„In diese Wohnung bin ich Anfang der 50erJahre gezogen. Vor meinem Einzug ging der ABVer von Haushalt zu Haushalt, da, wo junge Männer lebten, und informierte: Erster Hinterhof, Mitte, zwei Treppen, rechts, da zieht ab nächsten Ersten so einer ein. Vorsicht! Eine bessere Reklame konnte der gar nicht für mich machen. Es dauerte knapp zwei Wochen, da hörte ich das erste schüchterne Klopfen an meiner Tür.“
Schon dieser Erlebnisbericht zeigt, was auch viele weitere bestätigen: Homosexualität war in der DDR weniger ein rechtliches Problem denn ein gesellschaftliches. Homosexualität fand im Verborgenen, im Privaten statt. Man verhielt sich konform, um im Beruf und in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen. Homosexuellengruppen und -zeitschriften waren verboten. Es gab sogenannte Rosa Listen des MfS, auf denen ca. 4 000 Homosexuelle standen, die beobachtet und teilweise staatlich schikaniert, kriminalisiert oder auch für krank erklärt wurden.
Dabei war die Homosexualität nicht das eigentlich Problematische; vielmehr ist in einem Schreiben des MfS zu lesen, dass Homosexuelle sich konspirativ und rücksichtslos gegenüber ihrer Umwelt verhalten und den Kontakt zu Ausländern aus kapitalistischen Ländern suchen.
Das ist politisch höchst unkorrekt. Dementsprechend war gegebenenfalls auch die Repression durch, aber auch in der Partei.
Wie sah parallel dazu das Schwulsein in der Bundesrepublik alt aus? Wie ging man dort mit Homosexualität um? - In den ersten 20 Jahren ihres Bestehen wurde damit sehr repressiv umgegangen. Schwulenvereine und -verlage mussten ihre Arbeit einstellen. Homosexualität fand auch hier vor allem im Verborgenen statt. In den 70er- und 80er-Jahren lebte eine Schwulenbewegung auf, die aber selten eine breite Öffentlichkeit erreichte. Es war geradezu eine kleine Revolution, als sich in den 80er-Jahren in der „Lindenstraße“ das erste Mal zwei Männer im öffentlichen Fernsehen küssten.
Doch, meine Damen und Herren, eine Rehabilitierung bzw. eine Wiedergutmachung fand in keinem der beiden deutschen Staaten statt. Unter dem Strich bleibt festzustellen, egal in welche Himmelsrichtung man schaut: Es wurden im gesellschaftlichen, im politischen und auch im rechtlichen Sinne im Umgang mit Homosexuellen massive Fehler in beiden deutschen Staaten begangen.
Bereits im Jahr 2000 bekannte sich der Bundestag zu der Aussage, dass durch die nach dem Jahr 1945 weiter bestehende Strafandrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind. So stufte der Deutsche Bundestag
am 7. Dezember 2000 in einer einstimmig gefassten Entscheidung die im Jahr 1935 erfolgte Verschärfung des § 175 RStGB erstmals als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankengutes ein. Im Jahr 2000!
Im Jahr 2002 beschloss der Bundestag dann das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“. Damit wurden auch die sogenannten 175er-Urteile in die Liste derer aufgenommen, die unter Verstoß gegen elementare Grundgedanken der Gerechtigkeit zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind.
Die Aufhebung aller Urteile, die nach 1945 aufgrund sexueller Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts ergangen waren, und ihre vollständige Rehabilitierung erfolgten jedoch bis heute nicht.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte bereits mehrfach aus, dass eine strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Männern menschenrechtswidrig ist und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, ebenso die Festlegung unterschiedlicher strafrechtlicher
Schutzaltersgrenzen. Bereits die Strafbedrohung verletzt die seit dem Jahr 1952 gültige Menschenrechtskonvention, namentlich Artikel 8, die Achtung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung.
Der Europäische Gerichtshof betonte dabei immer wieder, dass die strafrechtliche Verfolgung nicht erst unter heutigen Gesichtspunkten, sondern bereits damals konventions- und grundrechtswidrig war.
Die Kernfrage ist, wie nunmehr mit den Urteilen umgegangen wird, die nach damals geltendem Recht gefällt worden sind. Grundsätzlich gilt: keine Rehabilitierung und Entschädigung für Verurteilungen nach späterer Abschaffung der Strafvorschriften. Die Frage hierbei ist jedoch: Warum wurde diese Strafvorschrift tatsächlich abgeschafft? War es die späte Erkenntnis bzw. die Ansicht zu einem bestimmten, als nicht mehr strafrechtlich relevant eingeschätzten Verhalten, weil sich die Sichtweisen verändert haben? Oder war es nicht vielmehr ein grundgesetz- und konventionswidriges Verhalten, und zwar von Anfang an?
Ist Letzteres der Fall - davon gehe ich aus -, bedarf es keiner Einzelfallprüfung und -entscheidung, dann bedarf es genau der von uns, aber auch von den Lesben- und Schwulenverbänden seit vielen Jahren geforderten pauschalen Rehabilitierung und Entschädigung aller Verurteilten. Eine individuelle Prüfung ist den Betroffenen nicht mehr zumutbar. Das staatlich normierte Unrecht muss zumindest in diesem möglichen Maß wieder gutge
macht werden. Das ist unsere rechtliche, aber auch moralische Pflicht, weil wir als Gesellschaft schwere Schuld auf uns geladen haben und weil uns das Ansinnen vereint, in allen Lebensbereichen den Rechtsstaat mit Leben zu erfüllen und ihn Wirklichkeit werden zu lassen.
Meine Damen und Herren! Auch bei diesem Thema läuft uns die Zeit davon. Es werden diejenigen Menschen nicht mehr lange leben, denen gegenüber wir mit diesem Gesetz ein wenig Wiedergutmachung leisten können. Deshalb schieben wir diesen Antrag auch nicht auf die lange Bank, sondern zeigen heute unseren Handlungswillen.
Wir sind politisch bereits große Schritte gegangen, hin zu einer tatsächlichen Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Politisch aktiv sein gegen die Diskriminierung von Minderheiten und damit auch Homosexuellen steht nach wie vor aus gutem Grund auf der politischen Agenda aller Parteien - auch aller Fraktionen in diesem Landtag.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns daher heute gemeinsam einen weiteren Schritt gehen und jahrzehntelanges Unrecht ein wenig heilen. Stimmen Sie unserem Antrag heute zu und verstecken Sie sich bitte nicht hinter einer Überweisung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin von Angern. - Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Professor Dr. Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir beschäftigen uns im Zusammenhang mit der Behandlung des Antrages der Fraktion DIE LINKE tatsächlich mit einem beschämenden Kapitel deutscher Rechtsgeschichte.
Wir reden dabei von erschütternden Einzelschicksalen, von Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verurteilt wurden, aber auch von denjenigen, die aus Angst vor einer Anklage Scheinehen eingegangen sind, die in permanenter Angst vor Entdeckung oder Denunziation lebten. Wir reden über das Schicksal von Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich geächtet wurden.
Mit dem Inkrafttreten des 29. Strafrechtsänderungsgesetzes endete erst am 11. Juni 1994 ein jahrzehntelanger Kampf gegen die strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen Männern.
Gustav Radbruch bereits im Jahr 1922 einen Entwurf für ein Reichsstrafgesetzbuch vorgelegt hat, aufgrund dessen Homosexualität nicht mehr strafbar gewesen wäre. Leider gab es damals dafür nicht die notwendigen Mehrheiten. Auch die SPD hat sich bereits im Jahr 1927 für die Abschaffung der Bestrafung eingesetzt.
Im Zuge der Streichung des § 175 des Strafgesetzbuches hat der Deutsche Bundestag anerkannt, dass die vielen tausend seit dem Jahr 1949 wegen entsprechender Handlungen verurteilten Männer dadurch in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind. Frau von Angern hat bereits darauf hingewiesen, dass dem eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorangegangen war, der einen eindeutigen Verstoß gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt hat.
Am 7. Dezember 2000 hat der Deutsche Bundestag einstimmig sein Bedauern über die strafrechtliche Homosexuellenverfolgung und das erlittene Unrecht ausgesprochen. Dabei ist es bisher geblieben. Es ist richtig, dass es bisher im Deutschen Bundestag keine Mehrheit für eine strafrechtliche Rehabilitierung gibt.
Auch wenn heute Konsens darüber besteht, dass gleichgeschlechtliche Lebensentwürfe und darauf bezogene Handlungen kein Fall für strafbewehrte Verbote sind, ist es nach wie vor unsere gemeinsame Aufgabe, weiter offensiv gegen Diskriminierungen jeglicher Art einzutreten; denn auch heute gibt es noch Diskriminierungen.
Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass eine Rehabilitierung für die Zeit des Nationalsozialismus, bisher aber noch nicht für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgt ist. Wenn man berücksichtigt, dass die Verschärfung während der NS-Zeit sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik nach dem Jahr 1949 weiter gegolten hat, könnte man natürlich relativ schnell zu der Auffassung kommen, wieso kann das, was schon als menschenunwürdig, als zu rehabilitierend anerkannt wurde, dann nicht auch für den Zeitraum danach gelten.
Ich gestehe, dass ich für den Antrag Sympathien habe. Ich verstehe aber eine Überweisung in den Ausschuss nicht als Verstecken vor der Realität,
sondern sehe darin eine gute Möglichkeit, die zugrunde liegenden rechtlichen und strafrechtlichen Fragen einer intensiven Erörterung zuzuführen.
Richtig ist ja auch, dass sich die große Koalition in Berlin das Anliegen dieser Opfergruppe auf die Fahnen geschrieben hat und dass sie dieses Thema in der Koalitionsvereinbarung mit festgeschrieben hat. Auch darüber ist im Senat diskutiert worden und es ist eine Überweisung in die Ausschüsse beschlossen worden.
Ich denke, das Thema bedarf einer gründlichen Aufarbeitung. Ein Defizit besteht schon darin, dass selbst die wissenschaftliche Forschung zu dem Thema wirklich noch in den Anfängen steckt. Insoweit begrüße ich es, dass wir mittlerweile durch eine Entscheidung der Bundesregierung eine Stiftung in Berlin haben, die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, die sich genau dieser Aufgabe gestellt hat.
Ich glaube, wir werden über das Thema interessante und spannende Diskussionen im Ausschuss führen. Wir sollten dieses Thema gründlich bearbeiten, nicht mit Schnellschüssen argumentieren und eine rechtlich abgewogene und verfassungskonforme Lösung hierfür finden. - Herzlichen Dank.
Danke schön, Frau Ministerin. - Die Fraktionen haben eine Debatte mit jeweils fünf Minuten Redezeit pro Fraktion vereinbart. Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Herr Borgwardt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Folgendes vorwegschicken: Wir werden den Antrag nicht ablehnen, wir werden ihn in den Fachausschuss überweisen. Insofern stimmen wir der Direktabstimmung, die Sie beantragt haben, nicht zu.
- Vielleicht hören Sie erst einmal zu, Frau Dr. Klein. Möglicherweise erschließt sich Ihnen das dann. Ich versuche zumindest, das zu erreichen.
Homosexuelle in Deutschland wurden über viele Jahrzehnte hinweg diskriminiert, verfolgt und in der Zeit des Nationalsozialismus systematisch umgebracht; das ist unbestritten.
Es bestand nach dem Jahr 1945 aufgrund der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen ein Klima der Angst und der gesellschaftlichen Ächtung. Wir haben es schon gehört: Mehr als 50 000 rechtskräftige Verurteilungen nach § 175 StGB sind allein in dem Zeitraum von 1949 bis 1969 in Westdeutschland ausgesprochen worden.
lichen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Auch in der damaligen DDR kam es zu solchen Verurteilungen, auch wenn dort die in der NS-Zeit vorgenommene Verschärfung des § 175 StGB bereits im Jahr 1950 - auch darauf ist schon eingegangen worden - zurückgenommen worden ist. Gestrichen wurde die Vorschrift nach der Wiedervereinigung erst im Jahr 1994, aus meiner Sicht viel zu spät.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat in der Entschließung in Drs. 14/4894 sein Bedauern über die schreckliche Realität der Strafverfolgungspraxis nach dem Jahr 1945 zum Ausdruck gebracht. Dem kann man sich sicher uneingeschränkt anschließen.