Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 36. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Ich begrüße Sie alle herzlich zur letzten Runde in diesem Jahr, zu der sich das Plenum heute und morgen versammeln wird.
Wir können bereits Gäste auf der Besuchertribüne begrüßen. Ich begrüße Schülerinnen der Schüler der Berufsbildenden Schulen Köthen als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung. Herzlich willkommen im Haus!
Wir können mit einer zweiten freudigen Nachricht fortfahren. Wir haben heute auch ein Geburtstagskind im Haus. Unsere Kollegin Krimhild Niestädt hat heute Geburtstag. Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hohen Hauses und wünsche Ihnen alles Gute.
Kommen wir zu den Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff entschuldigt sich für die heutige Sitzung ganztägig aufgrund der Teilnahme an der Verleihung des Bundesländerpreises „Leitstern“ der Agentur für erneuerbare Energien an SachsenAnhalt. Diese Verleihung findet in Berlin statt. Anschließend wird der Ministerpräsident an der vorbereitenden Beratung zur Sitzung des Bundesrates teilnehmen. Am Freitag entschuldigt sich der Ministerpräsident bis 13.30 Uhr aufgrund der Teilnahme an der 904. Sitzung des Bundesrates in Berlin.
Herr Minister Bullerjahn entschuldigt sich für die heutige Sitzung ab 17.30 Uhr aufgrund der Teilnahme an der vorbereitenden Beratung zur Sitzung des Bundesrates in Berlin. Am Freitag entschuldigt er sich bis 13.30 Uhr wegen der Teilnahme an der Sitzung des Bundesrates in Berlin.
Frau Ministerin Professor Dr. Kolb entschuldigt sich für die Sitzung am Freitag ganztägig aufgrund der Teilnahme an der Sitzung des Bundesrates. - So weit zu den Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung.
Wir kommen zur Tagesordnung für die 20. Sitzungsperiode. Sie liegt Ihnen vor. Ich frage mit Blick in die Runde, insbesondere zu den parlamentarischen Geschäftsführern, ob es zur Tagesordnung noch Anmerkungen, Widerspruch oder Änderungsvorschläge gibt. - Das ist nicht Fall. Dann können wir nach der Ihnen vorliegenden Tagesordnung verfahren.
Zum zeitlichen Ablauf der 20. Sitzungsperiode nur so viel: Wie üblich wird die morgige Sitzung um 9 Uhr beginnen.
Eine eigenständige Jugendpolitik für SachsenAnhalt - Weiterentwicklung des jugendpolitischen Programms
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jugend hat es schwer. Jugend hat es immer schwer gehabt; denn das ist die Zeit, in der man Abschied nimmt von der Kindheit und in der man sich aufmacht in das Erwachsenenleben.
Ich glaube, heutzutage haben es die Jugendlichen besonders schwer. Alle wollen so lange wie möglich Jugendliche bleiben, alle hören die gleiche Musik, alle tragen die gleiche Kleidung, alle gehen in ähnliche Klubs und Restaurants. Aber ich glaube, dieser scheinbare Mainstream ist eben nur ein scheinbarer. Es täuscht.
Die nach dem Sozialgesetzbuch jungen Menschen im Alter zwischen zwölf und 27 Jahren haben auch heutzutage besondere Bedürfnisse, besondere Anforderungen, und wir als Politik, so glaube ich, haben die Pflicht, das zu gestalten.
Deshalb reicht es eben nicht aus, einen Unterpunkt im Bereich der Sozialpolitik für die Jugendpolitik zu reservieren. Es reicht nicht aus, Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe zu definieren. Wobei ich in den letzten Jahren - diese Anmerkung sei mir gestattet - den Eindruck gewonnen habe, dass Querschnittsaufgaben ohnehin nicht wertvoll sind; denn der Begriff Querschnittsaufgabe scheint zu meinen, dass alle nichts machen.
Insofern brauchen wir ein eigenes Feld Jugendpolitik als ein eigenes und gestaltendes Element und als Impulsgeber für andere Politikbereiche. Auch müssen wir noch deutlicher als in der Vergangenheit weg von der Defizitorientierung. Viele Felder im Bereich junger Menschen und im sozialpolitischen Bereich waren existenziell in den letz
ten Jahren. Deswegen ist die Beschäftigung mit der Jugend in den Hintergrund getreten. Vielfach ist Jugendpolitik nur noch defizitorientiert aufgetreten. Stichworte in diesem Zusammenhang sind Jugendarbeitslosigkeit, jugendlicher Alkoholkonsum, Jugendgewalt, Schulschwänzen und dergleichen.
Aber Lebenswelt und Jugendpolitik sind mehr. Eine eigenständige Jugendpolitik bedeutet, Themen und Sachverhalte aus der Lebenswelt von Jugendlichen politisch anzugehen und zu gestalten.
Machen wir es praktisch und nehmen ein Beispiel aus der Verkehrspolitik. Aus der Sicht von Jugendlichen, die in vielen Fällen keinen Führerschein haben oder, sofern sie denn einen haben, nicht über ein eigenes Auto verfügen, haben der ÖPNV und die Gestaltung von Radwegen einen weitaus höheren Stellenwert als für Erwachsene, die Mobilität häufig am Vorhandensein und an der Verfügbarkeit eines Autos festmachen.
Wenn der ÖPNV aus dieser Sicht gestaltet wird, ist er nur selten mit dem kompatibel, was sich Jugendliche wünschen. Jugendliche wünschen sich nämlich einen jugendgerechten ÖPNV, der sich nicht nur an den Erfordernissen von Schulzeiten und von Schülerinnen und Schülern orientiert.
Das Fifty-fifty-Ticket in Sachsen-Anhalt ist ein positives Beispiel. Einige von Ihnen werden es kennen. Mit diesem Ticket können Jugendliche im Alter von 16 bis 26 Jahren abends zum halben Preis mit dem Taxi von der Disko oder einer anderen Veranstaltung nach Hause fahren. Das ist der richtige Weg; denn das trifft die Alltagsgestaltung der Jugendlichen.
Deswegen ist es so wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, klassische jugendpolitische Felder wie Jugendhilfe und Schule sehr wohl ernst zu nehmen, aber eigenständige Jugendpolitik als weitaus mehr zu begreifen.
Eigenständige Jugendpolitik umfasst alles, was Jugendliche interessiert und was in deren Lebensweltgestaltung eingreift. Wir müssen die Spezifik der Jugendphase anerkennen, die im Unterschied zur Kindheit und zum Erwachsensein eigenständig existiert. Die Jugendphase ist durch spezifische Entwicklungsaufgaben, spezifische Rechte, spezifische Handlungschancen, aber auch durch spezifische Restriktionen gekennzeichnet. Sie ist die Verschränkung von Zukunftsorientierung und Gegenwartsbezug.
Jugend ist - das habe ich eingangs bereits erwähnt - die Vorbereitung auf später, auf das Erwachsenenleben. Sie ist geprägt von Übergängen und zahlreichen Weichenstellungen. Diese phasenspezifische Abgrenzung, die sich im Prinzip erst in den letzten 100 bis 120 Jahren ausgeprägt hat, ist existenziell und muss neben einer eigen
ständigen Kinderpolitik und einer eigenständigen Familienpolitik durch eine eigenständige Jugendpolitik ergänzt werden.
Genau daran krankt das kinder- und jugendpolitische Programm des Landes aus dem Jahr 2000. Darin gehen kinder- und jugendpolitische Themen quer durcheinander. Genau das wollen wir mit einem eigenständigen Jugendprogramm eben nicht mehr. Wir brauchen eine klare Programmatik; denn nur daraus kann auch konkrete Politik erwachsen, in diesem Fall eigenständige Jugendpolitik. Ganz abgesehen davon finde ich, dass es uns gut zu Gesicht stehen würde, Programme aus dem letzten Jahrtausend auch einmal zu modernisieren.
Folgendes möchte ich nicht verhehlen: Selbst der Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung bekennt sich zu einer eigenständigen Jugendpolitik und fordert diese. Das ist erst einmal gut und richtig. Ich finde, dem sollten wir in Sachsen-Anhalt nicht nachstehen und wir sollten dies auch mit Inhalten füllen.
Die Besinnung auf die Jugend als eigenständige Lebensphase geschieht in vielen Bereichen. Ich hatte bereits den Verkehrsbereich angesprochen. Einige von Ihnen werden wahrgenommen haben, wie dieses Thema in den letzten Monaten auch im Bereich der Medien diskutiert wurde. Die öffentlichrechtlich finanzierten Rundfunkanstalten ARD und ZDF planen einen eigenständigen Jugendkanal. Neben dem Kinderkanal, dem Kika, der ein Programm speziell für Kinder anbietet, und dem normalen Programm, das sich an alle richtet, soll ein spezifisches Jugendprogramm eingeführt werden.
Einen solchen Widerhall wollen wir mit dem jugendpolitischen Programm auch in anderen Politikfeldern erzeugen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Zustimmung zu unserem Antrag - hierum möchte ich Sie dringend bitten - würden wir die Jugendphase in ihrer Eigenheit anerkennen. Denn das, was wir wenig haben und was rar ist, sollten wir hegen und pflegen. Wir haben - das ist in anderen Debatten bereits oft gesagt worden - weder Bodenschätze noch einen Zugang zum Meer; aber wir haben engagierte junge Menschen und diese sollten wir hegen und pflegen.
Wenn wir die Jugendphase als eigenständige Phase anerkannt haben, dann müssen wir sie auch politisch verteidigen gegen Verzwecklichung und gegen Ökonomisierung. Jugendliche nur als zukünftige Fachkräfte zu sehen, greift wesentlich zu kurz. Es fehlt die Betrachtung des jugendlichen Menschen als Menschen an sich, als Bürger. Die Ausbildung einer eigener, einer autonomen Per
sönlichkeit braucht Zeit. Dafür müssen wir Freiräume eröffnen, müssen diese bewahren. Wir brauchen Jugendpolitik als Widerpart, als Korrektiv.
Der Bundesjugendring brachte es, wie ich finde, ganz gut auf den Punkt, indem er sagte: selbstbestimmt und nicht verzweckt. - Dem kann ich mich nur vollumfänglich anschließen.
Wir sehen die nötige Fokussierung auf Jugend mit einem eigenständigen Programm nicht zuletzt als unausweichliche Notwendigkeit, wenn man den demografischen Wandel in den Blick nimmt.
- Danke für das Stichwort. Es würde mich freuen, wenn Sie das so sehen würden. Ich finde in der Tat - da kann man die Kanzlerin zitieren -, dass das alternativlos ist, denn wir müssen unsere jungen Menschen hegen und pflegen.
Das ist - das darf man nicht verhehlen - irgendwann auch eine Machtfrage, denn wer bildet sich im Wahlverhalten ab? Wie viele junge Menschen haben wir, die noch jahrzehntelang von dem betroffen sein werden, was Politik heute an Weichenstellungen vorsieht?
Seniorinnen und Senioren sind in unserem Land weitaus besser mit einem eigenständigen Programm, mit eigenständigen Gremien vertreten. Auf diesem Gebiet ist sicherlich auch noch nicht alles hundertprozentig dort, wo es hin soll, aber im Vergleich zur Seniorenpolitik gibt es bei der Jugendpolitik eindeutige Defizite.
Lebendige Demokratie, liebe Damen und Herren, lebt davon, dass alle Generationen einbezogen werden. Deshalb müssen wir, finde ich, darauf achten, dass Jugend nicht mehr an Bedeutung und an Einfluss verliert.
Das Jugendparlament, das in der letzten Woche hier im Landtag zusammentrat, hat sich auch mit solchen Fragen befasst und forderte in einem Antrag mehr Mitbestimmung in der Kommunalpolitik. Sie fordern die Einrichtung von ständigen Jugendbeiräten in Städten und Gemeinden und haben sich nahezu einstimmig für die Mitsprache von Jugendlichen in institutionellen Verankerungen ausgesprochen. Genau das möchten wir jetzt auch auf Landesebene. Jugendliche sollen auch auf Landesebene über ihr eigenes Programm, das ihre eigene Lebenswelt gestaltet, mitbestimmen dürfen.