Protocol of the Session on June 20, 2013

Sie fördert Leiharbeit mit immer kürzeren Beschäftigungszeiten.

Auf der anderen Seite wird die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung immer weiter eingeschränkt. Die sogenannte Rahmenfrist - das ist der Zeitraum, innerhalb dessen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Anspruch auf Arbeitslosengeld I erwerben können - wurde von ursprünglich drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt. Das heißt, dass man in den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein muss, um Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben.

Das hat zur Folge, dass viele Betroffene gar keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld I erwerben, weil sie immer nur ganz kurzfristig beschäftigt sind. Das ist inzwischen nicht mehr nur ein Phänomen der Leiharbeit oder ein Phänomen in der Touristik- oder der Kulturbranche, auch wenn diese Branchen wegen der Saisonproblematik ganz besonders davon betroffen sind.

Auch eine im Sommer 2009 beschlossene Sonderregelung hat sich als unzureichend erwiesen. Monitoringberichte der Bundesregierung zeigen nämlich, dass nur etwa jeder dritte entsprechende Antrag genehmigt wurde, weil die Antragstellerinnen die restriktiven Zugangsbedingungen, die an diese Sonderregelung geknüpft waren, nicht erfüllen konnten.

Die Antragstellerinnen dürfen zum Beispiel überwiegend nicht länger als sechs Wochen beschäftigt gewesen sein. Sie dürfen immer nur Beschäftigungen gehabt haben, die nicht eine Woche oder einen Tag länger als sechs Wochen gedauert haben. Das heißt, wenn sie auch nur einmal eine Woche länger arbeiten, sind sie bereits aus der Sonderregelung herausgefallen.

Folgerichtig hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit schon im Dezember 2009 in einem dpaInterview gesagt - ich zitiere -:

„In diesen Fällen müssen wir tatsächlich überprüfen, ob die bestehende Anwartschaftsregelung für das Arbeitslosengeld I noch passt.“

„Noch“ bedeutet, sie hat irgendwann einmal gepasst; aber jetzt passt sie eben nicht mehr.

Genau darauf zielt unser heutiger Antrag ab. Die jetzige zweijährige Rahmenfrist soll wieder auf drei Jahre angehoben werden, sodass die Leute einfach mehr Zeit haben, die Bedingungen zu erfüllen, und die restriktiven Zugangsbedingungen sollen gelockert werden.

Da diese Regelungen nur auf der Bundesebene geändert werden können, soll die Landesregierung aufgefordert werden, sich genau dafür einzuset

zen. - Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Da ich noch ausreichend Zeit habe, möchte ich noch ein paar Worte zu dem Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlieren. Ich kenne das Konzept der GRÜNEN nicht genau, aber ich habe beim Lesen beispielsweise festgestellt, dass wir zunächst über den Punkt 1 diskutieren müssten.

Im Moment ist es so, dass jemand, der ein volles Jahr gearbeitet hat, Anspruch auf ein halbes Jahr Arbeitslosengeld I hat. Das ist die 2:1-Regelung, die in dem Antrag angesprochen wird. Darüber kann man, glaube ich, diskutieren. Man müsste es aber auch tun, damit wir uns darüber verständigen können, um was es dabei geht.

Dem Punkt 2, dem Gründungszuschuss, kann ich vorbehaltlos zustimmen. Wir haben in diesem Antrag ausdrücklich nur einen beschränkten Fokus auf ein ganz bestimmtes Problem gelenkt. Das war Absicht. Aber man muss es so nicht lassen.

Zu dem dritten Punkt ist ebenfalls eine Diskussion notwendig. Es klingt ganz gut zu sagen: Lasst doch einfach einmal alle Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur beiseite. Die Leute müssten keine Anstrengungen mehr unternehmen, um irgendwelche Dinge nachzuweisen; Mitwirkungs- und Nachweispflichten entfielen. Die rennen sich ja einen Wolf. In der Zeit kann sich die Bundesagentur für Arbeit um wichtigere Dinge kümmern.

Das klingt alles gut und funktioniert im Übrigen auch jetzt schon bei Leuten, die allein klarkommen. Aber spätestens dann, wenn Hilfe notwendig ist, funktioniert es nicht mehr.

Wir waren gestern bei dem Chef einer solchen Agentur. Er sagte auch, dass das Problem im Moment auch darin besteht, den Unternehmerinnen zu helfen, bestimmte Regelungen zu treffen, damit die von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen gar nicht erst arbeitslos werden.

Des Weiteren müsste man Menschen, die arbeitslos werden - die Leute werden immer älter, wenn sie von Arbeitslosigkeit betroffen sind -, Umschulungen und Beratungen anbieten, damit sie gar nicht erst in das tiefe Loch hineinfallen und gar nicht erst lange arbeitslos sind und sich vergeblich um Arbeit bemühen. Man sollte sie vielmehr gleich beraten, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln könnten.

Aus meiner Sicht sind in jedem Fall von Anfang an Vermittlungsbemühungen notwendig. Deshalb müsste man erst einmal darüber diskutieren, ob man einen solchen Punkt tatsächlich fördern will.

Wenn wir darüber diskutieren wollen, schlage ich vor, beide Anträge in den Ausschuss für Arbeit und

Soziales zu überweisen. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Dirlich. - Für die Landesregierung spricht nunmehr Herr Minister Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Dirlich, ich habe noch gar nicht mitbekommen, worauf wir uns in jeder Landtagssitzung einzustellen haben, wenn immer ein Antrag kommt - -

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Das war schon der dritte! Das haben Sie noch nicht bemerkt?)

- Das habe ich nicht bemerkt. Wahrscheinlich gibt es im sozialen Bereich so viele Themen, dass das bei mir untergeht.

Ich will mich ein bisschen kürzer fassen und nicht alles vortragen, was ich vor mir liegen habe.

Richtig ist, dass im Zuge der Flexibilisierung der Agenda 2010 die Zugangsvoraussetzungen, von denen Sie sprechen, in Rahmenfristen und Anwartschaften tatsächlich geändert worden sind. Voraussetzung ist eine Tätigkeit von zwölf Monaten. Bezüglich der Rahmenfrist erfolgte eine Verkürzung auf zwei Jahre. Dafür hätte man Verständnis zu einer Zeit gehabt, in der es weder einen so großen Niedriglohnsektor, wie es heute der Fall ist, gegeben hat noch das größere Problem der befristeten Arbeitsverträge und der Leiharbeit. Auf beides haben Sie hingewiesen. Ich will das nicht wiederholen, auch nicht die Zahlen, wie sich das in Sachsen-Anhalt entwickelt hat.

Wir wissen zumindest, dass die Vertragsdauer bei 90 % aller befristeten Arbeitsverträge weniger als 36 Monate beträgt. Davon ist immerhin jeder zehnte abhängig Beschäftigte betroffen.

Im Bereich der Leiharbeit sieht es noch viel schlechter aus, weil es noch mehr unsichere Beschäftigungsverhältnisse gibt. Die Dauer der Leiharbeitsverhältnisse beträgt in mehr als der Hälfte der Fälle weniger als drei Monate.

Das ist eine Problematik, die Sie alle kennen. Es ist klar, dass die Menschen relativ schnell in das ALG II rutschen und teilweise dauerhaft darin verbleiben. Das betrifft auch und besonders junge Menschen, weil auch diese befristete Arbeitsverträge bekommen. Das ärgert mich übrigens sehr; denn wir haben vor Kurzem noch gehört, was ich als positiv empfinde, dass wir mehr Lehrstellenangebote haben, als sie von jungen Menschen nachgefragt werden.

Seit dem letzten Jahr weiß ich, dass nur ein Drittel übernommen worden ist, das nächste Drittel befristete Arbeitsverträge bekommen hat und ein Drittel keine Beschäftigung gefunden hat.

Also, da muss man ganz kräftig an die Wirtschaft appellieren. Wenn man jungen Leuten eine Chance geben will und wenn man sie hier in unserem Land halten will, darf man nicht mit Befristung anfangen,

(Zustimmung bei der SPD)

sondern muss ihnen eine Perspektive geben. Die muss auch länger sein, damit sie nicht, wenn es aufhört, sofort wieder ALG II beziehen; denn einen ALG-I-Anspruch haben sie erst gar nicht.

(Zustimmung bei der SPD)

Ach so, das habe ich vergessen: Die Bundesregierung hat dieses Problem schon bemerkt. Es ist nicht so, dass das immer spurlos vorbeigegangen wäre. Es gibt die extrem kurz befristeten Arbeitsverträge mit einer Dauer von zehn Wochen; die gibt es ja auch. Da staunt man ja immer. Diese sind sozusagen erst mal davon ausgenommen. Aber das gilt nur bis 2014. Also, es ist eine Art Übergangsfrist und betrifft ja auch nur einen kleineren Teil. Aber zumindest wurde deutlich, dass da schon ein Problem vorhanden ist.

In der Vergangenheit gab es bereits mehrere Anläufe, sich dieses Themas Rahmenfristen beim SGB II anzunehmen. Ich habe bei der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2011 diesem Antrag, der eine Anhebung der Rahmenfrist von 24 auf 36 Monate forderte, was Sie ja auch ansprechen, zugestimmt. Dieser Versuch oder Prozess ist gescheitert. Wir haben jedenfalls damals keine Mehrheit gefunden.

Einen zweiten Versuch der Länder, das Problem differenziert zu lösen, gab es ja Mitte letzten Jahres. Das lief leider auch ins Leere. Deshalb gehe ich jetzt mal wirklich davon aus, dass wir in dieser Wahlperiode über den Bundesrat in der Zeit bis zur Bundestagswahl von der Bundesregierung nicht erwarten können, dass da noch mal Änderungen passieren. Deshalb denke ich, da muss man am Ball bleiben.

Zu den Punkten der GRÜNEN. Das wäre jetzt zu umfangreich, um dazu Stellung zu nehmen. Da bitte ich um Verständnis.

Wenn wir tatsächlich die Chance haben, im Ausschuss zu reden - - Dabei geht es um noch mehrere Dinge, die immer mitberedet werden müssen, die ich auch ein bisschen differenziert sehe. Aber das würde hier zu lange dauern, weil es doch um Probleme geht, die man eingehender bereden sollte.

(Zustimmung bei der SPD)

Von daher ist es mit Sicherheit richtig, im Ausschuss darüber zu reden.

Interessant finde ich noch - das meine ich jetzt nicht als Vorwurf, sondern eher als eine Chance -, ob von den Ländern, wo GRÜNE jetzt auch mitregieren oder die Regierung selbst stellen, so ein Antrag in den Bundesrat hineinkommt. In den Fachgremien des Bundesrates kann ich als Fachminister das ja immer unterstützen. Wenn es nachher um die Bundesratsendabstimmung geht, muss man sich natürlich mit dem Kabinett kurzschließen. Insofern ist das Thema hier erst mal richtig platziert. - Danke schön.

(Herr Borgwardt, CDU: Das ist doch genau der Grund, warum die LINKE den Antrag stellt, Herr Bischoff, dass sie das ausein- anderdividieren wollen!)

Danke schön, Herr Minister. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die Fraktion der CDU spricht nunmehr Abgeordneter Herr Rotter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich bereits am Anfang meiner Ausführungen eines bemerken: Auch ich teile durchaus die Auffassung des Ministers, und ich glaube, ihn richtig verstanden zu haben, dass eine Bundesratsinitiative der Länder, wie in beiden Anträgen gefordert, noch vor der anstehenden Bundestagswahl keine Aussicht auf Erfolg hat. Wir schreiben jetzt fast Ende Juni. Gewählt wird Ende September, also in drei Monaten. Dazwischen liegt noch die Sommerpause.

Übrigens - auch das möchte ich bemerken - hätte ich diese Auffassung auch vertreten, wenn wir diesen Antrag der Fraktion DIE LINKE schon in der vorherigen Sitzung des Landtags behandelt hätten.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Ich möchte deshalb an dieser Stelle meines Redebeitrages die Überweisung des vorliegenden Antrages in den Ausschuss für Arbeit und Soziales beantragen, und - ich denke mal, da habe ich meine beiden Vorredner richtig verstanden - da befinden wir uns dann in derselben Richtung.