Protocol of the Session on September 10, 2010

Herr Kosmehl hat gesagt, dass er keine weiteren Fragen beantwortet. Damit ist das erledigt. - Nun wird Herr Rothe für die SPD-Fraktion sprechen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der zur Beratung stehende Antrag wird von der SPD-Fraktion grundsätzlich befürwortet. Der Hinweis auf die bevorstehende Abstimmung im Bundesrat, Frau Kollegin Bull, ist berechtigt. Wenn wir Single wären, würden

wir direkt abstimmen, aber wir leben in einer Koalitionspartnerschaft

(Frau Bull, DIE LINKE: Dazu muss man sich auch klar bekennen! - Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE, und von Frau von Angern, DIE LINKE)

und haben uns darauf verständigt, dass wir eine Ausschussüberweisung vornehmen wollen,

(Frau Bull, DIE LINKE: Wozu?)

um uns im Interesse der Sache im Ausschuss weiter mit dem Anliegen zu befassen.

Wegen der verfassungsrechtlichen Aspekte gehört der Antrag in den Ausschuss für Recht und Verfassung sowie zur Mitberatung in den Ausschuss für Soziales.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Eine erste verfassungsrechtliche Frage ist, ob die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mit Artikel 6 des Grundgesetzes vereinbar ist oder ob es dazu einer Verfassungsänderung bedarf.

Zu den wesentlichen Strukturprinzipien, die den Gehalt der Ehe prägen, gehört nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch, dass die Ehe die Vereinigung einer Frau mit einem Mann zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist.

Soweit ich die Kommentarliteratur zu Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes gesehen habe, kann ich sagen, dass sie die Auffassung unterstützt, dass gleichgeschlechtliche Verbindungen wie die eingetragene Lebenspartnerschaft aus dem Ehebegriff ausgeschlossen sind.

Eine zweite Frage ist, ob es der verfassungsrechtliche Schutz der Ehe zulässt, den Zugang zu diesem Institut für gleichgeschlechtliche Paare zu eröffnen, wenn alternativ die eingetragene Lebenspartnerschaft als ein Institut zugänglich bleibt, welches weniger Rechte und Pflichten als die Ehe beinhaltet.

In seinem Urteil vom 17. Juli 2002, mit dem das Bundesverfassungsgericht die Anträge gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz zurückwies, hat es festgestellt, dass der Ehe keine Einbußen durch ein Institut drohen, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können.

Wenn sie das aber künftig dürfen, wenn Gleichgeschlechtlichen beide Institute offen stehen, dann könnten umgekehrt verschiedengeschlechtliche Paare für sich den Zugang zur eingetragenen Lebenspartnerschaft als eine Art „Ehe light“ in Anspruch nehmen.

Solche Klagen waren bisher ohne Aussicht auf Erfolg, weil der verfassungsrechtliche Schutz der Ehe beinhaltet, dass wesentliche Rechte und Pflichten der Ehepartner unabdingbar sind. So bestehen nacheheliche Unterhaltspflichten in wesentlich größerem Umfang als nachpartnerschaftliche Unterhaltspflichten.

Vor diesem Hintergrund sollten wir uns meines Erachtens zunächst einmal darauf konzentrieren, das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft so weit wie möglich einfachgesetzlich mit dem Institut der Ehe gleichzustellen. Danach kann man leichter die Schlussfolgerung ziehen, auf die weitgehende Gleichstellung unterhalb der Ebene des Verfassungsrechts die Integration der eingetragenen Lebenspartnerschaft in das verfassungsrechtlich geschützte Institut der Ehe folgen zu las

sen. Eine eher technische Frage ist es dann, ob dies in Artikel 6 des Grundgesetzes zu geschehen hat oder ob die Aufnahme der sexuellen Identität in die Diskriminierungsverbote des Artikels 3 des Grundgesetzes genügt.

Wenn es einer Verfassungsänderung bedarf, um das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner zu öffnen, dann erfordert ein solches Gesetz bekanntlich eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Solche Mehrheiten halte ich für erreichbar, wenn die Verfassungsänderung das Ziel am Ende eines Weges ist, dessen einzelne Etappen aber auch für sich Sinn machen. Dieses Ziel einer Verfassungsänderung halte ich auch für erstrebenswert, weil es nicht bloß darum geht, den begrifflichen Unterschied zwischen Verheirateten und Verpartnerten zu überwinden.

Eine verfassungsrechtliche Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner bedeutet, dass diese an dem Grundrechtsschutz für das Institut der Ehe teilhaben. Es wäre einem künftigen Bundesgesetzgeber verwehrt, ohne verfassungsändernde Mehrheit diese Gleichstellung wieder aufzugeben.

Meine Damen und Herren! Wir sollten im Rechtsausschuss auch über konkrete Handlungsmöglichkeiten auf Landesebene reden. Als Vorbild kann der Gesetzesbeschluss der Bremischen Bürgerschaft vom 16. Juni 2010 dienen. In Artikel 21 der dortigen Landesverfassung heißt es, dass Ehe und Familie die Grundlage des Gemeinschaftslebens bilden und darum Anspruch auf den Schutz und die Förderung des Staates haben. Nun ist der Satz angefügt worden:

„Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist der Ehe in diesem Sinne gleichgestellt.“

Man hat also in Bremen die Lebenspartnerschaft in den Verfassungsrang erhoben, ohne die begriffliche Unterscheidung zur Ehe aufzuheben.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion setzt sich konsequent für die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe ein. Mit dem Landtagsbeschluss vom 9. Oktober 2008 haben wir die Landesregierung aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2009 alle Gesetze und Verordnungen zu erfassen, in denen die Gleichstellung von Ehen und Lebenspartnerschaften zu berücksichtigen ist.

Die Landesregierung hat nunmehr einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Anhörung freigegeben, mit dem 29 Gesetze und Verordnungen im Interesse von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften geändert werden sollen. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode beschließen werden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Herr Rothe. - Frau Bull, möchten Sie noch erwidern? - Frau Bull möchte nicht mehr erwidern.

Dann kommen wir zur Abstimmung über die Drs.5/2791. Zunächst wird über das Überweisungsersuchen abgestimmt. Es wurde eine Überweisung des Antrags zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht und Verfassung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Soziales beantragt. Gibt es weitergehende Wünsche? - Das scheint nicht der Fall zu sein.

Wer dem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist der Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht und Verfassung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Soziales überwiesen worden. Die Behandlung von Tagesordnungspunkt 28 ist damit abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung

Nachtragshaushalt vorlegen - kommunale Kassen stärken - Daseinsvorsorge sichern

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/2792

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Grünert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Finanzlage vieler Städte, Gemeinden und Landkreise bundesweit, aber auch in Sachsen-Anhalt ist alarmierend. Mehrfach wies der Deutsche Städtetag auf diese Situation hin und prognostizierte für 2010 ein Rekorddefizit von 15 Milliarden €.

Im Kommunalfinanzbericht 2010 wird nach der Haushaltsumfrage des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt im Jahr 2010 ebenfalls mit einer erheblichen Verschlechterung der kommunalen Finanzlage gerechnet. So geben 37 % der Kommunen mit bis zu 1 000 Einwohnern an, dass sie ihren Haushalt nicht ausgleichen können. Bei Kommunen mit 1 000 bis 10 000 Einwohnern sind es 75 %. Bei Kommunen mit 10 000 bis 25 000 Einwohnern sind es 50 %. Bei Kommunen mit über 25 000 Einwohnern - ohne kreisfreie Städte - sind es 93 %.

Die kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und DessauRoßlau können ihren Haushalt schon seit Jahren nicht mehr ausgleichen. Die Investitionen im Vermögenshaushalt in diesen Städten belaufen sich auf unter 100 Millionen €. Eine Neukreditaufnahme ist ausgeschlossen. Dessau-Roßlau klagt vor dem Landesverfassungsgericht ob seiner finanziellen Schlechterstellung gegenüber den anderen kreisfreien Städten für die Erbringung ihrer Aufgaben im oberzentralen Bereich.

Das gemeldete Defizit bei allein 223 befragten Kommunen beläuft sich auf insgesamt 517 571 146 €. Darin enthalten sind bereits die Haushaltsfehlbeträge aus dem Jahr 2009 in Höhe von 68 914 837 €. Hinzu kommt ein strukturelles Defizit in Höhe von 42 761 400 €, sodass insgesamt eine Lücke von 560 332 546 € zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft - dies wohlgemerkt nur bei 223 befragten Gemeinden.

Der im Kommunalfinanzbericht für das Jahr 2009 dargestellte Finanzierungsüberschuss konnte bei den kreisfreien Städten und Landkreisen erzielt werden. Insgesamt lag dieser jedoch mit 121,5 Millionen € deutlich niedriger als im Jahr 2008 mit 349,8 Millionen €. Er fällt also rund um zwei Drittel geringer aus.

Mit 432 € je Einwohner waren bis zum 31. Dezember 2008 die Landkreise in Sachsen-Anhalt im Vergleich der Landkreise aller Bundesländer am zweihöchsten verschuldet.

Vergleicht man die Festsetzung der FAG-Leistungen vom 26. Februar 2009 für das Jahr 2009 mit der vorläufigen Festsetzung vom 5. Februar 2010 für das Jahr 2010, so ist zunächst feststellbar, dass die geplanten Zuweisungen um rund 175 Millionen € sinken sollten. Verteilt auf die kommunalen Gruppen sollte das für die kreisfreien Städte rund 39 Millionen € weniger, für die kreisangehörigen Gemeinden rund 123 Millionen € weniger und für die Landkreise rund 13 Millionen € weniger sein.

Weil Fehlbeträge aus Vorjahren im Rahmen der Novellierung des Finanzausgleichsgesetzes bedarfsseitig keine Berücksichtigung gefunden haben, stellen sie gegenwärtig eine erhebliche Belastung für die kommunalen Haushalte dar. So betrug der Fehlbetrag in den Verwaltungshaushalten aller Landkreise am 31. Dezember 2009 rund 139 Millionen €. Mit Stand vom 26. Mai geht der Landkreistag für das Jahr 2010 von einem Fehlbedarf in diesem Bereich von mehr als 177 Millionen € aus.

Diese Fehlbeträge sind ursächlich für die weiteren erheblichen Kassenkredite. Betrug der Stand der Kassenkredite in Summe zum 31. Dezember 2009 bereits 326 Millionen €, stieg dieser bis zum 31. März dieses Jahres auf rund 348 Millionen € an.

Im Kommunalfinanzbericht wird dargestellt, dass es auf der einen Seite zwar eine Reduzierung der Kreditmarktschulden im Jahr 2009 gegenüber 2008 um 116 Millionen € gibt. Jedoch steht dem eine wesentliche Erhöhung der Kassenkredite für alle Kommunen von 968,6 Millionen € im Jahr 2008 auf 982,3 Millionen € im Jahr 2009, also um rund 14 Millionen €, gegenüber.

Allein im ersten Quartal 2010 erfolgte ein deutlicher Anstieg der Kassenkredite von 982,3 Millionen € auf nunmehr 1 052 Millionen €. Das ist eine weitere Steigerung um 7 % und im Vergleich zum Vorjahr sogar um 17,8 %.

Schaut man zurück auf die in den vergangenen Wochen und Monaten erfolgten Haushaltsaufstellungen im kommunalen Bereich, so ist feststellbar, dass bei wichtigen Ausgabepositionen der öffentlichen Daseinsvorsorge die notwendigen Aufwendungen erheblich steigen. Das betrifft die Sekundarschulen mit 7 %, die Gymnasien mit 12,4 %, die Schülerbeförderung mit 9 %, die Hilfen zur Erziehung mit 4,5 %, die Sozialhilfe mit 8 % oder die Grundsicherung im Alter mit 5,59 %. Infolge der rückläufigen Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung vergrößert sich die von den Landkreisen zu bewältigende Deckungslücke im Jahr 2010 auf fast 40 %.

Große haushalterische Probleme haben auch die kreisfreien Städte und die kreisangehörigen Gemeinden. So war beim Aufkommen aus der Gewerbesteuer im zweiten Quartal 2010 im Vergleich zum Vorjahresquartal ein deutlicher Rückgang um 24 % zu beobachten. Insgesamt erlitten die Städte und Gemeinden im ersten Halbjahr nach vorläufigen Angaben des Statistischen Landesamtes im Bereich der originären Einnahmen ein Minus in Höhe von 54 Millionen €, also 18 %.

Der Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben der Verwaltungshaushalte der kreisfreien Städte ist mit 45,7 Millionen € um 30,5 Millionen € geringer ausgefallen als im Vorjahr. Dies wird im Wesentlichen durch Steuermindereinnahmen in Höhe von 23 Millionen € beeinflusst. Bei den Landkreisen wird ein Überschuss der Einnahmen zu den Ausgaben in Höhe von 7,6 Millio

nen € erzielt. Im Kernbereich derjenigen, die eine Gemeindegebietsreform zur Wiedererlangung kommunaler Handlungsfähigkeit zu ertragen hatten, ging der Überschuss im Verwaltungshaushalt um rund 220 Millionen € zurück. Das Defizit im Vermögenshaushalt verdoppelte sich. Es stieg von 79,4 Millionen € auf 124,3 Millionen €. Diese Ergebnisse lassen jedoch die über die Aufnahme von Kassenkrediten gedeckelten Fehlbeträge aus den Vorjahren offen.

Diese aus den bisherigen Darlegungen erkennbare Tendenz dürfte sich in den kommenden Jahren noch weiter verstetigen und sogar an Dynamik gewinnen; denn der in diesem und mit bereits größeren Abstrichen im nächsten Jahr mögliche Rückgriff auf vorhandene Rücklagen in einigen Kommunen wird auf Dauer nicht mehr möglich sein. Übrigens, Herr Schrader, war das auch der Grund, warum die Kommunalaufsicht die kreisfreien Städte dazu angehalten hat, aus den Rücklagen der Wohnungsunternehmen Gelder zuzuschießen, damit die Deckungslücke im Verwaltungshaushalt geschlossen werden kann. Genau das war der Grund und nicht der freiwillige Verzicht, weil es den Kommunen und ihren Unternehmen so gut geht.

Angesichts dieser katastrophalen Finanzlage können die Kommunen weitere Einnahmeausfälle aus unserer Sicht nicht mehr verkraften. Schon jetzt verkommt die kommunale Selbstverwaltung zur Mangelbewirtschaftung. Schon längst sind wesentliche Teile des kommunalen Tafelsilbers verscherbelt, beliehen oder sollen aufgrund des Haushaltskonsolidierungsprozesses nach Auffassung der Kommunalaufsichten veräußert, privatisiert oder geschrumpft werden.