Protocol of the Session on February 27, 2014

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktive Förderung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben hat für die Landesregierung große Bedeutung. Das ist ein Satz, den man voranstellen kann und immer wieder voranstellt. Zu betonen ist, dass die Berufsbildungswerke in Sachsen-Anhalt ein wichtiger Partner sind, gerade weil sie Berufsorientierung und berufliche Ausbildung für junge Menschen mit Behinderungen schaffen.

Ich bin, solange ich im Dienst bin, mehrfach in beiden Einrichtungen gewesen, weil das Thema schon eine ganze Weile akut ist. Dazu komme ich gleich. Aber das Argument, dass in den 90erJahren dort sehr viel Geld hineingeflossen ist, würde ich nicht mit heute verknüpfen. In dieser Zeit, in der es nötig war, haben wir sogar Dinge gemacht, wo man sagen muss: Haben wir gewusst, wie die demografische Entwicklung ist? Wenn ich durch das Land fahre, sehe ich heute noch Gewerbegebiete, bei denen ich weiß, dass sie in 20 Jahren nicht ausgelastet sein werden.

Es war richtig, dort zu investieren. Das haben übrigens die Bundesanstalt, der Bund und wir gemacht. Deshalb halte ich es für wichtig - und wir haben großes Interesse daran -, dass diese Berufsbildungswerke in Sachsen-Anhalt weiterhin Bestand haben. Aber die Situation hat sich seit den 90er-Jahren verändert. Die Zahl der Jugendlichen in den Berufsbildungswerken ist trotz Erweiterung der Zielgruppe - diese wurde zum Beispiel auf junge Mütter und junge Menschen, die in schwierigen sozialen Lagen sind, erweitert - deutlich zurückgegangen.

Der ausschlaggebende Faktor für den Anmeldungs- und Belegungsrückgang der letzten Jahre ist nicht die Vergabepraxis. Man mag das an anderer Stelle kritisieren, ob der billigste Anbieter genommen wird und ob das richtig ist. Hier ist der Rückgang zum allergrößten Teil auf die demografische Entwicklung zurückzuführen.

Die Zahl der Abgängerinnen und Abgänger aus Förderschulen - das ist die größte Klientel der jungen Leute in Sachsen-Anhalt, die dort hingehen - hat sich in den letzten acht Jahren halbiert. Das ist nicht im Verhältnis 1 : 1 dort angekommen, aber es ist nur noch die Hälfte vorhanden. Bis zum Jahr 2025 prognostiziert die Regionaldirektion SachsenAnhalt einen weiteren Rückgang der Anmeldezahlen um noch einmal 25 %.

Es ist richtig, diese Entwicklung kann man nicht ignorieren. Gerade zum Wohl der jungen Menschen mit Behinderungen muss eine betriebliche Ausbildung dort, wo sie realisierbar ist, Vorrang haben.

Deshalb noch einmal drei Punkte, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Aufgrund der demografischen Entwicklung kam es zu einem signifikanten Rückgang des Bewerberpotenzials. Die Philosophie der Inklusion führt zur stärkeren Orientierung an betrieblicher und betrieblich begleiteter Ausbildung. In diesem Bereich haben wir in der Vergangenheit mehr Mittel eingesetzt und werden wir auch in Zukunft mehr Mittel einsetzen, um den Betrieben und den jungen Leuten mit Beeinträchtigungen, mit sozialen Benachteiligungen, mit Behinderungen mehr Möglichkeiten zu geben, etwa durch eine assistierte Begleitung, durch Coaching usw.

Wir wollen, dass sie auf den ersten Arbeitsmarkt kommen. Es ist auch der Wunsch dieser jungen Leute zu spüren, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Eine Internatsunterbringung kommt für sie nicht so sehr infrage. Sie möchten also nicht - um es mit meinen Worten zu sagen - in eine Reha-Spezialeinrichtung.

Das Land, die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sind bereits seit Langem im Gespräch mit den Berufsbildungswerken in Sachsen-Anhalt, um Möglichkeiten für eine künftige Ausrichtung auszuloten. Dabei spielt das, was Sie vorhin von den beiden Ländern erzählt haben, eine große Rolle.

Vor zwei Jahren war ich dort, als ich aus Spanien zurückgekommen bin. Ich habe versucht, in Hettstedt gemeinsam mit Herrn Dr. Feußner zu überlegen, ob wir für junge Leute aus Spanien Möglichkeiten schaffen, die noch keine Berufsausbildung haben. Eine duale Ausbildung gibt es in Spanien nicht. Diese jungen Leute brauchen auch ein Stückchen Zuhause, wo sie familiär aufgefangen werden; das ist ziemlich schwierig zu organi

sieren. Da haben wir gedacht, dass die Berufsbildungswerke hierfür geeignet wären. Ich könnte jetzt noch zahlreiche Ideen vortragen, die wir überlegt haben. Es ist nicht so einfach.

Die Bundesagentur gehört auch mit ins Boot. Deswegen müssen wir neue Geschäftsfelder erschließen. Übrigens ist es in Stendal noch viel schwieriger als in Hettstedt. Wir müssen neue Möglichkeiten schaffen. Ich finde die Idee der Bundesagentur für das Projekt „Anfänge gestalten“ richtig. Dabei sollen Jugendliche, die sich in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen befinden oder die aufgrund von individuellen Problemen ihre Ausbildung abgebrochen haben, verstärkt spezifische Kompetenzen erwerben können.

Das sind gut ausgestattete Einrichtungen - vielleicht sollte der Ausschuss einmal dorthin fahren -, die Spezialmaschinen haben. Die sind teilweise besser ausgerüstet als viele Betriebe in SachsenAnhalt. Die Konsultationen zwischen Berufsbildungswerk und Regionaldirektion zu diesem Projekt haben erst begonnen. Gespräche und runde Tische gab es schon. Zurzeit gibt es direkte Konsultationen.

Die vertiefte Berufsorientierung für schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen und Förderzentren sowie integrativem Unterricht wollen wir nach vorn bringen. Die vertiefte Berufsorientierung wird aus Mitteln der Ausgleichsabgabe und des Ausgleichsfonds finanziert. Wir können sicherstellen, dass bis zum Ende des Schuljahres 2015/2016 die Finanzierung gesichert ist.

Noch eine letzte Bemerkung: Es gibt einen Unterschied zwischen den Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem, was in den Berufsbildungswerken geschieht. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Ich möchte, dass diejenigen jungen Menschen, die die Möglichkeit haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, Vorrang haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Das sind zwar nicht alle, aber einige, die in den vergangenen Jahren aus verständlichen Gründen, aus Sicherheitsgründen zu schnell in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gelandet sind. Diese werden wir dort nicht so schnell wieder herausbekommen. Sie sind abgesichert. Ich möchte, dass nur diejenigen dorthin kommen, die dieses Netz wirklich brauchen.

Inklusion heißt, wir gehören zusammen. Hettstedt und Stendal bilden für den ersten Arbeitsmarkt aus. Es gehören noch mehr Menschen dorthin, die von einer Förderschule kommen, die zurzeit aber für sich die bessere Alternative darin sehen, in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung unterzukommen.

Bundesweit haben wir prozentual gesehen die meisten Menschen in Werkstätten für Menschen

mit Behinderung. Daher müssen wir das jetzt behutsam umkehren. Dabei die Berufsförderwerke zu nutzen halte ich für eine richtige Idee.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister Bischoff. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Als erster Debattenredner spricht Herr Rotter für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal hat uns ein Antrag der Fraktion DIE LINKE erreicht, den ich unter der Rubrik „Gut gemeint, aber nicht wirklich gut gemacht“ einordnen möchte.

(Oh! bei der LINKEN - Herr Henke, DIE LIN- KE: Man kennt Sie doch anders!)

Daran ändert auch Ihr sehr emotionaler Vortrag nichts, sehr geehrte Kollegin Dirlich. Vielleicht können Sie mir einmal abseits der Landtagssitzung erklären, was das Beispiel aus Schönebeck mit der Situation der Berufsbildungswerke zu tun hat.

(Frau Bull, DIE LINKE: Das hat sie doch gemacht!)

Mir hat sich das im Moment nicht wirklich erschlossen. Das können wir aber auch an anderer Stelle klären.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Genau!)

Zurück zu dem Antrag. Es ist ja vielleicht ganz nett, wenn wir beschließen sollen, dass der Landtag feststellt, dass die Berufsbildungswerke seit mehr als 20 Jahren eine gute Arbeit leisten und dabei einen hohen gesellschaftlichen Nutzen erzielen. Ferner soll beschlossen werden, die angeblich veränderte Vergabepraxis der Bundesagentur für Arbeit und nur diese allein würde zu existenzbedrohenden Einbrüchen bei den Belegungszahlen in den Berufsbildungswerken führen. Außerdem würde die Beseitigung funktionierender Strukturen ohne Schaffung neuer Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Inklusion behinderter Menschen deren Vorankommen erschweren. Wie gesagt, das ist alles ganz nett, aber das bringt uns keinen Schritt weiter.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es entspricht durchaus der Wahrheit, dass die Zahl der auszubildenden Jugendlichen in den Berufsbildungswerken in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Dass dieser Rückgang für die besagten Einrichtungen sicher problematisch ist, möchte ich nicht in Abrede stellen. Ob man aber sofort von Existenzbedrohung sprechen muss, wage ich zu bezweifeln.

Im Gegensatz zu Ihnen, liebe Antragsteller von der Fraktion DIE LINKE, haben die Verantwortlichen in den Berufsbildungswerken und in den befassten politischen Gremien den Faktor der demografischen Entwicklung bei ihren Überlegungen mit Sicherheit nicht ausgeblendet. Gerade dieser Faktor - sprich der Rückgang der Zahl der Jugendlichen im Allgemeinen - spielt meiner Ansicht nach eine wesentliche Rolle beim Rückgang der Auslastungszahlen bei den Berufsbildungswerken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, wie ich eingangs erwähnte ist Ihr Antrag zumindest gut gemeint.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Wir wissen, wie es gemeint ist! - Frau Bull, DIE LINKE: Das ist zu gütig! Herzlichen Dank!)

- Bitte. - Das soll heißen: Die Intention Ihres Antrags, sprich die Sicherung der Zukunft der Berufsbildungswerke in unserem Bundesland, ist richtig. Deshalb verfolgen auch wir dieses Ziel.

Aus diesem Grund bitten wir in unserem Antrag sowohl die Landesregierung als auch die Träger, im zuständigen Ausschuss zu berichten, welche Konzepte von den Beteiligten bereits entwickelt worden sind oder sich bereits in der Entwicklung befinden. Außerdem möchten wir von der Landesregierung wissen, wie in anderen Bundesländern an der Fortentwicklung der Berufsbildungswerke gearbeitet wird. Weiterhin wollen wir wissen, ob es in anderen Bundesländern Konzepte gibt, die auf unser Bundesland übertragen werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen wesentlichen Aspekt unseres Antrags möchte ich besonders hervorheben, auch wenn ich dabei Gefahr laufe, einiges von dem zu wiederholen, was der Herr Minister bereits erwähnt hat.

Wir wollen in Erfahrung bringen, wie die Angebote der Berufsbildungswerke zukünftig sehr viel mehr als Alternativen - ich betone: als Alternativen - zum Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen genutzt werden können.

Wenn wir es mit der Inklusion wirklich ernst meinen, dann müssen wir der Tatsache Rechung tragen, dass sich immer noch Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten befinden und weiterhin dorthin gelangen, die dort aufgrund ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten einfach nicht hingehören. Diesem Zustand müssen wir im Interesse gerade dieser Menschen zukünftig verstärkt entgegenwirken. Berufsbildungswerke können und wollen das leisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Zustimmung zu unserem Alternativantrag, den wir in seiner Wirkungsweise im Moment für zielführender halten. Dass nach der Berichterstattung der

Prozess der Lösungsfindung und der Umsetzung einsetzen muss, halte ich für selbstverständlich und geboten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Latta.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dem uns heute vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Die berufliche Ausbildung von Menschen mit Behinderungen für den ersten Arbeitsmarkt auf angemessenem Niveau sicherstellen“ wird die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen.

Die Berufsbildungswerke - kurz BBW - als Einrichtungen der beruflichen Ausbildung, die der Erstausbildung und Berufsvorbereitung körperlich oder psychisch beeinträchtigter sowie benachteiligter junger Menschen dienen, leisten eine wertvolle Arbeit. Getragen werden die Berufsbildungswerke in der Regel von gemeinnützigen Organisationen wie der Caritas, dem Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands, dem Sozialverband Deutschland Kolping, dem Diakonischen Werk oder der JosefsGesellschaft. Finanziert werden die Berufsbildungswerke hauptsächlich durch die Bundesagentur für Arbeit.

(Zustimmung von Frau Dirlich, DIE LINKE)

In den 52 Berufsbildungswerken in Deutschland gibt es insgesamt knapp 14 000 Ausbildungsplätze in über 200 verschiedenen Berufen. Die beiden Berufsbildungswerke in Sachsen-Anhalt in Hettstedt - Kolpingwerk - und Stendal sind überaus erfolgreich. Die Abschlussquote bei den Berufsbildungswerken beträgt 90 % und die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt beträgt sogar 50 %.

Im Vergleich zur Übernahmequote bei der dualen Ausbildung zeigt sich, dass die Berufsbildungswerke beinahe die gleiche Vermittlungsbilanz erreichen können. In der dualen Ausbildung wurden im Jahr 2012 58 % der Azubis übernommen. Und: Die Berufsbildungswerke in Sachsen-Anhalt haben eine hohe Kompetenz und viel Erfahrung, die nicht verloren gehen darf.

Daher stimmen wir dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zu. Das grundsätzliche Ziel der Berufsbildungswerke, Jugendliche in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, ist ganz im Sinne der Inklusion; die Berufsbildung im BBW in Stendal erfolgt in zehn Berufsfeldern mit 22 entsprechenden Ausbildungsberufen.

Die Begleitung und Betreuung von Menschen mit Behinderungen ist nötiger denn je; denn Inklusion macht eine individuelle und personenzentrierte Un

terstützung nötig. Die Erfahrungen in diesem Bereich sind daher unersetzbar.

Dennoch sollte mittel- und langfristig die institutionelle Trennung der Ausbildung von jungen Menschen überwunden werden. Möglichst viele junge Menschen mit Behinderungen über Arbeitsassistenz, individuelle Lohnkostenzuschüsse und ähnliche Maßnahmen in die betriebliche Ausbildung zu bringen ist unumgänglich, wenn man das Ziel einer inklusiven Arbeitswelt, einer inklusiven Gesellschaft anstrebt; so ist die Zukunftsvision von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.