Protocol of the Session on June 19, 2014

Angesichts der politischen Disposition der Mehrheit dieses Hauses haben wir unter Punkt 1 unseres Antrages lediglich die grundsätzliche Zielstellung einer solidarischen und gerechten Teilung von Verantwortung für Flüchtlinge und Asylsuchende formuliert. Ja, wir finden, die Landesregierung könnte und müsste hier aktiv werden. Eine entsprechende Bundesratsinitiative ist wohl eine naheliegende Idee; das Signal aus den Ländern ist dringend notwendig.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Der Gedanke des möglichst schnellen Fallabschlusses, verbunden mit der Leugnung von Verantwortung, ist nicht nur kennzeichnend und quasi Leitmotiv für die DublinFälle, sondern auch für unseren Umgang mit Menschen, die aus einem als sicher geltenden Herkunftsland hierher kommen.

Die Bundesregierung wie auch ihre Vorgängerregierungen sind bestrebt, die Liste dieser sogenannten sicheren Herkunftsländer auszuweiten. So ist mit einem aktuellen Gesetzentwurf beabsichtigt, die Länder Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien als solche zu definieren.

Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal. Denn die meisten Schutzsuchenden aus diesen Ländern sind Angehörige der Minderheit der Roma. Systematische Diskriminierung, gesellschaftliche Ausgrenzung, materielle Armut, massive Benachteiligung in Fragen des Bildungserwerbs und der Arbeitsmöglichkeiten, teilweise katastrophale Wohnbedingungen - all das prägt das Leben von Roma in diesen Ländern und lässt ein Leben in Sicherheit und Würde für viele von ihnen nicht zu.

Mit der vorgesehenen Einstufung als sichere Herkunftsländer wird ein Leben in der Bundesrepublik für diese Menschen unmöglich gemacht. Roma werden damit diesen mehr als unsicheren Lebensbedingungen ausgeliefert, und zwar im vollen Wissen um diese Umstände. Wir finden, das ist nicht hinnehmbar.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Der Fall der Familie Haji macht nicht nur die Funktionslogik des DublinSystems deutlich. Er zeigt auch, an welchen Stellen die Behörden, und zwar auch und gerade die des Landes, hätten agieren können, hätten eingreifen können, und an welchen Stellen trotz stringenter Vorgaben des Bundes das aktive Handeln des Landes nicht nur möglich, sondern auch nötig gewesen wäre.

Jeder Einzelfall ist zu prüfen, auch und gerade in Dublin-Fällen. Denn die formale Nicht-Zuständigkeit entbindet nicht von der Verantwortung für den

Schutz von Menschen und für die Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Asylverfahrens.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Eben um dieser Verantwortung gerecht zu werden, haben die Länder, aber auch die Ausländerbehörden selbst verschiedene Instrumente an der Hand, die in Würdigung der persönlichen Situation jedes Einzelnen den Aufenthalt hier ermöglichen könnten. Es stimmt eben nicht, dass niemand etwas gegen diese Abschiebung hätte unternehmen können.

(Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Eine gründliche Einzelfallprüfung durch die Ausländerbehörden hätte vorgenommen werden können. Man hätte höhere Landesinteressen gegenüber dem Bundesinteresse - das wäre in diesem Fall die Durchsetzung der Dublin-Verordnung gewesen - geltend machen können, beispielsweise Familienschutz, ein Bleiberecht aus humanitären Gründen und aufgrund der Behandlungsnotwendigkeit der Mutter.

Aus Aachen kann ich ein Beispiel nennen, bei dem eine Ausländerbehörde selbst infolge einer gründlichen Einzelfallprüfung die Mitwirkung an einer bereits verfügten Abschiebung - ebenfalls ein DublinFall, ebenfalls Italien - verweigert hat und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge um Gebrauch des Selbsteintrittsrechts gebeten hat.

All das ist möglich. Es mag nicht im politischen Sinne der Asylgesetze sein, aber es ist möglich und im Interesse der von ihnen betroffenen Menschen ist es auch nötig.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Im Fall der Familie Haji, aber auch in vielen anderen Fällen - am Dienstag der nächsten Woche soll eine schwangere Frau aus Bitterfeld abgeschoben werden - wurde von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch gemacht, und genau darauf zielt der dritte Punkt unseres Antrags.

So wie Familie Haji versuchen viele andere sogenannte Dublin-Fälle die Härtefallkommission des Landes anzurufen. Familie Haji scheiterte, weil sich die Härtefallkommission darauf verständigt hat, keine Dublin-Fälle anzunehmen, eben weil es keine verbindliche Rechtsgrundlage für einen Aufenthalt hier gibt. Ob sie Fälle annimmt und welche sie nicht annimmt, das ist eine Entscheidung, die die Härtefallkommission trifft, und es ist gut, dass sie sie trifft. Klar ist aber auch: Ob ein Fall ein Härtefall ist, hängt nicht von seinem aufenthaltsrechtlichen Status ab, sondern von der persönlichen Situation.

(Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Daher finden wir, es sollte von der heutigen Befassung des Landtags mit dem Thema auch der

Wunsch ausgehen, dass Dublin-Fälle künftig auch in der Härtefallkommission beraten werden können.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

In der letzten Sitzungsperiode beschäftigten wir uns mit dem Antrag meiner Fraktion zur Abschaffung der Abschiebungshaft. Für Dublin-Fälle macht die Dublin-III-Verordnung spezifische Vorgaben. Für die Inhaftierung zum Zweck der Überstellung in das für das Asylverfahren zuständige Land muss eine eigene Rechtsgrundlage geschaffen werden. Konkret muss gesetzlich definiert werden, wann von einer Fluchtgefahr auszugehen ist.

In Deutschland fehlt diese Rechtsgrundlage. Asylsuchende werden dennoch zur Durchführung ihrer Überstellung in Abschiebungshaft genommen. Meine Damen und Herren! Dass die Bundesregierung es versäumt, die Anforderungen an die Inhaftierung im Dublin-Verfahren in deutsches Recht umzusetzen, darf nicht zulasten der Freiheitsrechte der Schutzsuchenden gehen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Ein Punkt, der im Fall der Familie Haji für besondere Empörung gesorgt hat, ist die Tatsache, dass die Abschiebung terminlich nicht angekündigt wurde. Auch die Integrationsbeauftragte des Landes hat dies öffentlich kritisiert und als Verstoß gegen die Empfehlungen des Innenministeriums gewertet.

In der Tat ist die Ausländerbehörde der Stadt Magdeburg dazu übergegangen, erklärtermaßen auf die Mitteilung des Abschiebungstermins zu verzichten. Das führt zu Nacht-und-Nebel-Aktionen. Das kann zur Verhinderung der freiwilligen Ausreise führen. Das kann dazu führen, dass Eilrechtsanträge nicht mehr gestellt werden können. Kurz: Es liefert Menschen aus und öffnet der Willkür Tür und Tor.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Problematik beschäftigte uns bereits in der letzten Sitzung des Innenausschusses. Wir erlebten dort die offenbar symptomatische Argumentation: Es ergibt sich nicht unmittelbar aus den Gesetzen, dass eine Ankündigung terminiert zu erfolgen hat, deswegen ist die Praxis unproblematisch.

Ich freue mich ausdrücklich, dass es den Äußerungen der Kollegen von der SPD zufolge jetzt auch dort Kritik an dieser Verfahrensweise gibt. Für die kommende Sitzung des Innenausschusses ist ebenfalls eine Beschäftigung mit dem Fall der Familie Haji angekündigt. Ich hoffe, dass wir auch dieses Thema dort noch einmal aufrufen können.

Meine Damen und Herren! Unser Antrag zeigt verschiedene Ansatzpunkte auf, die die politische

Entscheidung für eine Verbesserung der Lebensbedingungen für Menschen im Dublin-Verfahren konkret wirksam werden lassen könnten. Das zeigt auch: Es fehlt nicht an Möglichkeiten, es fehlt nicht an Stellschrauben - es fehlt am politischen Willen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben heute gemeinsam die Chance, ein notwendiges politisches Signal zu setzen. Lassen Sie uns diese Chance nutzen!

Herr Minister Stahlknecht, Familie Haji wollte Ihnen heute Morgen, vor Beginn der Landtagssitzung, ihre Petition übergeben und Sie erneut um Hilfe bitten. Ich lasse Ihnen diese Petition hier vorn am Pult liegen, Sie reden ja nach mir. Familie Haji hat keine Gelegenheit mehr dazu, die Petition zu übergeben. Sie haben so noch die Gelegenheit, diese Petition entgegenzunehmen.

Ich appelliere aber auch an Sie: Das, was wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen, macht klar: Es wurde ganz klar gegen Bedingungen für die Rücküberstellung verstoßen. Die Familie hat weder Unterkunft noch den Therapieplatz, der in der Reisefähigkeitsbescheinigung für die Mutter vorgesehen war. Ich appelliere deshalb an Sie, Herr Minister: Tun Sie alles, um diese Verstöße zu heilen, tun Sie alles, um diese Familie zurück nach SachsenAnhalt zu holen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Quade, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Stahlknecht.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Quade, Sie haben aufgrund der aktuellen Ereignisse dieser Woche Ihren Antrag insoweit ein wenig in den Hintergrund treten lassen, als Sie ihn dafür genutzt haben, sich mit dem aktuellen Fall und mit den sich daraus für Sie ergebenden Schlussfolgerungen zu beschäftigen.

Ich will zunächst auf Ihren Antrag eingehen, und dann werde ich einige Worte zu Dublin sagen. Wichtig ist für uns, dass es in Deutschland ein Recht auf Asyl gibt. Das ist gut und das ist im Grundgesetz geregelt. Damit ist Deutschland ein Land, das anderen Menschen, die einen Asylgrund vortragen und nachweisen können, ein gutes, gastgebendes Land ist, das diese Menschen gern und freundschaftlich aufnimmt. Das bitte ich von vornherein festzuhalten.

Deshalb muss man auch - das hat mit dem vorliegenden Fall, den Sie geschildert haben, zunächst

einmal gar nichts zu tun - genau untersuchen: Was sind Asylgründe und was sind keine Asylgründe?

Aus diesem Grund unterstütze ich auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einstufung Serbiens, Mazedoniens und Bosnien-Herzegowinas als sichere Herkunftsstaaten. In diesen Staaten, so zeigt die von der Bundesregierung durchgeführte umfassende Auswertung, besteht allgemein Verfolgungsfreiheit. Das ist nicht die Auffassung eines CDU-Innenministers, falls Sie das sagen wollen, sondern das ist die übereinstimmende Auffassung aller Innensenatoren, Innenminister und des Bundesinnenministers der Bundesrepublik Deutschland.

(Herr Herbst, GRÜNE: Warum wurde es dann im Bundesrat abgelehnt?)

Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten wird auch von vielen unserer europäischen Nachbarn geteilt, im Übrigen von Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich. Sie trägt mit dazu bei, dass von vornherein aussichtslose Asylverfahren schneller abgeschlossen werden können, wodurch die Zeit eines etwaigen Bezugs von Sozialleistungen selbstverständlich verkürzt wird. Das dürfte auch - ohne Schärfe in die Debatte zu bringen - den Anreiz für eine Asylantragstellung aus rein wirtschaftlichen Gründen - auch das kann ein Problem sein - verringern.

Das sind Überlegungen, die dem zugrunde liegen zu sagen: Bei sicheren Herkunftsländern, bei denen kein Verfolgungsdruck besteht, keine Anhaltspunkte dafür bestehen, wird übereinstimmend keine Möglichkeit oder eine eingeschränkte Möglichkeit von Asyl gesehen.

Trotz der mit der Einstufung einhergehenden gesetzlichen Vermutung der Verfolgungsfreiheit hat jeder Antragsteller gleichwohl die Möglichkeit, Asyl in unserem Bundesland und in unserer Bundesrepublik zu erlangen, sofern er eben diese Vermutung widerlegt. Aufgrund europarechtlicher Vorgaben ist die Lage in den als sicher einzustufenden Herkunftsstaaten zudem regelmäßig zu überprüfen, um plötzliche Verschlechterungen schnell erkennen und darauf entsprechend reagieren zu können.

Neben diesem Gesetzentwurf halte ich weitergehende Änderungen in unserem Asylrecht derzeit für nicht erforderlich. Wir bewegen uns in Deutschland - das ist ein Bundesthema - ohnehin immer in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern und Nachbarn und innerhalb der EU. Innerhalb dessen hat es eine Reihe von Regelungen gegeben, die Deutschland nicht allein bestimmt. Das ist die Dublin-Verordnung, das ist die Eurodac-Verordnung, das sind die Aufnahmerichtlinie und Verfahrensrichtlinie. Wir haben diese Dinge auch auf europäischer Ebene verabschiedet, um

ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das sogenannte GEAS, zu schaffen.

Aufgrund dieser vielfältigen Neuerungen vertritt die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten - ich habe neulich eine große Veranstaltung in Brüssel mit der Kommissarin Malmström dazu gehabt und habe auch die Interessen Sachsen-Anhalts vertreten - die Ansicht, dass nun der Schwerpunkt auf eine Konsolidierung und Implementierung der bereits bestehenden Regelungen gelegt werden sollte und nicht weitergehende oder andere geschaffen werden sollen. Das ist der europäische Kontext. Den müssen Sie bei aller Bedeutung unseres kleinen Bundeslandes bei solchen Debatten auch zur Kenntnis nehmen, weil wir ein ganz kleiner Teil - hier ausgehend von der Johanniskirche - Europas sind.