Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Harms. Doch zuvor können wir Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Egeln bei uns begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz tritt das Land Sachsen-Anhalt einem Staatsvertrag bei. Wir nutzen zehn Jahre Erfahrungen aus Hessen. Wir minimieren zumindest zu erwartende Kosten auf etwa ein Achtel. Die potenzielle Einsparung, die uns ansonsten nicht zuwachsen würde, liegt bei mehr als 1 Million € pro Jahr.
Warum tun wir das? - Wenn man in die Präambel des Staatsvertrages schaut, dann stellt man fest: Wir tun das, um entlassene Straftäter mit einer ungünstigen Sozialprognose bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen. - So weit, so gut.
Die Kritik, die ich von Ihnen, Frau von Angern, heute und auch während der Anhörung vernehmen durfte, hat mir sehr wohl zu denken gegeben. Natürlich wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit gefährlichen Mitmenschen ein Haus mit festen Mauern, und zwar nicht nur festen Mauern, sondern am besten hohen Mauern, damit man diejenigen dahinter nicht sehen kann und damit diejenigen, die dort eingeschlossen sind, auch die Gesellschaft nicht sehen können.
Schon dass man von diesen potenziell gefährlichen Mitmenschen gesehen wird, wenn sie aus ihren festen Unterkünften herausschauen - ich versuche, den Begriff „Gefängnis“ zu vermeiden, weil einige auch nach ihrer Haftstrafe dort auf eine feste Behausung angewiesen sind -, ist für unsere Bürgerinnen und Bürger ein Problem. Löst die elektronische Fußfessel dieses Problem? - Nein. Die elektronische Fußfessel wird dieses Problem nicht lösen.
Die elektronische Fußfessel dient nicht der Vermeidung von Straftaten. Das steht auch nicht in der Präambel. Sie dient der Wiedereingliederung.
Nun müssen wir uns fragen, wie unsere Bürgerinnen und Bürger mit diesen Möglichkeiten umgehen werden. Wir haben derzeit eine aktuelle Diskussion über den Umgang mit zumindest von der Bevölkerung als gefährlich eingestuften Mitmenschen - auch in der Region, in der ich lebe. Ich musste feststellen, dass es mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nicht allzu weit her ist.
Wenn ich mich aber frage, inwieweit die Polizei in der Lage ist, bei einem Hinweis durch das elektronische Überwachungssystem einzuschreiten, muss ich auch die Frage beantworten, wie schnell unsere Polizei dort sein kann, wo unsere gefährlichen Mitmenschen sind. Dabei stelle ich fest, dass wir diesbezüglich zumindest in dünn besiedelten Regionen ein Problem haben, das beim realen Einsatz von Fußfesseln eine sehr genaue Betrachtung erforderlich macht.
Die Entscheidung darüber wird im Einzelfall von Gerichten getroffen werden. Diese Richter haben die natürlichen Gegebenheiten vor Ort - auch in der dünn besiedelten Altmark - zu berücksichtigen. Wenn die Polizei schlichtweg mehr als 20 Minuten brauchen wird, um bei diesem als gefährlich eingestuften Mitbürger zur Klärung der Situation zu erscheinen, dann liegt dort ein erhebliches Sicherheitsrisiko vor.
Ich möchte auf eine alternative Nutzung der elektronischen Fußfessel verweisen, die mir persönlich erwähnenswert erscheint. Nicht nur nach der Haft, sondern auch alternativ zur Haft kann die elektronische Aufenthaltsüberwachung eingesetzt werden. Das ist ausführlich dargestellt worden. Das erscheint mir im Einzelfall durchaus sinnvoll.
Wir sollten diesen Aspekt auch dazu nutzen, dass wir der Einrichtung einer gemeinsamen Stelle zustimmen. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zur Einrichtung dieser gemeinsamen Überwachungsstelle. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einigen Monaten führen wir in unserem Land eine intensive Debatte über die Verantwortung und die Pflichten des Staates gegenüber ehemaligen Strafgefangenen und ehemaligen Sicherungsverwahrten, die allesamt ein Recht auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft haben.
Ob dieser Versuch der Resozialisierung erfolgreich ist, hängt wesentlich von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt auch von der Bereitschaft der Betroffenen selbst ab, tätig zu werden. Ohne den Willen bei den Betroffenen zur Veränderung kann dies nicht gelingen, aber unsere Pflicht ist es, jeder und jedem zumindest die Chance zu eröffnen, sein Leben in Freiheit und mit größtmöglicher Selbstbestimmung zu leben. Das ist die Pflicht und die Schuldigkeit des Staates; denn er ist der einzige, der Freiheit temporär nehmen kann.
Dass sich dieser Anspruch nicht immer leicht umsetzen lässt, spüren wir derzeit an mehreren Baustellen im Justizbereich, aber besonders intensiv im Fall „Insel“, wo sich ein gesamtgesellschaftliches Problem exemplarisch Bahn bricht. Wenn der Anspruch auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung auf Ausgrenzung, Diffamierung und Vertreibung stößt, muss die Politik sich fragen, was sie zur Stärkung der Akzeptanz ehemaliger Strafgefangener und Sicherungsverwahrter beitragen kann und was sie in der Vergangenheit falsch gemacht hat.
Herr Harms, Sie haben völlig Recht, wenn Sie es ansprechen: Es gibt eben nicht nur Menschen, die sich das Haus mit hohen Mauern wünschen, sondern bedauerlicherweise gibt es auch Menschen, die sich noch viel mehr wünschen: Sie wünschen sich, dass diese Menschen gar nicht mehr unter uns leben. Da frage ich mich: Wo sollen sie denn hin?
Die elektronische Fußfessel, liebe Kolleginnen und Kollegen - so nenne ich sie jetzt der Einfachheit halber -, hilft uns in dieser Hinsicht überhaupt nicht weiter. Deswegen wird die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN die vorliegende Beschlussempfehlung und den Gesetzentwurf ablehnen.
Die Fußfessel ist ein digitaler Klotz am Bein der Betroffenen, der uns nicht aus der Verantwortung entlässt, eine effektive Führungsaufsicht im Kontakt mit dem Betroffenen zu gewährleisten und die Wiedereingliederung mit menschlicher Hilfe und menschlichem Beistand zu ermöglichen. Die elektronische Fußfessel schafft einen neuen Bereich der Strafvollstreckung zwischen der Bewährungsstrafe und der Vollzugshaft. Das kann nicht in unserem Sinn sein.
Führungsaufsicht: billig, sicher, sauber, massenhaft anwendbar, ressourcenschonend, effektiv. Aber stimmt das wirklich? Nach eingehender Beschäftigung mit den praktischen und rechtlichen Konsequenzen aus dem Beitritt zum Staatsvertrag ergeben sich viele dicke Fragezeichen. Auf ein paar möchte auch ich eingehen.
Erstens. Die Fußfessel schafft ein trügerisches Bild von Sicherheit, weil sie keine Straftaten verhindert. Im schlimmsten Fall hilft sie sogar, sie zu verschleiern. In der Anhörung ist von Fachleuten geäußert worden, dass beispielsweise der Träger einer elektronischen Fußfessel in seiner Nachbarwohnung durchaus eine Straftat begehen kann, ohne dass diese entdeckt wird.
Zweitens. Technisch ist die elektronische Fußfessel auf dem Stand der 90er-Jahre. Nach Angaben der hessischen Zentrale für Datensicherung, die über langjährige Erfahrungen mit den Geräten verfügt, hält der Akku - abhängig von der Nutzung - im Regelfall etwa 18 Stunden.
Dazu kommt, dass jeder Träger zusätzlich mit einem Handy ausgestattet werden soll, das einzig und allein der Kontaktaufnahme mit dem Träger im Falle eines Verstoßes dienen soll. Davon ausgehend, dass jeder Mensch noch über ein weiteres privates Mobilfunkgerät verfügt, dessen Betriebsbereitschaft er gewährleisten muss, sind Fehlalarme und Polizeieinsätze vorprogrammiert, die aus dem Ausfall des einen oder anderen Gerätes resultieren.
Drittens. Überhaupt ergeben sich aus polizeilicher Sicht viele Fragen, die ungeklärt sind. So haben beide polizeilichen Gewerkschaften sowie der Bund deutscher Kriminalbeamter ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht und vor einer Zustimmung gewarnt bzw. direkt darum gebeten, diese zu verweigern. Eine Mehrbelastung der Polizei durch völlig neue Aufgaben ist offensichtlich. Herr Finanzminister, dabei sind auch Sie gefragt, ob Sie die Gelder für diese Mehraufgaben zur Verfügung stellen werden. Ich habe meine Zweifel.
Meine Damen und Herren! Als Fazit lässt sich festhalten: Die elektronische Fußfessel wird in ihrer Bedeutung für die ihr durch die Landesregierung beigemessene Resozialisierungsrelevanz deutlich überschätzt. Relevante Risiken und Gefahren werden stattdessen ausgeblendet oder kleingeredet.
Die elektronische Fußfessel leistet weniger, als die meisten hoffen, und birgt die ernste Gefahr eines inflationären Gebrauchs als vermeintlich billige, zukunftsfähige Maßnahme der Führungsaufsicht. Die politische Entscheidung über diese für unser Land neue Maßnahme bringt uns zurück zu der Frage, ob die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe
der Prävention und des Schutzes der Bevölkerung durch Menschen oder durch Technik erfolgen soll und was uns derartige Grundsatzentscheidungen wert sind. Sie können heute über diese Frage abstimmen. - Vielen Dank.
Herr Herbst, ich schätze Sie im Regelfall, aber ich glaube, wir sollten verhältnismäßig argumentieren.
Frau von Angern beklagt, dass es bisher noch kein Gericht verordnet hat. Sie sagen: Damit könnte inflationär umgegangen werden
- Das habe ich verstanden. Sie haben dargestellt - wenn ich darauf noch einmal reflektieren darf -, dass es bisher noch nicht so ist. - Das ist eine Tatsache. Wir haben dagegen geltend gemacht, dass es nach dem jetzigen Recht schon möglich wäre. Sie sagen, es bestehe die große Sorge, dass man damit inflationär umginge. Das halten Sie eine verhältnismäßige Argumentation?
Ich halte das für eine sehr verhältnismäßige Argumentation, weil sie im Grunde genommen das vorwegnimmt, was in vielen anderen Ländern nach der Einführung geschehen ist.
Frau von Angern hat schon darauf Bezug genommen, was den Unterschied zwischen Bundesgesetzgebung und Landesgesetzgebung angeht. Schon jetzt kann jeder Richter in Sachsen-Anhalt diese Maßnahme verhängen. Aber solange wir in Sachsen-Anhalt nicht die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen haben, wird es nicht zur praktischen Anwendung kommen. Jetzt wollen wir die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen.
Ich gehe fest davon aus, dass es nicht bei den im Haushalt eingeplanten Mitteln für Fußfesseln bleiben wird; 50 Stück sollen es wohl sein. Es ist eine relativ einfache Maßnahme, die man schnell verhängen kann. Sie verursacht beispielsweise auch keine Kosten im Strafvollzug, die wesentlich höher liegen. Deshalb ist davon auszugehen, dass diese Maßnahme verhängt wird, wenn es endlich die
Möglichkeit dazu gibt. Europäische Länder wie Großbritannien, aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein mahnendes Beispiel in dieser Hinsicht. Darauf habe ich mich bezogen.
Ich glaube, das ist schon verhältnismäßig, weil diese Daten empirisch feststehen. Sie können es überall nachlesen.
Herr Herbst, das ist nicht verhältnismäßig, denn wir haben bereits ein Bundesland, das diese Praxis seit mehreren Jahren hat, und dort ist sie auch nicht inflationär verhängt worden. Es ist Hessen.
Wenn Sie jetzt den angloamerikanischen Raum anführen, dann ist das bezüglich der deutschen Rechtspraxis eben nicht verhältnismäßig.
Herr Borgwardt, wir bewegen uns jetzt, wenn Sie dem etwas entgegenhalten, ein Stück weit im Bereich gegenteiliger Auffassungen zu einem bestimmten Problemfeld. Ich würde vorschlagen, dass wir uns über diese Frage noch einmal in ein bis zwei Jahren unterhalten. Wir werden dann sehen, wie die Kapazitäten in unserem Land bezüglich der Fußfessel an ihre Grenze stoßen und nach einem Mehr gerufen wird.
Danke sehr, Herr Abgeordneter Herbst. - Für die Fraktion der SPD spricht der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen erst einmal zweierlei unterscheiden. Herr Harms ist bereits darauf eingegangen. Herr Borgwardt, wenn es darum geht - vielleicht hören Sie einmal zu -, die elektronische Fußfessel als Ersatz für Freiheitsvollzug bzw. Hausarrest einzusetzen, so ist das in Hessen jahrelang erprobt und positiv evaluiert worden. Aber darum geht es in dem Gesetzentwurf nicht.