Protocol of the Session on October 8, 2010

- Herr Stahlknecht, dass bei Ihnen immer relativ schnell alles gesagt ist, weiß ich, aber ich glaube, dass die frühkindliche Bildung durchaus ein Thema ist, über das man im Landtag reden sollte.

(Zustimmung von Herrn Franke, FDP)

Meine Damen und Herren! Liebe Frau von Angern, dass wir beide darüber diskutieren, ist ein bisschen schwierig. Das haben wir inzwischen so oft getan, dass ich, glaube ich, all Ihre Argumente auch schon vortragen kann. Ich glaube, dass wir beide uns bei diesem Thema wohl auch nicht mehr weiter annähern werden.

Ich kann aber gut verstehen, dass Sie den Antrag eingebracht haben. Das Zeitungsinterview des Ministers hat dazu geradezu eingeladen. Wenn der Minister hingeht und sagt, er wolle eine Leistungsausweitung, dann ist es nachvollziehbar, dass man als Opposition einen entsprechenden Antrag stellt und schaut, wie es denn um die Umsetzung steht. Und ob die Forderung des Ministers ernst gemeint ist oder ob das quasi nur eine Idee vor dem Wahlkampf ist, um den einen oder anderen Wähler zu mobilisieren, sei dahingestellt.

Für die FDP bleibt die Orientierung am Bedarf der Grundsatz, an dem wir die Kinderbetreuung hier im Bundesland nach wie vor messen wollen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in der letzten Legislaturperiode ein Gesetz gefunden haben, mit dem wir den Ansprüchen aller Beteiligten gerecht geworden sind, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle durchaus Bedarf für Nachbesserungen gab.

Wir haben sicherzustellen, dass Kinder eine entsprechende frühkindliche Bildung erfahren, wenn die Eltern diese frühkindliche Bildung nicht bieten können. Ich möchte, weil das ansonsten in diesem Hause, glaube ich, niemand mehr tut, noch einmal ganz klar auf einen Punkt hinweisen: Wir sollten aufhören, so zu tun, als ob Bildung in diesem Bereich etwas sei, das nur über ausgebildete Erzieher vermittelt werden könnte.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Ich will gern zugestehen, dass eine entsprechende Ausbildung nötig ist, wenn ich über Gruppengrößen von sechs, 13 oder leider manchmal auch 17 Kindern rede, aber alle Statistiken, die Sie sich europaweit ansehen können, besagen, dass eine 1:2- oder 2:2-Beziehung und Erziehung - je nachdem, wie die Familie gestaltet ist - nach wie vor zu besseren Ergebnissen führt als eine

Betreuung in einer Einrichtung - auch wenn das der eine oder andere nicht so gerne hört.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Das Land, auf das ich dabei gern hinweise - auf dieses wird auch ansonsten im Bildungsbereich immer hingewiesen -, ist Finnland. Die Kinderbetreuung dort würden wir als unterentwickelt betrachten. Dort kümmern sich die Eltern im frühkindlichen Bereich selbst um ihre Kinder.

Vom Gesellschaftsbild her brauchen wir darüber, glaube ich, bei uns aber nicht mehr zu diskutieren. Wir gehen natürlich alle davon aus, dass in einer modernen Beziehung beide Partner arbeiten wollen - wenn sie das können, wenn ihnen das ihre Ausbildung und der Arbeitsmarkt zugestehen. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, dass wir als Gesellschaft eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherstellen müssen. Das halte ich schlicht und ergreifend für normal.

Jetzt ist vom Minister gesagt worden, wenn man Geld hätte, dann könnte man vielleicht doch noch etwas tun. Man könnte vielleicht acht Stunden für Kinder, deren Eltern nicht erwerbstätig sind, anbieten oder andere Aspekte berücksichtigen. Ich muss dazu ganz klar eines sagen: Für mich ist zunächst die Qualität in den Einrichtungen wichtig. Das hat uns Liberale bei der Diskussion damals immer geleitet.

Wir haben in den letzten Jahren leider feststellen müssen: Wir können nicht nur den Landeshaushalt sehen, sondern wir müssen auch die kommunalen Haushalte sehen, die in den letzten Jahren arg gerupft worden sind. Wir können feststellen, dass es dort eine Tendenz gibt, die Effizienz zu heben - um es positiv zu formulieren.

Das heißt, wir haben in der Kinderkrippe eben keinen Betreuungsschlüssel von 1 : 6, wie er im Gesetz steht, sondern im Schnitt von 1 : 7. Wir haben im Kindergarten keinen Betreuungsschlüssel von 1 : 13, sondern von 1 : 14, von 1 : 15 und in manchen Einrichtungen auch von 1 : 17. Wenn wir also Geld haben, dann sollten wir an diesen Punkt herangehen. Wenn wir Geld haben, dann sollten wir Geld in die Aus- und Fortbildung von Erziehern stecken. Ich glaube, damit tun wir Besseres, als wenn wir hingehen und sagen: Ganztagsanspruch für alle.

(Frau Bull, DIE LINKE: Ich glaube, man braucht gar nicht mehr Geld!)

Meine Redezeit neigt sich langsam dem Ende entgegen. Auf einen Aspekt möchte ich noch hinweisen. Wenn ich heute Erzieher frage, dann sagen sie anders als damals: Der Ganztagsanspruch ist das, was wir brauchen.

Ich glaube aber, dass das ein Stück weit auch aus der eigenen Perspektive betrachtet ist; denn dabei geht es natürlich auch um Arbeitsumfänge. Natürlich wollen auch Erzieher möglichst Vollzeit und nicht nur Teilzeit arbeiten. Das hängt in den meisten Einrichtungen mit der Frage zusammen, wie viele Kinder einen Ganztagsanspruch haben.

Seit einem halben Jahr beobachte ich aber eine interessante Entwicklung in den Einrichtungen in meinem Wahlkreis; Frau von Angern kennt meinen Wahlkreis. Das sind Einrichtungen, in denen man nicht gerade das erlebt, was man in einem kleinen Landkindergarten er

lebt, sondern die sind zum Teil tatsächlich problembehaftet. Über viele Jahre hinweg haben diese Einrichtungen Hartz-IV-Kinder in einem Umfang von 20 % betreut gehabt. Diese Prozentzahlen sinken derzeit drastisch. Bei den letzten Besuchen in den Einrichtungen in meinen Wahlkreis waren es im Schnitt nur noch 5 % - mit Ausnahme eines Kindergartens; der ist aber tatsächlich besonders problembehaftet.

Ich glaube, dass wir mit den Bemühungen, Eltern in Arbeit oder auch in Maßnahmen zu bringen, einen sinnvolleren Weg gehen, weil wir damit auf der einen Seite etwas Gutes für die Eltern tun und auf der anderen Seite einen entsprechenden Bedarf in den Einrichtungen schaffen, sodass die Stigmatisierung, von der Frau Bull so gern redet bzw. von der heute Frau von Angern geredet hat, in diesem Bereich künftig nicht mehr stattfinden wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Für die SPD-Fraktion erteile ich nun Frau Reinecke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich verrate an dieser Stelle kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir als SPD-Fraktion den Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung für alle Kinder in Kindertagesstätten unabhängig von der sozialen Herkunft und der Beschäftigungsstruktur ihrer Eltern wieder einführen möchten.

(Zustimmung bei der SPD)

Diese Forderung wird einen Schwerpunkt im Wahlprogramm der SPD bilden und wir sind auch fest gewillt, diese Forderung durch eine Änderung des Kinderförderungsgesetzes umzusetzen. Frau von Angern, Sie haben sehr gut in unserem Wahlprogramm recherchiert; das kann ich an dieser Stelle bestätigen.

Die Empfehlungen des Bildungskonvents haben uns in dieser Absicht bestärkt.

(Herr Borgwardt, CDU: Volksentscheid!)

Ich empfinde die drei Jahre, in denen wir dort gerungen und gestritten haben, übrigens nicht als vergeudete Zeit. Wenn ich an die vielen wertvollen Informationen von Fachleuten denke, die wir erhalten haben, wenn ich die Informationen aus der Geisteswissenschaft und zu den aktuellen Entwicklungen im wissenschaftlichen Bereich nehme, dann waren das sehr gute Erfahrungen.

Fast 85 % der Mitglieder des Konvents haben sich für eine entsprechende Änderung des Gesetzes ausgesprochen. Das ist eindeutig und lag auch klar über dem notwendigen Quorum von zwei Dritteln.

Mittlerweile leuchtet es fast jedem ein, dass die gegenwärtige Praxis, nach der die Kinder, deren Eltern nicht erwerbstätig sind, mittags abgeholt werden müssen, Bildungschancen beschneidet. Diesen Kindern werden sämtliche Bildungsangebote am Nachmittag vorenthalten. Gespräche mit Eltern und Erzieherinnen in den Einrichtungen zeigen deutlich, dass diese Regelungsvorhaben diskriminierend und schädlich sind und von allen Beteiligten abgelehnt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Allerdings ist eine entsprechende Änderung des Kinderförderungsgesetzes erst in der neuen Legislaturperiode möglich. In der laufenden Legislaturperiode ist es leider nicht gelungen - Frau von Angern hat auch diese Recherche noch einmal bedient -, eine entsprechende Verständigung mit unserem Koalitionspartner zu erzielen. Für eine weitere Regierungsbeteiligung der SPD ab dem Jahr 2011 ist dieser Punkt für uns ein wichtiger Gradmesser für die Koalitionsverhandlungen.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Da bin ich gespannt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen, dass es des vorliegenden Antrags eigentlich nicht bedarf. Es ist auch sehr ungewöhnlich, dass ein Landtag den nächsten Landtag um etwas bittet. Es liegt meiner Meinung nach klar auf der Hand, dass dieser Antrag wieder einmal einzig und allein dazu dienen soll, zu provozieren und die Koalitionspartner in gewisse Schwierigkeiten zu bringen. Das ist an dieser Stelle nicht gelungen. In Anbetracht der richtigen inhaltlichen Zielstellung werden wir einer Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Soziales zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Reinecke, möchten Sie eine Frage von Frau von Angern beantworten?

Ja.

Bitte schön, fragen Sie.

Frau Reinecke, wir wollten Sie natürlich nicht nur ärgern, wir wollten das Thema einfach noch einmal besetzen. Wir haben auch ganz bewusst in unseren Antrag geschrieben, dass es um eine Empfehlung mit Blick auf die sechste Legislaturperiode geht.

Ich habe nur eine Frage: Wenn wir diesen Antrag jetzt an den Sozialausschuss überweisen, worüber reden wir beide dann? Wir sind uns inhaltlich nicht nur nah, sondern wir stimmen überein. Das haben Sie gerade gesagt. Also worüber werden wir dann reden?

Ich sage einmal, formal hätte es dieses Antrags nicht bedurft. Aber inhaltlich können wir uns darüber gern weiter unterhalten. Auch auf der Grundlage der Punkte, die hier in der Debatte angesprochen wurden, kann die Diskussion noch einmal neu aufgemacht werden. Sie haben mit Ihrem Antrag das in der Richtung veranlasst.

Vielen Dank, Frau Reinecke. - Jetzt kann zum Schluss noch einmal Frau von Angern reden, wenn Sie es denn möchte.

(Zurufe von der CDU: Frau von Angern! - Frau von Angern, DIE LINKE: Ich möchte nicht!)

- Frau von Angern möchte nicht noch einmal reden. Dann ist das damit erledigt und wir stimmen ab.

Der Antrag soll an den Sozialausschuss überwiesen werden. Wer stimmt dem zu? - Die Koalitionsfraktionen und die FDP. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion DIE LINKE. Damit ist der Antrag mehrheitlich an den Sozialausschuss überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt 16 ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung

Schulfrieden in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2869

Ich bitte Herrn Kley, diesen Antrag einzubringen. Bitte schön, Herr Kley.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Aufbau der Schulstruktur in Deutschland, wie wir sie heute vorfinden, war eine Entwicklung, die sich über viele hundert Jahre hingezogen hat. Im 19. Jahrhundert waren es zunächst die allgemeine Schulpflicht und die Volksschule, die den jungen Menschen auf dem Lande die Möglichkeit gaben, eine Schule zu besuchen, Wissen zu erwerben, damit auch mehr über ihre Umwelt zu erfahren und selbst die Akzeptanz zu gewinnen für künstlerische und geistige Leistungen. Die Schulpflicht schützte die jungen Menschen auch vor dem Zugriff des Bauern, der sie eigentlich lieber auf dem Feld hatte als in der Schule.