Es stehen zwei Konzepte gegeneinander, das des kontrollierenden Sicherheitsstaates mit einer nach seinen Maßstäben kontrollierten Gesellschaft
und das einer freiheitlichen Gesellschaft in einem demokratischen Rechtsstaat. Oder anders herum, ich formuliere es noch einmal: Wollen wir einen Staat, der die Gesellschaft prägt, oder eine Gesellschaft, die entscheidet, wie ihr Staat aussehen soll?
Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe Ihre Zwischenrufe, das hatten wir alles schon, sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich sage ja: Eben. Ich meine, wenn es eine historische Verantwortung gibt, dann wohl hinsichtlich dieser Frage. - Herzlichen Dank.
Wir fahren in der Debatte fort. Als letzter Redner spricht in dieser Debatte für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Kurze.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach hat in der „Wirtschaftswoche“ am 4. November 2013 eine repräsentative Umfrage veröffentlicht. Das Thema der Umfrage war die Datenüberwachung amerikanischer und britischer Geheimdienste. Die Frage lautete: Glauben Sie
Darauf antworteten 76 % der Befragten mit „Nein, das glaube ich nicht“. 11 % der Befragten befürchten diese persönlichen Nachteile. 13 % machten gar keine Angaben. Die Befürchtung, dass persönliche Daten im Internet nicht geschützt sind, teilen 57 % der Befragten. Aber nur 28 % machten sich darüber Sorgen, dass der US-Geheimdienst die Kommunikation in Deutschland überwacht.
Das klare Fazit der Allensbach-Untersuchung ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bürger sind durch die Datenüberwachung durch den amerikanischen Geheimdienst beunruhigt, aber sie zeigen keine übergroßen Emotionen. Insofern unterscheidet sich die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland durchaus etwas von dem Bild, das Sie hier gezeichnet haben, Frau Quade und Herr Striegel.
Solche Ergebnisse ändern aber nichts an der grundsätzlichen Feststellung, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass ein flächendeckendes Abhören und Ausspähen persönlicher Daten absolut inakzeptabel ist.
Es ist inakzeptabel bei Regeierungsmitgliedern und Politikern, es ist inakzeptabel bei Unternehmen und selbstverständlich inakzeptabel bei jedem einzelnen Bürger, gegen den keinerlei Verdachtsmomente vorliegen. Die Bundesregierung akzeptiert es auch nicht, dass sie selbst oder Unternehmer und Bürger gegen ihren Willen abgehört und überwacht werden.
Empörung allein löst aber leider noch nicht das grundsätzliche Problem. Dass ein Geheimdienst seinen Auftraggebern im Geheimen dient, ergibt sich aus seinem Wesen. In der deutschen Sprache ist das Wesen eines Geheimdienstes sogar aus seinem Namen abzuleiten: Geheimdienst. Es wäre daher naiv, zu glauben, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es Geheimdienste geben könnte, die nicht geheim operieren. Wenn man die Grundsatzfrage, ob es Geheimdienste geben soll, bejaht, wird man tendenziell akzeptieren müssen, dass Geheimdienste auch geheim ihren Dienst tun.
denn den Kampf gegen den internationalen Terrorismus gewinnt man nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit mahnenden Worten. Im Kern geht es deswegen um die richtige Balance von Sicherheit und Freiheit. Es ist die Aufgabe des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Genauso muss der Staat aber die Freiheit des Einzelnen schützen.
Gemeinsame Sicherheit gibt es nicht ohne gemeinsame Regeln; denn jeder Einzelne muss sich unterordnen. Die Freiheit des Einzelnen gibt es aber auch nicht in der völligen Transparenz. Völlige Transparenz, also die Abwesenheit jeder Privatheit, darf es nicht geben. Deswegen muss jeder seine Privatsphäre offensiv einfordern und schützen.
Wenn deutsche Sicherheitsbehörden oder andere Staaten mit nachrichtendienstlichen Methoden die Kommunikationswege mutmaßlicher Terrorzellen überwachen, um Bürgerinnen und Bürger oder Soldaten zu schützen, sind nach unserer Überzeugung, meine sehr verehrten Damen und Herren, Grund und Anlass gegeben. Ich bin froh darüber, dass ich mit meiner Familie in den Zoo gehen oder zum Fernsehturm fahren kann, ohne Angst haben zu müssen, dass in Deutschland Bombenanschläge passieren. Es ist uns in den letzten Jahren aufgrund der guten Arbeit der Dienste gelungen, dass wir dieses Sicherheitsgefühl auch weiterhin haben.
Aber weder das Abhören der Kanzlerin noch ein Mitschneiden von Kommunikationsdaten deutscher Bürger sind geeignete Beiträge zur internationalen Verbrechensbekämpfung. Das Datenschutzverständnis der deutschen Netzgemeinde ist ein anderes als das amerikanischer Sicherheitsbehörden. 100-prozentigen Schutz wird es daher nicht geben. Aber es gibt geeignete Wege, um Risiken zu begrenzen.
Die erste Maßnahme gegen zu viel Überwachung ist die eigene Vernunft. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist, wenngleich es nicht ein unmittelbarer Bestandteil des Grundgesetzes ist, ein Teil unserer Rechtsordnung. Es handelt sich bei dem informationellen Selbstbestimmungsrecht um eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Das wurde vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Volkszählungsurteil im Jahr 1983 als Grundrecht anerkannt. Wir brauchen aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, mehr Aufklärung über das Internet. Jeder Nutzer muss sich darüber klar sein, was das Internet technisch ist. Das Internet ist technisch nichts anderes als eine
milliardenfache freiwillige Interaktion von Menschen, die sich nicht kennen, und zwar in einem Netzwerk.
Hieraus erwächst auf der einen Seite ein ungeheurer Nutzen. Kein analoges Lexikon dieser Welt ist effizienter als Wikipedia. Cloud-Systeme erlauben es überall auf der Welt, von jedem Endgerät auf persönliche Daten zuzugreifen - aber eben nur dann, wenn man auch bereit ist, seine Daten bewusst in der globalen Netzwerkressource abzulegen. Wo neue Möglichkeiten sind, da sind auch Risiken. Den maximalen Nutzwert ohne jedes Risiko gibt es leider nicht.
Deswegen muss, wer informationelle Selbstbestimmung will, auch bereit sein, verantwortlich mit ihr umzugehen. Nur 7 % der Bürgerinnen und Bürger glauben, dass Facebook verantwortungsvoll mit ihren Daten umgeht. Aber 40 % rücken vor allem den Nutzen sozialer Netzwerke in den Vordergrund.
Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, ob alles, was ich in entsprechenden Netzwerken über mich preisgebe, tatsächlich eine Mitteilung wert ist. Bereue ich morgen, was ich heute an Informationen teile? Papier ist nur geduldig. Das Internet hingegen vergisst nichts.
Die informationelle Selbstbestimmung ist immer auch der verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Daten. Es gibt einen gesunden Mittelweg zwischen dem bedingungslosen Selbstdarstellen auf Facebook und dem Versuch, alle Informationen nur durch persönliche Boten oder Siegelbriefe auszutauschen. Denken wir einmal an die De-Mail oder an den elektronischen Personalausweis.
Der richtige Umgang mit dem Internet ist übrigens ein wichtiges Anliegen unserer Landesregierung. Deshalb war der Koalition die Stärkung der Medienkompetenz ungeheuer wichtig. Deshalb hat sie sich das zur Aufgabe gemacht. Das Bewusstsein für die Möglichkeiten und Risiken des Internet vermittelt die Landesregierung auf vielfältige Weise.
Die Medienmobile der Landesmedienanstalt oder die Netzwerkstelle „Medienkompetenz“ seien hier nur als Beispiele genannt. Die Netzwerkstelle „Medienkompetenz“ hat diese Landesregierung im Jahr 2012 umgesetzt. Diese Landesregierung hat in den Haushaltsberatungen auch deren Finanzierung in den kommenden Jahren sicherstellt. Das Fitmachen unserer Kinder und Jugendlichen, aber auch der Senioren, für den Umgang mit Medien ist ein Weg, um mit den Risiken und den Chancen des Internets vernünftig umgehen zu können.
Die zweite Maßnahme, bessere IT-Sicherheit für mehr Datensicherheit in Deutschland, ist natürlich auch ein Weg. Es gibt keine vollständige Absiche
rung gegen eine Ausspähung. Gesetze helfen nicht gegen gesetzwidriges Handeln. So hat es auch unser Ministerpräsident in seinem Interview gesagt.
Gegen gezielte Angriffe von Nachrichtendiensten kann man auch technisch nicht vollständig schützen. Es gibt erstens technische und zweitens vor allem finanzielle Grenzen. Das trifft leider auch auf den deutschen Mittelstand zu. Aber klar ist auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass man durch die Nutzung von vorhandenen Verschlüsselungstechniken tendenziell weniger anfällig ist.
Hierzu kann die Politik einen Beitrag leisten. Die Politik kann einen funktionierenden Wettbewerb zwischen den Diensteanbietern fördern. Die Politik kann darauf verzichten, den Diensteanbietern staatliche Pflichten zur Entschlüsselung ihrer Daten aufzuerlegen. Auch Schlüsselzertifikate-Anbieter müssen ihre Dienste auf dem Markt anbieten dürfen, wenn Unternehmen dies nachfragen. Datensicherheit ist der beste Datenschutz. Dazu gehört es auch, dass Daten legal verschlüsselt werden dürfen.
Es muss aus unserer Sicht geprüft werden, inwieweit deutsche und europäische Daten auch ausschließlich über Server in Deutschland und dem Schengen-Raum bewegt werden können. Wenn Europa unabhängiger von der aktuellen RoutingTechnik ist, dann ergeben sich für Europa auch andere Möglichkeiten zur Gewährleistung einer globalen Datensicherheit.
Die Regelungsgrundlage wäre das IT-Sicherheitsgesetz, das der Bundeszuständigkeit unterliegt. Das IT-Sicherheitsgesetz lag dem Deutschen Bundestag in der abgelaufenen Wahlperiode bereits zur Beratung vor. Es wurde aber nicht mehr verabschiedet.
Der bekannte Entwurf sieht Mindestanforderungen für die IT-Sicherheit für die Betreiber entsprechender Netzinfrastrukturen vor. Auch Meldepflichten gegenüber dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für schwere IT-Sicherheitsvorfälle im Bereich der Informationstechnik sind ein Bestandteil des Entwurfs. Deshalb wollen wir, dass über diesen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag zügig beraten wird.
Eine dritte Maßnahme wären europäische Datenschutzstandards. Mit der EU-Datenschutzverordnung müssen wir sicherstellen, dass die Weitergabe der Daten von EU-Bürgern an US-Behörden erschwert wird. Europa muss hierzu auch politisch eine Rechtsauffassung deutlich machen.
Der Europäische Rat hat am 24. und 25. Oktober beschlossen, bis zum Jahr 2015 einen integrierten digitalen EU-Binnenmarkt zu realisieren. Das sollten wir unterstützen; denn es kann nicht sein, dass der US-Patriot-Act vorsieht, dass ganz nor
mal Daten von EU-Bürgern durch Sicherheitsbehörden an US-Unternehmen weitergereicht werden. Das ist nach dem internationalen und europäischen Recht nicht zulässig. Deswegen muss der Datentransfer in Drittstaaten im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger eindeutig geregelt werden.
Entschuldigung, Herr Kollege, das müssen ganz kurze Gedanken sein, weil die Redezeit nicht mehr zulässt.