Protocol of the Session on January 29, 2016

Beratung

Schrittweisen Ausstieg aus dem Kürzen des Ringelschwanzes beim Schwein in SachsenAnhalt einleiten

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4726

Änderungsantrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/4766

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Frederking. Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie bei der Milch war 2015 ein schwarzes Jahr für den Schweinefleischmarkt. Mit Tiefstpreisen für die Erzeuger ist die Marktsituation inzwischen ruinös und ein Ende ist nicht in Sicht. Anfang September 2015 lag der Erzeugerpreis für ein 25-kg-Ferkel bei 31,50 €. Aber für eine Auskömmlichkeit wäre ein Preis von über 50 € erforderlich. Bei einem Schweinefleischpreis von aktuell 1,31 € machen die Betriebe Verlust.

Warum ist das so? - Ein großes Angebot trifft auf eine schwache Nachfrage. Exportmärkte sind weggebrochen. Der Lebensmitteleinzelhandel zahlt trotz Initiative Tierwohl und Nachhaltigkeitsprogrammen vielfach ruinöse Erzeugerpreise. Entweder verramscht er die Produkte oder er erhöht die Verbraucherpreise und zahlt den landwirtschaftlichen Betrieben bzw. den Verarbeitern der Lebensmittelindustrie nicht mehr.

Nun lehnen die Schweine haltenden Betriebe Verschärfungen des Ordnungsrechts ab, weil sie damit noch mehr um ihre Wirtschaftlichkeit fürchten.

Doch gerade die Debatte der vergangenen zwei Jahre hat gezeigt, dass die Menschen mehr Tierschutz und mehr Tierwohl wollen. Die Anfang Januar von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt vorgelegte Studie belegt das. 90 % der Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit, einen deutlich höheren Preis für Fleisch zu bezahlen, wenn sie wissen, dass die Tiere gut gehalten wurden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit einer verbindlichen Kennzeichnung der Haltungsform der Tiere bei allen tierischen Lebensmitteln wird genau das möglich. Als GRÜNE setzen wir uns dafür ein, dass diese Transparenz geschaffen wird. Wir stellen uns eine vierstufige Kennzeichnung vor, wie sie bei den Eiern erfolgt: 0, 1, 2, 3. Dann können die Produkte die Wertschätzung erfahren, die ihnen zusteht. Mit einer wertschätzenden Bezahlung können dann auch auskömmliche Erzeugerpreise realisiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen und werden Tierschutz honorieren. Davon sind wir fest überzeugt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können zu Verbündeten der Landwirtschaft werden, wenn die Landwirtschaft ihre Leistungen transparent darstellt und nicht von vornherein behauptet, alles sei in Ordnung; denn das ist es nicht.

Das System der industriellen Landwirtschaft ist auf maximale Rationalisierung ausgerichtet und passt die Tiere mit Schnabel- und Schwanzkupieren, Enthornungen und Zähneabkneifen den Bedingungen in den Ställen an. Doch genau dieses Prinzip muss gedreht werden. Die Haltungsbedingungen und die Fütterung müssen an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir meinen, dass sich unsere Landwirtschaft in Deutschland zu ihrem eigenen Schutz und für ihren langfristigen Bestand neu aufstellen muss. Die heimische Landwirtschaft darf nicht auf dem globalen Markt kaputt gemacht werden. Eine Abkehr von der Wachstumsorientierung auf Exportmärkte ist dringend erforderlich. Landwirtschaft muss mit der Qualität der Produkte werben, und eine Qualität, die die Gesellschaft nachfragt, ist das Tierwohl. Tierschutz ist eine Chance für die heimische Landwirtschaft, damit sie dauerhaft eine Perspektive hat und bestehen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Dann ist sie auch nicht auf die sogenannten Exportventile angewiesen, die vielfach nicht mehr funktionieren.

Unter dem Motto „Landwirtschaft schützen, Tierhaltung neu denken“ meinen wir, dass der Ausstieg aus dem Schwanzkupieren bei Schweinen zu neuem Denken bzw. zu einer Entwicklung der Tierhaltung gehört. Unversehrte und gesunde Tiere, die ihre arteigenen Verhaltensweisen ausleben können, sollten das Ziel sein. - Die Zwischenfrage beantworte ich später.

Das Kürzen des Ringelschwanzes passt dazu gerade nicht. Deshalb muss schrittweise der Ausstieg eingeleitet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Obwohl es nach dem Tierschutzgesetz verboten ist, werden in den konventionellen Schweinehaltung bei den kleinen, zwei bis drei Tage alten Saugferkeln routinemäßig die Ringelschwänze gekürzt, um Schwanzbeißen und Kannibalismus vorzubeugen.

Das Tierschutzgesetz besagt weiterhin, dass das Schwanzkupieren im Einzelfall nur dann durchgeführt werden darf, wenn es zum Schutz der Tiere

unerlässlich ist und zuvor ernsthaft und nachweislich alles getan wurde, um mit anderen Maßnahmen das Schwanzbeißen zu verhindern, insbesondere was die Unterbringung und die Besatzdichte angeht.

Aber genau dieser Nachweis wird in der Praxis nicht erbracht. Ohne etwas anderes auszuprobieren, wird routinemäßig der Schwanz gekürzt. Dabei sind gerade die ausprobierten Alternativmaßnahmen relevant für die Cross-Compliance-Kontrolle. Denn werden sie nicht durchgeführt, wird ein Teil der Direktzahlungen bzw. der Flächenprämie abgezogen. Schon um nicht gegen die CrossCompliance-Vorgaben zu verstoßen, müssen die Betriebe andere Maßnahmen als das Kupieren ergreifen, um Schwanzbeißen zu verhindern.

Wenn gekürzt wird, sollte der Schwanz eigentlich nur um ein Drittel gekürzt werden.

(Herr Scheurell, CDU, lacht)

Oft wird aber in besonders grausamer Weise der Schwanz bis auf einen winzigen Stumpf gekürzt, mit der Folge, dass Bakterien ungehindert in den Rücken eindringen können und es dort zu ganz fürchterlichen Entzündungen kommt. Das Kupieren verursacht Schmerzen; das tut den Ferkeln nicht gut. Und wie gut es den Tieren sonst noch geht, weiß man auch nicht mehr, wenn der Schwanz einmal ab ist.

(Heiterkeit bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Das stimmt!)

Denn mit dem fehlenden Ringelschwanz fehlt auch der wesentliche Signalgeber für das Wohlbefinden und den gesundheitlichen Zustand des Tieres.

(Herr Güssau, CDU: Das ist richtig! - Herr Scheurell, CDU: Ja!)

Beim Ringelschwanz müssen zwei Aspekte beachtet werden:

Erstens. Er kann durch Bisse anderer Schweine aufgrund von Aggressivität und Stress verletzt werden. Wesentliche Ursache sind dafür die Haltungsbedingungen mit Parametern wie Besatzdichte, Beschäftigung, Lüftung.

Zweitens. Das ist eine Erkenntnis, die in SachsenAnhalt vielleicht noch gar nicht bekannt ist. Ich habe nämlich ein Fachgespräch organisiert.

(Unruhe bei der CDU)

- Herr Güssau hört ganz interessiert zu. Herr Scheurell, seien Sie doch einmal ganz kurz ein bisschen ruhiger, damit Herr Güssau die neuesten Erkenntnisse hören kann.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Güssau, CDU)

Die neuesten Erkenntnisse besagen nämlich: Es liegt nicht nur an den Haltungsbedingungen, sondern ganz wesentlich an der Fütterung. Die Schweine werden ja turbomäßig mit Futterbrei gemästet und bekommen wenig Raufutter, wenig Strukturfutter. Man hat festgestellt, dass die inneren Organe verändert sind, dass die Klauen verändert sind. Das liegt an der Fütterung. Es treten Stoffwechselstörungen auf. Wenn diese Stoffwechselstörungen auftreten, zeigt sich das am Schwanz - wenn er denn dran ist.

(Unruhe bei der CDU)

- Herr Güssau!

(Heiterkeit und Beifall)

Also, was passiert: Wenn diese Stoffwechselstörungen auftreten und wenn der Schwanz noch dran ist, dann entzündet er sich und wird sogar schwarz. Man kann also äußerlich sehen, dass es dem Tier nicht gut geht.

(Zuruf von Herrn Thomas, CDU)

Das juckt auch.

(Zuruf von der LINKEN: Das ist auch nicht besser! - Heiterkeit)

Und was machen die Tiere? - Ich weiß, dass Sie das jetzt lustig finden. Aber sie bieten ihren Ringelschwanz regelrecht den Artgenossen an,

(Zurufe von der CDU: Nein!)

weil es einfach unglaublich juckt, aufgrund dieser Stoffwechselerkrankungen.

Diesen fachlichen Exkurs musste ich jetzt machen, damit Sie die Vorschläge, die wir in unserem Antrag gemacht haben, komplett verstehen können

(Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

und damit Sie diesen Vorschlägen auch zustimmen können.