Protocol of the Session on September 9, 2010

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/2808

Ich bitte Herrn Kosmehl, den Antrag einzubringen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Extremismusbekämpfung wird in Sachsen-Anhalt seit Jahren konsequent von Landtag und Landesregierung betrieben. Das ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, ohne Frage auch in der Zukunft notwendig. Die regelmäßig erhobenen Statistiken der politisch motivierten Kriminalität zeigen, dass sowohl die politisch motivierte Kriminalität insgesamt, wie auch die politisch motivierte Gewaltkriminalität im Jahr 2009 leicht gesunken sind. Trotzdem bedeutet das keine Entwarnung.

Außerdem muss man konstatieren, dass die Gesamtzahl der in Sachsen-Anhalt ansässigen Personen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden müssen, laut Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2009 mit ca. 1 380 Personen gleich geblieben ist. Das linksextremistische Spektrum nahm um 30 Personen ab und wird heute mit insgesamt 510 Personen beziffert.

In diesem Zusammenhang, meine sehr geehrten Damen und Herren, stellt sich immer wieder die Frage, wie man Extremisten am besten begegnet, und insbesondere, welcher präventive Ansatz am ehesten erfolgversprechend ist. Hierbei muss man ganz deutlich sagen: Die Politik kann in der Extremismusbekämpfung nicht allein tätig werden.

Effektive Extremismusbekämpfung kann nur gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Kräften passieren, also mit Vereinen und Verbänden, die sich für ein weltoffenes Sachsen-Anhalt einsetzen. An dieser Stelle möchte ich mir die Zeit nehmen, diesen Ehrenamtlichen für ihre wertvolle Arbeit zu danken, die sie für uns alle gemeinsam leisten.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch im politischen Bereich setzen wir uns unermüdlich und aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln gegen Extremisten und für ein tolerantes Sachsen-Anhalt ein, wobei manchmal, zumindest aus der Perspektive von uns Liberalen, auch über das Ziel hinausgeschossen wird.

Um Spekulationen gleich entgegenzutreten: Die FDPFraktion erkennt an, dass in Sachsen-Anhalt schwerpunktmäßig die Probleme im rechtsextremen Bereich liegen. Dies lässt sich seit Jahren jedem Verfassungs

schutzbericht und jeder Statistik über politisch motivierte Kriminalität entnehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nun zum Anliegen unseres Antrags kommen. Aussteigerprogramme sind ein Ansatz einer präventiven Extremismusbekämpfungsstrategie. Seit dem Jahr 2001 gibt es in Sachsen-Anhalt solche Aussteigerprogramme. Auch in diesem Fall findet eine Fokussierung auf den Bereich des Rechtsextremismus statt.

Bei einem näheren Blick auf die jetzige Situation stellt man schnell fest: Der große Erfolg blieb bisher aus. In der Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage zu diesem Thema wurde ausgeführt, dass sich in dem Zeitraum von 2006 bis 2008 lediglich neun Personen aus der rechtsextremistischen Szene zurückgezogen bzw. grundsätzlich von ihr distanziert haben. Mögliche Ursachen gibt es natürlich viele.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht verschweigen, dass auch der Innenminister Herr Hövelmann die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Aussteigerprogramme erkannt hat und zumindest an einigen Stellen bereits ein Nachdenken angedeutet hat. Anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2009 haben Sie, Herr Minister, eingestanden, dass das bisherige Konzept der Aussteigerprogramme, insbesondere die direkte Ansprache, nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat. Seitdem, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht viel mehr passiert.

Wir Liberale sind der Auffassung, dass ein erfolgreiches Aussteigerprogramm ein effizientes Mittel im Kampf gegen den Extremismus in Sachsen-Anhalt ist und dass die Überprüfung und Neuausrichtung der Konzepte zeitnah und prioritär erfolgen soll. Für den Bereich des Linksextremismus muss überhaupt die Neukonzipierung eines Aussteigerprogramms initiiert werden.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. So kann man zum Beispiel auf die Erkenntnisse aus anderen Bundesländern zurückgreifen, etwa auf die Erfolge des Projekts „Niedersächsische Aussteigerhilfe Rechts“. Dort leisten drei Sozialarbeiter Hilfe zur Selbsthilfe. Hierbei kann man feststellen, dass dieses Programm im Ministerium der Justiz in Niedersachsen angesiedelt ist.

In diesem Zusammenhang würde mich natürlich auch interessieren, inwieweit ein Aussteigerprogramm im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums geplant ist, Ministerin Frau Kolb. Bei der Regierungsbefragung zum Thema Opferschutz im Dezember 2008 hatten Sie, Frau Ministerin, in Aussicht gestellt, darüber nachzudenken, ob es gelingen kann, ein Aussteigerprogramm auch beim sozialen Dienst anzudocken.

Diese Überlegung erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Durchsuchungen gegen die neonazistische „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ - HNG - auch hier in Sachsen-Anhalt vor einigen Tagen naheliegend. Bisher haben wir jedoch noch nicht gehört, ob es im Justizministerium bereits über das Nachdenken hinaus konkrete Handlungsansätze gegeben hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darüber hinaus, also neben den Aussteigerprogrammen gegen Extremismus - rechts oder links -, stellt sich auch die Fra

ge, inwieweit man eine Koordinierung der Aussteigerprogramme in Sachsen-Anhalt mit vergleichbaren Programmen in anderen Bundesländern, die bisher nicht stattgefunden hat, vielleicht sinnvoll beginnen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte in der eben genannten Regierungsbefragung zum Thema Opferschutz bereits deutlich gemacht, dass ich mir vorstellen könnte, bei Aussteigerprogrammen auch mit Sachsen und Thüringen zusammenzuarbeiten. Auch diesbezüglich würde mich natürlich interessieren, was in der Zwischenzeit passiert ist. Gab es Gespräche? Gab es eine Weiterentwicklung der Aussteigerprogramme vielleicht bis dahin, dass wir eine tatsächliche Neuausrichtung der Aussteigerprogramme in Sachsen-Anhalt hinbekommen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer einsteigt, der muss auch irgendwann aussteigen können. Wir sollten all jenen, die sich in extremistische Gedanken und Strukturen verirrt haben, ein Angebot unterbreiten, zurückzukommen, weg aus der extremistischen Szene, und wieder auf den Boden unseres Grundgesetzes und der Verfassung unseres Landes und in die Gesellschaft zurückzukehren. Dafür sind Aussteigerprogramme unverzichtbar. Deshalb bitten wir den Landtag, sich damit näher auseinanderzusetzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Für die Landesregierung erteile ich nun Minister Herrn Hövelmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum besseren Verständnis möchte ich zunächst kurz auf die Entwicklung des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten des Bundes und seine Entstehung in den Bundesländern und damit auch in Sachsen-Anhalt eingehen.

Ende des Jahres 2000 hat auf Initiative des Bundesministers des Innern das Bundesamt für Verfassungsschutz mit den Vorbereitungen für ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten begonnen, das sich damals vorrangig an so genannte Führungspersonen richtete. Die überwiegende Zahl der Länder hat sich diesem Aussteigerprogramm angeschlossen und konkrete Vorstellungen für begleitende Ausstiegshilfen von Mitläufern oder Sympathisanten entwickelt, die eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und anderen Behörden und Institutionen vorsah.

Beim Bund und bei den Ländern sind seitdem Programme mit unterschiedlicher Anbindung in den Ressorts, aber auch mit ähnlicher Zielrichtung vorhanden. So ist beim Bund und in einigen Ländern das Innenministerium tätig und federführend verantwortlich, manchmal die Polizei, manchmal der Verfassungsschutz. In anderen Ländern liegt die Federführung bei der Staatskanzlei oder beim Justizministerium oder beim Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend.

Vielfach sind auch die Präventionsprojekte für gefährdete junge rechte Gewalttäter bzw. Gefangene eingebunden.

In den Ländern sind zudem in den zurückliegenden Jahren Modifizierungen der Programme erfolgt, zum Bei

spiel die engere Vernetzung mit Präventionsprogrammen und -projekten, die verstärkte Einbindung von Jugend- und Sozialarbeit oder auch die Sensibilisierung freier Träger der Jugendhilfe.

Ein Informationsaustausch mit Trägern von Präventionsprogrammen findet grundsätzlich überall statt. In mehreren Ländern bestehen zusätzlich Vernetzungen überwiegend im Bereich der kommunalen Kriminalprävention. Teilweise sind die Aussteigerprogramme auch Bestandteil umfassender Aktionsprogramme gegen Extremismus und Gewalt. Jährlich finden zudem auf Bundesebene so genannte Sachbearbeitertagungen mit Vertretern der Länder und des Bundes zum Aussteigerprogramm gegen Rechtsextremismus statt, die dem intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch über Ländergrenzen hinweg dienen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Entwicklung in Sachsen-Anhalt ist auszuführen, dass die Polizeibehörden unseres Landes im Jahr 2001 gebeten wurden, aufbauend auf den bisherigen Maßnahmen und Konzepten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus weitere Aktivitäten für ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten zu entwickeln.

Zur Begleitung und Koordinierung von Maßnahmen wurde in Sachsen-Anhalt außerdem im Juni 2001 eine temporäre ressortübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet, bestehend aus der Staatskanzlei, dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit - so hieß es damals noch -, dem Ministerium der Justiz, dem Kultusministerium und dem Ministerium des Innern. Damals sollten Unterstützungsmaßnahmen und Hilfen zum Ausstieg in enger Zusammenarbeit von Behörden und Institutionen gewährleistet werden.

Diese Arbeitsgruppe tagte letztmalig im November 2002. Für den Bereich der Polizei wurde das Aussteigerprogramm im Februar 2002 mit der Konzeption zur Umsetzung des Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt fortgeschrieben. Mit dem Erlass unter dem Titel „Intensivierung von polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität - rechts“ vom Oktober 2006 erfolgte eine weitere Fortschreibung.

Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns immer wieder auch genötigt gefühlt und uns angestrengt, die entsprechenden Programme fortzuentwickeln und weiterzuentwickeln.

So sind beispielsweise die Gespräche mit Jungtatverdächtigen im Rahmen von Ermittlungsverfahren hinsichtlich eines möglichen Ausstiegs nochmals intensiviert worden. Bei Gesprächsbereitschaft ist ein unverzüglicher Kontakt zu einem Mitarbeiter der Jugendberatungsstellen bei der Polizei - besser bekannt unter dem Kürzel JUBP - herzustellen.

Persönliche Probleme des Einzelnen, die ein Abgleiten in den Rechtsextremismus begünstigen, sollen dort anschließend entsprechend der individuellen Situation des Betroffenen von den Mitarbeitern der JUBP in Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden, zum Beispiel dem Jugendamt, dem Sozialamt, der Sozialarbeiterin, dem Sozialarbeiter, der Agentur für Arbeit oder auch im Rahmen von Modellprojekten im pädagogischen Bereich, einer Lösung näher gebracht werden. Mit der Vermittlung an einen Mitarbeiter der JUBP endet grundsätzlich die Tätigkeit der Polizei.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ferner hat sich der Interministerielle Arbeitskreis „Extremismusprävention“ auf seiner Sitzung am 2. September 2008 mit Angeboten zur Beratung von Eltern rechtsextrem gefährdeter und rechtsorientierter Jugendlicher und in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Ausstieg jugendlicher und junger Erwachsener“ im Bericht über die Entwicklung gewaltbereiter, subkulturell geprägter Gruppierungen und Milieus mit rechtsextremistischem Hintergrund in Sachsen-Anhalt befasst.

Aktuell hat sich der Imak „Extremismusprävention“ im Juni 2010 auf das Thema „Aussteigerhilfen rechts“ als ein mögliches, zukünftig zu behandelndes Thema verständigt.

Auch werden wir zwischen Bundesländern geführte Diskussionen zu Aussteigerprogrammen für Linksextremisten und übrigens auch - das wird von der antragstellenden Fraktion leider nicht gesehen - Zu Ausländerextremismus genau verfolgen und im Hinblick auf ihre Tauglichkeit auch für unser Land bewerten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt ist trotz der geschilderten vielfältigen Bemühungen bisher auf verhaltene Resonanz gestoßen. Die Zahlen - Herr Kosmehl hat Sie genannt - habe ich zuletzt aus Anlass der Aussprache zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Entwicklung des Rechtsextremismus in SachsenAnhalt am 18. März 2010 dargelegt.

Die nachhaltige Bekämpfung des Extremismus, insbesondere des Rechtsextremismus, der in unserem Lande nach wie vor auch - Herr Kosmehl hat das dargestellt - den Schwerpunkt bildet, nehmen wir auf Grundlage einer umfassenden Strategie vor. Aussteigerprogramme und Ausstiegshilfen für Rechtsextremisten sind ein Element davon.

Wie wir es bereits in der Vergangenheit gehalten haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird das Innenministerium den Landtag auch künftig über Maßnahmen zur Bekämpfung des Extremismus - hierzu gehören eben auch Aussteigerprogramme - sehr gern informieren. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Minister Herr Hövelmann. - Nun sind die Fraktionen an der Reihe. Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kolze das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Debatten, auch hier im Landtag, befassen sich mit der Problematik des Links-, Rechts- oder politisch motivierten Extremismus. Einigkeit lässt sich meiner Beobachtung zufolge immer darin feststellen, dass wir alle das Ziel haben, zu verhindern, dass die demokratischen Grundrechte, für die wir in diesem Hohen Hause alle stehen, durch jedwede Form des Extremismus erschüttert werden.

Das Land fördert und unterstützt Programme, insbesondere unter Beteiligung des Innenministeriums, um Aufklärungsarbeit zur Bekämpfung extremistischer Strömungen zu betreiben.

Es ist nicht so, dass hierzulande über die Problematik hinweggegangen wird. Nein, vielmehr wird besonderes Gewicht auf die Extremismusbekämpfung gelegt. Es gibt polizeiliche Prävention und Bekämpfungsstrategien, Schulungen, Fortbildungsmaßnahmen, Kooperationen von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten, und dies auch in länderübergreifender Zusammenarbeit.

Aber nicht nur im Bereich der Prävention, meine Damen und Herren, finden Maßnahmen statt, sondern auch für den Fall, dass sich im links- oder rechtsextremistischen Milieu bewegende Personen daraus aussteigen möchten.

Zur Unterstützung in Form von Aussteigerprogrammen. Der Innenminister hat bereits aufgezeigt, dass bei Gesprächsbereitschaft ein unverzüglicher Kontakt zu helfenden Stellen hergestellt wird. Leider sind die Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten hier im Land nicht auf große Resonanz gestoßen. Jedoch selbst bei geringer Nutzung und Inanspruchnahme ist es wichtig, dass es solche Programme gibt, die Menschen helfen, auf einen verfassungskonformen Weg zu gelangen. Insofern plädiere ich grundsätzlich für eine weitere Ausgestaltung von Aussteigerprogrammen.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)