Protocol of the Session on September 20, 2012

Die Höhe des persönlichen Budgets orientiert sich ausdrücklich am jeweiligen individuellen Bedarf, soll aber die Höhe der bisherigen Sachleistungen nicht überschreiten. Durch die Leistungsform des persönlichen Budgets soll das Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen gestärkt werden, ganz im Sinne von aktiver Teilhabe und Selbstbestimmung und nicht im Sinne von fremdbestimmter Versorgung.

Zur Nutzung des persönlichen Budgets ist grundsätzlich niemand verpflichtet. Aber gerade auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention ermöglicht das persönliche Budget eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Die Inanspruchnahme führt letztendlich zu mehr Selbstbestimmung, mehr Selbständigkeit und mehr Selbstbewusstsein bei den Betroffenen.

Diese Selbstbestimmung bedeutet jedoch auch, dass der Bewilligung eines persönlichen Budgets aktives Mitwirken durch die Betroffenen oder, zum Beispiel bei geistiger Behinderung, ihrer Betreuungsperson vorausgehen muss.

Niemand wird wegen Art und Schwere seiner Behinderung oder wegen des Umfangs der benötigten Leistungen ausgegrenzt. Für den einzelnen Menschen ist es jedoch unter Umständen ein großer Schritt, der zu machen ist, um die Leistungen tatsächlich in Anspruch nehmen zu können. Diese Problematik wird schon durch die offensichtlich dringend benötigten Beratungs- und Unterstützungshilfen deutlich, die die Antragstellung begleiten.

Beratungshotlines und Beratungsstellen müssen auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen. Um die Informationen zum persönlichen Budget zum Beispiel barrierefrei zu gestalten, bedarf es Informationsplattformen in Alltagssprache, leichter Sprache, Gebärdensprache oder mit der Möglichkeit, sich die Texte vorlesen zu lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sie haben es erkannt: Die Grundidee des persönlichen Budgets entspricht dem Paradigmenwechsel hin zur Teilhabe, der auch von der UN-Behindertenrechtskonvention gefordert wird. Es spricht für das Land Sachsen-Anhalt, dass es sich in den Jahren 2004 bis 2007 an einer Modellphase beteiligt hat, aus der Anregungen in die aktuelle Handhabung eingeflossen sind; der Minister erwähnte es schon.

Die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE lässt auf den ersten Blick die Vermutung zu, dass wir im Land Sachsen-Anhalt einen gewissen Nachholbedarf bei der Bewilligung des persönlichen Budgets hätten. Zu den Zahlen werden wir sicher nachher von meiner Kollegin Frau Dr. Späthe von der SPD noch einiges hören - jedenfalls, wie ich sie kenne.

Ich möchte darauf verweisen, dass es bei solchen individuellen Leistungen vielfältige Kritik geben kann und geben muss. Dazu gehört eine unterschiedliche Auffassung zur Höhe der benötigten Leistungen, vor allem aber auch Kritik an der Bearbeitungszeit. Gerade der Landesbehindertenbeirat leitet seine Kritik regelmäßig an das zuständige Ministerium weiter, damit das Instrument persönliches Budget den Betroffenen in angemessener Weise zugute kommen kann. Auch der Sozialausschuss hat das Thema ständig im Blick.

Der Minister hat uns heute auch berichtet, was er in Zusammenarbeit mit der Sozialagentur und den Gebietskörperschaften zur Verbesserung beigetragen hat und noch beitragen will.

Ich möchte meine heute doch längere verbleibende Redezeit nutzen, um Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, an einem Beispiel einmal sowohl die Komplexität des persönlichen Budgets als auch die erfolgreiche Nutzung zu verdeutlichen. Das Praxisbeispiel habe ich aus dem Internet von der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Dort sind noch weitere Beispiele zu finden, die es sich sicherlich auch einmal anzuschauen lohnt.

Ich möchte Ihnen das Beispiel eines Budgetnehmers mit geistiger Behinderung darstellen. Es handelt sich um einen 32-jährigen Mann, der in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet. Er lebt seit der Scheidung von seiner Frau selbständig in seiner eigenen Wohnung, kommt dabei aber nicht ganz allein zurecht. Seine gesetzliche Betreuerin schlug ihm vor, ein persönliches Budget zu beantragen. Gemeinsam haben die beiden besprochen, welche Betreuung er sich wünscht und von wem diese durchgeführt werden soll.

Den Antrag hat die Betreuerin ausgefüllt, dabei hat sie aber möglichst viele Formulierungen des künftigen Budgetnehmers übernommen, damit auf diese Weise authentisch und überzeugend vermittelt werden konnte, welche Ziele der 32-Jährige verfolgt, ganz im Sinne von Teilhabe.

Der Antrag auf ein persönliches Budget wurde vom ihm beim Sozialamt seiner Heimatstadt eingereicht. Kurz darauf kam es zu einem Kennenlerngespräch zwischen dem Antragsteller, seiner gesetzlichen Betreuerin und der Verantwortlichen der Antragsstelle. Die Mitarbeiterin des Sozialamtes hat den potenziellen Budgetnehmer auch zu Hause besucht, um sich ein besseres Bild von ihm machen zu können. Die Betreuerin in diesem Fall hält die persönlichen Kontakte für sehr wichtig und hat gute Erfahrungen damit gemacht.

Danach folgte die Hilfeplankonferenz, in der über Bedarf und Höhe des persönlichen Budgets entschieden wurde. Von dem bewilligten persönlichen Budget wurden nun acht Stunden Betreuung pro Woche finanziert, die er bei einem speziellen Dienst einer großen Behindertenorganisation eingekauft hat. Selbstverständlich wären an dieser Stelle auch andere Varianten möglich.

Zunächst stand die Hilfe in Alltagsdingen im Vordergrund. Außerdem braucht er Unterstützung beim Umgang mit seiner achtjährigen Tochter, die er regelmäßig am Wochenende sieht. Dieser Aspekt sollte seitens des Sozialausschusses noch einmal näher beleuchtet werden. - Einen Teil des Budgets verwendet er für die Teilhabe im Freizeitbereich.

Da die Betreuerin für die Geldangelegenheiten des Mannes zuständig ist, regelt sie die Überweisungen für die Betreuungsleistungen des ambulanten Dienstes, nachdem der Budgetnehmer den Stundenzettel des Assistenten geprüft, für richtig befunden und unterschrieben hat. Inzwischen ist der neue Budgetnehmer so selbständig geworden, dass er nur noch vier Stunden Betreuung pro Woche benötigt.

Mein Wunsch wäre es, dass wir zukünftig auch positive Beispiele aus Sachsen-Anhalt auf dieser Internetplattform finden können.

(Zustimmung bei der CDU)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Kritik an zeitlichen Abläufen und Schwierigkeiten bei der Bewilligung sollten wir jeden weiteren Budgetnehmer und jede weitere Budgetnehmerin darin bestärken, diesen Weg in die größere Selbstbestimmung zu versuchen. - Danke.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Frau Abgeordnete Gorr. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Lüddemann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! In der Tat ist das persönliche Budget im Jahr 2008 bundesweit mit

sehr hehren Zielen und auch mit großen Erwartungen gestartet.

Ungefähr 8,6 Millionen Menschen konnten zumindest theoretisch in den Genuss dieses persönlichen Budgets kommen, was sie zu Akteuren und Akteurinnen in ihrem eigenen Leben machen sollte. Sie selbst bestimmen, wann sie wofür welche Leistungen einkaufen. Sie sollen Arbeitgeber sein, ihr eigenes Leben aktiv gestalten und Eigenverantwortung übernehmen.

Die Realität sieht bundesweit ernüchternd aus. Sachsen-Anhalt ist dabei in der Tat nicht viel besser oder schlechter als andere Bundesländer. Ungefähr ein Anteil von 1 % der Betroffenen nimmt ein persönliches Budget in Anspruch. In SachsenAnhalt waren das am Ende des letzten Jahres, wie aus der Antwort auf die Große Anfrage hervorgeht, 690 Menschen von ungefähr 370 000, die theoretisch infrage kämen. Dies entspricht einem Anteil von 1 % derjenigen, die Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen können, also fast nichts. Man kann sagen: Gut gedacht, schlecht gemacht. Wir müssen im Land sehen, wie wir damit umgehen, weil es sich um Bundesrecht handelt.

Ich bin Ihnen, Kollegin Gorr, dankbar für das Beispiel, das Sie genannt haben. Das ist eine positive Geschichte, aber es zeigt eben auch, warum es in vielen Fällen nicht funktioniert. Denn die Berufsbetreuer bekommen all diese Leistungen, die Sie in dem Beispiel beschrieben haben, nicht extra vergütet. Deswegen besteht auch eine große Skepsis, inwieweit sich die Berufsbetreuer in diese Problematik überhaupt einbringen sollen.

(Zuruf von Frau Gorr, CDU)

Es besteht eine große Skepsis und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen. Insgesamt zeigen die Antworten auf die Große Anfrage deutlich, welche Krux in diesem Zusammenhang besteht. Es werden viele Dinge festgestellt, beispielsweise dass Betreuung kein Hinderungsgrund ist, ein persönliches Budget in Anspruch zu nehmen. Allerdings werden in den Antworten auch keine Lösungen aufgezeigt.

An dieser Stelle sollten sich alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier aufgefordert fühlen, mit den Ergebnissen gemeinsam umzugehen. Warum sind die Zahlen so niedrig? Wie kann man die Dinge besser miteinander verknüpfen, damit das, was gut gedacht war, auch zum Tragen kommen kann?

Ich kann aus den Gesprächen sowohl mit den Berufsbetreuern als auch mit Betroffenen nachvollziehen, dass auch eine große Angst herrscht, sich in dieses Abenteuer - so will ich es einmal nennen - persönliches Budget zu begeben. Sie müssen sich vorstellen, dass unwahrscheinlich viele Entscheidungen zu treffen sind. Es sind unheimlich viele Formulare auszufüllen. Es sind Angebote einzuholen. Es sind Fristen einzuhalten. Das muten

wir an dieser Stelle Menschen zu, die aufgrund bestimmter Behinderungen nicht in der Lage sind, das Leben so wahrzunehmen, wie selbst viele von uns es manchmal auch nicht können.

Insofern braucht die Freiheit, die wir den Menschen geben, auch Hilfestellungen. Dabei ist die Budgetberatung mit all ihren Schwierigkeiten nicht immer adäquat und nicht immer das, was die Menschen wirklich brauchen, um dieses persönliche Budget in Anspruch zu nehmen.

Einen weiteren Widerspruch zeigen die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage sehr deutlich. Wir reden auf der einen Seite von individuellen Bedarfen, auf der anderen Seite von Leistungstypen und Hilfebedarfsgruppen. Ich frage Sie: Wie können Schubladen individuell sein? - Das geht nicht.

(Zustimmung von Frau Hohmann, DIE LINKE)

Ich finde, die Antworten auf die Große Anfrage zeigen ganz deutlich, dass wir an die Eingliederungshilfe grundlegend herangehen müssen. Wir müssen weg von dem Schubladendenken.

Wir als GRÜNE denken in Richtung integrierte Teilhabeplanung, bei der man von dem Positiven und von dem, was die Menschen können, ausgeht. Daraus sollte der individuelle Plan zusammengestellt und das persönliche Budget zur Finanzierung herangezogen werden. Das kann aber auch über Fachleistungsstunden abgerechnet werden.

Zusammenfassend kann ich sagen: Leistungstypen, Leitbehinderung, Standardleistungen, Unkombinierbarkeit - das alles muss weg. Wir brauchen einen grundlegend neuen Umgang mit der Thematik. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Lüddemann. - Für die SPDFraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Späthe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist richtig, seit vier Jahren besteht der Rechtsanspruch auf die Bewilligung eines persönlichen Budgets für Menschen mit Behinderungen. Seit seiner Einführung und dem Ablauf der Modellphase ist über das persönliche Budget viel geschrieben, diskutiert und geschimpft worden.

Der Landtag und insbesondere der Sozialausschuss haben sich sehr oft mit diesem Thema beschäftigt und insbesondere die Bewilligungspraxis immer wieder kritisch hinterfragt. Einiges ist auch zum Positiven verändert worden. Insbesondere die Arbeitshinweise der Sozialagentur für die herangezogenen Gebietskörperschaften sind immer wieder

diskutiert worden und haben auch Änderungen erfahren, ohne bis heute das Optimum zu erreichen.

Bis vor ca. zwei Jahren begegnete mir das Thema recht oft in Bürgersprechstunden, an Stammtischen und Bürgeranfragen. Nun, muss ich sagen, ist es ruhig um das persönliche Budget geworden. Gerade deshalb ist es sinnvoll, die Große Anfrage zu diesem Thema zu stellen und die Aussprache dazu zu führen.

In Merseburg arbeitet ein Verein zur beruflichen und sozialen Integration, der regelmäßig einen Budgetstammtisch organisiert. Auf meine Anfrage in dieser Woche erfuhr ich, dass es den Stammtisch „Persönliches Budget“ nicht mehr gebe, da keine neuen Interessenten dazugekommen seien. Es habe sich aber eine Beratungsstelle „Persönliches Budget“ erhalten. Doch auch hier gebe es nur einzelne Anfragen.

Diese relative Ruhe kann einerseits das Zeichen für eine problemlose Bearbeitungs- und Bewilligungspraxis sein. Andererseits kann es auch das Zeichen von Resignation und Mutlosigkeit bei potenziellen Budgetnehmern sein.

Dies alles lässt sich aus den Antworten auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE nicht herausfinden. Deswegen möchte ich auf einige Aspekte eingehen, die in der Großen Anfrage angesprochen und beantwortet werden und bei denen, wie ich denke, Handlungsbedarf besteht.

Erhalten geblieben ist uns - dies ist bundesweit der Fall - das Problem der trägerübergreifenden persönlichen Budgets. Es gibt sie faktisch nicht. Was sich im Gesetzestext sehr gut liest, hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt. Jeder Leistungsträger ist in den eigenen finanziellen Interessen gefangen. Daran hat sich seit der Existenz der Leistungsart des persönlichen Budgets nichts geändert.

Betrachtet man die Antworten zu den Teilbudgets für die verschiedenen Teilbereiche, ist auffallend, dass der Bereich „Wohnen“ relativ wenig in Anspruch genommen wird. Der Bereich „Freizeit/soziale Kontakte“ wurde mit 370 Inanspruchnahmen mehr als doppelt so oft wie der Bereich „Bildung“ und fünfmal so oft wie der Bereich „Wohnen“ in Anspruch genommen.

Nun kann man auch über die Ursachen dieser Entwicklung nichts aus dem Text herauslesen. Aber nachfragen sollte man an dieser Stelle schon einmal, insbesondere da auf Seite 20 der Antwort der Landesregierung dargelegt wird, dass das persönliche Budget, auch das Teilbudget „Wohnen“, nicht zur Entlastung der stationären Einrichtungen beitragen könne, weil diese Leistungen antragsabhängig seien.

Mit dieser Aussage korrespondiert aber nicht die Anzahl derer, die durch die Inanspruchnahme des

Budgets nicht mehr oder gar nicht erst auf stationäre Hilfe angewiesen sind. Nach eigenen Angaben konnten 50 Menschen die stationäre Einrichtung verlassen und können nun selbstbestimmt wohnen. Schätzungsweise 150 Menschen wären durch das Budget in ambulanter Betreuung geblieben. Daraus müsste man eigentlich eine Erfolgsgeschichte machen können und nicht schreiben, das Budget sei ungeeignet, um die Wartelisten der stationären Einrichtungen zu verkürzen.