spätestens seit wir die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert haben. Dieses Recht gibt es noch nicht lange und es ist auch noch lange keine Selbstverständlichkeit.
So wurden in Schweden zwischen 1935 und 1978 mehr als 60 000 Menschen zwangssterilisiert, darunter überwiegend Frauen mit Behinderungen. Der damalige Grund: Rassenhygiene.
Auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 wurden zwischen 1934 und 1945 in Deutschland etwa 400 000 Menschen ohne ihre Einwilligung unfruchtbar gemacht.
Das Bundesjustizministerium schätzt, dass in Westdeutschland bis zur Änderung des Betreuungsgesetzes im Jahr 1992 jährlich etwa
1 000 geistig behinderte Mädchen sterilisiert wurden. Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen: Erst seit dem Jahr 1992 ist die Sterilisation per Gesetz verboten.
Von den früheren Zuständen sind wir momentan rechtlich und in den meisten Fällen auch gedanklich weit entfernt. Dennoch existiert weiterhin das wirkmächtige Bild, dass Elternschaft und Behinderung nicht zusammenpassen. Von Vorbehalten gegenüber Eltern mit Behinderungen wird immer wieder berichtet. Für Beispiele muss man nur einmal die Webseite des Verbandes Eltern mit Behinderungen besuchen. Solange eine Behinderung noch als unüberwindbares Defizit einer Person betrachtet wird, wird dieser Vorbehalt weiterhin bestehen.
Die Frage ist eben nicht - und sie darf es auch nicht sein -: Können die das? Sie lautet vielmehr: Welche Unterstützung ist gegebenenfalls nötig, damit alle Eltern, auch die mit Behinderungen, ihre Elternschaft ausüben können?
Menschen mit Behinderungen können mittlerweile, solange sie nicht in Heimen leben - das ist eine besondere Situation -, uneingeschränkt Eltern
werden. Das werden sie auch genau so oft wie Menschen ohne Behinderungen. Das zeigt etwa eine Hochrechnung in der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Studie zur Elternschaft geistig behinderter Menschen wie auch die vom BMFSFJ im Jahr 2011 veröffentlichte Live-Studie
Es geht heutzutage also um praktische Probleme der Elternschaft oder mit Fokus auf das Kind formuliert: Kindern von Eltern mit Behinderungen wird das Recht, durch die eigenen Eltern betreut zu werden, oftmals verwehrt.
Nach Darstellung von Dr. Julia Zinsmeister in ihrem Rechtsgutachten zur Elternassistenz, das im Auftrag des Netzwerks behinderter Frauen Berlin mit Unterstützung der Aktion Mensch erstellt wurde, betrifft rund ein Drittel der jährlich erfolgten Sorgerechtsentzüge Eltern mit einer psychiatrischen Diagnose. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es gibt selbstverständlich auch Fälle, in denen es im Sinne des Kindeswohls durchaus geboten ist, so zu handeln. Ich bin mir aber sicher: Hätten wir eine entsprechend rechtlich normierte Leistung oder eine Anspruchsgrundlage für die Elternassistenz, hätten viele dieser Sorgerechtsentzüge verhindert werden können.
Davon zeugt auch das Beispiel, das DIE LINKE angeführt hat. In der Tat ist es richtig, beim Landesbehindertenbeirat wurde berichtet, dass es jetzt eine Lösung gibt. Die gefundene Lösung der 24Stunden-rund-um-die-Uhr-Betreuung, der quasi zu Hause geschaffenen kleinen Heimsituation,
schießt jedoch über das Ziel hinaus. Es gibt nämlich dem Recht des Kindes - ich danke der LINKEN, dass Sie unseren Änderungsantrag übernommen hat - nicht statt. Das Kind wird zwar zu Hause und in unmittelbarer Anwesenheit der Eltern, aber nicht von den Eltern selbst, sondern von fremden Personen betreut.
Es ist dringend geboten, dass darüber im Einzelfall entschieden wird. Deswegen ist es gut und richtig, den beteiligten Jugend- und Sozialämtern Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Es ist wichtig, dass wir das auf einer Rechtsgrundlage tun.
Der Antrag der Fraktion DIE LINKE bezieht sich daher völlig zu Recht auf das SGB IX und das seit Längerem in Rede stehende Bundesteilhabegesetz. Darin ist Elternassistenz als Leistungstyp zu verankern. Meine Fraktion wird dem Antrag zustimmen. Das ist aus unserer Sicht fachlich geboten. Wir halten ihn an einer Stelle für verbesserungswürdig. Das habe ich schon erwähnt. Das ist durch die Übernahme schon geklärt.
Da sich das Bundesteilhabegesetz in der Erarbeitung befindet, worauf der Minister hingewiesen hat - jedenfalls hoffe ich das; ich weiß nicht, was die Regierungskoalition auf der Bundesebene tatsächlich so treibt -,
Eine Überweisung an den Ausschuss halte ich nicht für zielführend. Deswegen sind wir für eine Direktabstimmung über den Antrag. Wir würden dem geänderten Antrag zustimmen. - Vielen Dank.
Danke sehr, Frau Kollegin Lüddemann. - Für die Fraktion der SPD spricht die Abgeordnete Frau Dr. Späthe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zwei Bemerkungen zum Thema vorab: Den Umgang von Verwaltungen mit der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen und der UN-Kinderrechtskonvention sowie mit bestehenden Bundes- und Landesgesetzen verbessern wir nicht, indem wir wiederholt Bundesratsinitiativen beantragen und Gesetze neu definieren.
Ich finde es auch nicht gut, wenn aufgrund von vorhandenen Schwierigkeiten und eines unsensiblen Umgangs von Behörden mit Betroffenen pauschal der Eindruck erweckt wird, dass SachsenAnhalt eine behindertenunfreundliche Wüste wäre und Landtag und Regierung in desinteressierter Untätigkeit verharrten.
Ja, es gibt nach wie vor große Differenzen und Unsicherheiten beim Umgang mit der Elternschaft von Menschen mit Handicap und es gibt Ungerechtigkeiten. Der Petitionsausschuss hat gerade umsichtig und mit Erfolg zur Lösung eines aktuellen Falls beigetragen. Das ist bereits erwähnt worden. Der jungen Familie schlug landesweit eine große Welle der Hilfsbereitschaft und des Beistands entgegen. Das Netzwerk der in diesem Bereich bereits Tätigen hat gut funktioniert.
Erstaunt und erfreut war ich auch, als ich entdeckte, dass bei Google, wie man es in Vorbereitung einer solchen Rede tut,
zum Thema begleitende Elternschaft als zweiter Eintrag das Angebot stationäres Wohnen für erwachsene Mütter und Väter - -
Frau Dr. Späthe, kann ich Sie einmal unterbrechen? - Es ist wirklich zu laut. Ich denke, wir schaffen es noch, zehn Minuten zuzuhören.
Ich war also erfreut, dass bei Google bereits als zweiter Eintrag zu diesem Thema das Angebot stationär betreutes Wohnen für erwachsene Mütter und Väter mit Behinderungen der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg zu finden ist.
„In intensiver Zusammenarbeit mit dem örtlichen Jugendamt, dem Landesjugendamt und der Sozialagentur ist es gelungen, die Grundlagen für ein Angebot zu schaffen, das erwachsene Menschen mit Behinderungen auch in der besonderen Situation der Elternschaft unterstützt und begleitet.“
Der Ansatz besteht in der Kopplung des Leistungstyps intensiv betreutes Wohnen der Eingliederungshilfe mit den Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII, also mit den Leistungen des Jugendamts. Genau darüber sollten wir uns im Ausschuss berichten lassen - über beide Aspekte.
Ein Weg zur grundsätzlichen Lösung könnte darin bestehen, dass wir anregen, dass das Sozialministerium mit der Sozialagentur in Verantwortung für die Bereiche SGB IX und SGB XII und der Sozialausschuss des Landkreistages mit der Jugendamtsleiterberatung für das SBG VIII eine abgestimmte Vorgehensweise für die Hilfeplanberatung oder die Gesamtplankonferenz erarbeiten, also nicht eine individuelle Lösung, sondern eine abgestimmte Handlungsempfehlung, damit die Verwaltung nicht jedes Mal erschrickt, wenn ein Antrag im Landkreis gestellt wird.
So individuell wie jeder Mensch und sein Lebensumfeld sind, so individuell ist es eben auch bei Menschen mit Handicap.
Meine Damen und Herren! Wir müssen darauf achten, den Fokus nicht ausschließlich auf Menschen mit geistiger Behinderung zu richten. Ich begleite gerade einen Studenten der Hochschule in Merseburg, einen blinden Studenten, der einer Richterin in seiner eigenen Wohnung vorführen musste, dass er in der Lage ist, seinen Sohn or
Ich möchte einen weiteren Aspekt in die Diskussion einbringen, der meines Erachtens entscheidend zu den Unsicherheiten in der Gesellschaft bezüglich der Elternschaft behinderter Menschen beiträgt. Beim Lesen der Fachberichte hat sich immer wieder herauskristallisiert, dass das Thema Sexualität von Menschen mit Behinderungen im gesamten Hilfekontext über Betreuer, Behörden und Eltern als nicht existent betrachtet wird und dieser Personengruppe meist kein sexuelles Empfinden und entsprechende Bedürfnisse zugestanden werden.
Von ähnlichen Erfahrungen hörte ich gerade von Studenten der Sexualpädagogik, die in Behinderteneinrichtungen ein sexualpädagogisches Projekt durchführen wollten, das untersagt wurde, weil es nicht nötig sei und sowieso und überhaupt.
Nicht umsonst nimmt die Notwendigkeit der Bewusstseinsbildung einen breiten Raum bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ein. Es fällt vielen nach wie vor schwer, auch geistig behinderten Menschen das Recht auf Sexualität und deren Auslebung zuzugestehen. Gesetze und Vorgaben helfen eher nicht, wenn diejenigen, die es dann im Verwaltungsverfahren umsetzen sollen, damit nicht umgehen können und dafür auch noch viele vernünftige Begründungen haben.
Noch sind die Jugendämter in vielen Fällen sehr restriktiv, da sie im Interesse des - in Anführungsstrichen - Kindeswohls bei Menschen mit Behinderungen möglicherweise selten Zugeständnisse machen und die Kinder zu deren Sicherheit aus der Herkunftsfamilie nehmen, bevor alle Möglichkeiten der Begleitung ausgeschöpft sind. In der Zwischenzeit gibt es aber auch viele Beispiele, die belegen, dass Menschen mit Behinderungen, die alle Hilfemöglichkeiten erhalten, die der Gesetzgeber vorsieht, sehr liebevolle Eltern sind.