Protocol of the Session on September 9, 2010

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Die Fraktion der FDP fordert die Landesregierung auf, bis zum Ende des vierten Quartals dieses Jahres ein Konzept zur Neuausrichtung der Aussteigerprogramme aus der links- und der rechtsextremistischen Szene vorzulegen. Hierin sollen insbesondere Kriterien genannt werden, die sicherstellen, dass die Programme künftig stärker angenommen werden.

(Zustimmung von der CDU)

Meine Damen und Herren! Dies ist meines Erachtens schwierig. Die Inanspruchnahme eines Programms kann die Landesregierung nicht gewährleisten. Die Vorlage eines Konzepts, um Links- und Rechtsextremisten ein Ausstiegsprogramm an die Hand zu geben, ist machbar, sicherlich auf der Grundlage des bestehenden Programms und dessen Erweiterung.

Man sollte nichts unversucht lassen. Jedoch ist es unsere Pflicht, nach wie vor den Schwerpunkt darauf zu legen, bereits im Vorfeld, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, dafür Sorge zu tragen, dass sie weder ins linke noch in rechte Milieu abrutschen. Hier ist Prävention gefragt, die bereits im Elternhaus beginnen muss.

Um über die Frage des Konzepts zur Neuausrichtung von Aussteigerprogrammen näher beraten zu können, plädiere ich für eine Überweisung des Antrags der Fraktion der FDP an den Ausschuss für Inneres. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kolze. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Tiedge. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion verlangt von der Landesregierung, noch in dieser Legislaturperiode ein Konzept zur Neuausrichtung von Aussteigerprogrammen

aus der links- und der rechtsextremistischen Szene vorzulegen. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass bei der FDP bei dem Begriff Rechtsextremismus reflexartig im selben Atemzug auch der Begriff Linksextremismus genannt werden muss. Ob dies sachlich gerechtfertigt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Die antragstellende Fraktion erwähnt selbst in der Begründung zu ihrem Antrag die Antwort auf ihre Kleine Anfrage vom 20. Juli 2009, in der die Landesregierung eindeutig antwortet, dass es kein Aussteigerprogramm für Linksextremisten in Sachsen-Anhalt gibt. Wenn ein solches auf den Linksextremismus ausgerichtetes Programm bisher nicht existierte, kann es zum einen nicht neu ausgerichtet werden, und es können zum anderen keine Kriterien benannt werden, welche sicherstellen, dass das Aussteigerprogramm stärker angenommen wird.

Nun muss es für ein solches Programm auch Notwendigkeiten geben. Außerdem muss es Begründungen hierfür geben. Diese habe ich heute, zumindest hinsichtlich des Linksextremismus, nicht gehört. Auch mithilfe von Aussagen im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2009 kann man nicht ansatzweise den Beleg dafür erbringen, dass ein Aussteigerprogramm für die linke Szene notwendig ist. Auch in Ihrer heutigen Rede haben Sie diese Belege nicht vorbringen können, weil es dafür keine Notwendigkeit in Sachsen-Anhalt gibt.

(Zurufe)

Um aber ausdrücklich nicht missverstanden zu werden: Wir haben uns stets dahin gehend positioniert, dass wir jegliche Gewalt, sei sie gegen Personen oder Sachen gerichtet, unter dem Deckmantel einer ideologischen Ausrichtung strikt ablehnen. Gewalt darf kein Mittel politischer Auseinandersetzung sein.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Kommen wir aber nun zu dem wirklich wichtigen und richtigen Teil des Antrags der FDP, zum Aussteigerprogramm gegen Rechtsextremismus. Dabei geht es uns vor allem um die erfolgreiche Unterstützung von Menschen beim Loslösen aus der rechten Szene, beim Ablegen rassistischen Gedankenguts und um die Rückkehr in die normale Gesellschaft.

Ich hatte bereits in meiner Rede zur Aussprache zu unserer Großen Anfrage zum Thema des Rechtsextremismus darauf hingewiesen, dass wir es sehr bedauern, dass dieses Aussteigerprogramm ausgelaufen ist. Sowohl in den Antworten zu unserer Großen Anfrage als auch aus der Antwort auf die Anfrage der FDP geht hervor, dass bislang nur sehr wenige von diesem Programm Gebrauch gemacht haben. Herr Kosmehl hat bereits darauf hingewiesen.

Schon damals wies ich darauf hin, dass dies insbesondere an der Ausrichtung des Konzepts selbst lag. Wer ein solches Programm nur bei der Polizei bzw. beim Verfassungsschutz ansiedelt, braucht sich nicht zu wundern, wenn es nur äußerst zögerlich angenommen wird. Es fehlte zum Beispiel die Anbindung an die sozialen Dienste.

In Niedersachsen hat man sich unter anderem der Hilfe von Sozialarbeitern bedient, die sich diesem Thema sehr engmaschig widmen. In der Vergangenheit haben wir so viel von Niedersachsen übernommen - nicht alles war gut, aber an dieser Stelle wäre das schon angebracht.

Auch damals habe ich darauf hingewiesen, dass die Eltern bei der Ausrichtung dieses Konzepts mit einbezogen werden sollten. Ihnen muss zum einen dabei geholfen werden, mit der Situation klarzukommen, dass sich ihre Kinder in der rechtsextremen Szene engagieren, und zum anderen sind sie bei einem Ausstieg aktiv einzubinden.

Eines muss an dieser Stelle aber klar sein: Allein dieses Aussteigerprogramm wird die Gefahr, die der Rechtsextremismus für die Demokratie in unserem Land bedeutet, nicht bannen. Die breite gesellschaftliche Akzeptanz dafür, was ein Herr Sarrazin an fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Äußerungen von sich gibt, muss uns alle zum Nachdenken bewegen. Sie ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Viele befürwortende Aussagen zu dem genannten Herrn sind ein beredtes Zeugnis dafür. Dieser Gefahr müssen sich alle demokratischen Parteien gemeinsam stellen. Sie müssen gemeinsame Konzepte erarbeiten und umsetzen, und zwar ohne jegliche ideologische Scheuklappen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Nun spricht für die SPDFraktion Herr Rothe. Bitte schön, Herr Rothe.

Herr Präsident, so wichtig das Thema ist, möchte ich meine Rede - mit Ihrer Erlaubnis - doch zu Protokoll geben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

(Zu Protokoll:)

Der vorliegende Antrag der Fraktion der FDP fordert die Landesregierung auf, kurzfristig ein Konzept zur Neuausrichtung der Aussteigerprogramme zu erarbeiten, in dem sie darstellt, wie und durch welche Maßnahmen die bestehenden Programme besser angenommen werden könnten.

Wie durch Minister Herrn Hövelmann bereits dargestellt, verfügen die Polizeibehörden des Landes mit dem im Jahr 2001 initiierten „Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten im Land Sachsen-Anhalt“ über einen breit gefächerten Instrumentenkatalog, der für Ausstiegswillige entsprechende individuelle Hilfen und Angebote vorhält.

Das Aussteigerprogramm des Landes richtet sich insbesondere an jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige bzw. Täter und ergänzt damit das Programm des Bundesamtes für Verfassungsschutz, welches vorrangig an ausstiegswillige Führungspersonen der rechten Szene adressiert ist.

Ein Blick über die Landesgrenzen Sachsen-Anhalts verdeutlicht im Übrigen, dass die Aussteigerprogramme der anderen Bundesländer sowie das Programm des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Wesentlichen die gleichen Maßnahmen und Methoden vorsehen, um Ausstiegswillige zu unterstützen.

Ein erstes Zwischenergebnis zum Aussteigerprogramm des Landes Sachsen-Anhalt wurde durch die Landesregierung am 16. November 2009 im Rahmen der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt mitgeteilt. Demnach gelang es mithilfe der Behörden jährlich durchschnittlich drei Personen aus der rechtsextremistischen Szene auszusteigen.

Dies entspricht einer Quote von etwa 1,3 Aussteigern pro einer Million Einwohner je Jahr. Im Vergleich dazu liegt diese Quote im Bundesland Sachsen bei jährlich 1,1 Aussteigern aus der rechtsextremistischen Szene pro einer Million Einwohner.

Der Freistaat Sachsen hat im Oktober 2009 ein neues Aussteigerprogramm mit einem jährlichen Etat in Höhe von 260 000 € aufgelegt. Anders als die Vorläuferprogramme ist das neue Programm nicht mehr beim sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz angesiedelt, sondern es läuft unter der Federführung des Landespräventionsrates. Ehemalige Neonazis werden nun auch von Sozialarbeitern auf dem Weg in ein sozial gestärktes Umfeld begleitet.

Diesen neuen Ansatz in Sachsen finde ich deshalb erfolgversprechend, weil ich mir bei Aussteigern aus extremistischen Organisationen eine Ganovenehre vorstellen kann, die sie daran hindert, sich beim Ausstieg aus der Szene vom Verfassungsschutz helfen zu lassen. Die Hemmschwelle gegenüber dem Landespräventionsrat dürfte bei manchen Leuten niedriger sein. Auch den Hinweis von Herrn Kosmehl auf den beim niedersächsischen Justizministerium angesiedelten Sozialarbeiter fand ich interessant.

In der bereits zitierten Antwort unserer Landesregierung zum Rechtsextremismus heißt es auf Seite 539:

„Aufgrund der bisherigen Erfahrungen hinsichtlich mangelnden Interesses von Angehörigen der rechten Szene zum Ausstieg erscheint das Konzept überdenkenswert.“

Es ist nachvollziehbar, dass die FDP-Fraktion den Landtag mit der Thematik befasst. Allerdings halte ich die Aufforderung zur Vorlage eines neuen Konzepts bis zum Jahresende nicht für sinnvoll. Für mich ist offen, ob und bis wann es eines neuen Konzeptes bedarf.

Lassen Sie uns im Innenausschuss mit der Landesregierung über die Thematik beraten. An dieser Beratung wird sicherlich auch das Justizministerium teilnehmen.

Wir sind sicher einig in dem Ziel, auf der Grundlage des jetzigen oder eines weiterentwickelten Konzeptes die Resonanz von Ausstiegswilligen auf das Aussteigerprogramm des Landes Sachsen-Anhalt zu erhöhen. Jeder Hinweis, wie man aufgrund der praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer stärkeren Frequentierung von Aussteigerprogrammen kommen kann, ist willkommen.

Namens der SPD-Fraktion beantrage ich die Überweisung des Antrags der FDP-Fraktion in den Innenausschuss.

Vielen Dank. - Zum Schluss noch einmal Herr Kosmehl, wenn er es denn wünscht. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bin fast geneigt, auf die Rede des Kollegen Rothe Bezug zu nehmen. - Jetzt aber mit Ernst zur Sache.

Liebe Frau Kollegin Tiedge, zum Thema Reflex. Diesen Vorwurf können Sie mir gerne machen. Unterstellen wir einmal, er ist richtig, dann sage ich Ihnen, dass ich der Meinung bin, dass eine reflexartige Gesamtbetrachtung des Extremismus allemal besser ist als die reflexartige Ausgrenzung eines Teilbereichs des Extremismus, der bei Ihnen leider immer wieder vorkommt.

(Zustimmung bei der FDP)

Frau Kollegin Tiedge, ich habe die Zahlen genannt: 1 300 Rechtsextreme zu 510 Linksextremen. Ja, da ist ein Unterschied zu erkennen. Und ja, wir haben den Fokus auf den Bereich des Rechtsextremismus zu legen. Aber, ehrlich gesagt, mir sind auch die 510 Linksextremen zu viele.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb möchte ich, dass wir auch ein Programm für Aussteiger der linksextremistischen Szene initiieren. Und wir müssen insbesondere aus dem Phänomen, dass sich die beiden Bereiche immer häufiger gewalttätig gegenüberstehen, lernen, dass wir beide Bereiche bekämpfen müssen. Das eine ist ein Schwerpunkt und das andere darf man nicht vernachlässigen. Ich habe den Minister auch so verstanden, dass er weiterhin beides im Blick hat und beides bekämpfen will.

Frau Kollegin Tiedge, eine Bemerkung kann man sich in diesen Tagen offensichtlich nicht ersparen. Dass Sie Herrn Sarrazin erwähnen müssen, verdeutlicht die Art, mit der Sie an dieses Thema herangehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Aussteigerprogramm - jetzt richte ich mich ausdrücklich an Herr Kolze - gibt es - -