss des Nationalen Aktionsplans im Jahr 2011 hat die Bundesregierung die Inklusion in das Zentrum ihrer Bemühungen gestellt. Kritisch hat die Bundesregierung dazu im Jahr 2013 in ihrem Teilhabebericht festgestellt, dass nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Bedingungen Teilhabe im Sinne von Inklusion möglich ist.

Bund und Länder müssen nun die Faktoren herausarbeiten, die einerseits Teilhabechancen verhindern und andererseits Exklusionsrisiken bedingen. Auf dieser Grundlage müssen die Strukturen der Teilhabeleistung fortentwickelt werden. Das hat auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz im letzten Jahr auf unseren Antrag hin so beschlossen.

Zentrale Rolle werden in den kommenden Jahren die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes und die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes einnehmen. Unter dem Motto „Eingliederungshilfe reformieren - modernes Teil

haberecht entwickeln“ wird in der Koalitionsvereinbarung des Bundes angekündigt, die gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen für mehr Inklusion mit einem sichereren gesetzlichen Rahmen auszustatten. Dieses Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen soll noch in dieser Wahlperiode des Bundestages erarbeitet werden und 2017 in Kraft treten.

Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, sollen aus dem bisherigen Fürsorgesystem herausgeführt werden. Ziel ist, die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf des Einzelnen und nicht mehr an den Einrichtungen orientieren, damit die Einrichtungen erhalten, gefüllt und wirtschaftlich weiterbetrieben werden können.

Als eines von bislang zehn Bundesländern hat das Land Sachsen-Anhalt 2013 einen eigenen Landesaktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auf den Weg gebracht - das haben wir im Landtag auch besprochen -, und zwar mit den Handlungsfeldern Barrierefreiheit, Kommunikation, Lebensführung, lebenslanges Lernen, Arbeit, Beschäftigung, Gesundheit, Rehabilitation und Pflege, Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben, Sport, Kultur und Tourismus - das sind die großen Bereiche. Da gibt es 164 teilhabepolitische Maßnahmen.

Das Sozialministerium ist für die strategische Umsetzung und für die Koordination zuständig, damit das ressortübergreifend gehandhabt wird. Wir haben auch einen Inklusionsausschuss eingerichtet.