Protocol of the Session on February 23, 2012

(Zustimmung bei der LINKEN)

Eine mögliche Erklärung ist, dass ACTA das Thema Urheberecht ein wenig übergestülpt wurde. Denn eigentlich geht es um Produktpiraterie und um den Markenschutz. Das heißt, letztlich haben wir einen Vertrag mit 30 Paragrafen und lediglich ein einziger Paragraf behandelt tatsächlich digitale Güter. Dieser musste in ein eigenes Kapitel gekleidet werden; da er ansonsten nicht in den Vertrag hinein gepasst hätte. Letztlich haben wir ein hybrides Abkommen.

Warum ist das so? - Man kann eine Vermutung haben: Es wird wieder über die Bande Europa gespielt: Was auf der nationalen Ebene nicht durchsetzbar war, geht nach Europa und kommt dann als Pflichterfüllung in die nationalen Parlamente zurück. Auch das ist ein großes Manko am demokratischen Verfahren, wie wir es im Fall von ACTA erlebt haben.

Es gab keine Anhörung gesellschaftlicher Träger. Insbesondere Vertreter von Nutzern, von Verbrauchern, von Herstellern und von Urhebern wurden nicht gehört, von der Einbindung der Ausschüsse von WTO und WIPO ganz zu schweigen.

Neben diesem großen Demokratiedefizit beim Aushandeln dieses Vertrages geht es auch um konkrete Inhalte. Ich möchte zunächst auf Biopiraterie zu sprechen kommen. Geistiges Eigentum bezieht sich eben nicht nur auf das Urheberrecht. Es gibt zum Beispiel patententiertes Saatgut. Aber mittlerweile ist es so, dass diese Patente primär nicht darauf abzielen, Urheber tatsächlich zu schützen. Nein, diese Patente gelten der Verwertung und der Profitmaximierung. Insofern wird an dieser Stelle der Schutz des geistigen Eigentums gebraucht, in einigen Fällen, vielleicht sogar in mehreren, sogar missbraucht.

Die Reformierbarkeit von Urheberrecht und Patentrecht in der Wissenschaft ist das allgemeine Problem, über das man unabhängig davon einmal debattieren kann.

Die konkrete Folge, wenn man das im Verhältnis 1 : 1 umsetzt, ist zum Beispiel in Bezug auf Gene

rika zu nennen. Hierbei handelt es sich um Stoffe, die eine bestimmte Wirkung haben. Gleichlautende Stoffe, die allerdings nicht ganz dieselbe Zusammensetzung aufweisen, aber dieselbe Wirkung haben, wiederum aber patentrechtlich geschützt sind, müssen an der Grenze vernichtet werden, obwohl sie Schmerzen lindern und obwohl sie eventuell Leben retten können.

Da sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Profit einzelner Großkonzerne darf uns nie wichtiger sein, als einer ganzen Welt medizinisch helfen zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem mit ACTA ist: Es wird eine einseitige Lösung im Sinne des geistigen Eigentums gefunden. Das allgemeine Problem der Verwertung wird uns noch weiterhin beschäftigen, insbesondere wenn die Debatten um iPad konkreter werden.

Ich möchte aber auch auf eines hinweisen: Wenn wir schon einmal bei Verwertung und Patenten sind, wenn wir demnächst wieder Urheberrechtsdebatten führen, dann werden wir unter Umständen auch mit Softwarepatenten konfrontiert. Dazu will ich jetzt schon präventiv sagen: Die LINKE lehnt auch Softwarepatente rigoros ab.

Beim Thema Netzpolitik hat ACTA allein deswegen einen ganz bestimmten Input - das haben Sie mitbekommen im Zuge der Proteste -, weil dort eventuell ein großer Einschnitt in die Bürgerrechte bevorsteht. „Eventuell“ sage ich, weil auch ich die ganzen Geheimdokumente, die es wohl gibt, nicht kenne. Zunächst wurden die Privatsheriffs angeheuert. Es geht um die private Rechtsdurchsetzung durch Internet-Service-Provider für Urheberrechtsbelange, was bislang lediglich bei den tatsächlichen Verursachern von Urheberrechtsverstößen lag.

Ich bin mir sicher, dass bei dieser Art der Rechtsdurchsetzung auch Artikel 10 des Grundgesetzes tangiert wird und dies unter Umständen verfassungswidrig ist. Wir werden sehen, was der Europäische Gerichtshof dazu zu bescheiden hat.

Das Problem, wenn man das macht: Hierbei wird der Bote zum Täter erklärt. Damit begeht man im Grunde genommen die Umkehrung der Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung ist ein hohes Gut einer freiheitlichen Gesellschaft. Sie darf auf keinen Fall angefasst werden. Das ist keine Bagatelle.

Ich mache das einmal praktisch an einem Beispiel, weil auch immer gesagt wird, na ja, ACTA ist ein Vertrag, aber auf die deutsche Gesetzgebung hat dies wahrscheinlich keinen Einfluss.

Erstens wissen wir das nicht, wenn selbst der Europäische Gerichtshof sich jetzt erst einmal damit befassen muss.

Zweitens. Was ist mit zukünftigen Gesetzesänderungen? - Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir irgendwann einmal das Telekommunikationsgesetz ändern wollen, um endlich das Problem der Störerhaftung zu beseitigen. Dieses Problem der Störerhaftung können wir nicht beseitigen, wenn ACTA in Kraft tritt. Insofern müssen wir genau aufpassen, wie wir mit der Argumentation bezüglich der Gesetzesänderung umgehen. Ich hoffe, dass die Gerichte gut entscheiden.

ACTA ist im Übrigen, was die Netzpolitik anbelangt, kein Handelsabkommen. Ganz im Gegenteil, denn die Neuerungen, die darin enthalten sind, beinhalten im Allgemeinen die Rechtsdurchsetzung, insbesondere auch in den Binnenländern. Das geht nicht ganz explizit aus dem Vertragstext hervor. Das wird vom Europäischen Gerichtshof so ausgelegt. Es muss entschieden werden, ist aber insbesondere wichtig für die IT-Wirtschaft, auch in Sachsen-Anhalt. Deshalb Punkt 4 unseres Antrages, die Auswirkungen wohl zu sondieren.

Wir befinden uns im Allgemeinen in einer Debatte, in der es darum geht, prinzipiell erst einmal restriktiv vorzugehen. Ich erinnere an Indect, das System für die Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern. Sie wissen, es ging darum, in städtischen Umgebungen mit Kameras die Sicherheit vermeintlich zu erhöhen. Was hat damals die Europäische Kommission gemacht? - Sie hat das alles externalisiert. Es gab Geheimdokumente. Am Ende gab es Protest, damals eher auf der wissenschaftlichen Basis als aus der Breite der Bevölkerung. Seitdem hat die Europäische Kommission nicht dazugelernt, auch nicht in Fragen der Demokratie.

Im Allgemeinen muss man anmerken, dass in dem Vertrag mitschwingt, gesellschaftliche Probleme, wie hierbei die Novellierung des Urheberrechtes, rein technisch lösen zu können. Das geht nicht. Gesellschaftliche Probleme brauchen gesellschaftlich-politische Debatten. Das haben wir zuletzt auch in Deutschland bei der Diskussion um den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag oder um die Stoppschilder, die sogenannten Netzsperren, gemerkt.

Wenn immer wieder versucht wird, das in die Diskussion einzubringen, haben wir das Problem, dass wir strukturell niemals an den Eigenschaften, zum Beispiel des Urheberrechts, feilen werden, was wir dringend machen müssen. Wie ist das denn beim Urheberrecht? - Da sind wir in den letzten Jahrzehnten relativ gut gefahren. Mittlerweile sehen wir, wir befinden uns eigentlich in der Sachgasse. Mittlerweile ist es sogar so, die Mauer am Ende der Sackgasse wird langsam sichtbar. Und die ACTA-Befürworter machen was? - Sie beschleunigen immer noch.

Sprache ist verräterisch. Das habe ich eben schon einmal gesagt. Counderfeiting heißt Fälschung.

Beim Urheberrecht geht es ganz selten um Fälschung, dabei geht es sehr häufig um die Originale. Man merkt auch hieran, dass das Urheberrecht ACTA eher übergestülpt wurde, statt intensiv um eine Lösung für die Novellierung des Urheberrechts zu streiten.

Das Problem, Piraterie mit Mitteln der Strafverfolgung unter Zuhilfenahme eines Generalverdachtes zu begegnen, ist wie mit dem Vorschlaghammer eine Nuss zu knacken. Am Ende hat man ein negatives gesamtgesellschaftliches Saldo.

So werden vielleicht die ACTA-Befürworter in Richtung des geistigen Eigentums etwas hinbekommen. Vielleicht ist es sogar Konsens unter allen Parteien, dass dies in die richtige Richtung geht. Aber das, was bei den Bürgerrechten am Ende herunterfällt, ist überzogen, das ist nicht angebracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu kommt interessanterweise Professor Malte Stieper. Er ist Inhaber der Grundlink-Professur für Bürgerliches Recht, Recht des gestrigen Eigentums und Wettbewerbsrecht an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg, ein ausgewiesener Urheberrechtsbefürworter. Er kommt in seiner Bilanz zu ACTA zu der Aussage:

„Dies darf aber nicht dazu führen, dass der mit dem Urheberrecht getroffene Ausgleich zwischen dem Interesse der Rechteinhaber an effektiver Rechtsdurchsetzung und den Nutzungsinteressen der Allgemeinheit aus wirtschaftspolitischen Gründen verschoben und aus dem Gleichgewicht gebracht wird.“

Genau das ist aber mit ACTA der Fall.

Es geht auch um Meinungsfreiheit und Protestkultur. Das haben nicht zuletzt die Proteste, insbesondere in Osteuropa, bewiesen. Die GRÜNENFraktion im Europaparlament hat ein Gutachten aufgegeben, das sogenannte Korff-Brown-Gutachten. Es hat ACTA auf die Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta untersucht und kommt zum Schluss: Es besteht erheblicher Zweifel, ob Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, der Schutz personenbezogener Daten und sogar das Recht auf ein faires Verfahren durch ACTA noch gewährleistet werden kann.

Weil wir diese vier Positionen teilen oder zumindest diese Befürchtungen ebenfalls aussprechen, sagen wir hier und heute: Wir müssen die Bundesregierung auffordern, ACTA zu stoppen, und wir müssen die Bundesregierung auffordern, sich endlich für die zwingend notwendige Transparenz bei ACTA einzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Herr Wagner, für die Einbringung. - Bevor ich Staatsminister Herrn Robra für die Landesregierung das Wort erteile, können wir Damen und Herren aus Sachsen-Anhalt im Freiweilligen Sozialen Jahr als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung bei uns begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Staatsminister Robra, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir sollten zwei Dinge klar voneinander trennen. Ein bisschen klang das bei Herrn Wagner schon an. Das eine ist die schwierige, sehr grundsätzliche und in der Tat auch überfällige Diskussion um Markenschutz, um Patentrechte - all das, was mit Produktpiraterie zu tun hat. Um das geistige Eigentum, sprich die Urheberrechte, gibt es im Lande seit langem wissenschaftlich, aber auch politisch fundierte breite Diskussionsprozesse. Es zeichnen sich insbesondere beim geistigen Eigentum und beim Urheberrecht noch keine zufriedenstellenden, geschweige denn abschließenden Lösungen ab.

Das andere ist der Meinungsbildungsprozess zu diesem Rechtsinstrument internationalen Rechts, ACTA genannt, bei dem es um ein Handelsabkommen zwischen der EU, den 27 Mitgliedstaaten selbst und zehn weiteren Staaten geht, darunter solche wie Korea und Singapur, die durchaus nicht ganz unbegründet in dem Verdacht stehen, bei der Produktpiraterie nicht ausreichend genau hinzuschauen. Mithilfe dieses Rechtsinstrumentes sollen die Produktpiraterie, aber auch der Schutz des geistigen Eigentums etwas besser in den Griff bekommen werden.

Ich würde jetzt nicht unbedingt, Herr Wagner, von einem „Desaster für die Demokratie“ sprechen; denn der Bundesrat hat bereits im Jahr 2010, in einer Phase der Diskussion, als das Ganze vielleicht noch nicht den öffentlichen Stellenwert hatte, den es jetzt gegen Ende des Prozesses bekommen hat, darauf hingewiesen, dass er es bedauere, dass hierbei ein besonderer Weg der Verhandlungen im internationalen Handelsverkehr gewählt worden ist und nicht der bewährte, etablierte innerhalb der internationalen Gremien wie der WIPO und der WTO.

Der Bundesrat hat dazu weiter gesagt, effektiver und nachhaltiger Schutz geistigen Eigentums und vor Produktpiraterie verlangt nach einer breiten Basis, die nur durch Einbeziehung der größtmöglichen Anzahl von Staaten gewährleistet werden kann. Das ist also keine neue Erkenntnis, sondern das war schon damals der Stand der Dinge.

Der Bundesrat hat damals, im Mai 2010 bedauert, dass nicht die im Rahmen der WIPO und der WTO bereit stehenden Strukturen für die Information der Öffentlichkeit und für die Durchführung von Konsultationen zum Tragen kommen. Das sind Prozesse, die seit Jahren bewährt sind. Dieses Verfahren, die Kommission zu ermächtigen, zugleich für die Mitgliedstaaten, aber auch in Rückkoppelung mit den 27 Mitgliedstaaten und dann noch zehn weiteren Staaten Verhandlungen zu führen, war aus unserer damaligen Sicht schon nicht optimal.

Der Bundesrat hatte darüber hinaus erklärt, er erachte angesichts der weit reichenden Bedeutung für die Freiheitsrechte eine substanzielle Beteiligung der nationalen Gesetzgebungsorgane und des Europäischen Parlaments an den Verhandlungen über das Abkommen für geboten. Er hat dann ergänzend daran erinnert, dass sich die Informations- und Mitwirkungsrechte der Länder auch auf die Vorbereitung und den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen durch die EU erstrecken.

Das ist schon damals angemahnt worden. Es hatte - das beklagen wir durchaus auch - nicht den Erfolg, den wir uns gewünscht hätten, sodass wir dann mit diesem Handelsabkommen konfrontiert wurden, so wie es am Ende vorlag.

Es ist ohnehin schon fragwürdig - da teilen wir die Kritik nahezu aller, die sich dazu geäußert haben -, zu versuchen, das eine Phänomen Produktpiraterie und das andere, dem im Kapitel 2 der Abschnitt 5 gewidmet worden ist, nämlich die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld, wie es dort heißt, in einen Rechtsakt zu packen. Das sind völlig unterschiedliche Prozesse mit völlig unterschiedlichen Ebenen und ganz unterschiedlichen Dimensionen.

Für uns in Mitteleuropa ist insbesondere wichtig, dass auf der internationalen Ebene der Produktpiraterie nachdrücklich entgegengetreten wird. Wir in Mitteleuropa leben von unserem Erfindungsreichtum. Wir leben davon, dass wir geistiges Eigentum erzeugen und wirtschaftlich nutzbar machen. All unsere Künstler leben davon, alle unsere Schriftsteller leben davon. Es ist wichtig, auch dies im internationalen Kontext zu sichern.

Wie dies nun geschieht, das wird sich zeigen. Unter dem Druck des Europäischen Parlamentes und damit unter dem Druck des europäischen Gesetzgebers im parlamentarischen Prozess hat sich die Kommission, wie bereits gesagt worden ist, entschlossen, ACTA nunmehr dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, um es auf seine Vereinbarkeit mit der Europäischen Grundrechtecharta zu überprüfen.

Ich habe den Eindruck, dass der Europäische Gerichtshof sich intensiv und kritisch damit auseinandersetzen wird. Denn vor wenigen Tagen bereits

hat der Europäische Gerichtshof in einer Auseinandersetzung zwischen der belgischen Verwertungsgesellschaft Sabam und dem Internetplattformbetreiber Netlog die Grundsatzentscheidung getroffen, dass Internetprovider sowie die Betreiber von sozialen Netzwerken gerade nicht dazu verpflichtet werden dürfen, den Datenverkehr ihrer Nutzer in irgendeiner Weise zu filtern oder daraufhin zu überprüfen, inwieweit die Nutzer gegen Urheberrechte verstoßen. Das ist schon ein deutliches Signal dahin, wie der Europäische Gerichtshof dann in absehbarer Zeit auch ACTA würdigen wird.

Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sind alle Prozesse ausgesetzt. Auch die Bundesregierung hat ihrerseits - das wollen wir zu ihrer Ehrenrettung durchaus deutlich machen - von einer Unterzeichnung des ACTA-Abkommens Abstand genommen und erklärt, zunächst einmal die weitere Meinungsbildung im Europäischen Parlament abwarten zu wollen. Diese nun wiederum hat dazu geführt, dass jetzt die Gerichte entscheiden. Dem sehen wir so gelassen wie interessiert entgegen.

Ich würde mich freuen, wenn über den heutigen Anlass hinaus auch im Landtag eine intensive Diskussion über Patentrechte, über Markenschutz und geistiges Eigentum im Internet geführt würde. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)