Protocol of the Session on October 8, 2010

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Aufbau der Schulstruktur in Deutschland, wie wir sie heute vorfinden, war eine Entwicklung, die sich über viele hundert Jahre hingezogen hat. Im 19. Jahrhundert waren es zunächst die allgemeine Schulpflicht und die Volksschule, die den jungen Menschen auf dem Lande die Möglichkeit gaben, eine Schule zu besuchen, Wissen zu erwerben, damit auch mehr über ihre Umwelt zu erfahren und selbst die Akzeptanz zu gewinnen für künstlerische und geistige Leistungen. Die Schulpflicht schützte die jungen Menschen auch vor dem Zugriff des Bauern, der sie eigentlich lieber auf dem Feld hatte als in der Schule.

Später entwickelte sich in Deutschland in der Gründerzeit zunächst das fremdsprachige Gymnasium, welches ein ganz wichtiger Schritt zur Herausbildung einer Elite war und um Menschen dazu zu bringen, den neuen Herausforderungen der Industrialisierung zu folgen, aber auch um ihnen die Chance zu geben, ihre Welt zu erleben, um Kunst und Kultur wahrnehmen zu können und um neue Systeme der Wissenschaft zu begreifen. Deutschland war in dieser Zeit in einem Aufschwung begriffen, der, glaube ich, auch heute noch vielerorts städtebaulich zu sehen ist. Gerade Sachsen-Anhalt profitierte von diesem Zuwachs an Industrialisierung und Wissenschaft. Die Aufklärung hatte hier nachwirkend noch einen ganz wichtigen Anteil.

Weiterhin haben wir den Wandel vom fremdsprachigen Gymnasium zum naturwissenschaftlichen Gymnasium und letztlich eine Entwicklung, die in Deutschland über viele Jahre relativ konstant war und die auch nach dem Krieg in dem gegliederten Schulsystem wieder aufgegriffen wurde, welches zum einen offenkundig dem entsprach, was die Menschen erwartet haben: die Möglichkeit, sich weiterzuqualifizieren und sich weiterzubilden. Zum anderen entsprach das gegliederte Schulsystem aber auch - das darf man nicht vergessen - den Anforderungen der Gesellschaft an die Schule. Durch diese Struktur war das Schulsystem in der Lage, das zu erbringen, was notwendig war.

In den jüngsten Jahren, eigentlich seit dem Jahr 1968, ist es en vogue, mit der einen oder anderen Idee in die Schule zu gehen und durch von außen gesetzte Verbesserungen ein Schulsystem zu propagieren, dessen Wirkungsweise häufig relativ ungewiss ist. Wir haben in den betreffenden Jahren in Deutschland und vor allem in den

Schulen in den Altbundesländern eine weitestgehende Umwälzung durch Ansätze erlebt,

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

die aus heutiger Sicht allerdings alle nicht zu dem Erfolg geführt haben, der damals propagiert wurde.

Einige Bundesländer haben sich dieser Entwicklung verweigert. Sie haben das bisherige Schulsystem beibehalten und wurden damals ob ihres Konservatismus sicherlich verspottet. Diese befinden sich aber heute, wo wir mittlerweile dabei sind, Bildungserfolg nicht nur zu besprechen, sondern zu messen, unabhängig von den Systemen, hinsichtlich der Ergebnisse mit an der Spitze in Deutschland.

Betrachten wir international die verschiedenen Bildungssysteme und ihre Erfolge bei Pisa, dann stellt man fest, dass es relativ egal ist, wie die Struktur des Bildungssystems ist. Man stellt fest, dass es immer wieder ganz entscheidend ist, ob dieses Bildungssystem Jahre hatte, um sich zu entwickeln, ob die Menschen sich damit identifizieren, ob die Ausbildungsgänge für Lehrerinnen und Lehrer - ich möchte daran erinnern, dass es mindestens sieben Jahre dauert, bis ein Lehrer in die Schule kommt - mit dem Schulsystem korrelieren konnten und ob sich dementsprechend langfristige Qualität durchgesetzt hat.

In Sachsen-Anhalt hatten wir - das haben wir heute Morgen schon gehört - in den letzten 20 Jahren wiederholt Brüche in der Entwicklung unseres Schulsystems, die zum einen - darüber mag man sich streiten - nicht immer positiv für die Schülerinnen und Schüler waren, die aber auf jeden Fall, meine sehr geehrten Damen und Herren, stets zu großer Verunsicherung bei den Eltern geführt haben.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an den riesigen Ansturm der Eltern, die ihre Kinder zu den Aufnahmeprüfungen zu den Schulen und Gymnasien in freier Trägerschaft gebracht haben, als hier die Förderstufe eingerichtet wurde. Das heißt, die Eltern waren offensichtlich nicht bereit, diese positive Veränderung nachzuvollziehen.

(Herr Borgwardt, CDU: In Anführungsstrichen po- sitive!)

- Positive in Anführungsstrichen. Verzeihung, das ist schlecht zu sehen, wenn man spricht.

Auf der anderen Seite, meine sehr geehrten Damen und Herren, gab es in jüngster Zeit, während der Diskussionen im Bildungskonvent, auch immer wieder die Frage von Lehrerinnen und Lehrern sowie von Eltern: Wie soll es denn weitergehen? Jede Diskussion im Bildungskonvent wurde schon fast als Gesetz genommen und die Unruhe in den Schulen war förmlich mit Händen zu greifen.

Wenn man in die Schulen hinausgeht und auch mit den Trägern der Schulen spricht, also den Landkreisen und den kreisfreien Städten, dann verspürt man immer wieder die große Befürchtung, dass ein System aus dem Landtag heraus übergestülpt werden könnte, welches nicht den Baulichkeiten entspricht.

So gab es auch den Appell der Oberbürgermeisterin und des Oberbürgermeisters der beiden größten Städte dieses Landes, möglichst nichts zu verändern, weil die gegenwärtige Schulstruktur, deren Errichtung und Aufrecht

erhaltung sehr teuer ist, dem entspricht, was wir gegenwärtig haben, und dass andere Schulstrukturen - ich will jetzt gar nicht darüber diskutieren, ob nun sechsjährige Grundschule, Förderstufe oder längeres gemeinsames Lernen - in den gegenwärtigen Räumlichkeiten nicht umgesetzt werden könnten und ein Investitionsprogramm in Millionenhöhe voraussetzen würden, um hier überhaupt etwas zu tun.

Das heißt, wir haben momentan drei Stellen, die einer Veränderung, die bisher nicht als notwendig untermauert wurde, gegenüberstehen.

Das eine ist die Frage der Baulichkeiten. Darauf haben wir keine Antwort.

Das andere ist die Frage: Wie sehen die Eltern und die Kinder die Veränderungen? - Auch diesbezüglich stellen wir deutschlandweit eine Rückbesinnung darauf fest, dass es notwendig ist, über einen längeren Zeitraum konstant ein Schulsystem zu haben, statt ständig Veränderungen vorzunehmen.

Außerdem gibt es eine große Verunsicherung in den Lehrerkollegien, die befürchten, dass sie erneut auseinandergerissen werden und dass wieder Lehrerinnen und Lehrer über die Schulformen hinweg geschoben werden.

(Zuruf von Herrn Dr. Eckert, DIE LINKE)

Bis heute haben wir die Nachfolgen der Förderstufe zu spüren. Wer im Jahr 2009 die Diskussion miterlebt hat und gesehen hat, wer von der Sekundarschule wieder auf das Gymnasium kam, weil wir unterschiedliche Schülerzahlen hatten, der weiß, wie lange so etwas noch fortwirkt und was das für Probleme mit sich bringt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen vor einem Wahlkampf. Offenkundig gibt es in der Bevölkerung wieder die Befürchtung, dass es in diesem Land dazu kommen könnte, dass man aus Gründen der politischen Opportunität versucht, am Schulsystem herumzuschrauben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen, dass die Studien und auch die Gutachten im Bildungskonvent ergeben haben, dass die Struktur der Schule relativ unmaßgeblich ist. Man sagt immer wieder: Als Erstes sind es die Lehrerinnen und Lehrer, die die gute Qualität der Schule bestimmen, als Zweites sind es die Lehrerinnen und Lehrer, die die gute Qualität der Schule bestimmen, und als Drittes sind es die Lehrerinnen und Lehrer, die die Qualität der Schule ausmachen, und nicht die Frage, wie die Schule außen aussieht.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Frau Take, CDU)

Es ist an dieser Stelle unstreitig, dass natürlich die Unterstützung durch das Elternhaus wichtig ist. Aber auch diese kann nicht dadurch gewonnen werden, dass sich Schulen bis zur Klasse 1, bis zur Klasse 4, bis zur Klasse 6 oder bis zur Klasse 8 strukturieren. Die Eltern müssen dahinterstehen. Wer sich im Lande umschaut, der stellt fest, dass die Eltern in unserem Land mit diesem Schulsystem - ich möchte es einmal so sagen - sehr wohl ihren Frieden geschlossen haben.

Selbst die Schulversuche - wir haben ja 20-jährige Schulversuche; irgendwann müsste man sie eigentlich einmal auswerten, um zu sehen, ob der Versuch geklappt hat - der Gesamtschulen werden in sehr geringem Umfang ausgewählt, zumindest bezüglich des Ziels des Erreichens eines Gymnasialabschlusses.

Man kann sich das einmal anschauen: Die IGS in Halle hat bei fünf Zügen noch einen Zug, der zum Abitur führt. Die KGS hat bei fünf Zügen zwei Züge, die zum Abitur führen. Diese müssen schon zusammen unterrichtet werden, um überhaupt noch die Berechtigung zu erhalten, die Hochschulzulassung zu verleihen.

(Herr Borgwardt, CDU: Das ist richtig! Genau so ist es!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn das so ein Erfolgsmodell wäre und alle Eltern das wollten, dann hätten wir dort einen größeren Zulauf und hätten eine viel bessere Quote bei den Absolventen, als es gegenwärtig der Fall ist.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es, glaube ich, dringend notwendig, jetzt klar zu vermitteln, wie die zukünftige Struktur aussieht, dass wir nämlich auf einem Weg sind, den wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich gegangen sind.

Wer sich einmal den Bildungsbericht sowie die Entwicklung bei Pisa und Iglu anschaut, der stellt fest, dass es in den letzten Jahren aufwärts gegangen ist. Das kann man nicht bestreiten. Und nach außen sollte auch das Signal gegeben werden, dass es so bleibt.

Wir diskutieren mit den Hochschulen über die Zielvereinbarungen. Wir diskutieren ganz besonders über den Bereich der Lehrerbildung. Was sollen wir den Hochschulen denn sagen? Bildet irgendwelche Lehrer aus, wir sagen euch in drei Jahren, wofür wir sie brauchen? Oder muss jetzt klar gemacht werden, wie die zukünftige Struktur bei uns ist und dass wir eben einen Bedarf an Grundschullehrern, Sekundarschullehrern und Gymnasiallehrern haben?

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Ich kann doch von jungen Menschen nicht erwarten, dass sie sich dafür entscheiden, in Sachsen-Anhalt in diesen Beruf zu gehen, wenn sie gar wissen, was zukünftig auf sie zukommt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, an dieser Stelle ist die Anregung des Herrn Ministerpräsidenten, über einen Bildungsfrieden zu reden, sehr wertvoll gewesen. Wir haben es auch in Hamburg erlebt, wie es ausgeht, wenn man versucht, über die Köpfe der Menschen hinweg in das Schulsystem einzugreifen.

Fragen Sie bitte einfach einmal die Eltern, die Kinder in der Schule haben, was sie sich für ein Schulsystem wünschen. Es kann sein, dass Sie als Antwort bekommen: ein gutes Schulsystem für alle, gleiche Schule für alle. Dann fragen Sie einmal, was sie sich für das eigene Kind wünschen, und dann haben Sie genau das gegliederte Schulsystem, das wir bei uns haben. Das ist nämlich das, in dem die Eltern ihre Kinder am besten aufgehoben sehen und in dem sie auch die besten Chancen für ihre Kinder erwarten.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir am heutigen Tage, weit im Vorfeld des Wahlkampfes, mit diesem Antrag versucht, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten; denn wir glauben, dass wir Wahlkampf nicht auf dem Rücken unserer Kinder und unserer Eltern führen sollten. Vielmehr sollten wir

das Signal setzen, dass wir gemeinsam ein Interesse daran haben, die Qualität in der Schule zu verbessern, und dass wir zukünftig die Kraft in die Umsetzung der Lehrpläne stecken.

Wir haben erst in diesem Jahr neue Rahmenrichtlinien im Bereich der Sekundarstufe erhalten. Sollen sie im nächsten Jahr alle wieder auf den Müll geworfen werden? Soll es zukünftig wieder ein Chaos geben? Oder soll das, was langjährig erarbeitet wurde, auch wirklich umgesetzt werden können?

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, werben wir für unseren Antrag, werben wir eindeutig dafür, ein klares Zeichen zu setzen, indem wir sagen: Ja, wir alle sind daran interessiert, die Bildungsausgaben zukünftig auch weiterhin optimal zu halten, Lehrer für dieses Land zu werben, den Schülern eine Zukunft und eine Perspektive zu geben. Aber wir wollen keine weiteren Experimente an unserem Schulsystem. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kley. - Als nächster Rednerin gebe ich Ministerin Frau Wolff das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl im Namen der Landesregierung als auch ganz persönlich setze ich voraus, dass wir alle Frieden wollen,

(Herr Kley, FDP, lacht)

überall und mithin auch an Schulen. Regelrechte Friedensschlüsse werden allerdings vor allem nach einem Krieg geschlossen. Solche kriegsähnlichen Verhältnisse kann ich - Gott sei Dank - derzeit nicht ausmachen,

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und von Frau Take, CDU)

weder in unseren Schulen, noch - das war wahrscheinlich gemeint - hier im Parlament.