Protocol of the Session on October 8, 2010

weder in unseren Schulen, noch - das war wahrscheinlich gemeint - hier im Parlament.

Es dürfte im Prinzip Einvernehmen darüber bestehen, dass kontinuierliche Arbeit gerade auf dem Gebiet der Pädagogik unter sonst gleichen Umständen besser ist als dauernde Umbrüche. Das haben wir auch heute Morgen in der Aktuellen Debatte schon angesprochen. In Leistungsstudien zeigt sich, dass dies einer der Gründe für ein erfolgreiches Abschneiden ist.

So sagte die Bremer Kollegin, Senatorin Jürgens-Pieper, zur Genese des von Ihnen angesprochenen Bremer Schulfriedens - ich zitiere aus der „Zeit online“ vom 6. Februar 2009 -:

„Zum einen wurde zugunsten der Strukturdebatte die innere Entwicklung der einzelnen Schulen, das Ringen um Qualität vernachlässigt. Zum anderen hat jeder Regierungswechsel Unruhe in die Schulen getragen, weil sie sich auf strukturelle Änderungen einstellen mussten. Die Quittung haben wir“

- die Bremer -

„mit der Pisa-Studie bekommen.“

(Herr Wolpert, FDP: Hört, hört!)

Wenn dies stimmt, muss jede Reform so gut sein, dass sie nicht nur besser ist als das, was sie ablösen will, sondern so viel besser, dass sie außerdem die entstehende Unruhe, die Transaktionskosten des Wandels im weitesten Sinne überkompensiert.

(Zustimmung bei der FDP, von Frau Feußner, CDU, von Herrn Steinecke, CDU, und von Frau Take, CDU)

Wer ein Schulwesen aus eigener Sicht vom Kopf auf die Füße stellt, der muss einfach damit rechnen, dass viele diesen Schwenk irritierend finden und verunsichert sind. Weil eine solche Verunsicherung oft nicht die Überlegenheit des Neuen erkennen lässt, spricht einiges für einen entsprechenden Schulfrieden, für ein Moratorium.

Nun gehen darüber, was wie viel besser ist, wohl auch in diesem Hause mitunter die Meinungen auseinander. Das war übrigens nach meiner Kenntnis auch in Bremen der Fall. Auch dort tragen nicht alle Kräfte den so genannten Schulfrieden mit. Die GEW hat sich zumindest davor gegen ihn ausgesprochen. Im Parlament trat - laut meinen Informationen aus der Presse, aus dem „Tagesspiegel“ vom 5. Januar 2010 - DIE LINKE dem Konsens nicht bei, da er - ich zitiere - „die Spaltung der Bildungslandschaft“ untermauere.

Möglicherweise unterscheidet sich die Situation in Bremen aber auch ein wenig von der unseren. Angesprochen auf die Schlusslichtrolle Bremens in Leistungsstudien meinte Frau Jürgens-Pieper in einem Interview am 5. Februar 2009 - ich zitiere wiederum -:

„Erst das harte Urteil durch die Pisa-Studie hat alle Parteien zur Besinnung gebracht und den Bremer Schulfrieden ermöglicht.“

Allerdings wurde auch der Bremer Schulfrieden erst geschlossen, nachdem man eine neuerliche Reform beschlossen hatte.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Richtig!)

Das ist aber nicht der Unterschied, den ich eigentlich meine. Ich meine vor allem, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt einen Bildungskonvent eingesetzt hat. Er hat erklärt, dass er dessen Beratungsergebnisse und Beschlüsse ernst nehmen werde. Wörtlich hat der Landtag im Dezember 2006 als Aufgabe des Konvents beschlossen - ich zitiere -:

„Empfehlungen für ein dauerhaft tragfähiges, international ausgerichtetes, chancengerechtes und leistungsfähiges allgemeinbildendes und berufsbildendes Schulwesen zu erarbeiten“.

Ich zitiere weiter:

„Die Ergebnisse und Empfehlungen werden vom Landtagspräsidenten dem Landtag zur weiteren Beratung vorgelegt. Sie können in Modellversuchen erprobt werden.“

Inzwischen liegen solche Empfehlungen vor, neben vielen anderen auch solche zu strukturellen Entwicklungen im Schulsystem. Sie sind nicht unbedingt umstürzlerisch, wollen es auch nicht sein - schon gar nicht auf Unfrieden bedacht, aber sie statten auch nicht alles Bestehende mit einer Ewigkeitsgarantie aus.

Eine andere Frage ist, ob die Empfehlungen alle zugleich verwirklicht werden können oder teilweise miteinander konkurrieren. Ein Beispiel hatte ich in der Aktuel

len Debatte schon genannt, nämlich die verschiedenen vorhandenen und vorgeschlagenen Möglichkeiten, auf schulischem Weg zum Abitur zu gelangen. Das ist aber nicht der Punkt; der Punkt ist der Respekt vor dem Bildungskonvent und der Respekt vor dem eigenen gegebenen Wort.

(Zustimmung von der LINKEN)

Schulfriede kann nicht nur bedeuten, Diskussionen zu vermeiden. Für ebenso wünschenswert halte ich es, auch fällige Debatten über Schule friedlich zu führen, indem unter anderem zunächst danach gesucht wird, wo ein Konsens oder eine Verständigung möglich ist.

Dass dies sogar in einer förmlichen Vereinbarung gelingen kann, zeigt der Koalitionsvertrag von 2006. Dort haben sich CDU und SPD, die bekanntlich in schulstrukturellen Fragen nicht immer dieselbe Auffassung vertreten, darauf geeinigt - ich zitiere -:

„In der kommenden Legislaturperiode wird es daher keine grundlegenden Strukturveränderungen im Schulwesen geben.“

Darüber hinaus - auch über die genannten Partner hinaus - hat sich herausgestellt, dass viele Entscheidungen, zum Beispiel zur Schulqualität, zum Übergang von der Kita zur Schule, zum Schuleingang, zum gemeinsamen Unterricht, zur Berufsorientierung und zum Praxisbezug, zum produktiven Lernen, zu Schulqualität und Evaluation entweder unabhängig von den jeweiligen bildungspolitischen Koordinaten gemeinsam getragen oder zumindest als legitime Möglichkeit akzeptiert werden können.

Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung: Bürger und Politik erwarten oft schnelle Ergebnisse. Genau diese kann eine organisch angelegte Bildung nicht bieten. Das führt paradoxerweise oft dazu, noch raschere Ergebnisse zu fordern und wieder komplett umzusteuern. Auch darüber haben wir in der heutigen Aktuellen Debatte schon gesprochen.

Ich glaube, das ist auch der Teufelskreis, den unser Ministerpräsident ansprach, nämlich Handeln ohne Ertrag, Handeln als Selbstzweck oder Selbsttäuschung.

Meine Damen und Herren! Der sicherste Weg, dafür zu sorgen, dass ein Baum keine Wurzeln schlägt, besteht darin, ihn jeden Tag auszugraben und die Wurzeln zu vermessen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin Wolff. - Nun kommen die Beiträge der Fraktionen. Wir beginnen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile Frau Mittendorf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, vielen Dank für die doch sehr besonnenen und, glaube ich, auch auf sehr wesentliche Punkte abstellenden Worte, denen ich mich überwiegend anschließen kann.

Es geht wirklich darum, dem Bildungskonvent, den die Koalitionsfraktionen für diese Legislaturperiode beschlossen hatten und der, denke ich, sehr gute Empfehlungen

für die weitere Arbeit vorgelegt hat, mit ausreichend Respekt zu begegnen und hier nicht Krieg - in Anführungsstrichen - auf Teufel komm raus zu führen, wo man in der Tat eine Reihe von Punkten hat, über die man sich strategisch verständigen muss.

In diesem Zusammenhang, Herr Kley, möchte ich eines sagen: Mir ist völlig klar, warum Sie diesen Antrag stellen. Sie haben mit Ihrer Argumentation nachgewiesen, dass immer dort, wo es passte, Punkte herausgenommen werden, bei denen Sie meinen, für Ihre Überzeugung Unterstützung zu bekommen. Aber in der Sache geht es doch darum - ich sage das ganz ehrlich -, dass wir als Koalitionsfraktionen bei grundlegenden bildungspolitischen Problemen, bei denen wir eine unterschiedliche Meinung haben, auseinanderdividiert werden sollen. Aber davon lebt nun einmal auch die bildungspolitische Welt. Deshalb haben wir das gemacht.

Wenn dieser Hintergrund nicht so ernst wäre und wir nicht in einer Koalition mit der CDU wären - das sage ich hier auch sehr deutlich -, dann würde ich mich über Ihren Antrag amüsieren, ihn zur Seite legen und gut wär’s.

(Herr Gebhardt, DIE LINKE: Da können wir Ihnen helfen, Frau Mittendorf! - Heiterkeit bei der LIN- KEN)

Aber so ist das eben. Sie wissen doch sehr genau, dass unser Koalitionspartner einen solchen Antrag von Ihnen nicht ablehnen wird und wir in der Koalition vereinbart haben, gemeinsam abzustimmen, wie es sich auch gehört. Wir werden diesen Antrag also in den Fachausschuss überweisen.

(Zuruf von der LINKEN: Ach nee!)

Das ändert aber nichts, meine Damen und Herren von der LINKEN, dass ich persönlich und einige Kollegen meiner Fraktion das grundsätzliche Anliegen, so wie es Herr Kley zumindest vorgetragen hat, ablehnen. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe.

Erstens. Ihr Antrag ist in sich unschlüssig. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, worauf Sie sich in Ihrem Antrag berufen. Wir können uns gern über einen Schulfrieden nach Bremer Vorbild unterhalten, aber dann bitte auch zu den dortigen Konditionen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Dem so genannten Schulfrieden in Bremen ging ein Konsens zur Schulentwicklung zwischen SPD, Grünen, CDU und FDP voraus. Künftig verfügt Bremen nach der Grundschule nur noch über zwei Schulformen, nämlich die Oberschule und das Gymnasium. Die Oberschule führt die Klassenstufen 5 bis 13 und bietet alle Abschlüsse an. Eine verbindliche Schullaufbahnempfehlung gibt es nicht mehr. Die Eltern wählen die weiterführende Schulform aus. Getrennte Hauptschul- und Realschulbildungsgänge entfallen ebenfalls. Sieh da, sieh da!

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Kley, ich oder wir sind gern bereit, auch mit Ihnen über ein solches Schulmodell für Sachsen-Anhalt zu sprechen. Wäre das möglich, kann man auch über einen anschließenden Schulfrieden sprechen.

(Zuruf von der FDP)

Nur, meine Damen und Herren, bitte erinnern Sie sich: Gerade Sie haben sich im Konvent vehement gegen ein solches Modell ausgesprochen und haben es abgelehnt.

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn Sie sich auf den Bremer Schulfrieden berufen, müssen Sie auch die ganze Wahrheit sagen und die Grundlage für den Schulfrieden benennen und vor allen Dingen mittragen.

(Beifall bei der SPD)

Ein Schulfrieden ohne vorherige Kompromissfindung hätte es auch in Bremen nicht gegeben, und den wird es in Sachsen-Anhalt nicht geben. Das ist doch hier nicht zur Totenruhe verurteilt und dazu, dass bis zum Ende der Ewigkeit alles so bleibt.