Protocol of the Session on November 13, 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Ich denke, ich brauche Ihnen heute nicht die Augen zu öffnen. Sie sind hellwach.

(Herr Dr. Brachmann, SPD: Oh!)

Und es macht wenig Sinn, heute um Ihre Stimmen zu werben. Doch die heutige Abstimmung zeigt einmal mehr - auch wenn es um vermeintlich wenige Jugendliche geht -, dass hier einer Minderheitsmeinung aufgrund einer unglücklichen Ehe zwischen CDU und SPD zur Mehrheit verholfen wird.

Aber ab dem 13. März werden die Karten neu gemischt sein und ich verspreche Ihnen - das soll ausdrücklich keine Drohung sein -, dass wir dann erneut über das Thema Jugendarrestvollzug und auch über diesen Gesetzentwurf mit hoffentlich anderen Mehrheiten reden werden und hoffentlich eine nachhaltige, moderne Politik organisieren.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Frau von Angern. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau von Angern, vielen Dank für das Kompliment, dass wir hellwach sind.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Wir werden, Frau von Angern, wie die Beschlussempfehlung lautet, den Gesetzentwurf und den Entschließungsantrag ablehnen. Aber ich sage ausdrücklich, das hat keine inhaltlichen Gründe.

Wir sind am Ende der Legislaturperiode und, Frau von Angern, Sie wissen - das wird im nächsten Tagesordnungspunkt eine Rolle spielen -, wir hatten im Rechtsausschuss eine Menge Holz. Das alles abzuarbeiten und noch eine gesetzliche Regelung für den Jugendarrestvollzug zu schaffen, das war auch für uns zeitlich schwierig.

Wir wissen, dass die Organisation des Jugendarrestes in Halle nicht die Ideallösung ist. Wir wissen natürlich auch, dass der Jugendarrest auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden muss.

Frau von Angern, wir würden auch mit uns darüber reden lassen. Unter Punkt 9 Ihres Entschließungsantrages steht unter anderem: „Der Jugendarrest gehört letztlich auf Dauer abgeschafft.“ - Aber all das haben wir nicht in Sachsen-Anhalt zu entscheiden. Das ist Bundesrecht. Ob eine Bundesratsinitiative erfolgversprechend ist, daran habe ich meine Zweifel.

Wir sind uns einig, es besteht Handlungsbedarf. Wir gehen nun auf eine Landtagswahl zu. Insoweit sei es mir erlaubt, zu dieser Frage das vorzutragen, was in unserem Wahlprogramm steht. Dort heißt es nämlich:

„Mit einem Jugendarrestgesetz wollen wir erreichen, dass der Vollzug dieser Maßnahme dazu beiträgt, Jugendliche von erneutem Fehlverhalten abzuhalten. Dazu wollen wir eine Arrestanstalt außerhalb des Justizvollzuges schaffen.“

Das werden wir auch in Koalitionsverhandlungen einbringen.

Meine Damen und Herren! Was die Schulpflichtverletzungen anbelangt, das haben Sie richtig erkannt, Frau von Angern, dass wir Rechtspolitiker, auch wir in der SPD-Fraktion, kein Problem damit hätten, den Ordnungswidrigkeitstatbestand aus dem Schulgesetz zu streichen.

Aber der Herr Vorsitzende hat ausführlich über die Anhörung referiert und deutlich gemacht, dass es dazu kontroverse Auffassungen gibt. Ich respektiere, dass Schulleiter, die entsprechenden Fachverbände und unsere Bildungspolitiker sagen, dass sie als Ultima Ratio im Kanon der Maßnahmen, mit denen man auf Schulpflichtverletzungen reagieren muss, dann auch diese Ordnungswidrigkeit haben wollen. Ein Blick in andere Länder - das haben wir auch gemacht - zeigt, dass sie dort auch einen solchen Ordnungswidrigkeitstatbestand kennen.

Ich bin dankbar, dass die Landesregierung durch Regierungshandeln ein Moratorium auf den Weg gebracht hat. Wenn es dazu geführt hat, dass in der Folge im Jugendarrest keine Arrestanten wegen Schulpflichtverletzungen ankommen, dann haben wir Einiges erreicht. In der Frage, ob wir das in der nächsten Legislaturperiode noch einmal gesetzgeberisch angehen, bin ich offen und danke für meine - Entschuldigung - für Ihre Aufmerksamkeit. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Es ist erst einmal schon ein gutes Zeichen, wenn man sich selbst zuhört.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Als nächster Debattenredner wird Herr Herbst für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reden.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jugendarrest als Sanktionsform ist im Jugendgerichtsgesetz, also einem Bundesgesetz, wie bereits erwähnt, geregelt. Der Vollzug im Einzelnen ist nach der Föderalismusreform aber Ländersache.

Ein entsprechendes Gesetz, wie von der Fraktion DIE LINKE vor nunmehr bereits zweieinhalb Jahren vorgeschlagen und per Entwurf eingebracht, gibt es bei uns bisher nicht. Aus dieser Logik heraus - Frau von Angern hat das soeben noch einmal qualitativ begründet - ist es nachvollziehbar, dass DIE LINKE dies regeln will.

Die Fraktion DIE LINKE schlägt in ihrem Entwurf bereits im Grundsatzteil auch sehr wünschenswerte Ziele vor. So sollen die Vollzugsziele darin liegen, den Jugendlichen das begangene Unrecht bewusst zu machen und diese zu einer straffreien Lebensführung zu motivieren.

Bereits hier liegt für unsere Fraktion letztlich der Hase im Pfeffer. Wir sind nämlich grundsätzlich nicht davon überzeugt, dass diese durchaus unterstützenswerten Ziele mit dem Jugendarrest überhaupt jemals erreicht werden könnten, unabhängig davon, wie seine Ausgestaltung im Detail aussieht.

Der Jugendarrest geht als Zuchtmittel auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück. Er geht daher bereits historisch gesehen von völlig anderen Erziehungsgrundsätzen aus, wenn Erziehung denn überhaupt jemals der Zweck dieses Arrests gewesen sein soll. Vielmehr diente er doch im Sinne seiner Erfinder eher der Formung eines bestimmten Menschenbildes. Doch gerade solches Denken in Menschenbildern liegt mit unseren demokratischen Grundsätzen und Vorstellungen von Eigenverantwortung und weitgehender Selbstbestimmung auch von Jugendlichen völlig verquer.

Somit ist der Jugendarrest zu Recht auch in der Wissenschaft stark umstritten. Aus meiner Sicht überwiegt die Zahl der kritischen Beiträge die Zahl der befürwortenden. Dies zeigt sich auch in der konkreten Ausgestaltung in Sachsen-Anhalt. Viele der Arrestanten sehen die Anstalt mehr als einmal, viele sind Mehrfachrückkehrer. Offenbar funktioniert irgendetwas dabei mit der Vorbereitung auf die straffreie Lebensführung nicht.

Jugendarrestler kommen das erste Mal mit haftähnlichen Bedingungen, möglicherweise sogar auch mit richtigen Kriminellen in Berührung. All das ist schlecht und widerspricht dem vorgegebenen Ziel.

Besonders in der Kritik steht, dass Schulschwänzer mit dem Jugendarrest sanktioniert werden können. Die Grundlagen hierfür wurden genannt. Es wurde auch gesagt, wer letztlich die Verantwortung in diesem Hohen Hause dafür trägt, dass das Thema, über das wir im Rechtsausschuss seit zweieinhalb oder drei Jahren eine Einigkeit haben, immer noch nicht gelöst wurde. Der Jugendarrest gehört abgeschafft. Dies wurde in diesem Hohen Hause leider von den Bildungspolitikern der Koalition blockiert. Es ist bedauerlich, dass wir es in dieser Legislaturperiode nicht ge

schafft haben, hier aufzuräumen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wissen, dass Sie das alles auch wissen - das richtet sich jetzt an die Fraktion DIE LINKE -, aber wir kommen eben zu einem anderen Schluss - keine Verlängerung für ein unwirksames Mittel. Deswegen werden wir keinem Gesetzentwurf zustimmen, der einen neuen, einen reformierten Jugendarrest fordert.

Brauchen wir denn ein solches modernes Jugendarrestvollzugsgesetz wirklich, wenn wir doch der Auffassung sind, dass der Jugendarrest als Sanktionsform alles andere als modern ist und deshalb schlichtweg abgeschafft gehört? - Zwar ergibt sich diese Notwendigkeit aus dem JGG, das den Jugendarrest weiterhin vorsieht. Das ist auf den ersten Blick auch richtig, allerdings zu kurz gedacht.

Unser Ziel sollte es sein, den Jugendarrest in die Strafrechtsgeschichte zu verbannen, da er sich als untauglich erwiesen hat. Da hilft es auch nicht, ihn hier bei uns im Bundesland aufzupeppen.

Meine Damen und Herren! Wir werden uns der Beschlussempfehlung, die heute vorliegt, der Stimme enthalten, aber wir werden dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE, da er durchaus die richtigen Ziele formuliert, zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Kollege Herbst. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Sturm.

Herzlichen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Etwas Grundsätzliches vorab: Die ursprünglich repressive Intention der Ausgestaltung des Arrestvollzuges aus den 30er-Jahren kann nach Auffassung meiner Fraktion nicht dazu führen, den Jugendarrest insgesamt abzuschaffen.

Im Unterschied zur antragstellenden Fraktion wollen wir auch in Zukunft an dem aus unserer Sicht bewährten Jugendarrest festhalten, da dieser zur Aufarbeitung und Behebung der Versäumnisse des Elternhauses und der anderen Institutionen ein wirkungsvolles Instrument sein kann.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Wir haben mit dem Jugendarrestvollzug im Land Sachsen-Anhalt eine Baustelle, an der wir bereits seit Jahren intensiv arbeiten und auch erste Erfolge vorweisen können. Insbesondere durch das Engagement der Justizpolitiker dieses Hohen Hauses haben wir schon vieles auf den Weg gebracht.

Ich erinnere an dieser Stelle an die Erhöhung des Sachmittelbudgets, die Bibliotheksausstattung, die medizinische Versorgung und an die verschiedenen Sanierungsmaßnahmen in der Jugendarrestanstalt.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine Frage, unser Jugendarrestvollzug ist wie in vielen anderen Bundesländern auch nur unzureichend gesetzlich bestimmt. Das allein ist noch keine Schande; denn fehlende Regelungen schaffen auch Freiräume für den Arrestvollzug.

Auch wir sind der grundsätzlichen Auffassung, dass die Inhalte der Jugendarrestvollzugsordnung neu definiert werden müssen. Zukünftig muss sich der Jugendarrest an dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes orientieren. Wir brauchen auf die Arrestform abgestimmte Behandlungsmaßnahmen und jugendgerechte Hilfsangebote.

Es muss Zielrichtung des Arrestes sein, die Jugendlichen durch erzieherische Kurse, Beratung, Sport und gemeinsame Freizeitgestaltung sozial zu fördern. Trotz des faktischen Freiheitsentzuges müssen die pädagogischen Bausteine in Form von sozialen Trainingseinheiten den Charakter des Jugendvollzugs prägen. Zur Stärkung der Konfliktfähigkeit und der sozialen Kompetenz brauchen wir eine Atmosphäre der Freiwilligkeit und Motivation.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, wir wollen uns hinsichtlich der Schaffung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes grundsätzlich nicht verschließen, sondern dieses Vorhaben nur zeitlich aufschieben. Denn eines ist uns doch allen klar, auch der Jugendarrest ist dem Personalentwicklungskonzept unterworfen.

Wir haben im Jugendarrest im Vergleich zu den Justizvollzugsanstalten bereits einen guten Betreuungsschlüssel. Aber ein Vollzug des Jugendarrestes mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Parametern lässt sich mit der derzeit bestehenden Personalstärke einfach nicht umsetzen. Für die Umsetzung Ihres Vorhabens brauchten wir in personalwirtschaftlicher Hinsicht einen Aufwuchs im allgemeinen Vollzugsdienst, bei den Sozialpädagogen und auch bei den Planstellen des gehobenen Verwaltungsdienstes.

(Herr Knöchel, DIE LINKE: Genau!)

Darüber hinaus kann ein Jugendarrestvollzugsgesetz auch nicht losgelöst von der Gesamtkonzeption zur Justizvollzugsreform, die uns auch noch in der nächsten Wahlperiode beschäftigen wird, betrachtet werden.