Protocol of the Session on November 12, 2010

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kosmehl, Frau Ministerin, eigentlich ist alles gesagt, was dazu zu sagen war, aber noch nicht von mir. Insofern will ich es ganz kurz machen.

Richtig ist, dass aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die so genannten Altfälle der Sicherungsverwahrung, die auf der damals gültigen Rechtslage auf zehn Jahre beschränkt waren, einer anderen rechtlichen Grundlage zugeführt werden müssen, damit wir den betroffenen Personenkreis weiter sicherungsverwahren können. Berlin hat das Angebot eines Therapieunterbringungsgesetzes gemacht. Das ist vorgetragen worden.

Gott sei Dank hat gestern der 5. Senat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass nicht der Automatismus eintritt, dass die jetzt noch Sicherungsverwahrten automatisch freizulassen sind. Anders als eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht automatisch, dass wir in einer rechtswidrigen Lage leben. Vielmehr gilt das nationale Recht weiter, bis das Therapieunterbringungsgesetz in Kraft tritt.

Was allerdings die Umsetzung angeht, besteht - dies haben Sie zutreffend gesagt, Frau Ministerin - keine Einigkeit und Klarheit dahin gehend, wie das formuliert oder gemacht werden soll. Insofern sind wir Ihnen dankbar für Ihren Antrag, Herr Kosmehl. Ich habe gehört, dass die Justizministerkonferenz den Versuch unternommen hat, die Verantwortung in den Bereich der Sozialminister zu verschieben. Es kann aus unserer Sicht aber nicht sein, dass wir ein Pingpong zwischen den unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten organisieren und wir infolge einer solchen Kompetenzstreitigkeit in einen rechtslosen Raum geraten und solche Menschen freigelassen werden.

Im Bereich des Maßregelvollzugs sind unsere Anstalten voll. Deshalb muss jemand einmal erklären, wie wir das organisieren sollen. Dabei bitte ich um konkrete Hinweise. Entweder wir treffen eine mitteldeutsche Vereinbarung - es ist gelegentlich schwierig, so etwas zu machen -, oder wir müssen darüber reden, ob wir die Möglichkeit haben, Kapazitäten in den Justizvollzugsanstalten umzuwidmen.

Ich denke zum Beispiel an Naumburg. Da gibt es ja auch einen Kollegen aus meiner Fraktion, der immer sehr dafür wirbt, dass die Anstalt in Naumburg in der Stadt bleibt.

(Herr Kosmehl, FDP, lacht)

Dann könnte man Naumburg leer ziehen und diesen Teil dort unten eben - - Da ist auch ein Haftkrankenhaus vorhanden.

(Zurufe)

- Also, nicht Naumburg leer ziehen, sondern die Justizvollzugsanstalt dort.

(Frau Fischer, SPD: Untersteht euch, so was zu machen!)

- Frau Fischer, ich wollte nicht Naumburg leer ziehen, sondern nur die Justizvollzugsanstalt dort.

(Zuruf von Herrn Miesterfeldt, SPD)

Sie haben dort zumindest ein Haftkrankenhaus. Dort würden Möglichkeiten bestehen.

(Zurufe - Herr Borgwardt, CDU: Genau so sieht es dort aus!)

Ich will ja nur Möglichkeiten anregen.

(Frau Fischer, SPD: Genau!)

Also, wir müssen darüber reden.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Da ist bestimmt noch ein Platz frei! - Zuruf von Frau Fischer, SPD)

- Bei Frau Fischer ist auch noch Platz? Das weiß ich nicht. - Nein, wir wollen das jetzt nicht ins Lächerliche abgleiten lassen. Das ist ein wichtiges und auch entscheidendes Thema einerseits für die Sicherheit der Be

völkerung, andererseits aber auch in der Verantwortung, die wir für diejenigen haben, die nicht therapierbar sind.

(Zuruf: Richtig!)

Was die weiter gehenden Regelungen zur, ich sage einmal, aktuellen Sicherungsverwahrung angeht: Sicherlich ist da ein Lösungsvorschlag gemacht worden. Aus der Sicht meiner Fraktion sage ich: So ganz glücklich sind wir mit dem, was Berlin gemacht hat, nicht. Für uns ist das sehr restriktiv, weil die Art der Fälle, in denen sicherungsverwahrt werden kann, eingeengt wird. Ich vermute, dass das wiederum die liberale Handschrift ist, der wir uns ein Stück weit gebeugt haben.

(Zuruf von Herrn Schwenke, CDU)

Wir wären da etwas weiter gefächert aufgestellt gewesen, weil wir nicht sagen können, dass eine Gefahr nur von Personen ausgeht, die eine der Straftaten des eingeschränkten Katalogs begangen haben. Wir haben gesehen, dass in den alten Fällen in anderen Bereichen, die jetzt nicht davon erfasst werden sollen, nachträglich Gefährdungen ausgelöst wurden.

Solche Menschen - ich habe das heute Morgen gesagt - haben ein krankhaftes Persönlichkeitsprofil. Dabei spielt es nicht die Rolle, ob das auf wenige Straftaten beschränkt ist, sondern wenn sie das in anderen Bereichen auch haben, stellen sie auch dort eine Gefährdung für die anderen Menschen dar, am Ende auch für sich selbst.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE - Frau von An- gern, DIE LINKE: Quatsch!)

Das Instrument der elektronischen Fußfessel - das will ich auch noch erwähnen - halte ich persönlich eher für ein Placebo. Denn damit können Sie zwar feststellen, wo sich die betroffene Person aufhält; Sie verhindern damit aber keine einzige Straftat, außer dass Sie den Kriminalisten ermöglichen festzustellen, wo der Tatort war. Das freut einen ehemaligen Staatsanwalt, aber ansonsten hilft das auch nicht weiter.

(Herr Schwenke, CDU: Ja!)

Wenn wir solchen Leuten dieses Mittel an die Hand geben, dann verkennen wir, dass diese eigentlich einer Therapie unterzogen werden müssten. Eine elektronische Fußfessel stellt aus meiner Sicht keine medizinisch indizierte Therapie dar. Aber so ist das Leben, dass gelegentlich Kompromisse eingegangen werden müssen. Ich halte es aber rechtspolitisch für keinen sonderlich guten Kompromiss.

Herr Kosmehl, wir wollen das Thema gerne mit Ihnen weiter beraten, sind Ihnen dankbar für dieses Thema und bitten darum, dass Ihr Antrag in den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen wird,

(Herr Dr. Eckert, DIE LINKE: Dafür sind wir schon dankbar!)

damit Sie, Frau Ministerin, uns weiterhin unterrichten können, wie sich die Stimmungslage zwischen Ihnen und Herrn Bischoff zukünftig entwickelt. Wir wollen gemeinsam hoffen, dass wir in Sachsen-Anhalt eine Lösung finden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Unruhe bei der LINKEN)

Herzlichen Dank.

(Herr Krause, DIE LINKE, zeigt eine Armbanduhr hoch)

Herr Abgeordneter, Sie hatten einen kurzen Redebeitrag angekündigt. Nun waren es vier Minuten Redezeit.

(Frau Bull, DIE LINKE: Wir sind auf die Langfas- sung gespannt! - Herr Dr. Eckert, DIE LINKE: Wir warten auf die Langfassung!)

Es ist mir so gegangen wie heute Morgen dem Kollegen Bullerjahn. - Ich bin jetzt weg.

(Zurufe von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE, von Frau von Angern, DIE LINKE, und von Herrn Krause, DIE LINKE)

Herzlichen Dank für Ihren Redebeitrag. - Wir kommen jetzt zu dem Redebeitrag der Abgeordneten Frau von Angern von der Fraktion DIE LINKE. Sie hat das Wort. Bitte schön, Frau von Angern.

(Unruhe und Zurufe - Herr Stahlknecht, CDU: Ich habe die fünf Minuten Redezeit nicht ausge- schöpft!)

Ich mache es jetzt genauso wenig kurz wie mein Vorredner.

(Oh! bei der LINKEN und bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. So manifestiert es Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Bei genauer Betrachtung wird das vermeintliche Dilemma, das genau in diesen Worten steckt, schnell deutlich. Es geht um die Menschenrechte auf Freiheit und Sicherheit. Das sind zwei Rechtsgüter, die nebeneinander Geltung haben.

(Herr Tullner, CDU: Ja!)

Eine Rangfolge ergibt sich nicht. Das bedeutet, dass diese Rechtsgüter gleichwertig sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Das, meine Damen und Herren, ist ein entscheidender Kernpunkt der Debatte um die Sicherungsverwahrung.

Es ist gut, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine richtungweisende Entscheidung getroffen hat. In allen Bundesländern unterscheidet sich die Sicherungsverwahrung kaum von der Strafhaft und läuft damit dem Grundgesetz und der Menschenrechtskonvention zuwider. Ich denke, es ist gut, dass die Politik das anerkennt und Veränderungen anstrebt.

Lassen Sie mich vorab klarstellen: DIE LINKE nimmt das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit sehr ernst. Aber nicht jede Grundrechtseinschränkung, die unter dem Deckmantel der vermeintlichen öffentlichen Sicherheit geschieht, führt auch tatsächlich zu mehr Sicherheit, sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht.

(Herr Kosmehl, FDP: Das ist keine Grundrechts- einschränkung!)