Protocol of the Session on September 9, 2010

Damit kann man zumindest Armut in Arbeit begrenzen.

Ich sage es noch einmal: Wir wissen, wie der klassische Niedriglohnsektor aussieht. Dort sind die Tarifpartner extrem schwach. Die Arbeitgeber sind in diesen Beziehungen kaum organisiert, die Arbeitnehmer sind es meist noch weniger.

Wer sagt, in diesem Niedriglohnsektor sollen sich doch gefälligst die Tarifpartner darum kümmern, dass es vernünftige Löhne gibt, der weiß doch, was hier eigentlich los ist. Der soll bitte ehrlich sein und soll bitte sagen - wie es der Kollege Paqué hier übrigens schon gemacht hat -: Ich weiß, die können das nicht. Ich finde es gut, dass hier Stundenlöhne von 4 bis 5 € gezahlt werden und die Leute dann noch zum Job-Center rennen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bekommen.

Das ist allemal ehrlicher, als zu erzählen, man sei mit solchen Niedriglöhnen auch nicht glücklich, aber das sei Sache der Tarifpartner. Dann lieber ehrlich sagen: Nein, ich finde es gut, dass die Leute nur 4 € verdienen. - Wer

das nicht will, muss für den gesetzlichen Mindestlohn eintreten; eine andere Alternative gibt es nicht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweitens. Wir brauchen in diesem Land ein echtes Vergabegesetz. Auch nach dem berühmten Rüffert-Urteil ist es möglich, Tarifbindungen für den Bereich öffentlicher Aufträge zu realisieren. Es gibt eine Reihe von Bundesländern - übrigens sogar CDU-geführte Bundesländer -, in denen gesagt wird: Dort, wo die Tarife zu niedrig sind oder nicht existieren, müssen bei öffentlichen Aufträgen mindestens 8,50 € pro Stunde gezahlt werden; kein öffentlicher Auftrag des Landes darf Billiglohnarbeit in Auftrag geben. - Wir brauchen ein Vergabegesetz ausdrücklich gegen diese Struktur des Niedriglohnsektors, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Drittens. Wir brauchen eine Bindung der Investitionsförderung dieses Landes Sachsen-Anhalt an Arbeitsplätze, von denen man in Würde leben kann. Die gesamte Investitionsförderung des Landes Sachsen-Anhalt ist lediglich auf die Zahl von Arbeitsplätzen - selbst das war zeitweise ausgesetzt - orientiert. Es gibt im Land Sachsen-Anhalt keine Bindung von Investitionsförderung, von GA- und EFRE-Mitteln an ein entsprechendes Mindesteinkommen des jeweiligen Arbeitsplatzes.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Haseloff)

- Das ist richtig. Sie haben eine einzige Bindung, und diese betrifft die Lohnkostenzuschüsse und damit etwa 10 bis 15 % der gesamten GA-Förderung. Für die gesamte Investitionsförderung existiert so etwas in Sachsen-Anhalt nicht. Ansonsten weiß eigenartigerweise nicht einmal der Chef der Investitionsbank etwas davon.

Dazu sage ich: Das sind die Ursachen für die Ausdehnung des Niedriglohnsektors, und da brauchen wir eine politische Alternative, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Daneben gibt es viele andere Probleme, vor allen Dingen im Kontext des Sparpakets der Bundesregierung. Allein 200 Millionen € pro Jahr Kaufkraftverlust wird uns dieses Sparpaket der Bundesregierung einbringen - übrigens pro Person viermal so viel wie in Bayern.

Sogar der Chef der ostdeutschen Wirtschaftsverbände sagt, dass dieses Sparpaket unsozial ist, überdimensional den ostdeutschen Binnenmarkt schwächt und deswegen geändert werden muss. Wenn selbst die Vertreter der Wirtschaft davon ausgehen, dann muss das doch wohl auch Position einer Landesregierung sein, die von dieser Situation extrem betroffen ist, eine Landesregierung, die dagegen keinen Protest aufzieht. Politiker, auch von CDU und FDP, die mit diesem Sparpaket einverstanden sind, sind hier vor Ort unglaubwürdig und werden sich mit der Position der Leute auseinandersetzen müssen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN )

Ich danke dem Abgeordneten Gallert für die Einbringung. - Die Landesregierung hat um das Wort gebeten. Herr Wirtschaftsminister Dr. Haseloff, bitte schön.

(Zuruf von der FDP: Zustimmung!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, Herr Gallert, wie effizient eine zentralistische Kaderpartei bundesweit agiert.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Oh! bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Jetzt meinen Sie die CDU damit, oder wie?)

- Das wäre schön; das würde sich Angela Merkel so manches Mal wünschen.

(Zuruf von der LINKEN)

Ich will das zunächst daran festmachen, wie ein solcher Tagesordnungspunkt auf die Tagesordnung eines Landtages kommt. Es ist ja nicht so, dass in Sachsen-Anhalt dieser Tagesordnungspunkt zum ersten Mal erscheint, sondern er wird jetzt durchgängig von all Ihren Fraktionen durch die Landtage - wo Sie vertreten sind - dieser Bundesrepublik geschoben.

(Zuruf von der LINKEN: Was spricht denn dage- gen?)

Das kann man auch als Gesamtstrategie verstehen. Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass dieses Thema ständig Diskussionsthema sein kann und muss, wenn es darum geht, die einzelnen Möglichkeiten durchzusortieren. Aber Fakt ist eines: Es gibt hier einen Reflex und eine Synchronisation, die bemerkenswert ist. Ich möchte das wenigstens an den Anfang meiner Erwiderung stellen, bevor ich zu einigen anderen Dingen komme.

(Herr Kosmehl, FDP: Er weiß, wovon er spricht!)

Herr Ernst hat das sicherlich durchgestellt. Porschefahrer sind immer schon relativ flexibel

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und wirken dann besonders glaubwürdig, wenn sie das Armutsthema verordnen - ein Thema, das ich auch im Sinne der Landesregierung und der Koalition durchaus für ständig und dauerhaft diskussionswürdig und auch entwicklungsfähig halte, wenn es um die eigenen Reaktionsschemata geht. Ich will zumindest klar machen, wer dieses Thema instrumentalisiert und aus dem Gesamtkontext herausreißt. Ich werde das nachher noch kurz begründen.

Der Zwischenruf von Herrn Scharf hat schon eines klar gemacht: Wenn wir die Armutsdefinition hier anlegen, dann ist das eine Sache, die sehr stark von Definitionsdetails abhängt und die nicht immer in der Lage ist, die gesellschaftliche Wirklichkeit richtig abzubilden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wenn Sie den deutschen Durchschnittslohn zugrunde legen und ihn mit dem weltweit gezahlten ins Verhältnis setzen, dann werden Sie sehen, dass wir das in Deutschland in einem anderen Zusammenhang diskutieren müssen, als das weltweit der Fall ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der SPD: Sollen wir uns jetzt mit Ghana vergleichen?)

Das sage ich auch an dieser Stelle, weil sich eine Landes- und Bundespolitik globaler Gesamtzusammenhänge durchaus bewusst sein kann und weil wir zumindest nicht vergessen sollten, in welcher Welt wir leben und

was wir insgesamt in unserem Land an Sozialsystemen geschaffen haben, aber auch an Entwicklungshilfe und Unterstützungsmöglichkeiten weltweit anbieten, damit möglichst viele Menschen in den Genuss kommen, das, was wir in Deutschland organisiert haben, auch für sich selbst in zu Anspruch nehmen.

Des Weiteren wissen Sie ganz genau, hier geht es auch um Differenzierung. Das ist durchaus eine Sache, die unsere Bevölkerung zu Recht auch immer wieder beschäftigt. Es geht um die Differenzierung, die vertikale Verteilung von Einkommen und von Vermögen. Ja, da ist eine Gesellschaft durchaus gefordert zu gucken, wie man den Kitt dieser Gesellschaft funktionsfähig erhält.

Sie wissen aber aus den Statistiken, die auch Sie nach der Wende lesen konnten, ganz genau, dass die Differenzierung von Einkommen und Vermögen in der DDR nicht anders war. Sie befand sich allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Wenn man die heutigen Armutskriterien anlegt, dann waren bis auf eine kleine Schicht in Wandlitz und eine kleine Funktionselite alle arm. Trotzdem haben wir uns nicht so gefühlt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Was wir hier diskutieren sollten, ist zu Recht das, was ein Land in diesem Zusammenhang bewirken und bewerkstelligen kann.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Oh!)

Da lasse ich es auch nicht zu, Herr Gallert, dass Sie dieses Land permanent schlechtreden, die Leistungen der Menschen hier permanent schlechtreden.

(Beifall bei der CDU)

Sie wissen genau, egal welche Rankings Sie ziehen - es ist doch logisch, dass jeder seine eigenen Akzente setzt -, dass wir uns in den wesentlichen Parametern, die hier etwas Positives bewirken können, nach vorn bewegt haben. Dabei sind wir noch längst nicht an dem Punkt, wo wir uns hinwünschen. Aber wir hatten 1990 die schlechtesten Startbedingungen. Auch das wissen Sie.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Das haben die Menschen, die jetzt arbeiten und hart malochen, nicht zu verantworten. Sie haben versucht, innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen das Beste daraus zu machen und sind deutliche Schritte nach vorn gekommen, durchaus über alle Legislaturperioden hinweg. Das betrifft die Menschen, die sich bemüht haben, dieses zu bewegen, und das gilt auch für diese Landesregierung, die ebenfalls in den bisherigen vier Jahren gute Erfolge aufzuweisen hat.

(Beifall bei der CDU)

Die Betroffenheit der Menschen in unserem Lande von Armut ist sehr, sehr unterschiedlich. Nach Aussagen des IWH ist es so, dass sich zum Beispiel bei den älteren Menschen derzeit das Altersarmutsrisiko im Westen größer darstellt als im Osten. Das hängt mit den Beschäftigungsbiografien zusammen, die mit der Wende eingebracht wurden und die derzeit noch zu Buche schlagen.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Wir wissen aber, dass Menschen mit diesen Biografien, die jetzt im Erwerbsleben stehen und demnächst in Ren

te gehen werden, riesige Probleme haben werden. Wir wissen, dass ein Großteil davon in einer Grundsicherung aufgefangen werden muss, was nicht der Normalweg sein kann und wogegen wir auch hart vorgehen müssen, wenn es darum geht, diese Zahl so minimal wie möglich zu halten und entsprechend Abmilderungsprozesse herbeizuführen. Ich sage auch dazu noch ganz kurz etwas.

Des Weiteren ist ein Punkt natürlich ganz klar verbunden mit der Quote der Langzeitarbeitslosen. Das wissen wir. Dort haben wir aber auch in den letzten vier Jahren mit die größte Bewegung zeigen können, die in den deutschen Bundesländern zu verzeichnen war. Ich denke, das ist zumindest ein Punkt, der benannt werden darf und der auch bezüglich der weiteren Prognose einiges erwarten lässt, wenn es darum geht, bis hin zum Fachkräfteproblem für die Zukunft sauber darzustellen, wo wir mit wirtschaftlicher Entwicklung etwas bewegen können und wo gegebenenfalls das Sozialsystem insgesamt angepasst werden muss.