Protocol of the Session on February 23, 2012

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Dabei bleibt völlig unberücksichtigt, dass wir den auch zukünftig notwendigen Urheberschutz nicht mehr gewährleisten können, wenn wir nicht auch die berechtigten Interessen der Nutzerinnen und Nutzer schützen. Hiermit beschäftigt sich ACTA eben überhaupt nicht. Deswegen aktiviert ACTA Abwehrkräfte.

Wer jetzt meint, das alles sei halb so schlimm, der verkennt, dass der Dinosaurier ACTA nur den Weg frei macht für seine Freunde mit den wirklich scharfen Klauen. Auf dem Fuße folgt bald IPRED, die EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern. IPRED baut auf ACTA auf und sieht dann auch die repressiven Instrumente vor, gegen die heute weltweit Tausende auf die Straße gehen.

An dieser Stelle muss ich meinen Kollegen Wagner ein Stück weit korrigieren. Die Three-StrikesRegelung und Ähnliches ist noch nicht in ACTA enthalten. Aber ACTA bietet die Grundlage, um in späteren Richtlinien genau das zu schaffen.

Meine Damen und Herren! Wir stehen in jedem Fall vor einer Novellierung des Urheberrechts. Während auf europäischer Ebene zumindest Diskussionen geführt werden, beschränkt sich die Bundesregierung auf einen Regularienkatalog von gestern und macht keine eigenen Vorschläge.

ACTA festigt nur alte Rechtsnormen, ohne die grundlegenden Fragen des digitalen Urheberrechts und des Copyrights zu beantworten. ACTA ist das Symbol für eine falsche Entwicklung.

Vor ziemlich zwei Jahren haben die GRÜNEN im Bundestag ihre erste Kleine Anfrage zu ACTA gestellt und mit der konkreten Bearbeitung dieses Vorgangs begonnen. Seit längerer Zeit arbeiten die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN-Europafraktion daran, ACTA dem europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorzulegen.

Nun hat die Europäische Kommission gestern beschlossen, diesen Schritt selbst zu gehen und ACTA auf seine Vereinbarkeit mit den Verträgen von Lissabon hin prüfen zu lassen. Dieser Schritt - das muss man ganz klar anerkennen - wäre ohne den massiven Druck der weltweiten Proteste sicherlich nicht passiert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deswegen gilt unser Dank, aber auch unsere Solidarität einer kritischen Öffentlichkeit, die von der Politik verlangt, mit ihr statt über sie hinweg zu verhandeln und zu diskutieren. Wir rufen auch die Bürgerinnen und Bürger in unserem Bundesland auf, sich an den zahlreichen - unter anderem auch an diesem Samstag wieder geplant - Anti-ACTAProtesten zu beteiligen.

Eine juristische Überprüfung durch den EuGH ersetzt aber eine politische Bewertung des Abkommens nicht. Die EuGH-Überprüfung darf kein Freifahrtschein für eine Politik sein, die wir aus inhaltlichen Gründen ablehnen. Denn was wir für politisch falsch und für gestrig halten, das sollten wir stoppen.

Schon der Verhandlungsprozess um ACTA ist kein Lehrstück in demokratischer Entscheidungsfindung. Eigentlich wissen wir überhaupt nichts darüber; denn die Verhandlungen erfolgten seit dem Jahr 2008 im Geheimen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch die jeweiligen Textversionen wurden immer wieder als „Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch“ gestempelt. Die begleitenden Verhandlungsprotokolle, ohne die eine konkrete Einschätzung dessen, was verhandelt wurde, gar nicht möglich ist, sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Niemand von uns hat sie gelesen.

Bei internationalen Verhandlungen, deren Auswirkungen sich aber in unserem Alltag widerspiegeln, darf die demokratisch notwendige Transparenz nicht durch pauschale Vertraulichkeitsvereinbarungen behindert werden. Die Parlamente und die Öffentlichkeit müssen umfassende Informationsrechte erhalten.

Die GRÜNEN setzen sich bei allen Gesetzes- und Planungsvorhaben für Transparenz und Bürgerbeteiligung ein. Dies ist bei ACTA in keiner Weise

erfüllt worden. Die Folgen dieses Abkommens für die Freiheit des Internets, für den Handel und für die Kultur sind schlichtweg nicht absehbar.

Auch die zu diesem Abkommen erfolgten Vertragsverhandlungen sind kritikwürdig. Entwicklungs- und Schwellenländer wurden nicht einbezogen, obwohl auch sie von den Auswirkungen von ACTA betroffen sein werden. Auch das, meine Damen und Herren, ist nicht der Multilateralismus, den wir meinen, wenn wir von internationalen Verträgen sprechen.

In Anbetracht der aktuell nicht nur in der EU breit diskutierten Fragen um die Zukunft des Urheberrechts ist zu befürchten, dass mit ACTA eine einseitige Festlegung auf die bestehenden Regelungen des Urheberrechts erfolgt. Und diese sind eben nicht mehr zukunftsfähig. Damit wäre genau das Gegenteil von dem erfolgt, was mit einer politisch nach vorn gerichteten Auseinandersetzung und Diskussion gemeint ist.

Während der EuGH prüft, müssen wir die gewonnene Zeit nutzen, um in eine breite Debatte über das zukunftstaugliche Urheberrecht einzutreten. Herr Staatsminister, auch Sie sind mit Ihrer Argumentation in diese Richtung gegangen und haben gesagt, dass wir diese brauchen. Wir laden Sie ein, diesbezüglich auch in diesem Bundesland zu einem konstruktiven Prozess zu kommen.

Es besteht Nachholbedarf bei der Modernisierung des Urheberrechts. Dies ist eine der drängendsten Herausforderungen der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft. Es besteht Nachholbedarf beim Einsatz freier Lizenzen und in Bezug auf die Lehrmittelfreiheit, damit wir uns in Zukunft nicht mehr mit Schultrojanern und ähnlich grotesken Dingen beschäftigen müssen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es besteht Nachholbedarf beim Wissensaufbau in Sachen Netzpolitik. Es braucht Zugänge zur Herausbildung von Medienkompetenzen, und zwar nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch und insbesondere bei den Älteren, weil die in der digitalen Kommunikation bestehende Kluft, auch was das Verständnis und die Fähigkeiten angeht, geschlossen werden muss.

Es besteht Nachholbedarf bei den Rahmenbedingungen, bei schnellen Internetanschlüssen und einer flächendeckenden Breitbandversorgung, von der wir in einigen Städten in unserem Bundesland noch weit entfernt sind.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es besteht Nachholbedarf bei Open Data. Sie erinnern sich daran, dass eine breite Mehrheit dieses Hauses ein entsprechendes Ansinnen bezüglich des Landeshaushalts erst vor Kurzem abgelehnt hat.

Meine Damen und Herren! Es besteht Nachholbedarf in vielen Dingen, aber es besteht ganz bestimmt kein Bedarf an ACTA. Ebenso wenig besteht Bedarf für den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der mehrere Punkte umfasst und der in Punkt 1 ACTA als den richtigen Weg herausstellt. Deswegen müssen wir diesen Änderungsantrag ablehnen, so wie wir es mit dem Gesamtvorhaben tun werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Danke sehr, Herr Kollege Herbst. - Für die SPDFraktion spricht der Abgeordnete Herr Graner.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir uns heute an dieser Stelle mit dem doch relativ neuen Politikfeld Netzpolitik auseinandersetzen können. Das haben wir in dieser Wahlperiode noch gar nicht getan. Wir haben zwar verschiedentlich über den Breitbandausbau gesprochen, aber über die Inhalte haben wir uns noch nicht ausgetauscht.

Natürlich ist es spannend zu beobachten und darüber zu diskutieren, wie digitale Kommunikation die Gesellschaft und damit auch die Politik verändert. Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die die nächsten Jahre noch beeinflussen wird.

Nun lese ich im Netz hin und wieder mit leicht triumphierendem Unterton, mit dem Internet sei das Ende der Politik gekommen, wie wir sie bisher kennen würden. Dem würde ich nicht zustimmen. Herr Herbst, wenn Sie pauschal vom Sieg des Digitalen sprechen, dann ist mir das zu einseitig. Natürlich geht die Politik, die wir bisher machen, trotz des Netzes weiter.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Also, meine Damen und Herren, auch die Netzpolitik ist ein ganz normales Politikfeld. Digitale Kommunikation verändert Politik, aber sie wird sie nicht revolutionieren.

Ich möchte Sie mitnehmen auf eine kurze Reise durch den Urheberrechtsschutz. Herr Geisthardt hat schon darauf hingewiesen: Es ist relativ schwierig, dieses Thema, über das wir uns heute austauschen, Otto Normalverbraucher auf der Straße zu erklären. Das ursprüngliche Ziel all dieser Verhandlungen, über die wir heute sprechen, war, den Handel mit gefälschter Markenware einzudämmen. Wer sich von Ihnen einmal auf einem dieser landestypischen Basare irgendwo in der Welt herumgetrieben hat, die meistens touristisch orientiert sind, der weiß, was man so alles unter den Namen „Rolex“ oder „Adidas“ finden kann. Selbst der angebissene Apfel prangt inzwischen

auf manchem Produkt, das nicht aus der betreffenden Herstellung stammt.

Nun ist jeder selbst für sein Kaufverhalten verantwortlich, aber ich hatte in meinem Büro auch schon jemanden sitzen, der im Internet bei einer bekannten Handelsplattform offensichtlich betrogen worden war und nun erwartete, dass die Politik etwas unternehmen müsse.

Auch aus meiner Tätigkeit im Petitionsausschuss weiß ich von einigen Petenten, die übers Ohr gehauen worden waren.

Schließlich - auch das ist ein sehr wichtiger Punkt - haben auch die Produzenten von Markenartikeln in Deutschland großes Interesse daran, Fälschungen zu verhindern. Denken Sie an Motorsägen von Stihl, an Reinigungsgeräte von Kärcher oder an Autozulieferprodukte von Bosch. All das sind Produkte, die weltweit gern kopiert werden und die sich nicht digitalisieren lassen.

Wir leben vom Erfindungsreichtum. Unsere Exportindustrie lebt davon, dass diese Produkte aus Deutschland in die Welt verkauft werden und nicht irgendwo illegal kopiert werden. - Diese Entwicklungen, meine Damen und Herren, waren der erste Faktor, der den Ruf nach einem internationalen Abkommen gegen Markenpiraterie laut werden ließ.

Der zweite Faktor war natürlich die Entwicklung im Bereich der digitalen Medien. Tonträger, Filme und Bilder, Computerprogramme, Texte - es ist bereits gesagt worden -, all dies lässt sich plötzlich sehr einfach, kostengünstig und vor allen Dingen ohne Qualitätseinbußen in nahezu unbegrenzten Mengen reproduzieren. Die meisten von Ihnen werden vielleicht wissen, welche Auswirkungen das zum Beispiel um die Jahrtausendwende auf die Musikindustrie gehabt hat. Das sogenannte Filesharing wurde plötzlich auch für ungeübte Nutzer sehr einfach. Die Musikindustrie hat die Nutzer dieses illegalen Filesharings dann sehr schnell als Piraten bezeichnet.

Wenn man weiß, dass es, um dieses Filesharing zu erleichtern, einen Tracker gab - die sogenannte Pirate Bay -, der sehr schnell große Beliebtheit erlangte, dann wird deutlich, dass es kein großer Schritt mehr war bis zur Gründung der Piratenpartei. Daher bezieht diese Partei auch explizit ihren Namen.

Die Umsatzzahlen der Musikindustrie sind dramatisch eingebrochen. Die Ironie der Geschichte ist, dass die Musikindustrie genau diese technologische Entwicklung, die ihr dann zum Verhängnis wurde, ursprünglich mit vorangetrieben hat.

(Zuruf von den GRÜNEN: Dinosaurier!)

Deswegen ist die Politik gefordert, meine Damen und Herren, die Rahmenbedingungen so zu ge

stalten, dass Unternehmen nicht durch Betrug massiv in Schwierigkeiten geraten.

Meine Damen und Herren! Eines lässt sich sicherlich feststellen: Die großen künstlerischen Werke, egal ob literarisch, musikalisch oder auch in der Filmindustrie, wären ohne Urheberrechte nicht zustande gekommen. Damit hätten wir auch einen Verlust an kultureller Vielfalt erlebt.

(Zustimmung bei der SPD)

Goethe war einer derjenigen, der das Urheberrecht in Deutschland mit der Auswahl seines Verlegers und mit der Durchsetzung der Rechte an seinen Werken in den damals existierenden deutschen Ländern begründet hat. Ob es „Harry Potter“ in der Form gegeben hätte, ob es die Beatles oder Filme ohne das Urheberrecht gegeben hätte, lässt sich sicherlich bezweifeln.

Meine Damen und Herren! Vor diesem Hintergrund - Markenpiraterie bei Produkten, die materiell hergestellt werden, und Markenpiraterie in der digitalen Welt - gingen zwölf Staaten und die Europäische Union im Jahre 2008 daran, ein Abkommen auszuhandeln, mit dem Marken- und Produktpiraterie eingedämmt werden sollen. Das heißt, das Ansinnen - das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich -, in diesem Bereich etwas zu unternehmen, ist zunächst nicht falsch. Es ist auch notwendig, auf internationaler Ebene etwas zu tun.

(Zustimmung bei der SPD)

Das, was im Zuge der Verhandlungen daraus geworden ist - das ist von meinen Vorrednern bereits gesagt worden; es besteht das Problem der Intransparenz der Verhandlungen -, ist nicht mehr das, was ursprünglich intendiert worden war.

Ich fasse zusammen: Der Verhandlungsprozess im Zusammenhang mit ACTA war intransparent. ACTA - das muss man so deutlich sagen - ermöglicht einen massiven Angriff auf fundamentale Grundrechte. Damit ist ACTA eben kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Produktpiraterie und von Urheberrechtsverletzungen.