Protocol of the Session on December 10, 2010

(Herr Borgwardt, CDU: Jetzt hören Sie doch auf!)

Ich würde Sie erstens fragen, wie Sie diesen Fakt bewerten, und zweitens, was die Ursache dafür ist, dass die Bundesrepublik Deutschland in den letzten zehn Jahren in der Lohnentwicklung so extrem hinterher gehinkt hat.

Das ist ganz einfach, Herr Gallert. Das ist keine spannende Frage. Sie ist von den Volkswirtschaftlern schon vor Jahren beantwortet worden. Es gibt eine Reihe von Dissertationen, von Publikationen, in denen das Thema wissenschaftlich aufgearbeitet worden ist.

Erstens ist die Lohnhöhe oder die Entwicklung der Lohnhöhe überhaupt nicht aussagekräftig. Wenn Sie sich mit Nationalökonomen darüber unterhalten, wie viel Lohnzuwachs Sie hatten, müssen diese erst einmal wissen,

von welcher Basis Sie kommen. Das sagt überhaupt nichts aus.

Zweitens müssen Sie, wenn Sie wissen wollen, ob es eine Wohlstandsmehrung gibt, sich auch angucken, wie die Kaufkraftäquivalente aussehen. Kaufkraft fängt an mit dem Warenkorb, den ich brauche, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, dem Wohnen und verschiedenen anderen Dingen. Dazu, ob die Kaufkraft maßgeblich gewachsen ist oder nicht, sagt die von Ihnen genannte Zahl überhaupt nichts aus.

Zum letzen Fakt. Auch das ist ganz einfach. Wir haben in Deutschland - das kann man sich alles anschauen, weil alles erfasst ist; die Daten liegen vor - eine Entwicklung der Löhne und der Kosten, der Lohnstückkosten und anderer volkswirtschaftlicher Parameter gehabt, die unterschiedliche Folgen hatte.

Wir waren Ende der 80er-Jahre in der Bundesrepublik alt auf einem Niveau gewesen, dass die Bundesrepublik alt ohne die Sonderkonjunktur Mauerfall vor einem dramatischen Absturz gestanden hat und tatsächlich abgestürzt wäre, und zwar mit einer rasanten Zunahme der Arbeitslosigkeit, weil die Entwicklung von Löhnen, von Arbeitsbedingungen, von Standards - Wann darf ich bauen? Wann darf ich investieren? Unter welchen Voraussetzungen kann, muss, will ich produzieren oder Dienstleistungen anbieten? -, die Summe all dieser Rahmenbedingungen für die Unternehmen sich im europäischen Wettbewerb so verschlechtert hatte, dass die Deutschen immer weniger wettbewerbsfähig geworden waren.

Das heißt, wenn ein paar Leute im System bleiben und arbeiten, sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, dann kann es sein, dass diese noch einen Vorteil haben. Aber immer mehr standen vor der Tür des Betriebes und kamen nicht mehr hinein. Das war ja die Situation.

Dann gab es eine Sonderkonjunktur Ost. Dann gab es, muss ich sagen, nach anfänglichen Turbulenzen eine wirklich vernünftige und wirklich ehrenwerte und volkswirtschaftlich sehr weise Arbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen und in den jeweiligen Gewerkschaften. Die wirklich vernünftige, sehr verantwortungsvolle Lohnpolitik der Gewerkschaften hat dazu geführt, dass wir durch Tarifklauseln, Härtefallklauseln, durch bestimmte Bedingungen, auch Lohnentwicklungen, die sehr zurückhaltend waren, wieder wettbewerbsfähig wurden.

Heute haben wir eine Situation, in der England, Frankreich, Amerika beklagen, dass wir zu wettbewerbsfähig sind. Jetzt müssen wir uns natürlich überlegen - wir bestimmen ja nicht die Bedingungen; das bestimmen die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer -, was wir wollen, ob wir noch ein kleines Stück des Weges weitergehen wollen, ob den drei Millionen, die offiziell registriert sind, und den Millionen, die gar nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik geführt werden, etwa die Ein-Euro-Jobber, mehr und mehr eine Chance gegeben werden soll, wieder durch die Betriebstür hineinzukommen und einen ordentlichen Arbeitsplatz zu bekommen, oder ob wir ganz schnell eine Lohnangleichung und eine weitere Verschärfung der Bedingungen haben wollen.

Ich denke, das müssen die Tarifvertragsparteien allein entscheiden. Das sollen sie auch allein entscheiden. Das Recht dazu ist grundgesetzlich geschützt. Das wollen wir auch weiterhin so fortschreiben.

(Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)

Danke sehr, Herr Gürth. - Für die Landesregierung spricht Minister Dr. Haseloff.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße ausdrücklich diesen gemeinsamen Antrag, weil er einige wichtige Dinge verstärkt, die wir politisch gemeinsam angegangen sind bzw. auch einige ganz klare Botschaften miteinander verbindet.

Das Erste ist: Wir, das heißt alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, haben vor knapp vier Monaten einen Fachkräftesicherungspakt für Sachsen-Anhalt unterschrieben. In diesem Pakt haben wir erstens festgestellt, was fast schon eine Binsenweisheit ist, wie sich die demografische Entwicklung und vor allem auch die Fachkräfteentwicklung in den nächsten Jahren in Sachsen-Anhalt vollziehen wird. Bis zum Jahr 2016 wird es per Saldo allein 155 000 Erwerbspersonen weniger geben.

Wir brauchen an vielen Stellen nicht nur das Rückholen von Pendlern, sondern auch das Rückholen von jungen Menschen oder von Menschen mittleren Alters, die in den 90er-Jahren oder zu Beginn der 2000er-Jahre auf der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz weggezogen sind. All das erfordert ein Gesamttableau an Arbeitsplätzen, an Arbeitsplatzqualitäten, das sich von dem abheben muss, was wir jetzt haben.

Wir haben sicherlich viel erreicht, aber wir wissen, wo wir noch nachsetzen müssen und dass zum Beispiel - ich nehme das einmal als einzige Größe - ein durchschnittlicher Lohn für ein normales Arbeitsverhältnis in Sachsen-Anhalt in Höhe von 16,56 € - damit liegen wir übrigens genau in der Mitte der fünf neuen Bundesländer, vor Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, knapp hinter Sachsen und Brandenburg - als Mittelwert wenig aussagt, wenn man sich in die einzelnen Branchen, vor allem in den gewerblichen Bereich hineinbewegt.

Hier gibt es Unterschiede gegenüber dem Arbeitsplatzkonkurrenten in den alten Bundesländern. Wenn eine entsprechende Bewegung und ein Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt zu unseren Gunsten stattfinden soll, dann ist eine Lohnentwicklung erforderlich.

In welche Richtung wir diesen Weg gehen wollen, hat Detlef Gürth hier schon ziemlich ausführlich dargestellt. Das heißt, wir brauchen gestärkte Tarifpartner, die mit ihrem Organisationsgrad in der Lage sind, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wenn ich arbeitgeberseitig denke, bewusst auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir nicht nur die Großen haben, die sicherlich leichter höhere Löhne zahlen können, wenn es darum geht, ihre Fachkräftebedarfe zu sichern, die aber nicht repräsentativ sind für die Mittleren und Kleinen ihrer Branche, die dann mehr oder weniger Fachkräfte an die Großen verlieren, also ein Absaugeffekt entsteht, dann ist es wichtig, dass gerade die Kleinen und Mittleren hineingehen und das Tableau, diese Entwicklung, diese Diskussion, welche regionalen branchenbezogenen Löhne aufgrund der vorhandenen Produktivität bezahlbar sind, mitbestimmen.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Auf der anderen Seite gibt es auch ganz klare Maßgaben für die Arbeitnehmer, wenn sie stark ihre Interes

sen durchsetzen wollen, bis hin zu Zusatzvereinbarungen in Tarifverträgen, wenn es darum geht, Übernahmequoten oder Ausbildungsquoten festzulegen usw. usf. Da gibt es verschiedene Fallgestaltungen. Dafür ist ebenfalls eine entsprechende Power erforderlich.

Genau diese ist durch einen hohen Organisationsgrad gegeben. Wir wissen, wie dieser in vielen Fällen aussieht. Er ist nicht ausreichend. Deswegen das gemeinsame Bekenntnis, dass wir hierbei Verstärkung brauchen, die all den nur angedeuteten Fakten dient.

Auf der anderen Seite ist klar, dass wir an dieser Stelle entsprechende Zusatzvereinbarungen im Rahmen des Fachkräftesicherungspakts getroffen haben. Sprich: Wir haben ganz klar vereinbart, dass sich die Gewerkschaften und die Arbeitgeber in entsprechenden Arbeitsgruppen verständigen, wie dieser Weg gemeinsam zu bewältigen ist.

Zum Beispiel wird am 21. Dezember 2010 das erste Mal eine gemeinsame Arbeitsgruppe tagen, bei der es darum geht, über Lohnuntergrenzen zu sprechen und auch darüber, wie wir im Land Dumpinglöhne und unsittliche Bezahlungen vermeiden können, welche Orientierungen wir geben und was faktisch bis in die Tarifvertragsgestaltung hinein zu erfolgen hat, damit das Wirkung entfaltet.

Ich denke, das sind kleine Schritte, die aber wirkungsvoll sind. Ich habe gestern auf der Wirtschaftsministerkonferenz erfahren, dass Mecklenburg-Vorpommern einen ähnlichen Pakt abgeschlossen hat. Das heißt, wir befinden uns inzwischen in guter Gesellschaft, wenn es darum geht, die Tarifpartnerschaft wieder zu einem echten, guten Instrument der sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln, nachdem es in dieser Beziehung einen gewissen Rückschlag gegeben hat.

Letzte Bemerkung. Ich möchte nicht die Dinge wiederholen, die Detlef Gürth schon vorgetragen hat. Ich weiß, dass es verschiedene politische Möglichkeiten gibt, darüber hinaus noch Instrumente zu ziehen oder gesetzlich bzw. staatlich vorzugeben. Ich warne davor. Ich denke, dass wir mit unserem deutschen Modell sehr gut gefahren sind. Das hat sich historisch herausgestellt und es hat vor allem auch die entsprechenden Effekte erzielt.

All das, was darüber hinausgehen würde, auch im Sinne des Antrages der LINKEN, zum Beispiel die Verknüpfung der Vergabe- und der Förderentscheidungen mit der Tarifentlohnung, steht eindeutig im Widerspruch zu der europäischen Rechtsprechung, also zum europäischen Recht und ist damit auch verfassungsrechtlich bedenkllch.

Ich könnte jetzt die einzelnen Punkte durchgehen. Wir haben uns schon überlegt, was machbar und was nicht machbar ist. Wir haben uns in dieser Koalition, die beiden Fraktionen, auf einen gemeinsamen Korridor verständigt. Dieser hat von der gemeinsamen Entwicklung her über viele Jahrzehnte hinweg eine gute Tradition.

Dass es in Randbereichen durchaus Unterschiede und andere Akzentuierungen geben kann, ist legitim. Dafür haben wir Parteienpluralität, und es ist auch gut so, dass versucht wird, in diesem Wettbewerb zu den besten Lösungen zu kommen und diese zum Austrag zu bringen.

Entscheidend ist, dass wir einen wesentlichen Grundsockel geschaffen haben, damit sich Sachsen-Anhalt bezüglich der genannten Aufgabenstellungen in Zukunft gut weiterentwickelt. Ich hoffe, dass es heute zu einer entsprechenden Beschlussfassung kommt, und würde

mich freuen, auf dieser Basis intensiver all das umzusetzen, was schon vorgetragen wurde. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, es gibt eine Nachfrage von Herrn Gallert. - Bitte sehr, Herr Gallert.

Herr Haseloff, ein Hinweis und eine Frage. Sie sprechen von einem durchschnittlichen Stundenlohn von Vollzeitarbeitskräften in Sachsen-Anhalt in Höhe von mehr als 16 €. Ich will nur sagen, dass dieser statistische Wert nur dann zustande kommt, wenn ich bestimmte atypische Beschäftigungen, die sehr wohl auch Vollzeitbeschäftigungen sind, aus der Berechnung herausnehme. So sind zum Beispiel Saisonkräfte nicht dabei. Wenn ich diese aber in die Berechnung mit einbeziehe, dann lande ich für Sachsen-Anhalt für das zweite Quartal 2010 bei einem Stundenlohn in Höhe von 15,48 €.

Das eigentliche Problem Sachsen-Anhalts sind aber die vielen und in der Zahl permanent steigenden Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse. Wenn man die mit berücksichtigt, dann sind wir das Niedriglohnland Nummer 1. Das ist statistisch erwiesen. Darüber kann man nicht hinwegdiskutieren. Das ist eindeutig so.

Deswegen frage ich Sie: Wie erklären Sie, dass wir im Vergleich nur der ostdeutschen Flächenländer - wir lassen den Westen völlig heraus - bei der Arbeitsproduktivität mit 104 % zwar die Spitze innehaben, bei den Lohneinkommen aber den niedrigsten Wert mit 96,9 % aufweisen? Wie erklären Sie diesen Sonderfall von Sachsen-Anhalt?

Sie können jetzt verschiedene Statistiken heranziehen. Ich habe die genommen, die vom Bundesamt für Statistik zu den Normalarbeitsverhältnissen, also zu den Vollzeitarbeitsverhältnissen herausgegeben wird. Das sind auch die Arbeitsplätze, deren Entwicklung wir fördertechnisch begleitet und stimuliert haben. Damit möchte ich auch zum Ausdruck bringen, dass wir eben nicht das Niedriglohnland sind, das Sie immer deklarieren.

Das ist so.

Darüber können wir uns aber an anderer Stelle noch einmal unterhalten. Die Entscheidung und das Sortieren am Arbeitsmarkt, wie viel Teilzeitbeschäftigung stattfindet, hängen auch sehr stark von den Beschäftigten selbst ab. Ich könnte Ihnen viele Beispiele dafür bringen, dass darauf gedrungen wird, in Teilzeit arbeiten zu dürfen, womit sich natürlich vor dem Hintergrund der damit erzielbaren Produktivität andere Mechanismen entwickeln. Darüber kann man sich soziologisch und gesamtgesellschaftlich unterhalten. Das ist eine Sache, die einer völlig anderen analytischen Grundlage zugeführt werden muss.

Was die Entwicklung angeht, Herr Gallert: Wenn Sie sich die Lohnentwicklung in den letzten fünf Jahren in allen fünf neuen Bundesländern, ja, in allen 16 Bundes

ländern angucken, dann sehen Sie, dass Sachsen-Anhalt den größten Sprung nach vorn gemacht hat.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben über viele Jahre hinweg - -

Wir haben die rote Laterne seit 2008.

Ja, ja, lassen Sie mal.

(Herr Gürth, CDU: Rote Laternen kennen wir von anderen!)

Wir haben über viele Jahre hinweg, aus schwierigsten Bedingungen kommend, Arbeitsplätze installiert und um eine hohe Produktivität gekämpft. Seit ca. vier Jahren ist die Lohnentwicklung eine spitzenmäßige

Nein, das stimmt nicht.